Tagesanbruch von t-online

Tagesanbruch von t-online

Täglich mehr wissen

Transkript

Zurück zur Episode

Carsten Janz: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Tagesanbruch, die Diskussion, dieses Mal für das Wochenende vom 27. September 2025. Ich bin Carsten Janz, Leitender Redakteur im Team Report und Recherche hier bei t-Online. In unserer heutigen Folge gehen wir auf die Suche nach der Ungleichheit in unserer Gesellschaft und was sie mit uns macht. Es ist eine der am heftigsten geführten Debatten der Stunde. Wer hat wie viel Vermögen? Geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander? Welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft und inwieweit ist eine wachsende Ungleichheit möglicherweise auch für den Aufstieg der AfD verantwortlich? Dazu haben wir eine der Expertinnen zum Thema Ungleichkeit eingeladen, Martina Linartas. Sie ist Ungleichheitsforscherin, hat zu diesem Thema promoviert und hat die klare Position, dass es eine der Kernaufgaben der Politik sein muss, die Ungleichheiten in den kommenden Jahren zu reduzieren. Sonst drohen dramatische Folgen. Schön, dass Sie, liebe Hörerinnen und Hörern, wieder dabei sind. Liebe Frau Linartas, erstmal schön, dass Sie hier sind. Wir freuen uns, dass sie heute hier zu uns in Studio gekommen sind, damit wir über ihr Herzensthema sprechen können, nämlich die Ungleichheit. Hallo erstmal.

Martyna Linartas: Hallo, vielen Dank für die Einladung.

Carsten Janz: Und wir sitzen hier aber nicht alleine. Mit uns im Studio sitzt auch unser Politikchef, Christoph Schwennicke. Christoph, das weiß ich, als Mitarbeiter sicher, vertritt in einigen Punkten deutlich andere Ansichten an Frau Linartas. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass du hier bist und wir vermutlich eine, sagen wir mal, lebendige Diskussion haben werden. Hallo Christoph.

Christoph Schwennicke: Ja, hallo Frau Linartas, hallow Carsten. Gucken wir mal, wo sie uns hinführt die Debatte.

Carsten Janz: Ja, genau. Wir lassen natürlich Frau Linartas erstmal das erste Wort. Frau Linartas, eine entscheidende Frage, die wir im Vorwege auch diskutiert haben, nämlich gibt es Freiheit und unsere Gesellschaft, wie wir sie jetzt haben, die ja im Kern auch als erfolgreich bezeichnet werden kann, ohne Ungleichheit?

Martyna Linartas: Ich denke, man muss ganz groß unterscheiden zwischen den Begriffen Ungleichheit und Unterschieden. Also eine Freiheit ohne Ungleichheiten, wenn wir jetzt aber so von Ungleichkeiten sprechen im politikwissenschaftlichen Sinne, ja? Also wir haben Unterschiede in der Bevölkerung, wir sitzen hier, zwei Männer, eine Frau, dass wir unterschiedlich sind, ist klar. Aber dass jetzt diese Unterschiede vom Geschlecht bereits einen Einfluss darauf haben, statistisch betrachtet, was ich für ein Einkommen, was sich im Vermögen erzielen werde, nehme ich wahrscheinlich ein geringeres als Sie zwei, das ist eine Form von Ungleichheit, die jetzt nicht unbedingt mit Freiheit was zu tun hat. Deswegen bin ich da immer sehr vorsichtig, wenn ich so die Sachen einfach in einen Topf werfe und nebeneinander stelle.

Carsten Janz: Okay, also keine einfache Antwort, aber Christoph, was sagst du? Ungleichheit ist für dich gar nicht so unwichtig, oder?

Christoph Schwennicke: Ja, ich glaube, Ungleichheit ist A, in mancherlei Hinsicht unvermeidlich und B, vielleicht auch in manchinerlei Hinten gar nicht schlecht. Aber ich würde gerne anknüpfen an dem, was Frau Linartas das gesagt hat, nämlich die Unterscheidung zwischen Unterschieden und Gleichheit. Und ich würde auch gerne bei der Gleichheit noch mal unterscheiden. Also ich glaube wir müssen nicht darüber streiten, das steht in unserem Grundgesetz, das steht in allen Gründungsdokumenten der westlich aufgeklärten Demokratien, dass der Mensch gleich ist. Das heißt, dass er die gleichen Rechte hat. Dass er die gleiche Würde hat, das er das Recht auf die gleich Würde hat, das ist aus meiner Sicht unbestritten. Das heißt aber noch lange nicht, dass er in seinen Fähigkeiten, er oder sie, in den Fähigkeiten identisch ist. Denn als Beispiel, ich glaube, ich habe mich einigermaßen achtbar als Journalist durchs Leben geschlagen. Aber als als Violin-Virtuose wäre aus mir nichts geworden. Also es gibt Anlagen, die sind eben da. Und die hat der eine mehr und die andere weniger. Wenn jemand zwei Meter zehn ist, ist die Wahrscheinlichkeit, also eher so die Statur von Carsten Janz, ist, die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie eine tolle Basketballspielerin oder Basketball spieler wird groß. Wenn ich nur 1,65 bin, dann ist es schwieriger. Da muss ich mich ganz schön anstrengen und strecken, um vielleicht noch ein Center zu werden. Und ich sträube mich einfach dagegen zu sagen, alle sind in jeder Hinsicht gleich. Nein, das sind sie nicht. Das ist eine Illusion. Und bevor ich jetzt zu lange rede, nur ein Punkt noch tatsächlich, glaube ich, dass ein Stück weit Ungleichheit und auch das Bestreben, das zu verändern aus individueller Sicht zu unserer freiheitlichen Grundordnung gehört und auch zu dem System, auf das wir uns verständigt haben, nämlich dem Kapitalismus.

Martyna Linartas: Wenn ich da einhaken darf, ich gehe da volle Kanne mit. Wir haben das ja auch in Artikel 3 Grundgesetz, also eben diesen Gleichheitssatz auch. Und trotzdem sehen wir ja aber, dass es in der Realität anders aussieht. Also, dass wir durchaus diese Ungleichheiten zum Beispiel zwischen Geschlechtern haben, dass immer noch eine rassistische Zuschreibung einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat und so weiter und so fort. Wir könnten das jetzt durchklinieren, das ist aber langweilig.

Christoph Schwennicke: Machen sie, glaube ich, schon noch gerne an der einen oder anderen Stelle?

Martyna Linartas: Also ja, gut, ich meine, im Sinne von, es gibt da noch die Religion und die sexuelle Orientierung, das sind so noch weitere Facetten, ob man mit oder ohne Behinderung ist. Aber die Sache ist ja nun die, wenn wir uns jetzt diese Ungleichheiten anschauen, dann kann man unterscheiden nach diesen horizontalen, die finden wir in Artikel 3, und nach den sogenannten vertikalen Ungleichkeiten, also arm und reich, die Schere dazwischen. Und was ich immer sehr problematisch finde und das ist auch das Thema, zu dem ich forsche, ist, wenn wir eben durch diese sozialen Ungleichheiten, und da gehört auch Klasse dazu, also in welche Familie werde ich auch hineingeboren, in einen Akademikeraushalt ja oder nein, und in einem Haushalt mit sehr vermögenden Eltern ja oder Nein, habe ich Glück oder Pech in der sogenannten Sperma-Lotterie, hat auch einen Grund, dass ich nicht von der Geburten-Loterie spreche, sondern von Sperma, ist nämlich auch eine Genderfrage. Und wenn es zunehmend darauf ankommt, in welche Familien ich hineingeborn werde und eben nicht darauf bin ich fleißig, bin ich schlau, mache ich was mit meinen Talenten, dann wird es problematisch.

Christoph Schwennicke: Also es tut mir leid, Carsten, aber ich muss gleich widersprechen, denn erstens finde ich es schon aus der Gleichbandung der Geschlechter heraus sinnvoller, dann auch von einer Eizellen-Lotterie zu sprechen und nicht nur von einer Spermien-Loterie.

Martyna Linartas: Das hat mit einer Studie etwas zu tun.

Christoph Schwennicke: Können Sie gerne gleich noch mal was dazu sagen. Aber erstmal ist es natürlich für mich unbestreitbar, dass es einen Unterschied macht, ob dieses Spermium mit jener Eizelle verschmilzt als jenes mit dieser, deswegen sind wir noch lange nicht im Bereich in den sich dummerweise auch andere schon mal verirrt haben, aber das ist, glaube ich, unbestreitbar. Ich könnte auch von einer Standort-Lotterie sprechen. Natürlich macht es einen Unterschied, ob ich im Sudan geboren werde oder in Norwegen. Meine Ausgangsvoraussetzungen sind, würde ich mal behaupten, im Schnitt in Norwegen ungleich besser. Und darauf will ich nur hinaus, das können wir nicht irgendwie wegreden. Das ist da und das werden auch Sie und alle, die sich zu Recht um die bekämpfbaren Ungleichheiten bemühen, bzw. deren Abbau, nicht ändern können.

Carsten Janz: Aber dann definieren wir doch jetzt mal ein bisschen, was sind die Ungleichheiten, oder die Ungleichheit, die Sie in Ihrer Forschung am meisten angucken, was für Sie einfach die wichtigste Ungleichheit ist, über die wir dann sprechen sollten.

Martyna Linartas: Die Forschung, zu der ich dann auch beitrage und die ich mir vor allem anschaue, ist tatsächlich die Schere Arm-Überreich. Und da geht es mir vorallem um die Vermögensungleichheit. Da muss man ja auch nochmal unterscheiden bei diesen wirtschaftlichen Ungleichheiten. Es wurde in den letzten vielen Jahren, wirklich Jahrzehnten, wenn überhaupt von Ungleichheit geredet war, von Einkommen geredete. Da ist Deutschland ja aber im Mittelfeld der Industrieländer, das ist gar nicht weiter wild. Wenn es um die Ermögens-Ungleichheit geht, dann wird es krass. Ja, und da können wir uns ganz viele verschiedene Indikatoren angucken und Vergleiche anschauen und... Bla, bla, bla. So, es ist egal, was man sich anguckt, die Vermögensungleichheit in Deutschland ist immer krass. Und es gibt nämlich deswegen auch Sperma-Lotterie. Eine wunderbare Studie, die heißt MillionärIinnen unter dem Mikroskop von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, von Schröder und anderen. Und die haben sich wirklich genau angeschaut, wie sehen eigentlich die MillionärInnen in Deutschland aus? Und haben festgestellt, es sind vor allem ältere Menschen, es sind weiße Menschen, es sind Männer. Fast 70% der Millionäre sind Männer. Und sie stammen aus Westdeutschland. Und deswegen sind auch Fragen von Vermögen, ich finde den Punkt super, den Sie gerade gemacht haben. Es ist total entscheidend auch, in welches Land wird man geboren. Und das ist auch wieder ein Faktor, auf den hat man keinen Einfluss. Und diese strukturellen Faktoren, auf die man also keinen Einfluß hat, die aber so bedeutend sind, das ist das, was mich interessiert.

Carsten Janz: Okay, aber nun, wenn man jetzt auf Ihre Biografie guckt, sind Sie ja eigentlich das beste Gegenbeispiel dafür. Sie haben selbst auch häufig darüber gesprochen, dass Sie in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen sind, nicht diese Möglichkeit hatten, die Sie dann zum Beispiel wohlhabenden oder überreichen, wie Sie es nennen, Menschen zusprechen. Und Sie touren jetzt gerade durch Deutschland, sitzen in Talkshows, reden über Ungleichheit, sind eine Erfolgreiche, schreiben Bestseller und haben es ja eigentlich geschafft.

Martyna Linartas: Ich freue mich auch darüber. Und ich freue mich über jede einzelne Anekdote, die mir auch von anderen Menschen erzählt oder an mich herangetragen wird. Aber ich kenne ja die Statistiken, ich kenne die Daten dazu. Und das ist ein entscheidender Punkt. Und was auch entscheidend noch dazu kommt in meiner eigenen Biografie. Ich kenne auch die Geschichten von anderen Menschen, mit denen ich großgeworden bin, von meiner Familie. Menschen, die sich ebenfalls sehr, sehr angestrengt haben, das Beste gegeben haben, aber nicht so viel Glück und Solidarität erfuhren, wie ich es tat. Also ja, es gibt diese Erfolgsgeschichten. Und glücklicherweise zähle ich mich dazu und auch meine Eltern. Aber ich kann auch unzählige und das ist auch so eine Sache. Wir hören ja auch gerne diesen Menschen zu, die Erfolg hatten. Also wir hören dann eben diese einen Person zu und fragen "Und wie war das bei dir damals?", "Wie ist das alles abgelaufen?" Ich kann auch ganz viele tolle, spannende Anekdoten erzählen. Aber wir sprechen nicht allzu häufig mit den VerliererInnen.

Christoph Schwennicke: Glauben Sie denn tatsächlich, es wäre nämlich, also da würde ich ein Fragezeichen dahinter setzen, dass diese Betoniertheit sozusagen in der in der Herkunft oder auch im Geschlecht, dass diese Betoniertheit nicht auch schon abgenommen hat? Also es gibt eine Partei, die steht im Moment nicht so wahnsinnig gut da mit ihren, weiß ich nicht, 14, 15 Prozent, die SPD, deren ganze Genese, deren ganzes Entstehen darauf gründet, dass sie sich da um mehr, jedenfalls mindestens mal Chancengerechtigkeit bemüht hat und da glaube ich auch Erfolge erziehlt hat . Also sehen Sie denn da wenigstens, wenn ich mich jetzt in Ihre Schuhe stelle, irgendwie eine Entwicklung hin zum besseren? Das hört sich alles so betoniert an bei Ihnen, als ob alles immer noch noch schlimmer würde. Das kann ich nicht sehen. Carsten hat ja das Beispiel mit Ihnen selbst gebracht. Mag sein, es kann alles immernoch besser sein. Und mehr Frauen sollten diese Wege aufzeigen, wie sie selbst, aber wir sind doch da auf einem auf einem Wege der Besserung oder nicht? Jedenfalls in dem Kulturkreis, in dem wir alle unterwegs sind.

Martyna Linartas: Ich würde es mir wünschen. Und wir hatten diese Phase auch, wir hatten auch eine Phase, in der man in Deutschland durchaus davon sprechen konnte, dass die eigene Herkunft nicht ganz so entscheidend war. Sie sind ja ein Stückchen älter als ich...

Christoph Schwennicke: Das dürfen Sie ruhig sagen. Ich glaube sogar ein ganzes Stückchen, ja.

Martyna Linartas: Auf jeden Fall meine Elterngeneration, da haben wir das auch noch gesehen, dass wir wirklich auch, wenn wir uns Vermögen anschauen, ein Großteil der Vermöge selbst erarbeitet wurde und man häufig angetroffen hat Menschen, auch die in der ersten Generation AkademikerInnen waren. Aber wenn man sich dann die Daten anschaut, also zum Beispiel, wie setzt sich Vermögens in Deutschland zusammen, dann ist die Tendenz hin zu einer Erbengesellschaft immer steigender. Und das ist, wie ich finde, sehr bedrohlich, weil wir aktuell wieder auf einem Stand sind, wo wir vor über 100 Jahren waren, bevor es mit der Demokratie losging. Also wir sind, stand heute bereits eine Erbengesellschaft, Tendenz steigend. Und deswegen ist es halt auch so schwierig, dann von einer, weiterhin von einer Leistungsgesellschaft zu sprechen und davon, dass die Situation besser wird, wenn eben Stand heute und auch mit Ausblick darauf, weil wir momentan keine politischen Instrumente in die Hand nehmen, um das zu ändern, dass wirklich zunehmend entscheidend ist, ob ich eines Tages eine Erbschaft oder Schenkung erhalte.

Carsten Janz: Wie sehen denn da die Zahlen aus? Also wo sehen Sie denn zahlentechnisch die größten Ungleichheiten? Sie haben jetzt tatsächlich eher das Vermögen angesprochen, weniger das Einkommen. Wie sehen so die Vermögensstrukturen in Deutschland aus?

Martyna Linartas: Wir hatten eine Achterbahnfahrt. Also wir haben angefangen, um den Beginn des 20. Jahrhunderts herum, da war der Anteil von Erbschaften und Schenkungen um Gesamtvermögen bei etwas über 60 Prozent. Keine Frage, kein Problem. War ja auch Monarchie, alles fine. Also, ist okay, dass dann entscheidend ist, was man so als Familienmitglied an Vermögen auf dem Weg mitbekommt. Und dann ist das aber stark gesunken. Der Anteil der Erbsschaften und Schenkung am Gesamtvermögen ist runtergegangen auf 22 Prozent. Das heißt Vierfünftel war wirklich selbst erarbeitet, war die eigene Leistung. Und jetzt sind wir bei wieder über 50 Prozent, Tendenz steigend. Und wenn man sich das anguckt in der Vermögensverteilung, dann ist der Anteil von Erbschaften und Schenkungen immer größer, je höher wir auch nach oben gehen. Also je reicher man ist. Es gab jetzt im Juni neue Zahlen von Forbes. Die haben sich das international, also Länder international angesehen und verglichen. Und da ist Deutschland auf Platz eins aller Länder, wenn es um die Milliardenvermögen geht. Dass nämlich 75 Prozent aller Milliardenvermögen vererbt oder verschenkt werden. Michael Hartmann, Elitenforscher von Deutschland Nummer eins, der spricht gar von 80 Prozent.

Carsten Janz: Sie nennen auch immer wieder Beispiele, es gibt zwei Deutsche, die mehr als die ärmere Hälfe der Bevölkerungen haben, also mehr als 42 Millionen Deutsche. Das ist immer sehr plakativ, geht dann auch gut in den Kopf. Ist es vielleicht ein bisschen trotzdem zu kurz? Also es gibt diese zwei, aber das heißt ja nicht, dass es quasi so eine ganze Struktur sein muss.

Martyna Linartas: Naja, wenn wir uns eben anschauen, die Zahlen, wir kennen ja auch die Zahlen zu Menschen, die in Armut leben. Wir kennen auch die Zahlen der Millionäre und der Milliardäre in Deutschland. Dann sehen wir, dass leider beide Zahlen jeweils zunehmen. Also sowohl Armutsbetroffene werden eine zunehmend größere Gruppe, als auch Menschen, die sehr große Vermögen haben. Zum Beispiel hat mittlerweile Deutschland knapp 4.000 Menschen, die über mindestens 100 Millionen Euro verfügen. Letztes Jahr waren wir nicht bei 3.900, sondern bei 3 300. Und wenn man sich so die Reichenliste des Managermagazins anguckt, dann werden es auch jedes Jahr mehr Milliardäre und der Anteil von selbst erbrachter Milliarden meistens nimmt auch ab.

Christoph Schwennicke: Also bei aller Begeisterung für den Autor, den ich gleich zitiere, hört sich das für mich alles trotzdem ein bisschen wie im hessischen Landboten von Georg Büchner an. Also Krieg den Palästen, Friede den Hütten. Und erstmal ist es kein, ist niemandem etwas vorzuwerfen, finde ich, wenn er oder sie viel Geld verdient. Und da kann man sich die Frage stellen, ist das, was er oder sie da tut, wirklich so viel Geld wert? Aber das darüber haben wir nicht zu richten. Leider. Vielleicht würden wir das dann anders justieren. Aber das ist eben das das Spiel der Kräfte in einem Markt. Ich gebe Ihnen aber an einem Punkt Recht ausdrücklich und habe da selber auch eine Lernkurve, so nenne ich es mal, weil ich früher immer dachte, wieso denn diese Vermögensbesteuerung, Erbschaftsbesteuern und so weiter. Das ist doch alles Geld letzten Endes oder Geld äquivalent, das schon mal besteuert wurde. Dieser Gedanke ist Unsinn, weil alles ist schon mal besteuert worden und wird auch wiederbesteuert. Also von diesem Gedanken muss man sich lösen. Das ist ein zu billiges Argument derjenigen, die es haben, sich dahinter zu verstecken. Nur und wir haben ja diese Diskussion gerade. Das wird interessant sein in der Großen Koalition oder sagen wir schwarz-roten Koalition, wie es ausgeht, dass einerseits starke Reformen notwendig sein müssen auf der sozialen Seite. Davon bin ich auch fest überzeugt. Ich hätte aber, um das Ihnen zu konsidieren, überhaupt nichts dagegen, wenn die beiden Koalitionäre einen Modus fänden würden, in dem man auch stärker an Vermögen und Erbschaften rangeht. Wenn wir uns denn, jetzt ist aber nur der politische Raum und nicht Ihr Thema, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass das eine mehr dem Gerechtigkeitsgefühl entspricht und das andere wirklich die großen Beträge erbringt, um die es am Ende geht.

Carsten Janz: Meinen Sie denn, Frau Linartas, es wäre möglich, mit höheren Vermögenssteuern auch tatsächlich ja, was zu erreichen, Substanz zu erreichen und dann da hinzukommen, dass das Geld auch wirklich in Deutschland etwas verändern kann im Haushalt und so weiter?

Martyna Linartas: Na, das kommt auf die Ausgestaltung der Vermögensteuer an. Aber was ich gelernt habe, auch im Laufe meiner Forschung und insbesondere meiner Doktorarbeit, ist, wie sich die Narrative um Steuern und die Funktion, die man ihnen zuschreibt, auch verändert hat. Also in den letzten Jahrzehnten haben wir vor allem davon gesprochen, Steuern sind dafür da, um die Staatskasse zu füllen oder auch Länderkassen zu füllen. Erbschaft- und Schenkensteuer ist ja zum Beispiel eine Ländersteuer. Man hat früher von Steueren ganz anders geredet. Man hat gesagt, das ist das wichtigste demokratische Instrument, um Gerechtigkeit zu etablieren, Demokratien zu stärken und Ungleichheit zu reduzieren. Das heißt, dass man sich Steuern, nach meinem Dafürhalten erachte ich das als durchaus sinnig diesen Ansatz, nicht nur mal anschauen sollte in dem Sinne, was können wir dadurch finanzieren, sondern können wir es gerecht gestalten? Und aktuell ist es leider so, dass eine Mittelschichtsfamilie im Schnitt in Deutschland mehr Steuern und Abgaben zahlt, gemessen am Einkommen, als es Millionäre und Milliardäre tun. Effektiv. Weil nämlich Menschen, die besonders vermögen, besonders reich sind, die beziehen ja keine Einkommen aus Lohnarbeit, sondern das oberste 1%, also knapp 900.000 Menschen, die sind ja sogenannte Privatiers. Das heißt, für die arbeiten in Anführungszeichen ihre Vermögen. Die beziehen vor allem passiver Einkommen. Die werden steuerlich begünstigt behandelt und vor allem werfen auch deren Vermögen laufend Renditen ab. Und diese Renditen sind hoch. Im Schnitt bei so Hochvermögenen sprechen wir von 7%.

Christoph Schwennicke: Die werden aber auch besteuert. Nur, dass wir da...

Martyna Linartas: Ja, aber sehr viel geringer. Also diese Steuersätze für sehr reiche Menschen, das hat sich das Netzwerk Steuergerechtigkeit mal im Falle von Susanne Klappen ganz genau angeguckt, weil man da besonders gut auch die Daten nachvollziehen kann.

Carsten Janz: Die reiche BMW-Erbin.

Martyna Linartas: Genau, die reichste Frau Deutschlands. Stimmt. Und da hat man festgestellt, dass ihre Steuern in den letzten 30 Jahren halbiert wurden und dass mittlerweile also ihr Steuersatz, auf ihre Einkommen die sie erzielt Jahr für Jahr, mittlerweile unter dem von Mittelschichtsfamilien liegt. Und das ist dann, finde ich, auch eine Frage der Gerechtigkeit. Ob wir jetzt am Ende durch eine Vermögensteuer entsprechend mehr einnehmen werden, da würde ich sagen, in jedem Fall, dazu gibt es auch eine gute Studienlage. Und sehr spannend finde ich da vor allem auch die neueren Arbeiten, die ja noch aufzeigen, auch dass der Aufwand, die Vermögensteuer zu erheben, nicht höher wäre oder vergleichbar wäre mit der von der Einkommensteuer. Also auch das ist ein Narrativ, was häufig angeführt wird. Und je nachdem, wie man es gestalten würde, würde man eben auch entsprechend große Einkommen erzielen. Also wenn wir jetzt sagen, wir machen ein, zwei Prozentpunkte, dann ist es natürlich weniger als wenn wir sagen würden, zum Beispiel, wir wollen, keine Ahnung, die auch progressiv gestalten und wie in Spanien auf dreieinhalb Prozent hochgehen, zum Beispiel.

Carsten Janz: Du atmest schwer, Christoph.

Christoph Schwennicke: Ja, ich atme. Ich muss sozusagen die, sozusagen Eselsohren an die zwei, drei Stellen machen, auf die ich nochmal zu sprechen kommen möchte. Also erstens, aber das mag an meinem Defizit liegen, ich habe Steuern noch nie so verstanden, wie sie sie sozusagen von früher beschrieben haben, dass sie in erster Linie dazu da sein sollen Ungerechtigkeit auszugleichen. Also schon der Zehnt der Bauern war nicht dazu da, Ungerechtigkeit auszugleichen. Das nur so in Klammern gesprochen.

Martyna Linartas: Das ging mit der Weimarer Republik los.

Christoph Schwennicke: Und dann muss ich eine, also da ist einfach jetzt keine Waffengleichheit da. Ich kann jetzt nicht überprüfen, ob die Zahlen, die sie für Frau Klatten, was sozusagen die Besteuerung ihres Vermögens oder ihrer Renditen anlangt, ob das so stimmt. Ich kann Ihnen leider deswegen nur kasuistisch was erzählen, nämlich im eigenen Fall. Ich war mal in der Situation, eine Firma oder 50 Prozent dieser Firma zu verkaufen. Und habe bis heute noch ein bisschen Tränen in den Augen über den Betrag, den ich dann als Steuern dafür abgedrückt habe. Ich finde eigentlich, ich habe seither einen Anspruch auf eine Straße in Berlin, die nach mir benannt ist, weil mutmaßlich der Asphaltbelag von diesem Geld dann bezahlt wurde. Also es ist ja auch nicht so, dass da nichts stattfinden wird, dass die Reichen einfach alles in Säcken nach Hause schleppen und die Arme geschröpft und besteuert werden. Das ist ein bisschen dieses Zerrbild, was ich... Entschuldigen Sie, was ich da so ein bisschen raushöre bei Ihnen und weshalb ich auf Georg Büchner und diesen Klassenkampf da verwiesen habe.

Martyna Linartas: Ich stehe volle Kanne auf Georg Büchner.

Christoph Schwennicke: Ich auch. Also der Rat absolut.

Martyna Linartas: Jaja, unbedingt. Kann ich nur empfehlen. Jedes einzelne Stück von dem. Aber ne, es gibt diese sogenannte...

Christoph Schwennicke: Bei Brecht hört es bei mir dann schon auf, muss ich sagen, sowohl stilistisch wie auch...

Martyna Linartas: Ich mag Brecht richtig gerne.

Christoph Schwennicke: Okay, dann müssen wir nochmal einen eigenen Podcast dazu machen.

Martyna Linartas: Sehr gerne. Ich habe jetzt jüngst nochmal das Leben des Galilei gelesen. Da ging es nämlich, total spannend auch um den Wandel vom ptolemäischen Sonnensystem rüber zum kopanikanischen System. Und das ist auch das, warum ich dieses Buch so feiere, weil ich das Gefühl habe, da sind wir auch gerade an dem Punkt in der Geschichte. Das ist ein sehr, sehr spannender Punkt. Wir haben diesen großen Paradigmenstreit. Und deswegen, das sollte ich auch in aller Transparenz sagen, dass man über das Steuern derart spricht, dass die mehr als nur diese Funktion erfüllen, dass Staatseinnahmen generiert werden, das ist natürlich Teil eines neuen Paradigmas beziehungsweise eines alten, was eben verdrängt wurde von dem, was aktuell so der Mainstream ist. Also wir hatten das mal, dass wir über Steueren anders sprachen. Und jetzt sind wir gerade dabei, wieder diese Debatten neu zu entfachen und haben im progressiven Lager diejenigen, die eben auch den Steuerm andere Funktionen beimessen.

Carsten Janz: Aber können wir da direkt drauf eingehen? Also auch in der Politik hat da ja die Vermögensbesteuerung mal einen anderen Stellenwert, also wenn man in Helmut Kohl-Zeiten und so weiter guckt, oder?

Martyna Linartas: Ja, und auch vorher, ich meine, das waren interessanterweise ja auch gerade unionsgeführte Regierungen, die beispielsweise die Vermögenssteuer auch stark gemacht haben, die die Vermögensabgabe im Lastenausgleichsgesetz von 1952 hatten wir eine Vermögenabgab in Deutschland, die berief sich auch sage und schreibe 50 Prozent, wurde aber gestreckt über 30 Jahre hinweg. Hat also funktioniert wie eine on top Vermögenssteuer. Das war auch unter der CDU. Also ja.

Christoph Schwennicke: Dieser Raum, von dem wir sprechen, also der nationale jetzt mal, wenn der sozusagen der Einzige auf der Welt wäre, dann würde ich sagen, ist mal unabhängig davon, ob ich das in der Radikalität teile, wie Sie es sagen oder nicht, würde ich ja sagen, okay, kann man mal machen, aber das Kapital ist doch in dem Moment weg, wo Sie anfangen würden, Ihr Programm umzusetzen. Und dann haben Sie gar nichts.

Martyna Linartas: Nee, ist leider nicht so. Was heißt leider? Ich streiche leider wieder ganz bewusst. Nee, und tut mir auch leid, also weil Sie gerade so gesagt haben, so ja, Sie haben jetzt nicht die Zahlen und Daten und Fakten, das ist halt mein Job. Also ich werde dafür bezahlt, nerdig zu sein auf diesem Gebiet.

Christoph Schwennicke: Ach, es gibt ja aber auch andere, die die gleichen Zahlen und Fakten haben und zu ganz anderen Bewertungen dann kommen. Insofern.

Martyna Linartas: Nicht in Fragen, also wobei könnte durchaus sein, aber es gibt eben jetzt in Fragen der Vermögensbesteuerung, ist Kapital ein scheues Reh? Eine ganze Reihe von neueren Studien. Sie haben gerade Norwegen erwähnt. Norwegen hat ja die Vermögensteuer dann jetzt auch hochgeschraubt. Das war sehr erfolgreich. Spanien hat das auch sehr erfolgreich gemacht, auch in den USA ist das von Staat zu Staat anders. Auch in Deutschland hatten wir sie mal. Also es gibt eine ganze Bandbreite an Studien, die sich genau dieses Narrativ auch angeschaut haben und festgestellt haben, ne, ist nicht so. Zuletzt für diejenigen, die jetzt nicht nerdig in irgendwelche Working Paper von Journals gucken möchten, kann ich sehr empfehlen, ein Artikel, der erschien in der Zeit und da ertrug den Titel "Milliardäre sterben eher als dass sie auswandern". Und da wird nämlich die Studienlage auch noch mal schön zusammengefasst. Es ist ja auch so, dass auch Milliardäre Menschen sind, ne? Und die haben auch eine Muttersprache, eine Familie, ihr Fachwissen, sehr wichtig gerade bei Menschen, die sehr vermögend sind. Die brauchen ja auch Expertise in ihrem Bereich. So, die ziehen nicht einfach mal so eben weg, weil hier ein paar Prozentpunkte draufgesetzt werden. Wir haben auch in Deutschland die Werkzugsteuerung seit 1972. Das heißt auch dazu wieder, wenn Susanne Klatten wegziehen würde, müsste sie auf einen Schlag von heute auf gleich 6,5 Milliarden Euro auf den Tisch packen. Macht sie auch nicht mal so.

Christoph Schwennicke: Ja, also es gibt einen wunderbaren Kollegen in Großbritannien, Goodhart heißt der, der Vorname fällt mir gerade nicht ein. Der diesen wunderbaren Begriff, finde ich, dieses Begriffspaar geprägt hat, der "Anywheres" und der "Somewheres". Also es gibt Leute, die sind Somewhere, die sind dort zu Hause und kommen da auch nicht weg aus diversen Gründen. Und die Anywheres, die können überall sein. Und ich glaube, dass die Gruppe, über die sie sprechen, also Klatten und Co, die sind eher die Anywheres. Also so schwer würden die sich nicht damit tun woanders Fuß zu fassen im Unterschied zu den Somewheres.

Martyna Linartas: Naja, das ist ja die Sache, wirklich die mit der Wegzugbesteuerung. Wenn Susanne Klatten wegziehen würde, dann würde man fiktiv das Unternehmen, was sie jetzt gerade besitzt, bewerten. Und man würde einen Teil davon, eben sie müsste extrem viel auf den Tisch knallen. Das ist schon echt nicht, das sollte man nicht unterschätzen. Und in Norwegen zum Beispiel, da hatten wir das ja wirklich alles jüngst. Das ist ja gerade erstmal ein Jahr her. Und das wurde ja auch groß durch die Medien getragen. Das fand ich auch ein bisschen seltsam. So viele Menschen sind in die Schweiz ausgezogen. Und dabei handelte es sich um wenige Dutzend Menschen. Das war im Promillebereich von Millionären und Milliardären. Und was auch noch Norwegen gemacht hat, sie haben dann die Wegzugsteuer nach deutschem Vorbild nochmal nachgeschafft. In dem Sinne, dass, hey, ihr könnt ja gerne wegziehen, aber ihr habt euer Vermögen ja innerhalb unseres Wohlfahrtsstaates ja aufgebaut, was ja auch überhaupt euer Vermöge ermöglicht hat. Also ist ja nicht ohne Grund so, dass die meisten Millionäre und Milliardäre im globalen Norden, in starken Industriestaaten, in starken Wohlfahrtsstaaten auch wirklich leben. Nämlich da, wo sie gerade, wenn man sehr reich ist, hat man ja von einem Betriebsvermögen. Das heißt, da arbeiten viele Menschen im Betrieb. Und das sind gut ausgebildete Menschen, die also ein gutes Bildungssystem hatten, dass es in der Regel dann auch gratis ist, zumindest basicmäßig, die eine gute Infrastruktur haben, ein gutes Gesundheitswesen. Diese Dinge können von A nach B wunderbar transportiert und die Menschen auch mit ihren Einkommen können die Produkte auch kaufen. Und das, vieles davon, ist ja auch steuerfinanziert. Also Steuern, würde ich sagen, sind wirklich nicht unbedingt zu verteufeln. Sondern auch da sagt man auch einfach, gemäß das Leistungsfähigkeitsprinzip, auch sehr reiche Menschen sollten ihren fernen Anteil zahlen. Ich will die jetzt auch gar nicht irgendwie komplett schröpfen. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass dann Millionäre und Milliardeare nicht weniger zahlen als eine Mittelschichtsfamilie.

Carsten Janz: Also Ihre These ganz klar wissenschaftlich gestützt. Es wäre sinnvoll, sich die Vermögensteuer zum Beispiel anzugucken, als ein Element. Es gibt ja Parteien in Deutschland, wir haben jetzt gerade einmal die CDU erwähnt, das sozusagen, ich habe letztens auf Instagram so eine Texttafel gesehen, wo gesagt wurde, Helmut Kohl war eigentlich ein Linksradikaler, weil unter ihm eine sehr hohe Vermögensbesteuerung vorhanden war.

Martyna Linartas: Voll krasser Sozialist.

Carsten Janz: Wir haben ja aber auch Parteien, die sich eigentlich genau für das einsetzen. Also die Linke macht gerade da mit Konjunktur, egal welche Fragen den Abgeordneten gestellt werden, sie kommen immer superschnell auf die Vermögensteuer zum Beispiel oder auf die Besteuerung. Aber auch die SPD ist eine Partei, die sich eigentlich in ihrer Gründung so ein bisschen dem Ganzen verschrieben hat. Aber kann sie das Versprechen Ihrer Meinung nach nach dem politischen Handeln gerade überhaupt halten?

Martyna Linartas: Die SPD im Alleingang wird gar nichts alleine gewuppt bekommen, auf gar keinen Fall. Und das ist aber auch das Spannende, ich habe auch mir die Parteiprogramme der letzten 100 Jahre der Parteien auch angesehen und auch die konservativen Parteien, auch die Union, selbst die FDP hat einst davon gesprochen, dass man die Vermögensteuer bräuchte. Also ich hoffe gerade sehr stark auf die internationale Debatte und auf diese Ebene, wenn beispielsweise die G20-Staaten von einer Milliardärssteuer sprechen, die angeführt werden sollte, dass das auch rüberschwappt nach Deutschland. Weil von diesen 20 Staaten 18 sich dafür eingesetzt haben, dass Milliardäre zumindest 2% zahlen sollten, Vermögensteuer, dann kämen sie auf denselben Betrag wie eine Mittelschichtfamilie. Ausgeschert sind da Deutschland und die USA. USA brauchen wir nicht drüber reden, das wird dort nicht kommen. In Deutschland war das unter Christian Lindner undenkbar, aber jetzt eventuell könnte man langsam darüber sprechen. Und wenn aber eben die Union da nicht mitgeht, dann wird es auch schwierig für eine SPD.

Carsten Janz: Ja, aber man muss ja sagen, also wir reden jetzt darüber, die SPD kann es alleine nicht machen, aber es gab ja auch Phasen, so habe ich es zumindest in Erinnerung, war es nicht unter Finanzminister Per Steinbrück, wo dann zum Beispiel die Besteuerung von Kapitalertragssteuer gesenkt wurde? Also macht die SPD nicht eigentlich genau das. Also man muss es vielleicht einmal erklären. Vielleicht können Sie es einmal erklären, was dieser Schritt war und was es dann am Ende auch bedeutet hat.

Martyna Linartas: Die Steuerpolitik, wie wir sie in den letzten 20, 30 Jahren erlebt haben, die war wirklich nach dieser Mainstream- Ökonomie und neoliberal gestaltet und da war die SPD auch entscheidend. Also es war zwar so, dass unter Kohl die Vermögensteuer ausgesetzt wurde, aber Schröder hat sie auch nicht wieder eingesetzt. Und später unter Per Steinbrück wurden beispielsweise Kapitalerträge auch nicht mehr als Teil der Einkommen normal bewertet, sondern wurden flat gesetzt, also nicht mehr progressiv besteuert, wie alle anderen Einkommen. Sondern plötzlich nur noch 25 Prozent, weil Per Steinbrück damals meinte, besser 25 Prozent von x als 42 Prozent von nix.

Christoph Schwennicke: Es gab übrigens noch einen in der Hinsicht und aus Ihrer Sicht schlimmeren Fall und das war die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen. Da hätte ich jetzt damals keine Tränen dann in den Augen haben müssen, weil ich dann ungeschoren davon gekommen wäre. Das wurde, Gott sei Dank, da bin ich bei Ihnen auch sehr schnell als riesiger Fehler gesehen, einer SPD-geführten Regierung. Das war aber nicht Steinbrück, sondern das war noch zu Hans Eichels Zeiten, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Und ich will Ihnen aber trotzdem ein bisschen Hoffnung nochmal machen. Ich habe es vorhin schon angetextet. Diese Koalition muss ja einen Kompromiss finden. Und wenn die Union sagt, wir müssen da ran ans Bürgergeld und ich weiß nicht was und ich glaube zu Recht.

Martyna Linartas: Ich glaube nicht zu Recht, aber wundert uns jetzt nicht.

Christoph Schwennicke: Ja, wundert und nicht, genau. Zugleich hat die Union auch riesige Fehler gemacht, da nochmal mehr vom Gleichen auszuschütten, also Mütterrente und anderer Käse. Aber die werden einen Kompromiss finden müssen. Und wenn die Union sagt, hier geht es echt um viel und die SPD sagt, ja, können wir drüber reden, aber dann müssen wir auch über was anderes reden. Da glaube ich, kommen die Themen aufs Tapet, von denen Sie sprechen. Nochmal, ich wiederhole mich jetzt ein Stück weit, was sozusagen die Erträge dann jeweils anlangt, wird das eine der größere Teil sein, also sozial, im Sozialen als dort vermögen Erbschaft, aber es muss da was passieren, weil ich glaube sonst kann die Union es nur alleine versuchen und dann ist sie bei einer Minderheitsregierung.

Martyna Linartas: Ja, ich glaube tatsächlich, die Koalition wird einfach auch gezwungen sein, sich zum Beispiel mit Fragen der Erbschaftssteuer zu befassen, weil aktuell erwartet wird, dass das Bundesverfassungsgericht urteilen wird zum vierten Mal seit Mitte der 90er Jahre, dass ihnen Teilen nicht mit der Verfassung konform ist. Meine Sorge, die ich jetzt gerade habe, ist allerdings, weil ich einfach eine Narrativanalyse gemacht habe, dazu wie die Parteien in den letzten Jahren dazu standen, dass die Union und auch Jens Spahn hat ja bereits angefangen, davon zu reden, diese Richtung zu schielen, auf eine Flat-Tag setzen wird. Also, dass man am Ende sagen wird, gut, wir werden die Betriebsvermögen, die sind ja aktuell nahezu komplett ausgenommen von der Erbschaftssteuer, die nehmen wir wieder rein, wir streichen die Ausnahmen. Was wir aber machen werden, ist, die Erbschtssteuer komplett flat zu setzen. Also, das, was wir jetzt gerade besprochen haben, was mal mit den Kapitalerträgen passiert ist, dass das auch bei der Erbschaftssteuer passieren wird. Und das wird, nach meiner Einschätzung, der Anfang vom Ende der Erbschaftsteuer sein, weil dann die Erbstaatssteuer extrem unbeliebt wird, weil dann Menschen, die kleine Erbschaften erhalten, plötzlich sehr viel mehr zahlen müssen und weil die reichsten Menschen plötzlich sehr viel weniger zahlen müssen, als sie noch vor 20, 30 Jahren zahlen mussten, weil die Ungleichheit dadurch auch nicht gesenkt wird. Und es mag dann sein, dass man dann wieder ein bisschen mehr Mehreinnahmen generiert, aber grundsätzlich eben dieser Gerechtigkeitsaspekt der Steuern und vor allem auch der Aspekt der Ungleichheit, der würde nicht angegangen werden.

Carsten Janz: Ich würde gerne einmal fragen, was hat diese Ungleichheit, wie Sie sie bezeichnen, Auswirkungen auf unsere Gesellschaft? Also wir spüren eine, oder es ist eine stärkere Spaltung zu spüren, würde ich sagen. Es gibt gerade heftige Diskussionen, vor allen Dingen auch in anderen Ländern, aber auch bei uns spürt man das. Ist das, Ihrer Meinung nach, eine Auswirkung dieser Ungleich- heit, die es in Deutschland gibt, was die Vermögen zum Beispiel angeht?

Martyna Linartas: Ich glaube schon, wir haben auch dazu wieder, sorry, aber ich stehe halt auf Studien.

Carsten Janz: Das ist vollkommen okay. Ist mir definitiv lieber, als wenn, sozusagen, Sie das nicht mit Fakten hinterlegen würden.

Martyna Linartas: Es gibt dazu eine sehr breite Studienlage. Es wurde sich genau angeschaut, was eigentlich Ungleichheit für Effekt auf die Demokratie hat. Insofern, dass das Vertrauen in politische Institutionen zunehmend senkt. Insoferen, dass auch die Menschen sich von den etablierten Parteien zunehend abwenden, weil sie auch sagen, für mich wird hier keine vernünftige Politik gemacht. Die Menschen haben Abstiegsängste, sogenannte relative Abstiegsegste. Das heißt, sie haben Sorgen davor, dass es morgen schlechter wird als gestern. Und wir haben das nicht nur auf Deutschland betrachtet analysiert. Also ich rede jetzt nicht von wir, im Sinne von ich jetzt und andere Menschen, sondern in der Wissenschaft. Sondern es wurde sich auch angeguckt im Rahmen von ganz vielen Industriestaaten, 20 an der Zahl. Seit 1970 bis 2016 hat man sich das angeschaut und festgestellt, die wachsende Ungleichheit hat vor allem dazu geführt, dass rechtsradikale Parteien mehr an Stimmen Zuwachs gewonnen haben, tatsächlich. Und das erachte ich als eine ganz, ganz große Bedrohung. Insofern, ja. Also die wachsene Ungleichheiten höhlt die Demokratie aus. Insofern jetzt auf der Seite, das Vertrauen geht flöten. Die Menschen wenden sich von den etablierten Parteien ab. Die AfD wird immer stärker. Als Politikwissenschaftlerin, und ja, ich bin Politikwissenschaftlerin. In erster Linie bin ich aber vor allem Demokratin. Und das ist mir noch wichtiger. Und ich habe Sorge vor einer starken AfD. Es ist aber auch so, dass wenn wir dieses Paradigma beibehalten, Neoliberalismus, dann sehen wir auch, dass das große Geld immer mehr an Einfluss gewinnt. Also auch mit Blick auf die Gesetzgebung. Auch sehr, sehr bedenklich. Und der dritte Aspekt ist eben wirklich der, über den wir jetzt schon zu Anfang auch sprachen, die Erbengesellschaft. Also wenn man nicht, wir schaffen das ja bei Einkommenssteuern. Wunderbar. Wir haben die Einkommenseuer und die führt dazu, dass wir gegen die Einkommungsungleichheit gegensteueren. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wir reduzieren die Einkommungleichheiten in Deutschland extrem. Bei einem Gini, das ist dieser bekannteste Ungleichheitsindex. Der läuft von 0 bis 1. Und 1 würde heißen, 1 hat alles. 0 heißt, alle haben gleich viel. Das heißt, vor Steuern und Transferleistungen sind wir bei Einkommen bei 0,5 in der Mitte. Vergleicht man mit Ländern wie Mexiko. Nach Steuerm und Transferleistung sind wir bei 0.3. Das heißt allein durch Steuerpolitik reduzieren wir die Ungleichheit stark bei Fragen von Einkommen. Das machen wir aber nicht bei Vermögen. Und bei Vermögen spielen Erbschaften und Schenkungen eine immer größere Rolle. Das heißt, wir werden zunehmend zu einer Erbengesellschaft und der ist weniger und weniger auf die eigene Leistung und auf die Intelligenz und auf die Talente und was man so beiträgt zur Gesellschaft ankommt. Und das macht mir große Sorge, weil wir damit wieder in diesen Feudalismus halt reinrutschen.

Carsten Janz: Um nach vorne zu gucken, also gerade antwortet ja zum Beispiel Teile der CDU damit, dass sie sich so ein bisschen den Position der AfD in Teilen angleichen. Das hat die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Studie jetzt herausgebracht, dass das auf jeden Fall nicht dazu führt, dass die Situation besser wird im Umgang mit der AfD. Was würden Sie denn zum Beispiel jetzt der CDU, aber auch den anderen regierungstragenden Fraktionen der SPD zum Beispiel jetzt raten? Wie kann man die Stimmung kippen? Wie kann die Ungleichheit beseitigen dann?

Martyna Linartas: Naja, also wenn man sich jetzt anschaut, was hat in den letzten über 100 Jahren funktioniert, um die Ungleichheit zu reduzieren, dann ist die Antwort aus der Wissenschaft eineindeutig. Nämlich hohe und progressive Steuern auf Vermögen. Also da brauchen wir gar nicht drum herumreden. Das war, natürlich gab es auch viele weitere Faktoren, die bedeutend waren, aber der Entscheidende, das waren Steuerm. Und das sagt nicht ich, sondern das sagen Menschen wie Moritz Schularick vom Institut in Kiel. Das ist jetzt nun wirklich kein verschriebener Linker. Das sagen auch führende Ökonome in der ganzen Welt. Die entscheidenden, die entscheidende wirklich Instrumente, die man in die Hand genommen hat und die die Ungleichheit reduziert haben, waren Steuern. Und die müssen auf Vermögen erhoben werden.

Christoph Schwennicke: Ich habe deswegen jetzt relativ lange für meine Verhältnisse nichts mehr gesagt, weil ich gar nicht viel hätte widersprechen können. Ich will nur einen zweiten Knopf noch machen an die Ungleichheit, über die Sie gesprochen haben bzw. die Folge, dass das der AfD oder anderen Populisten die Leute möglicherweise in die Arme treibt. Das tut natürlich auch die Ungleichheit, dass man als Transfergeldempfänger mindestens mal fast so gut dastehen kann, wie als Arbeiterin oder Arbeiter oder Arbeitnehmerin oder Arbeiter. Das ist natürlich auch eine Ungleichheit, die leider den Populisten Tür und Tür öffnet.

Martyna Linartas: Wurde das nicht jetzt gerade wieder mit Zahlen widerlegt?

Christoph Schwennicke: Ne, das glaube ich nicht.

Martyna Linartas: Dass auch nachgerechnet wurde von der Hans-Böckler-Stiftung, weil es gab nicht diese Zahlen.

Christoph Schwennicke: Die Böckler-Stiftung, wissen wir auch, wo sie steht. Ich glaube, jetzt können wir uns hier nicht die Zahlen um die Ohren schlagen. Aber ich wollte das nur ergänzen. Ja, ich glaube, dass Sie recht haben.

Martyna Linartas: Es lohnt sich immer, arbeiten zu gehen.

Christoph Schwennicke: Ja, aber nicht unbedingt in finanzieller Hinsicht.

Martyna Linartas: Auch in finanzieller Hinsicht. Ich wäre volle Kanne bei Ihnen, wenn wir sagen würden, naja, gut, dann müssen auch die Löhne höher geschraubt werden. Das wäre super.

Christoph Schwennicke: Ich war von Anfang an ein großer Befürworter des Mindestlohns, den es inzwischen Gott sei Dank gibt, weil ich immer gesagt habe, allein die Arbeitszeit eine Stunde ist schon einen gewissen Betrag x wert, wenn ich ihn zur Verfügung stelle. Völlig unabhängig davon, welche Qualität oder welche, wie soll ich sagen, welche Skills ich mitbringen muss, welche Fähigkeiten für eine Arbeit. Deswegen war ich immer auch, da sind wir gar nicht auseinander, für den Mindestlohn.

Martyna Linartas: Das finde ich super. Auch vor allem, wenn man sich halt anschaut, es bräuchte ja eigentlich ein Mindestlohn, sodass, wenn man das ganze Leben lang arbeitet, nicht am Ende dann zum Lebensabend hin in Armut lebt. Und wir haben ja aktuell keinen armutsfesten Mindestlohn. Das ist schon bitter. Also wir haben hier auch Menschen im Bürgergeld, die wirklich aufstocken müssen. Und das sind nicht nur Leute, die dann Teilzeit arbeiten, sondern auch durchaus in Teilen Menschen, wo einfach dann der Lohn nicht reicht. Das ist schon echt bitter.

Carsten Janz: Aber wir kommen so langsam zum Ende. Eine kleine Abschlussfrage an Sie, Frau Linartas. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das in die Richtung geht, wie Sie es sich vorstellen?

Martyna Linartas: Ich bin volle Kanne Optimistin. Nur so macht das übrigens auch Spaß. Aber nein, ganz ehrlich gesprochen. Ich habe mir die Historie angeschaut. Was ist eigentlich passiert in den letzten 100 Jahren? Das war das reinste Ping-Pong-Spiel. Mal war dann die Ungleichheit größer, dann wieder kleiner, dann waren die Steuern höher, dann waren sie wieder niedriger. Und ich glaube, wir sind an einem Punkt, wo wir auch wirklich, deswegen hatten wir auch gerade darüber gesprochen, diesen Paradigmen-Streit auch gerade haben und wir einen Wandel brauchen, weil die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft sind gigantisch groß. Wir brauchen zig Milliarden an Investitionen in Infrastruktur, in Digitalisierung, in Bildung und so weiter. Irgendwo muss das Geld herkommen. Das heißt, wir werden auch nicht drum herumkommen, auch über Steuerpolitik zu sprechen und auch Vermögende eben dann doch auch mehr an die Kassen dann auch nicht nur zu bitten, sondern über die Steuerpolitik, über eine gerechte Steuerpolitik zu zitieren. Von daher, auch auf internationaler Ebene tut sich viel. Die G20-Staaten sind ja für eine Milliardärsteuer und auch zivilgesellschaftlich tut sich aktuell viel. Also es gibt mittlerweile eine Allianz, Vermögen besteuern jetzt, von Organisation und Verein, das ist mittlerweile mehr als 30 an der Zahl. Da ist auch ungleichheit.info, was ich auch mitgegründet habe, auch Teil davon. Das heißt, vor, sagen wir mal, fünf bis zehn Jahren gab es noch diese Allianzen auch nicht und auch viele Organisationen nicht, die sich eben für diese Fragen, die ja durchaus nicht um den sexy daherkommen. Wer redet schon gerne über Steuern?

Carsten Janz: Schwieriges Thema, genau.

Martyna Linartas: Aber es tut sich da auf jeden Fall vieles in der Debatte. Von daher bin ich da durchaus optimistisch gestimmt.

Carsten Janz: Frau Linartas, vielen, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, zu uns in den Podcast zu kommen. Das war sehr aufschlussreich und nett. Danke sehr.

Martyna Linartas: Vielen, vielen Dank für die Einladung. Hat Spaß gemacht.

Carsten Janz: Christoph, dir natürlich auch danke.

Christoph Schwennicke: Ja, ich danke auch euch beiden, Ihnen beiden. Ich fand das sehr belebend.

Carsten Janz: Vielen Dank auch an Nicolas Lindken für die Produktion und Ihnen da draußen fürs Zuhören. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, abonnieren Sie den Tagesanbruch Podcasts zum Beispiel auf Spotify oder Apple Podcasts. Auf diesen Plattformen können Sie die Folgen auch herunterladen und ohne Internet unterwegs anhören. Wenn Sie noch eine Anmerkung oder Fragen haben, dann schicken Sie uns am besten eine Sprachnachricht oder eine E-Mail an podcast@t-online.de und damit wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert. Am Wochenende geht es in einer längeren Diskussion mit prominenten Gästen um ein aktuelles, politisches Thema. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

Den Tagesanbruch gibt es auch zum Nachlesen unter https://www.t-online.de/tagesanbruch

Wenn Ihnen der Podcast gefällt, lassen Sie gern eine Bewertung da.

von und mit Florian Harms

Abonnieren

Follow us