Tagesanbruch von t-online

Tagesanbruch von t-online

Täglich mehr wissen

Transkript

Zurück zur Episode

00:00:01: Hallo und herzlich willkommen zum Podcast Tagesanbruch Die Diskussion.

00:00:06: Mein Name ist Florian Harms.

00:00:08: In dieser Folge spreche ich mit dem Kabarettisten Vince Ebert.

00:00:11: Er glaubt, dass wir in Deutschland den Verstand verloren haben.

00:00:14: Wir verstricken uns in gefühlige Gender-Ansichts- und Glaubensfragen, statt rationale Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart zu suchen.

00:00:23: In seinem Buch What the fuck Deutschland kritisiert Ebert, wie Gefühle und Empörung im öffentlichen Diskurs zunehmend Fakten und Vernunft verdrängen.

00:00:32: Er zeigt, wie ihn Politikmedien und Universitäten Irrationalität und Moralrhetorik dominieren und fordert in satirischem Ton eine Rückkehr zum nüchternen Denken.

00:00:42: Was ist dran an seiner Kritik?

00:00:44: In den folgenden Minuten klären wir es.

00:00:46: Schön, dass Sie zuhören.

00:00:50: Liebe Hörerinnen und Hörer, wenn es sowas gibt wie das Buch der Stunde, dann könnte es die Abrechnung des Wissenschaftskaparatisten Vince Ebert sein.

00:00:57: In What The Fuck Deutschland zeigt er, wie die öffentlichen Debatten, politischen Prioritäten und gesellschaftlichen Entwicklungen sich in westlichen Demokratien, wie der Bundesrepublik, reaktionär verengt haben.

00:01:09: Wie zunehmend moral die Vernunft verdrängt, wie Gefühligkeit Pragmatismus und Innovationsfreude ersetzt.

00:01:16: Die Folgen dieser Entwicklung seien gravierend, meint Ebert.

00:01:18: An Universitäten würden Studenten vor verletzenden Meinungen und Ideen geschützt.

00:01:23: In der Klima-, Energie- und Migrationspolitik gehe es eher um Ideologie und Emotionen als um Fakten und Logik.

00:01:30: Anstand Neues zu wagen, würden in Deutschland Innovationen durch Vorschriften, Bedenkenträger und Risikoangst blockiert.

00:01:37: Zahllose Interessengruppen würden Reformen torpedieren, weil sie am Status quo verdienen, von Steuerberatern bis zu Gewerkschaftern.

00:01:44: Medien würden Erregung, Zuspitzung und Skandalisierung vorantreiben, sachliche Differenzierung gerade in den Hintergrund.

00:01:50: Kontroverse Perspektiven würden aus dem öffentlichen Gespräch verbannt, weil immer die Person angegriffen werde, nicht das Argument.

00:01:58: Eine scharfe Diagnose also Aber in augenzminkendem Ton serviert, was das Buch nicht nur sehr gut lesbar, sondern auch sehr unterhaltsam macht.

00:02:07: Und eine Steilvorlage für unsere heutige Diskussion.

00:02:10: Die wollen wir nämlich in den kommenden Minuten führen.

00:02:12: Herzlich willkommen, Vince Ebert.

00:02:14: Hallo,

00:02:14: ich freue mich.

00:02:15: Sie haben im Prinzip ja auch alles gesagt.

00:02:17: Wir könnten eigentlich jetzt Schluss machen, weil besser hätte ich es jetzt auch nicht sagen können.

00:02:22: Ein bisschen besser, glaube ich, schon noch.

00:02:24: Jetzt haben Sie fast ein bisschen geschwebelt.

00:02:26: Woher kommen Sie?

00:02:27: Ich

00:02:27: komme aus dem bayerischen Odenwald aus Amur.

00:02:30: Das ist bei Milkenberg und das ist so in drei Ländereck, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen.

00:02:35: Insofern hat es einen schwäbischen Einschlag, einen fränkischen Einschlag und auch einen leichten hessischen Einschlag.

00:02:41: Das finde ich sehr sympathisch.

00:02:42: Ich muss mal gestehen, also ich bin gebürtiger Schwabe, aber meine Mutter kommt aus Hessen.

00:02:46: Ich liebe die Hessen und bei den Franken gibt es so gutes Bier und die Bayern sind ja sowieso sympathisch.

00:02:51: Also ich glaube, das kann heute nur gut gelingen und ich würde Ihnen widersprechen.

00:02:54: Ein bisschen was mussten wir jetzt doch noch klären.

00:02:57: Meine erste Frage deshalb mal Herr Ebert.

00:02:58: Sie sind ja Physiker, sie sind Kabarettist, sie sind Rationalist und nun auch auch Kulturkritiker.

00:03:05: Was war der Moment, an dem Sie gedacht haben, jetzt reicht's, jetzt muss ich diesem Land mal den Spiegel vorhalten?

00:03:12: Also ich habe ja mein vorheriges Buch, das ist ja Lichtblick statt Blackout, das ist vor drei Jahren rausgekommen.

00:03:19: Dadurch mich sehr kritisch mit dem Thema Energiewende beschäftigt, das ist eigentlich ein relativ wissenschaftsbasiertes Buch gewesen, das ich einfach mal erklärt habe, was ist Energie, was ist Grundlastfähigkeit, wie viel Wind und Sonnenenergie haben wir?

00:03:34: und so weiter und so weiter.

00:03:36: Und das ist sehr, sehr gut angekommen, ist auch jahrlang in der Spiegelliste gestanden und das war ja damals diese Zeit.

00:03:43: Da war ja gar noch noch nicht klar, ob Habeck tatsächlich die Kernkraftwerke abschaltet.

00:03:49: Der Ukraine-Krieg war ja schon am Toben.

00:03:52: Und mich haben im Zuge dieses Buches relativ viele Leute angerufen oder Kontakt mit mir aufgenommen, teilweise auch aus dem Bundestag, teilweise aus der Regierung und haben mir unter vier Augen eigentlich alle gesagt, Wir haben das Buch gelesen, wir finden das genauso.

00:04:09: Wir stimmen mit ihrer Analyse vollkommen über ein.

00:04:12: Das ist eigentlich totaler Schwachsinn, was wir da tun.

00:04:16: Also die Abschaltung der Kraftwerke.

00:04:18: Die

00:04:18: Abschaltung in dieser prekären Phase, diese Energiewende so durchzubrügeln, wie man sie eigentlich die letzten zehn, fünfzehn Jahre versucht hat, durchzubrügeln.

00:04:29: Dann habe ich gedacht, hey, das ist ja super, die übrigens parteiübergreifend und hab gedacht, naja, also die sind ja vielleicht gar nicht so ideologisch verblendet oder gar nicht so dumm oder so doof.

00:04:41: Die verstehen das ja, die geben mir recht.

00:04:43: und das war ein eigentlicher toller Moment.

00:04:47: Und ein paar Wochen später kam es dann zu diesen Abstimmungen.

00:04:51: Also gehen wir komplett aus der Kernenergie raus, Gebäude, Energie gesetzt, diese ganzen Entwicklungen, die in dieser Zeit entstanden sind.

00:05:00: Und da kam er mittlerweile sehen, wer wie abgestimmt hat.

00:05:03: Das sind ja öffentliche Abstimmungen.

00:05:05: Da kann man im Internet schauen, wie haben die Leute abgestimmt, die mir unter vier Augen gesagt haben, das ist eigentlich ein Quatsch, was wir da tun.

00:05:15: Und das war sehr, sehr ernüchternd, weil die allermeisten Leute, die mir unter vier Augen gesagt haben, so und so sehen wir das, haben eindeutig gegen ihr Gewissen abgestimmt.

00:05:25: Und das war für mich so ein Punkt, der mich echt geschockt hat, weil ich das in dieser Massivität nicht erwartet habe.

00:05:33: Und wo ich gemerkt habe, es liegt nicht daran, dass die Politik ein Erkenntnisproblem hat, sondern ein Umsetzungsproblem.

00:05:44: Das ist nach drei Jahren im Grunde genommen zu diesem jetzigen Buch hat es geführt, wo ich mich ja nicht an den Politikern selber abarbeite, sondern sage, wir haben da in vielerlei Hinsicht Strukturen geschaffen.

00:05:59: die relativ dysfunktional sind, in denen wir nicht hinkriegen, rationale Entscheidungen mehr zu treffen, weil die Anreizsysteme teilweise so dysfunktional sind, dass das Leute belohnt, falsche Entscheidungen zu treffen.

00:06:14: Was meinen Sie damit?

00:06:15: Anreizsysteme?

00:06:16: Also was ist da, dass dann ein Politiker sagt, also eigentlich würde ich pragmatisch gegen den Ausstieg aus der Atomenergie stimmen, erst recht in der gegenwärtigen Situation?

00:06:26: oder zumindest würde ich dafür stimmen, dass man noch damit wartet und dann macht das aber trotzdem nicht.

00:06:32: Was drängt Ihnen dazu?

00:06:34: Ich habe mich gestern mit einer Bürgermeisterin in Roding, das ist in der Oberpfalz, da habe ich eine Veranstaltung gehabt, unterhalten und die hat gesagt, na ja, in der Kommunalpolitik, da läuft es noch ziemlich gut, weil sie im Grunde genommen, wenn sie da im Gemeinderat eine Entscheidung treffen, dann kriegen sie sofort eine Feedbackschleife.

00:06:53: Wenn die Entscheidung doof ist, dann... sagt der Metzger am nächsten Tag zur Bürgermeisterin oder zum Gemeinderat, was hat denn dafür in Quatsch gemacht?

00:07:03: Und je höher sie eigentlich in der politischen Hierarchie gehen, umso mehr sind sie eigentlich von der Realität ein bisschen entkoppelt.

00:07:11: Man ist letztendlich nur noch innerhalb seiner Partei, innerhalb seiner Koalition.

00:07:17: Und mir erzählen immer wieder Politiker, dass es wahnsinnig schwer ist in diesem politischen System, und zwar parteiübergreifend, Wenn Sie da wirklich ein unorthodoxer, frischer Geist sind, der sich vielleicht auch mal gegen die Parteilinie stellt, dann zeigt Ihnen die Partei sehr, sehr schnell, wo Ihr Platz ist.

00:07:37: Und wenn Sie da falsch abstimmen, dann sind Sie bei der nächsten Wahl auf dem Listenplatz ganz weit hinten.

00:07:45: Und das führt eben dazu, dass Parteien sehr, sehr wenig Lernkurven haben.

00:07:50: Aber das wäre ja keine neue Diagnose.

00:07:52: Also ich würde mal behaupten, dass hätten wir vor zehn Jahren schon genauso kritisieren können.

00:07:57: Ich lese in ihrem Buch auch noch eine regelrechte Wissenschaftsfeindlichkeit, die sie diagnostizieren.

00:08:04: Weil sie eben auch am Beispiel jetzt das Atomausstieg ist, der sagen, also das ist eigentlich Quatsch das so zu machen.

00:08:10: Ich habe mich dann aber gewundert, weil wenn wir mal zurückdenken an die Corona Pandemie, hatte ich eher den Eindruck, da wurde manchmal fast zu viel auf Virologen und andere Wissenschaftler gehorcht.

00:08:19: Und es wurde so dem gesunden Bauchgefühl zu wenig glauben geschenkt.

00:08:23: Also, wie würden Sie das erklären?

00:08:25: Ja.

00:08:25: Also, das sind zwei Punkte.

00:08:26: Ich glaube, es hat früher deswegen besser funktioniert, nicht weil die Parteien und die Parteisysteme bessere Anreizsysteme hatten, sondern weil es noch eine Balance zwischen konservativ und progressiv oder links oder rechts oder links oder konservativ, wie Sie das nennen mögen, das war noch da damals.

00:08:46: Also, wenn Sie vor zwanzig Jahren wussten Sie, da steht die CDU für das.

00:08:51: und die SPD oder die Grünen stehen für das.

00:08:53: Und es hat sich teilweise sehr voneinander unterschieden.

00:08:57: Und dadurch gab es einen guten Battle von Ideen.

00:09:01: Man konnte sich Holzwähler entscheiden, gehe ich in diese Richtung oder gehe ich in diese Richtung.

00:09:07: Und das hat sich aber in den letzten Jahren, das ist jetzt auch nicht meine Analyse, das wurde ja auch schon oftmals kritisiert oder beobachtet, haben sich die etablierten Parteien eigentlich alle in eine große Soße verschoben.

00:09:22: Also die CDU macht im Grunde in den großen Themen dieselbe Politik wie die SPD oder die Grünen.

00:09:30: Teilweise die FDP auch war übrigens mal eine Partei.

00:09:33: Die Älteren können sich noch daran erinnern.

00:09:36: Und dann gibt es die Brandmauer.

00:09:38: Das heißt also, in vielen Bereichen sind die großen Parteien sich mehr oder weniger einig.

00:09:45: Und das führt eben dazu, dass eigentlich keine gegensätzlichen Ideen mehr diskutiert werden.

00:09:53: Und das führt dazu, dass sich viele politisch heimatlos fühlen.

00:09:58: Und das andere ist, was Sie gesagt haben mit der Corona-Pandemie und der Wissenschaftsbasiertheit, das ist natürlich auch ein Problem, weil sich natürlich während Corona und teilweise auch in der Klimapolitik, natürlich die Politik sehr, sehr gerne die Wissenschaftler sucht, die ihre Meinung unterstützen.

00:10:20: Und wenn man sich halt anguckt, wer ist in der Corona-Pandemie zu Wort gekommen, wer ist in der Klimapolitik zu Wort gekommen, dann sind es immer wieder die gleichen Wissenschaftler, die die gleichen Thesen vertreten, aber auch in der Wissenschaft gibt es natürlich auch ein Battle of Ideas.

00:10:39: Und der wird aber dann in den Medien auch nicht so abgebildet, weil natürlich die Politik sich die Wissenschaftler sucht.

00:10:47: die ihnen genehm sind.

00:10:49: Aber wir sind uns schon einig, dass es die Klimakrise gibt, dass es die Erderhitzung gibt, dass das eine dringende Notwendigkeit gibt, dem entgegenzuwirken und nicht einfach abzuwarten.

00:10:58: Weil es gibt ja auch diesen Vorwurf der False Balance.

00:11:01: Also wenn man jetzt neun Klimawissenschaftler hat, die alle sagen, Leute, es ist wirklich an der Zeit, dass wir schnell gegensteuern und dann gibt es einen, der sagt, das ist alles gar nicht so schlimm.

00:11:10: dann macht es ja keinen Sinn, diesen einen dazu zu holen und zu sagen, euch will jetzt einfach nur ein bisschen Bandbreite der Meinungen haben, weil Fakten sind Fakten.

00:11:18: Ja,

00:11:18: ja, natürlich.

00:11:19: Also ich habe ja auch in meinen Büchern immer wieder geschrieben, Klimawissenschaften oder Klimaforschung ist natürlich objektiv und da gibt es ja auch keinen Zweifel daran, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt.

00:11:32: Es geht nur darum, dass es in der Klimapolitik unterschiedliche Rangehensweisen gibt.

00:11:37: Also die Chinesen betreiben eine andere Klimapolitik als die Amerikaner, die Deutschen betreiben eine andere Klimapolitik als die Finnen.

00:11:46: Die finnischen Grünen zum Beispiel plädieren massiv inzwischen für Kernenergie.

00:11:51: Das heißt also, es gibt unterschiedliche Herangehensweisen politisch, wie man mit dem Klimawandel umgeht.

00:12:00: Und das wird aber in Deutschland sehr, sehr weggebügelt im Sinne von, dass man zu sehr Klimaforschung und Klimapolitik vermischt.

00:12:10: Und das ist ein Fehler, meiner Meinung

00:12:12: nach.

00:12:12: Das ist interessant.

00:12:13: Dazu passt vielleicht etwas, was Sie zitieren.

00:12:15: Da gibt es nämlich eine Umfrage, oder mehrere Umfragen sogar, denen zufolge sich forty-fünfzig Prozent der befragten Bürger gezwungen sehen, bei politischen Äußerungen vorsichtig zu sein.

00:12:27: Und das Gefühl haben, abweichende Ansichten würden sogar geächtet im öffentlichen Diskurs.

00:12:32: Und Sie, Herr Ebert, waren daher vor einer Moralisierung, des Denkens und machen dafür auch unseren jahrzehntelangen Frieden und den Wohlstand mitverantwortlich.

00:12:41: Da muss ich mal nachhaken, wie meinen Sie das?

00:12:43: Auch da gibt es zwei Punkte.

00:12:45: Zum einen sagen die Leute, ja, man kann ja heutzutage alles sagen, man muss halt mit Kritik umgehen.

00:12:52: Dem stimme ich absolut zu.

00:12:54: Ich bin sogar der Meinung, dass wir eigentlich viel mehr sagen können, als manche sich so hinstellen, sagen, ich darf ja nichts mehr sagen.

00:13:02: Also ich sage zum Beispiel in meinen Programmen, in meinen Büchern genau das, was ich denke.

00:13:08: Und bisher ist der absolute Shitstorm, die absolute Katastrophe durchaus über mich hinweggezogen.

00:13:15: Also man kann schon was sagen.

00:13:17: Die andere Wahrheit allerdings ist, dass schon, wenn sie in bestimmten Systemen drin sind, teilweise in Konzernstrukturen, medial, also wenn sie irgendwie eingebaut sind in diesem Bereich, auch an der Universität, Dann gibt es schon Tendenzen in den letzten Jahren, dass unliebsame Meinungen sanktioniert werden, dass also Professoren oder Universitätsmitarbeiter nicht befördert wurden, weil sie unliebsame Meinungen haben, weil sie in Bereichen forschen wollen, die vielleicht politisch unkorrekt sind.

00:13:53: Es gibt in Deutschland das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit.

00:13:56: Das ist ein Zusammenschluss von mehreren Professoren.

00:14:01: Ich glaube, über siebenhundert Fälle an den Universitäten ausgemacht, in denen unliebsame Meinungen eindeutig mit beruflichen Nachteilen anhergehen.

00:14:11: Das heißt, es sind schon Tendenzen da, in denen unliebsame Meinungen tatsächlich sanktioniert werden, weil es eben immer mehr eine moralische, eine wertende Debatte geworden ist.

00:14:23: Wir erleben das ja auch in den sozialen Medien.

00:14:27: Fünfundneinzig Prozent meiner Kritik, die ich in den sozialen Medien bekomme, geht auf die Personen und ganz, ganz selten auf die Sache.

00:14:35: Und das ist natürlich eine vollkommene Fehlentwicklung, weil in der Sache zu diskutieren bin ich voll dafür.

00:14:42: Aber jemanden versuchen zu diskreditieren, weil er eine falsche Meinung oder eine angeblich falsche Meinung hat, ist natürlich antiaufklärerisch.

00:14:53: Sind dann Ihrer Ansicht nach Social Media Kanäle wie X, Facebook, Telegram, TikTok der Grund dafür, warum wir diese problematische Entwicklung haben, also das permanente Moralisieren, das Zurückdrängen von anderen Ansichten?

00:15:06: Also ich hab's ja im Buch auch den sozialen Medien ein großes Kapitel auch gewidmet, weil mir das eben auch wichtig ist zu sagen, wie hat sich das über die letzten zwanzig, dreißig Jahre da hin entwickelt?

00:15:19: Und ich gebe Ihnen schon recht, dass die sozialen Medien dazu führen, so waren sie ursprünglich auch angelegt vom Silicon Valley.

00:15:28: Man wollte die Dinger genauso programmieren mit dem Like-Button, dass man sehr, sehr schnell Meinungen in gut oder schlecht einteilt.

00:15:40: Und wie wir heute wissen, sind diese sozialen Medien mit all ihren Funktionen wirken eigentlich wie so kleine Zuckerschocks.

00:15:51: So Dopamin-Kicks haben eine sucht erzeugende Wirkung und es passiert eigentlich genau das Gegenteil, was alle großen Philosophen, alle großen Dichter und Denker über Meinungsbildung gesagt haben.

00:16:05: Man hört sich das Argument von einem anderen an, denkt darüber nach, eine Nacht zweineichte und bildet sich dann seine Meinung.

00:16:14: Das heißt also, man lässt das Ganze erst mal sacken und die sozialen Medien verführen zu dem genauen Gegenteil.

00:16:22: Sehr, sehr schnelle Bewertung, sehr, sehr schnelle persönliche Diskreditierung oder Bewunderung.

00:16:28: Und das ist natürlich ein Riesenproblem.

00:16:30: Ich habe da zwar auch keine Lösung.

00:16:32: Ich kann nur analysieren, dass es so ist.

00:16:34: Wir haben da die Büchse der Pandora geöffnet und kriegen sie jetzt wahrscheinlich nicht mehr zu.

00:16:38: Also

00:16:39: manche Hörerinnen des Podcasts werden das wissen, dass ich auch ein großer Kritiker der sozialen Medien bin.

00:16:45: Ich habe auch keine Lösung, aber ich glaube, wir müssen sie hart reglementieren.

00:16:48: Und das fehlt mir ganz stark in der gegenwärtigen Politik.

00:16:51: Da kommt aus Brüssel und aus Berlin zu auch zu wenig.

00:16:54: Aber noch mal weiter gefragt.

00:16:56: Wenn es jetzt um die Frage der Moral geht, Moral ist ja eigentlich erstmal was Positives.

00:17:02: Und deshalb würde mich noch mal interessieren, wie würden Sie da diese Grenze ziehen?

00:17:05: Was ist sozusagen die Grenze zwischen moralischem Handeln einerseits und moralisierendem Hochmut andererseits?

00:17:14: Also ich würde weniger moralisch argumentieren, sondern eher ethisch.

00:17:18: Also dass man sich ein Argument anhört und das dann bewertet, ob das zielführend ist oder nicht.

00:17:23: Also wenn man sich ins Mittelalter zurückversetzt, da war die Kirche die dominierende Institution der Vatikan in Rom.

00:17:31: und dann hat halt Galilei gesagt, Moment mal, ich gucke da mit einem Fernrohr in den Himmel und zeige euch.

00:17:39: dass die Erde gar nicht der Mittelpunkt des Universums wahrscheinlich ist.

00:17:44: Und da hat die Kirche sehr, sehr moralisch argumentiert, um das gute Argument eigentlich wegzubügeln.

00:17:50: Und ich glaube, das gilt für alle großen Diskussionen, dass revolutionäre Durchbrüche Sowohl in der Wissenschaft als auch im Humanismus.

00:18:01: Frauenrechte, Menschenrechte generell wurden immer gegen den herrschenden Mainstream, gegen die damalige Moral erkämpft.

00:18:11: Das heißt natürlich nicht, dass jede Idee, die man hat, automatisch klug oder gut ist.

00:18:18: Aber wenn wir die dummen Ideen nicht zulassen in der Gesellschaft, dann kriegen wir die Klugen erst recht nicht mit.

00:18:25: Und heißt das, dass das, was man gemeinhin als Wokeness oder Kennzelculture oder so bezeichnet, dass das eigentlich die in dem Sinne dann negativ konnotierte, moral-härschende Moral gegenwärtig in der Gesellschaft ist und wir uns eigentlich gegen die durchsetzen müssen?

00:18:42: Also das Buch trägt ja den Untertitel, warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben.

00:18:47: Und dieses Phänomen, das wir heute als Wokeness bezeichnen, ist für mich eine übergroße Überhysterisierung des Gefühls und der Befindlichkeit.

00:18:58: Also Gefühle sind natürlich wichtig, wie wenn meine Frau glaubhaft versichert hat.

00:19:04: Und ich will das dem ja gar nicht absprechen.

00:19:07: Aber wenn... alles zum Zentrum des Gefühls der Befindlichkeit gemacht wird, dann wird die Rationalität über Bord geworfen und das ist, glaube ich, in den letzten Jahren in den westlichen Gesellschaften passiert.

00:19:22: Einstein zum Beispiel hat auch vom Gefühl her gesagt, die Relativitätstheorie, dass Raum und Zeit irgendwie nicht absolut ist, das fühlt sich richtig an, aber er hat dann eben Gerechnet Mathematik betrieben und das Gefühl hat sich bestätigt.

00:19:42: Wenn ich das Gefühl als die höchste Stufe stelle, dann ist ein reines Gefühl kein Indiz für die Richtigkeit einer Aussage.

00:19:51: Und das heißt ja, um nochmal auf das Thema Energie zurückzukommen.

00:19:55: Es fühlt sich nicht gut an, ein Atomkraftwerk zu betreiben, weil man weiß auch, also beispielsweise die Brennstäbe, die strahlen dann noch viele, viele Jahre lang.

00:20:04: Aber wenn man es vergleicht mit den alternativen Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke, Putinsgas und so weiter und dann sieht auch, wie schnell wir eigentlich jetzt umschalten müssen und die erneuerbaren, also Wind und Solar können das nicht schnell genug leisten, dann muss man halt doch rational sagen, naja, eine gewisse Zeit lang macht es Sinn, noch auf AKWs zu setzen.

00:20:23: Ist es das?

00:20:23: Ja, auf jeden Fall.

00:20:24: Und man kann das ja alles nicht isoliert sehen.

00:20:26: Natürlich ist der Sicherheitsaspekt ein wichtiger Aspekt bei der Energieversorgung.

00:20:33: Aber es ist natürlich auch ein Aspekt, wenn wir unsere Energie auf Wind und Sonne nur beschränken, dann treiben wir vielleicht das Wirtschaftssystem in den Ruin.

00:20:43: Das heißt also es sind unterschiedliche Aspekte.

00:20:47: Warum sollten wir das in den Ruin treiben?

00:20:49: Naja, wenn ich nur auf volatile Energiequellen... Bauern,

00:20:55: weil manchmal kein Wind weht oder weil halt die Sonne nur tagsüberscheint.

00:20:58: Ich

00:20:58: habe es im letzten Buch beschrieben, dass wir... in Grunde genommen Deutschland durch vierzig Gigawatt Stunden Energie speichern können durch Pumpspeicherkraftwerke.

00:21:07: Und es reicht gerade mal aus, um Deutschland vierzig Minuten mit Strom zu versorgen.

00:21:11: Das heißt also, wenn wir eine Nation hätten, die nur auf Wind und Sonne basiert, dann wären nach vierzig Minuten Dunkel, Pflaute die Energie weg.

00:21:21: Und das kann es ja auch nicht sein für eine Industrienation.

00:21:24: Das heißt also, es sind ganz, ganz viele Aspekte zu berücksichtigen.

00:21:29: Gerade beim Thema Energieversorgung.

00:21:31: Und man kann jetzt natürlich, man kann einen Aspekt rausnehmen und kann das Risiko von diesem Aspekt auf null prügeln.

00:21:39: Aber dann sehen wir, dass in anderen Bereichen die Risiken hochgehen.

00:21:44: Und es wurden ja auch schon Szenarien für Blackouts durchgerechnet.

00:21:48: Also eine Woche lang kompletter Blackout in der Industrienation würde zu Horenden-Folgen führen.

00:21:58: und das heißt, wir müssen in diesen komplexen Systemen ganz, ganz viele Faktoren in Einklang bringen.

00:22:05: Jetzt noch mal allgemeiner gefragt.

00:22:08: Wenn Sie konstatieren, dass es einfach zu viel Gefühligkeit, Emotionen, Moral in den großen gesellschaftlichen Debatten und auch politischen Entscheidungen gibt, Sehen Sie, wenn wir mal über den Tellerrand schauen, andere Länder, andere Nationen, die das besser machen, also wo er rational entschieden wird?

00:22:25: Also ich habe im Buch so ein bisschen die Schweiz lobend erwähnt.

00:22:29: Da ist natürlich auch nicht alles...

00:22:31: Ist auch wie kleiner, ne?

00:22:32: Ist kleiner, ja, aber es ist glaube ich gar nicht die Größe, die das... Problem ist oder die Kleinheit, sondern die haben eben eine direkte Demokratie und das könnte man, also wir werden Deutschland nicht in eine direkte Demokratie umbauen, aber es ist zumindest schon mal eine Blaupause wie Gesellschaft auch anders funktionieren kann, wie Entscheidungsprozesse anders funktionieren können.

00:22:56: Ich habe mich mal vor Jahren mit einem Schweizer Bundespolitiker unterhalten, der sehr beliebt war.

00:23:02: In der Talkshow ist er da frenetisch gefeiert worden und ich habe ihn gefragt, in Deutschland wäre das doch nicht möglich, dass man als Politiker so abgefeiert wird.

00:23:11: Und dann habe ich ihn gefragt, warum ist das so?

00:23:13: Warum seid ihr so beliebt?

00:23:15: Und das sagt er zu mir.

00:23:18: Naja, uns Politikern geben die Schweizer so wenig Macht, dass wir gar nichts sie enttäuschen können.

00:23:25: Das heißt also, weil sehr, sehr viel Macht, sehr viel Entscheidungsprozesse direkt beim Suva-Wähnen liegt.

00:23:31: Die sind natürlich auch schrott genervt, weil sie alle paar Wochen den Volksentscheid über irgendeine Brücke oder eine Kita oder über was auch immer machen müssen.

00:23:41: Aber der Stellenwert der Demokratie und die Akzeptanz von demokratischen Prozessen ist dadurch wesentlich höher.

00:23:48: Das finde ich interessant.

00:23:49: und zum Abschluss möchte ich aber nochmal in eine bisschen andere Richtung fragen, denn sie sind ja Kabarettist.

00:23:56: Jetzt ist das eine, wenn viel über Rationalität gesprochen, über Vernunft und da würde ich auch zustimmen, die fehlt sicherlich an vielen Stellen.

00:24:04: Welche Rolle könnte Humor spielen, um diese sehr aufgeheizte und häufig ja schon unangenehme Stimmung im Land, nicht nur in der Politik, auch in den Medien, erst recht in den sozialen Medien, aufzulockern?

00:24:16: Geht das noch?

00:24:17: Kann man durch Humor, durch Ironie, alle so ein bisschen wieder flauschiger machen oder zugewandter machen?

00:24:23: Also ich glaube schon, weil ich sehe, bei mir sind die Theater voller denn je, weil ich eben diese Themen mit Humor, mit einem gewissen Perspektivenwechsel, der ja der Humor bedingt, dann auch sehe.

00:24:39: Und ich glaube auch fest daran, dass achtzig bis neunzig Prozent der Leute in diesem Land durchaus vernünftige Ansichten haben, also diese ideologisierten Ränder, die vielleicht auch eine große Deutungshoheit haben und die Debatten bestimmen und die auch von einer leierenden Humorlosigkeit geprägt sind.

00:25:00: Das sind ja die wenigsten.

00:25:02: Und die allermeisten, parteiübergreifend und ansichtenübergreifend, haben tatsächlich einen gewissen Humor.

00:25:10: und den versuche ich in den Büchern auch in den Shows rauszukitzeln.

00:25:16: Und ich glaube, Deutschland ist wesentlich lockerer, als das vielleicht medial immer so rüberkommt.

00:25:24: Das ist doch ein super Schlusswort.

00:25:26: Vielen herzlichen Dank an meinen heutigen Gast, Vince Ebert.

00:25:29: Sein Buch, What the Fuck Deutschland, liegt jetzt in allen Buchhandlungen, ist bei DTV erschienen.

00:25:35: Und ich kann es wirklich nur empfehlen, es ist nicht nur sehr lesenswert und erkenntnisreich, sondern auch unterhaltsam.

00:25:41: Danke, dass Sie heute die Zeit hatten vor

00:25:42: uns.

00:25:43: Dankeschön.

00:25:44: Bei Axel Krüger bedanke ich mich für die Produktion und bei Ihnen allen fürs Zuhören.

00:25:49: Wenn Ihnen dieser Podcast gefällt, abonnieren Sie ihn gerne oder empfehlen Sie ihn auch weiter.

00:25:53: Wenn Sie eine Anmerkung haben, schicken Sie uns eine E-Mail an podcasts.t-online.de.

00:26:00: Und nun wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.

00:26:01: Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert. Am Wochenende geht es in einer längeren Diskussion mit prominenten Gästen um ein aktuelles, politisches Thema. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

Den Tagesanbruch gibt es auch zum Nachlesen unter https://www.t-online.de/tagesanbruch

Wenn Ihnen der Podcast gefällt, lassen Sie gern eine Bewertung da.

von und mit Florian Harms

Abonnieren

Follow us