Tagesanbruch von t-online

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00:00:03: Guten Morgen.

00:00:03: Hier ist Ihr Tagesanbruch von TierOnline für Mittwoch, Zweiundzwanzigster Oktober, Zweitausendfünfundzwanzig.

00:00:10: Was heute wichtig ist.

00:00:12: Die unerträgliche Freikheit des Friedrich-März.

00:00:15: In der Stadtbilddebatte fordert Friedrich-März, fragen sie ihre Töchter.

00:00:19: Hier antwortet eine.

00:00:21: Geschrieben von TierOnline-Politikreporterin Annika Leister und am Mikrofon ist heute Karolin Breitschädel.

00:00:31: Kennen Sie Schrödinger's Katze?

00:00:33: Es ist ein Gedankenexperiment, mit dem der Physiker Erwin Schrödinger die Komplexität der Quantenphysik illustrieren wollte.

00:00:40: Eine Katze sitzt in einer geschlossenen Box, mit einer radioaktiven Substanz, die Zeit versetzt zu wirken beginnt.

00:00:48: Solange die Klappe der Box geschlossen ist, ist die Katze in einem absurden Schwebezustand tot und lebendig zugleich.

00:00:57: Erst wenn die Klappe geöffnet wird, erst wenn ihr Befinden also vom Betrachter überprüft wird, legt sich ihr Zustand fest.

00:01:04: Tod oder lebendig?

00:01:06: Nichts dazwischen.

00:01:08: Friedrich Merz hat den verrückten Schwebezustand der Katze in der geschlossenen Box vergangene Woche mit seiner Aussage geschaffen.

00:01:15: Es gebe in Deutschland ein Problem mit dem Stadtbild.

00:01:19: Je nach Standpunkt des Betrachters sprach der Kanzler entweder endlich eine unbequeme Wahrheit aus oder war diskriminierend und rassistisch.

00:01:28: Für beide Positionen gab es gute Argumente, beide waren gleichermaßen legitim.

00:01:34: Die Köpfe schlagen sich seither das rechte und konservative Lager und das linke und progressive Lager gegenseitig ein.

00:01:41: Und das vor allem aus einem Grund, weil nämlich keiner wusste, wie hat der Kanzler die Aussage genau gemeint.

00:01:49: In einer Pressekonferenz am Montag stellten Journalisten genau diese Frage.

00:01:53: Sie hoben den Deckel der Box und versuchten der Katze den Puls zu fühlen.

00:01:58: Doch Merz schaffte ein Kunststück, dem Erwin Schrödinger wohl einige Berechnungen widmen müsste.

00:02:03: Die Box wurde geöffnet, doch der Schwebezustand löste sich nicht auf.

00:02:08: Die Katze blieb tot und lebendig zugleich, unter den Augen von Tausenden Betrachtern.

00:02:13: Der polarisierte Meinungskampf tobt seitdem weiter.

00:02:17: Viel hat das damit zu tun, dass März schlicht keine klare Antwort auf die Frage gab, die ja nur er beantworten kann.

00:02:24: Stattdessen übertrug er die Verantwortung, sich zu erklären auf andere.

00:02:28: Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte, sagte er.

00:02:33: Spätestens mit Einbruch der Dunkelheit gebe es ein Problem und dieses Problem gelte es zu lösen.

00:02:40: Hier nun also die Antwort einer Tochter, die keinem der beiden nun streitenden Lager vollumfänglich gefallen dürfte.

00:02:46: warum Merz mit seiner Aussage nämlich recht hat, sogar eine mutige Debatte von ganz oben hätte ansätteln können und warum er nun doch schwer erträglich feigeagiert und dadurch gefährliches Terror betritt für Deutschland und seine Partei.

00:03:02: Merz hat recht, wenn man seine Aussage vom Problem mit dem Stadtbild auslegt als, wir haben ein Problem mit der Sicherheit in Deutschland und das auch wegen der Migration.

00:03:13: Es stimmt und muss klar ausgesprochen werden, Ausländer sind als Tatverdächtige in der Kriminalstatistik im Vergleich zu ihrem Anteil in der Bevölkerung überrepräsentiert, wenn es um Mord- und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, Nötigung und sexuelle Übergriffe geht.

00:03:29: Bei jedem schlagen diese Taten anders an.

00:03:32: Angst ist eben nicht rational, sondern hochindividuell.

00:03:36: Viele erinnern sich an den U-Bahn-Träter von Berlin.

00:03:39: Zwei-tausendsechzehn trat der Bulgaris Wetherslaw S. eine junge Frau an einer U-Bahn-Haltestelle unvermittelt und brutal in den Rücken und damit eine Treppe hinab.

00:03:49: Die ahnungslose, sechsundzwanzigjährige stürzte wie eine Puppe mehrere Stufen.

00:03:54: Mit viel Glück brach sie sich nur einen Arm und verletzte sich am Kopf.

00:03:59: Sie hätte tot sein können.

00:04:00: Dem Täter war das offensichtlich vollkommen egal.

00:04:04: Die Bahn ist noch immer mein bevorzugtes Verkehrsmittel.

00:04:07: Doch eines tue ich nun nicht mehr.

00:04:09: Am Ende von Treppen stehen bleiben oder gar nah am Gleis auf die Bahn warten, vor allem nicht, wenn junge Männer mit mir warten.

00:04:17: Gewalt gegen Frauen sei ein reines Männerproblem, habe gar nichts mit Migration zu tun.

00:04:22: Das ist der Satz, der von linker Seite häufiger fällt.

00:04:25: Dieser Satz aber ist wie März Katze, korrekt und gefährlich falsch zugleich.

00:04:30: Natürlich töten vergewaltigen missbrauchen und belästigen deutsche Männer Frauen.

00:04:36: Meine Eltern haben mich mit fünfzehn zu einem Selbstverteidigungskurs bei der Polizei geschickt.

00:04:41: Ich lernte dort, was viele junge Frauen in Deutschland lernen.

00:04:44: Wie man sich auf dem Heimweg alleine Schlüssel zwischen die Finger steckt und damit in Männeraugen stößt.

00:04:50: Wie man im richtigen Winkel mit der flachen Hand und voller Wucht von unten auf die Nasenspitze schlägt, damit der Knochen sich ins Gehirn schiebt.

00:04:58: Wie man Kehlköpfe packt und herausreißt.

00:05:01: Wie man Hoden so heftig tritt, dass dem Angreifer möglichst lange die Luft wegbleibt.

00:05:07: Wie man sich auch mit einem Meter fifty-six ein wenig Zeit verschafft, um wegzurennen, um sich zu retten.

00:05:13: Das war die Realität von Frauen in Deutschland schon zweitausend und eins, lange vor der Flüchtlingskrise.

00:05:20: Auch in sechshundert Seelendörfern, in denen März ganz sicher kein Problem mit dem Stadtbild gesehen hätte.

00:05:25: Denn das Bild dort waren viele Friedrichs, keine Mohammeds.

00:05:30: Natürlich aber verschärft sich das Problem, wenn viele Männer aus Kulturen stammen, in denen Frauen keine Rechte besitzen und vom Staat oder der dominanten Religion abgewertet werden.

00:05:40: Viele junge Flüchtlinge wissen einfach nichts über Frauen.

00:05:44: Dass Frauen einmal im Monat bluten, was Tampons sind, unbekannt.

00:05:48: Dass ihre Klassenkameradinnen kurze Röcke tragen, für einige von ihnen nicht nur schwer zu verstehen, sondern anhaltend Haram, also unrein, verboten Tabu.

00:05:59: Eine religiöse Kategorie, die es in Deutschland so eigentlich lange nicht gab und aus der schnell Abscheu, Abwertung, Gewalt und Hass erwachsen kann.

00:06:09: Wir müssen diese Probleme öfter, offener und klüger adressieren.

00:06:13: März allerdings hat davon nichts getan.

00:06:16: Dabei wäre es so einfach gewesen.

00:06:18: Er benannte nichts, berief sich nicht auf Zahlen, flüchtete sich erst in Raunen und dann zu den Frauen.

00:06:24: So stahl er sich gleich zweifach aus der Verantwortung.

00:06:28: Denn erstens stehen Frauen ganz sicher nicht in seiner Schuld.

00:06:32: Es waren nicht konservative und Rechte, die Emanzipation und Freiheit deutscher Frauen erkämpften.

00:06:38: Zu deren Rättern schwingen sie sich erst auf, wenn es gegen Migranten geht.

00:06:42: Ein Beispiel gefällig?

00:06:44: Erst in die USA beschloss der Bundestag, dass auch in einer Ehe eine Vergewaltigung, eine Vergewaltigung ist.

00:06:52: Es hatte so lange gedauert, weil die Union und die FDP sich jahrelang sperrten.

00:06:57: SPD und Grüne peitschen das Thema damals aus der Opposition heraus auf die Agenda.

00:07:02: Und bei der entscheidenden Abstimmung, da stimmte Friedrich Merz dagegen.

00:07:06: Stattdessen stimmte er für eine Widerspruchsklausel, nach der die Strafverfolgung gestoppt werden können sollte, wenn die Ehefrau ihre Anzeige zurückzieht, auch wenn sie dafür unter Druck gesetzt worden wäre.

00:07:19: Merz, der Schützer der Frauen, mehr Heuchelei geht kaum.

00:07:24: Zweitens ist März Vorsitzender einer Partei, die all die Zustände, die er nun beklagt, maßgeblich zu verantworten hat.

00:07:32: Verstehen Sie mich richtig?

00:07:33: Ich halte es nach wie vor für richtig, dass Merkel die Schutzsuchenden in den Jahrzehnten nicht abwies.

00:07:39: Die große Schuld aber setzte danach ein.

00:07:42: Als die Regierung nämlich die Hände in den Schoß legte und über Jahre im ganzen Land Ehrenamtliche mit den hunderttausenden Neuankömmlingen alleine ließ.

00:07:50: Nicht ansatzweise wurde für genügend Integrationshelfer, Deutschlehrer, Sozialarbeiter, Psychotherapeuten gesorgt.

00:07:58: Die Ehrenamtlichen werden heute von vielen abfällig als naive Gutmenschen tituliert.

00:08:03: Niemand aber hat mehr von ihnen profitiert als die CDU.

00:08:07: Statt sich ehrlich zu machen und Probleme durch vernünftiges Regieren zu lösen, betritt Merz mit seinem Raunen über das Stadtbild lieber gefährliches Terrain.

00:08:17: Es ist das Terrain der AfD.

00:08:19: Seine Aussagen gehen in Richtung des Hauptgrunds, warum die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

00:08:25: Ein völkisches Verständnis.

00:08:27: Denn Merz verbindet begriffliche Schwammigkeit mit gewünschter politischer Aktion und bleibt dann im Äußeren verhaftet.

00:08:34: In seinem Stadtbild, das schwingen Hautfarben mit und Migrationshintergründe unabhängig von der Staatsbürgerschaft.

00:08:42: Bezeichnend, wer Merz mit am lautesten dafür feiert.

00:08:45: Martin Selner, Rechtsextremist aus Österreich.

00:08:48: Der trug in die AfD die Idee von der Remigration, worunter Selner Massenabschiebungen versteht, auch von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund.

00:08:58: Ob März heimlich seine Werke gelesen habe, fragt Selner jetzt etwa genüsslich auf der Plattform X. Oder Stadtbild war schon mal geil.

00:09:07: Welches Wort soll ich März als nächstes vorschlagen?

00:09:10: Bleibt die CDU auf diesem Kurs, ist das fatal für dieses Land und gefährlich für Millionen Deutsche.

00:09:16: Mindestens ebenso gefährlich aber ist es für die CDU.

00:09:19: Denn auf dem Heimspielfeld der AfD kann sie diese niemals besiegen.

00:09:25: Am Montagmorgen, wenige Stunden nach März-Pressekonferenz, frohlockte Beatrix von Storch bei einer Veranstaltung der AfD in Schwerin.

00:09:33: Merz habe mit dem Stadtbild, wie schon bei den kleinen Pashas, bewiesen, dass er eine Gabe habe und mit einem Wort sehr viel ausdrücken könne.

00:09:43: Nur scheue er am Ende davor zurück, wirklich Klartext zu reden.

00:09:48: Den Klartext übernahm dann von Storch.

00:09:51: Wie in Bagdat habe sie sich bei ihrer Fahrt mit der Bahn an einer Haltestelle gefühlt, weil da eine Gruppe junger Männer stand.

00:09:59: Ich möchte mit denen nicht um drei Uhr am Bahnhof stehen, so von Storch.

00:10:03: Und ich habe Angst vor denen, der Saal applaudierte laut.

00:10:08: Zeit für den Kanzler zu verstehen.

00:10:10: Die Räume, die er mit seinem Raunen schafft, die füllt die AfD.

00:10:14: Und die Frauen werden ihn nicht retten.

00:10:16: Im Gegenteil.

00:10:18: Frauen wie von Storch und Alice Weidel werden ihn jagen.

00:10:24: Was heute wichtig ist.

00:10:26: Sarah Wagenknecht vor Gericht.

00:10:29: Das Landgericht Berlin verhandelt über eine Klage gegen die BSW-Vorsitzende wegen Äußerungen über den Musiker und Politiker Dieter Dehm.

00:10:37: Es geht um Aussagen, die der frühere Bundestagsabgeordnete der Linken und ehemalige Wagenknechtvertraute als Ehrenrührig erachtet.

00:10:45: Das Gericht hat das persönliche Erscheinen der Beteiligten angeordnet.

00:10:52: Muss Israel helfen?

00:10:54: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag legt einen Gutachten zur rechtlichen Verpflichtung Israels vor, mit den vereinten Nationen und internationalen Organisationen in den besetzten palästinensischen Gebieten zusammenzuarbeiten.

00:11:08: Im Fokus steht dabei die humanitäre Hilfe für Palästinenser im Gasastreifen sowie das israelische Arbeitsverbot für das UN-Hilfswerk für Palästinenser UNRWA.

00:11:22: EU-Parlament vergibt Menschenrechtspreis.

00:11:25: Das Europaparlament gibt heute die diesjährigen Preisträger des Sararoff-Preises bekannt.

00:11:31: Nominiert sind inhaftierte Journalisten aus Belarus und Georgien, Journalisten und humanitäre Helfer in Konfliktzonen weltweit sowie serbische Studenten.

00:11:56: Vielen Dank fürs Zuhören und Tschüss!

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert. Am Wochenende geht es in einer längeren Diskussion mit prominenten Gästen um ein aktuelles, politisches Thema. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

Den Tagesanbruch gibt es auch zum Nachlesen unter https://www.t-online.de/tagesanbruch

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von und mit Florian Harms

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