Tagesanbruch von t-online

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00:00:02: Thomas de Maizière: Weg vom Misstrauensstaat zum Vertrauensstaatsstaat. Nicht gleich immer alles so perfekt machen. Lass uns doch mal eine 80-Prozent-Lösung haben. Lass es mal mit irgendetwas anfangen.

00:00:16: Florian Harms: Hallo und herzlich willkommen zur Wochenendausgabe des Tagesanbruch-Podcasts. Mein Name ist Florian Harms. In dieser Folge geht es um Themen, die Menschen in ganz Deutschland betreffen und über die wir mit dem ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière sprechen. Wie lässt sich das angeknackste Vertrauen in den Staat wiederherstellen? Was braucht es, um die bröckelnde Infrastruktur schnell in Stand zu setzen und die lähmende Bürokratie zu bändigen? Und wie kann die Bundesrepublik ihre Sicherheit stärken, außen und innen? Eine Gruppe ehemaliger Verantwortungsträger in staatlichen und wirtschaftlichen Top-Positionen hat ein detailliertes Konzept für grundlegende Reformen vorgelegt, die Initiative für einen handlungsfähigen Staat. Mit Thomas de Maizière, einer der Autoren, sprechen wir heute darüber, wie Deutschland aus der Krise kommt. Das wird spannend. Schön, dass Sie zuhören.

00:01:11: Florian Harms: Liebe Hörerinnen und Hörern, Autobahn-Brücken bröckeln, die Bahn kommt ständig zu spät, in vielen Schulen fehlt WLAN, Behörden wurschteln mit Faxgeräten vor sich hin. Ja, man kann die Bundesrepublik als Sanierungsfall beschreiben. Das bedeutet nicht, dass hierzulande alles den Bach runtergeht, aber überall im Land spüren Menschen, dass dringend notwendige Investitionen und Reformen zu lange liegen bleiben. Auch deshalb tun sich Politik und Gesellschaft so schwer, schnell und entschlossen, auf Krisen zu reagieren, sei es die Corona-Pandemie, die militärische Bedrohung durch Russland oder der Klimawandel. Die politischen Parteien haben bislang keine schlüssigen Konzepte vorgelegt, wie Deutschland aus der Selbstblockade und dem Reformstau herauskommt. Umso bemerkenswerter sind die Vorschläge, die eine Gruppe ehemaliger Verantwortungsträger in Spitzenpositionen erarbeitet hat, die Initiative für einen handlungsfähigen Staat. Deren Autoren sind der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der auch schon hier im Podcast war, der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, Dito, schon hier am Podcast. Beide Folgen finden Sie in den Shownotes dieses Podcasts. Die Medienmanagerin Julia Jäkel und Thomas de Maizière, früher Kanzleramtsminister, Bundesinnenminister und Verteidigungsminister. Geballte Kompetenz also. Umso mehr freue ich mich, dass Thomas de Maizière in unserem Podcast zu Gast ist und mit uns darüber spricht, was es für die Reform des Landes braucht. Herzlich willkommen, lieber Herr de Maizière.

00:02:36: Thomas de Maizière: Schönen guten Tag und vielen Dank für die freundliche Einführung.

00:02:39: Florian Harms: Außerdem freue ich mich, dass auch der Politikchef von t-online wieder dabei ist, der das Wohl und Wehe der Bundespolitik seit vielen Jahren beobachtet und analysiert. Herzlich Willkommen, Christoph Schwennicke.

00:02:48: Christoph Schwennicke: Guten Tag Herr de Maizière, hallo Florian.

00:02:51: Florian Harms: Herr de Maizière, bringen wir mal zu Beginn unsere Hörer auf Stand. Wie kam es zu der Initiative für einen handlungsfähigen Staat und wie genau haben Sie und die Kollegen da eigentlich zusammengearbeitet?

00:03:02: Thomas de Maizière: Die Analyse haben Sie vorgetragen. Die muss ich nicht ausführlich wiederholen. Wir sind zu sorglos bei der Sicherheit, zu langsam bei der Digitalisierung, zu kompliziert bei den Entscheidungsprozessen und haben uns verheddert bei den Zuständigkeiten. Diese Analysen haben viele geteilt und dafür gibt es auch kluge Papiere, auf die wir auch Bezug genommen haben, wo wir einiges übernommen haben. Aber das sind oft Menschen, die von außen kluge Ratschläge geben. Und wir vier kennen uns aus dem Maschinenraum. Wir haben Erfahrung, wir wissen auch, was nicht gut gelaufen ist, auch wo wir Verantwortung getragen haben. Wir haben keine Interessen, wir sind parteiunabhängig und ehrlich gesagt haben wir auch eine gewisse Reputation. Und da haben wir uns zusammengetan und uns selbst ermächtigt, wenn ich das mal so sagen darf, Vorschläge zu machen. Und zwar Vorschläge, die nicht die Politikfelder in der Sache betreffen. Wie soll das Rentenniveau sein? Wie hoch soll die Steuer sein? Wir reden ja sehr gerne darüber, was geschehen soll. Wir haben uns darauf konzentriert, wie etwas umgesetzt werden soll. Das wird viel zu wenig diskutiert und das ist unser Problem. Und dazu haben wir Empfehlungen gemacht. Wir wollten das eigentlich ganz in Ruhe in diesem Herbst mit Beginn der neuen Legislaturperiode vorstellen, hatten uns eineinhalb Jahre Zeit vorgestellt, haben eine Gruppe von Expertinnen und Experten ausgesucht, uns mitzuhelfen. Der Bundespräsident war so freundlich, unser Schirmherr zu sein. Dann platzte die Regierung. Wir mussten unter Hochdruck schneller arbeiten und dann haben wir einen Zwischenbericht vorgelegt, damit unsere Empfehlungen noch die Koalitionsvereinbarung erreichen. Das ist auch gut gelungen. Da kommen wir sicher gleich noch drauf und jetzt haben wir vor wenigen Tagen den Abschlussbericht vorgelegt und nun sind die Handelnden dran, das umzusetzen. Der Bundespräsident hat bei der Übergabe gesagt... Das war jetzt eine Art Staffelstab von uns an die aktive Politik.

00:05:02: Florian Harms: Wir reden gleich noch über die konkreten Empfehlungen. Christoph, voran einmal gefragt, wie siehst du diese Initiative? Kann die was bewirken?

00:05:10: Christoph Schwennicke: Ja, sie hat schon etwas bewirkt. Sie hat Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt. Herr de Maizière hat ja zurecht auch gesagt, auch und nicht zuletzt die die Reputation, die neudeutsch gesagt "Credibility" der Vieren, die sich da zusammengetan haben, sorgt dafür. Wir haben selber auch eine hohe Aufmerksamkeit daraufgelenkt. Es ist gelungen, vieles davon auch im Koalitionsvertrag zu verankern. Da ist vieles aufgenommen worden. Damit ist es natürlich noch nicht umgesetzt. Auf die einzelnen Punkte werden wir noch zu sprechen kommen, aber es ist, es rührt tatsächlich an den Nerv, weil dieses Gefühl, dass der Staat nicht mehr richtig funktionsfähig ist, das ist, glaube ich, sehr stark verbreitet. Davon profitiert vor allem eine Partei, die AfD, im Übermaß und leider Gottes. Und deswegen ist das aller Ehren wert, diese Initiative.

00:05:59: Thomas de Maizière: Ich darf noch kommentieren, um es ein bisschen bescheidener zu machen. Es stimmt schon, wir haben einen guten Ruf und wir haben gut gearbeitet und wir haben das gut formuliert und alles stimmt alles, aber es traf auch auf eine Lage, wo ganz viele Menschen diese Empfehlung im Grunde wie Wasser auf einem trockenen Schwamm aufgesaugt haben. Ich habe selten so viel Zustimmung bekommen. Wir haben nach dem Zwischenbericht jeder drei bis vier Einladungen pro Tag bekommen, das vorzutragen. Die Zustimmung war fast beängstigend, weil so schnell kann man alles auch gar nicht im Einzelnen umsetzen. Aber weil die Lage so schlecht ist, haben unsere Vorschläge viel Beachtung und Zustimmung gefunden. Und auch und nur deswegen sind die Umsetzungschancen besser als früher.

00:06:41: Florian Harms: Also viel Rückenwind, dann reden wir doch jetzt mal rüber. Es ist ja wirklich ein fundiertes Dokument. Aber was ist denn aus Ihrer Sicht, Herr de Maizière, die wichtigste Empfehlung oder die wichtigsten Empfehlungen dieses Papiers?

00:06:54: Thomas de Maizière: Als wir angefangen haben, dachten wir, wir wollen kein umfangreiches Papier schreiben und vielleicht 10 Empfehlungen machen. Umfangreich ist es auch nicht geworden. Wir haben sehr knapp gefasst alles, im Abschlussbericht noch ein bisschen länger. Jetzt sind es 35 Empfehlungen geworden auf 80 Seiten. Das ist immer noch für die Breite des Themas kurz genug und auch verständlich und gut aufbereitet, sodass man das, glaube ich, wahrnehmen kann. Wenn ich jetzt von den 35 eine, zwei oder drei Hauptempfehlungen sagen müsste, würde mir das schwerfallen. Ich will es mal so versuchen. Das erste ist, wir dürfen keine Maßnahmen mehr diskutieren und umsetzen, wo nicht gleichzeitig darüber entschieden und praxisnah beraten wird, wie das umgesetzt wird. Wie? In welchem Zeitraum? Mit welchen Kosten? Mit welchen Ergebnissen? Wir sind sehr inputgesteuert. Ich bin immer ein schönes Beispiel. Der Verkehrsminister ist dann in der Politik ein toller Hecht, wenn er beim Finanzminister ganz viele Investitionen heraushandelt im Haushalt: die Bahn, der Verkehrsminister, wer auch immer, der Bauminister. Was damit geschieht, interessiert eigentlich keinen mehr. Wie schnell es geht. Mit dem Ergebnis, dass wir ungefähr 70 Milliarden Euro nicht ausgegebene Investitionsmittel im Verkehrshaushalt haben und vieles geht dann in die Preise und all das. Also das war immer der erste Punkt. Das gilt auch für Expertenvorschläge, die in Massen kommen. Bitte an jeden Vorschlag anfügen, wie soll das gehen.

00:08:25: Thomas de Maizière: Zweiter Punkt, das ist jetzt ein bisschen appellmäßig, wir haben es aber konkret untersetzt. Weg vom Misstrauensstaat zum Vertrauensstaatsstaat. Viele Regelungen, die wir im Moment haben, beruhen darauf, dass es einen Missbrauch geben könnte. Bei den Lieferketten mit Kinderarbeit, bei der Lebensmittelhygiene mit Hackfleisch, bei tausend Sachen. Und das sind auch alles berechtigte Anliegen, aber wir haben uns da total verheddert. Deswegen wäre es besser zu sagen, wir vertrauen darauf, dass Unternehmen, dass Menschen an sich die Dinge vernünftig machen. Dann brauchen wir auch nicht so viele Vorschriften. Aber wenn sie dann verstoßen und das muss kontrolliert werden, dann gibt es harte und härtere Sanktionen als jetzt. Und das Dritte ist als Wichtigstes von diesen drei Elementen, nicht gleich immer alles so perfekt machen. Das haben wir sehr stark von der IT-Szene gelernt. Im öffentlichen Dienst, wenn da eine App gemacht werden muss, oder wenn da irgendeine sichere Identifizierung gemacht oder ein Gesetz gemacht, muss das total perfekt sein. Und jeder, der mal eine private App runtergeladen hat, hat am Anfang geschimpft. Funktioniert nicht, die Links gehen nicht weiter und so. Ja, das wird bewusst so angefangen, damit man schnell da ist und nach einem dritten Update klappt es. Und diese Mentalität, lass uns doch mal eine 80-Prozent-Lösung haben. Lass uns mal mit irgendetwas anfangen. Lass uns Experimente machen, wir kommen gleich darauf und experimentieren, glaube ich, vielleicht. Und dann so kommt Bewegung rein, als würden wir sagen, wir müssen irgendwie Bürokratieabbau machen. Also diese drei Punkte, Umsetzung, Vertrauen statt Kontrolle und mehr machen als perfekt sein, das würde ich sagen, ist so ein gemeinsamer Nenner vielleicht unser Vorschlag.

00:10:10: Florian Harms: Das klingt super, wenn Sie das so schildern. Aber Christoph, passt das überhaupt zur Mentalität hierzulande? Also dieser deutsche Perfektionismus, der ist ja legendär mittlerweile.

00:10:19: Christoph Schwennicke: Ja, der Perfektionismus und auch diese Misstrauenskultur, die Herr de Maizière angesprochen hat. Ich mache eine Parallele zwischen Schweden und Deutschland. Man könnte auch die Schweiz nehmen. Aber nehmen wir Schweden. Im Endeffekt hat Schweden Corona auch nicht anders in den Griff bekommen, als wir hier in Deutschland, aber mit wesentlich mehr sozusagen freiwilliger Beteiligung der Bevölkerung. Das war hier offensichtlich nicht möglich. Deswegen war ja dieser schwedische Organisator da in aller Munde, weil man sagte, guck mal, die Schweden machen es ganz anders. Ja, warum?

00:10:52: Thomas de Maizière: Das hat aber viele Tote gekostet.

00:10:54: Christoph Schwennicke: Ja, aber die Bilanz insgesamt ist nicht wesentlich unterschiedlich zu unserer. Ich will nur sagen, da geht der Staat mit einer anderen Mentalität auf die Bevölkerung zu. Und die Bevölkerungen begegnen auch dem Staat mit einer anderen Mentalität, nämlich dem Bewusstsein, wir sind der Staat. Das ist etwas, was mir hier in Deutschland so fehlt. Der Staat, das sind immer die da oben. Das stimmt aber nicht. Es hat mal einer gesagt, l'état c'est moi. Man müsste eigentlich sagen, l'état c'est nous, das sind wir alle. Und diese Mentalität müsste man für meine Begriffe stärken.

00:11:27: Thomas de Maizière: Wir haben in der Tat keinen Erfolg mit der Umsetzung unserer Empfehlung, wenn die Bevölkerung nicht mitmacht. Und das heißt vor allem Aushalten von Pauschalierungen zu Lasten von Einzelfallregelungen. Herr Steinbeck hat sicher in ihrem Podcast berichtet von 170 Sozialleistungen, die von vielen Behörden abgewickelt werden, mit zum Teil für die Definition von Bedürftigkeit 5, 6 Einkommensbegriffen für die gleiche Person, alleinerziehende Mutter mit einem pflegebedürftigen Vater. Jede dieser Regelungen sind spezifisch gut begründet. In der Summe sind sie nicht mehr durchschaubar und nicht administrierbar. Wenn man also sagt, ein Einkommensbegriff für die Feststellung von Bedürftigkeit von sozialen Leistungen ist das leicht zu administrieren, ist verständlich, aber es wird Verlierer geben. Der eine verdient, kriegt ein bisschen weniger. Und das zu akzeptieren, die Oberbürgermeisterin von Zwickau hat beim Bundespräsidenten sehr schön etwas gesagt. Wenn ich ein Einfamilienhaus bauen will, dann soll der Staat gefälligst die Baugenehmigung schnell erteilen. Wenn der Nachbar ein Ein-Familie-Haus bauen will, dann will ich genauer gefragt werden, wie groß ist die Hecke, wie ist die Farbe des Hauses, führt es zu einer Verschattung, wie ist der Abstand usw. Und verlange nach Regelungen. Wir müssen also Mut zu weniger Regelungen haben und die Akzeptanz von weniger Regelung von der Bevölkerung. Beides ist nicht leicht.

00:12:50: Florian Harms: Jetzt haben Sie das gerade angesprochen mit diesen vielfältigen Regelungen, beispielsweise wenn es um Sozialleistungen geht. Christoph, ist das auch ein Fluch des deutschen Föderalismus? Kann dieses System, wie wir hier organisiert werden, mit all den Einflussnahmen der Bundesländer weiter funktionieren, wenn wir jetzt pragmatischer werden wollen?

00:13:08: Christoph Schwennicke: Also wir sind ja oder sagen wir so, wir haben ja Herrn de Maizière jetzt schon hinreichend den Teppich ausgerollt. Also darf ich jetzt auch mal Kritik sein. Ich weiß nicht so genau. Einer der herausgehobensten Punkte, weil natürlich auch, weil er sich personalisieren lässt, ist die Einrichtung des Digitalministeriums. Kann sein, dass es hilft. Ich habe da meine Zweifel, weil das ist so ein bisschen wie früher. Hat man immer gesagt, wenn du nicht mehr weiterweißt, dann bilde einen Arbeitskreis oder einen Ausschuss, dann geht es dahin und dann wird es schon, dann ist es da sozusagen verräumt. Mir wäre ein neuer Anlauf der Regelung von Bund-Länder-Zuständigkeiten oder überhaupt Bund-Länder-Bezügen wichtiger gewesen, sage ich ganz offen. Und davor sind Sie zurückgeschreckt oder haben Sie, sagt man haben sie oder sind Sie? Weil wahrscheinlich schon zweimal eine Föderalismusreform in Deutschland gescheitert ist. Also meine Priorität wäre da.

00:14:01: Florian Harms: Was meinen Sie, Herr de Maizière?

00:14:03: Thomas de Maizière: Das stimmt nicht. Wir haben genau das empfohlen. Eine Neuregelung der Länderzuständigkeiten, sowohl allgemein, insbesondere bei dem Thema Finanzierung, aber auch konkret beim Thema Bildung und Abschiebung, auch bei Digitalisierung. Das haben wir schon gemacht. Muss man im Zusammenhang sehen. Ich war beim Digitalministerium auch kritisch früher, selber. Vielleicht auch, weil ich Innenminister war und dann für einen Teil zuständig war. Das kann schon sein. Aber wir haben ja auch nicht ein Digitalministerium vorgeschlagen. Das gibt es in den Ländern mit unterschiedlichem, nicht überall überragendem, durchschlagendem Erfolg. Sondern wir haben ein Ministerium vorgeschlagen für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Wir hätten es ein bisschen anders genannt, aber das ist jetzt ein anderes Thema. Das heißt, die Kombination von Behördenstrukturreform, neuer Personalentwicklung, digitalen Konzepten mit einem mächtigen Ministerium, was auch ein Mitspracherecht, ein Wetterecht bei den digitalen Anwendungen an der Ressource hat. Das könnte etwas sein, aber das geht in der Tat nicht ohne, auch im Bereich kommunaler Veränderungen. Und da haben wir einen Vorschlag aufgegriffen des Städtetages, also der Kommunen, die gesagt haben, passt mal auf, da wo wir keine Ermessensentscheidungen haben, die bei Bauanträgen, sondern wo wir etwas administrieren, was nur Verwaltungsvollzug ist, zum Beispiel Kfz-Anmeldung oder Anmeldungen von Personalausweisen. Dann lass uns das doch zentral machen. Warum müssen wir hunderte von unterschiedlichen Softwarelösungen haben? Mit der Folge, wenn ich ein Auto von Dortmund nach Dresden ummelden muss, dann muss ich das IT-System von Dortmund und NRW und von Sachsen und Dresden irgendwie mit Schnittstellen organisieren. Das geht, aber sehr aufwendig. Zumal wir auch, das ist jetzt wieder ein Bund-Länder-Thema, Herr Schwennicke, keine Entscheidungsstrukturen haben, zwischen Bund und Ländern das verbindlich für die Kommunen festzulegen. Das muss dringend geschehen, denn 91c ist da das Fachwort, aber auch andere im Grundgesetz. So, und wenn man sagt, in solchen Fällen kann der Bund was zentral machen, dann bricht dem Föderalismus kein Zacken aus der Krone. Das ist sogar eine Erleichterung. Klammer auf, man muss wissen, dass ungefähr die Hälfte der Softwarelizenzen bei den Kommunen für diese Anwendung in den nächsten zwei, drei Jahren ausläuft. Klammern zu. Also es ist auch eine Chance, das so zu machen. Sodass auch gerade bei der Digitalisierung das Thema Bund-Länder zusammen greift und nur dann greifen kann. Das Thema zum Schluss noch, was Herr Schwennicke angesprochen hat, Föderalismus, Reform, das haben wir nicht konkret vorgeschlagen. Ich war an beiden Föderalismus-Kommissionen, mein Ergebnis war das Ergebnis besser als der Ruf ist, aber nicht gut angesehen im Nachhinein. Aber dass wir bei dem Thema Finanzierungsbedingungen zwischen Bund und Länder etwas machen wollen, steht doch Koalitionsverhandlung. Dass die Zuständigkeitsteilung im Bildungsbereich, egal welcher Position man ist, für Kooperation oder für Entflechtung, so chaotisch ist, dass sie völlig unsystematisch ist. Das ist eigentlich unbestritten. Sich daran zu machen ist gut und Bund und Länder haben das in einem Beschluss am 18. Juni unter Bezug auf unsere Initiative genauso beschlossen. Sehr gut.

00:17:16: Florian Harms: Christoph, jetzt mal die Frage an den Politikchef. Also das klingt schlüssig, dass man das neu organisiert, die Zuständigkeiten zwischen Bund und Bundesländern. Wie schätzt du das politisch ein angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse in der Bundesregierung, aber auch in den Ländern? Besteht da die Chance, dass man so eine tiefgreifende Reform wirklich dann auch durchzieht?

00:17:38: Christoph Schwennicke: Das ist eine große Frage, Florian. Man erlebt halt immer wieder, dass natürlich dann, hätte fast gesagt, der Eigennutz der Gene greift, also dass dann der jeweiligen Gebietskörperschaft das Hemd näher ist als die Hose, also die Ministerpräsidenten dann ihre Interessen eher sehen als die des Bundes. Aber wir hatten unlängst ein Interview mit Mario Voigt hier mit dem thüringischen Ministerpräsidenten und dem war auch anzumerken, dass er ein dringendes Interesse daran hat, dass die Bundländer dass das Bund-Länder-Verständnis voneinander und miteinander besser wird, weil es eben oft so ist, dass im Bund ein Rechtsanspruch entsteht oder hergestellt wird, der dann in den Ländern oder am Ende vor allem in den Kommunen, auf Deutsch gesagt, ausgebadet werden muss. Und deswegen, gut, das ist jetzt ein Interview gewesen, ein Gespräch, aber ich glaube schon, dass allen Beteiligten klar ist, dass man hier zu mehr Gemeinsinn kommen muss und dass nicht jeder sozusagen... Der Landkreis auf seiner Position, die Kommune auf ihrer, die Länder auf ihrer und der Bund auf seiner beharrt, so kommen wir da nicht weiter.

00:18:42: Thomas de Maizière: Wir haben in der Tat ein extrem hohes Maß an Zustimmung auf der abstrakten Ebene, auch zwischen Bund und Ländern, auch in dem Beschluss, den ich eben erwähnte, zwischen Bund und Länder. Das Problem sind die Mühen der Ebenen. Und da spielt die Frage, die Herr Kretschmann bei dem Bundespräsidenten angesprochen hat, in welchem Format wird das erörtert? Ist Föderalismus II ein gutes Modell? Antwort eher nein. Sollen das drei Leute im Kämmerchen ausbaden? Antwort eher nein. Also, wie soll jetzt das Format so sein, dass es erfolgversprechend ist und nicht jeder gleich in sich in seinen Graben zurückzieht? Und darüber wird jetzt beraten und das wird sehr stark entscheiden über die Frage des Erfolges.

00:19:25: Florian Harms: Da werden wir genau drauf schauen und das auch begleiten mit t-online. Ich möchte jetzt noch mal.

00:19:29: Thomas de Maizière: Ich bitte darum.

00:19:31: Florian Harms: Versprochen, machen wir. Über einen Aspekt würde ich gerne noch sprechen, denn der Eindruck, dass etwas im Land schief läuft und Regeln nicht durchgesetzt werden, hat sich bei vielen Bürgern meines Erachtens verstärkt durch die jahrelang ungesteuerte Migration. Herr de Maizière, Sie waren damals mitverantwortlich in der Bundesregierung von Angela Merkel. Wie schauen Sie jetzt heute auf diese Zeit, also wenn wir nochmal zurückblicken, dass ja der Flüchtlingskrise, wie man es nennt, 2015 folgende, wo sehr viele Menschen nicht nur aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Afghanistan, sondern beispielsweise auch aus Nordafrika nach Deutschland gekommen sind und eben viele Bürger den Eindruck hatten, das ist nicht wirklich geregelt und gesteuert durch den Staat. Gucken Sie da auch mit einer Selbstkritik auf diese Zeit drauf, würden Sie jetzt etwas anders machen oder haben Sie den Eindruck, jetzt läuft es eigentlich besser und wir haben die Lage im Griff?

00:20:20: Thomas de Maizière: Ein großes Thema. Ich komme gleich noch später auf Sicherheit zu sprechen. Das ist, glaube ich, auch ein wichtiger Punkt nochmal, weil das ein bisschen untergegangen ist. Auch in der Rezeption unserer Vorschläge. Aber ich würde ihm gar nicht ausweichen, was Sie sagen. Es gibt Politikthemen, die können Sie nicht lösen. Man kann meinetwegen die Steuerlast senken, indem man die Steuer senkt. Man kann viele Fragen einfach mal durch einen Beschluss lösen, es gibt aber Politikthemen, die Sie nicht endgültig lösen können. Aber das heißt nicht, dass sie nichts machen, sondern sie können sie eindämmen, damit umgehen. Dazu gehört zum Beispiel das Thema Kriminalität. Es wird nie ein Staat geben ohne Kriminalität. Es wird nie angesichts des Wohlstandsgefälles, das wir haben, einen Zustand haben, in dem wir nicht irgendwie die Versuche haben, illegale Migration zu haben. Das ist so. Und das muss man, glaube ich, im Erwartungsmanagement der Bevölkerung sagen. Nochmal, das heißt nicht, nicht aktiv zu sein, sondern es wird keine Lösung mehr geben, ohne dass es jemals illegale Migration gibt.

00:21:21: Christoph Schwennicke: Das ist ja klar, aber Herr de Maizière, in den ersten Jahren und dazu gehört auch die Zeit, in der Sie aktiv waren...

00:21:24: Thomas de Maizière: Das stimmt. Ich komme jetzt auf den Punkt. Das zweite, was haben wir schlecht gemacht? Wir waren nicht genug vorbereitet. Das muss man objektiv sehen, es gab genügend Anzeichen nach der Kürzung auf der Zahlung in den Flüchtlingslagern. Wir haben uns letztlich nicht genügend vorbereitet als EU und als Deutschland auf so eine hohe Zahl. Das führt mich zu der generellen Bemerkung, die für Sicherheit insgesamt sind. Ich habe eingangs gesagt, wir sind zu sorglos bei der Sicherheit. Wir haben immer das Best-Case-Szenario angenommen. Und das war damals nicht zutreffend. So, dann die unmittelbare Aufnahme und Unterbringung. Da bleibe ich dabei. Haben wir gut bewältigt, mehr als viele andere europäische Staaten. Wir haben keine Obdachlosigkeit gehabt. Wir haben die Menschen verteilt zwischen den Bundesländern und den Kommunen, mehr oder weniger ohne Probleme. Anders in den Niederlanden, anders in Frankreich mit Obdachlosigkeit unterbrücken. Riesenproblemen in Calais und so weiter. Das ist gut gelaufen. Schlecht gelaufen ist die Registrierung bei der Einreise. Das lag wahrscheinlich auch in der schieren Zahl, wenn es 10.000 oder 8.000 Menschen am Tag sind, ist es schwierig. Und das wird jetzt immer ein bisschen vernachlässigt. Die Landräte vor Ort an der österreich-bayrischen Grenze hatte gar kein Interesse daran, dass sie da lange bleiben und registriert werden, weil die sollten ganz schnell verteilt werden, auch ohne Registrieren. Das wird heutzutage manchmal ein bisschen vergessen. Aber dann... Nach der Verteilung waren auf die IT-Systeme nicht vernünftig, das BAMF überfordert und so weiter. Die Zurückweisungen, darauf werden sie sicher gleich kommen, weil ich mich zu den aktuellen Themen nicht äußere, weil ich mir generell nicht zu aktuellen Dingen als ehemaliger... Ich hab's gehasst als Minister, wenn meine Vorgänger mir kluge Raschläge gegeben haben.

00:23:16: Christoph Schwennicke: Die Kanzlerin handhabt das etwas anders, die gibt ihrem Nachfolger Ratschläge, oder auch Nackenschläge eher.

00:23:22: Thomas de Maizière: Ich mach das aber so. Aber damals, die Entscheidung war richtig. Ich will jetzt keinen Rechtsvortrag halten. Es hätte damals sicher eine rechtliche Möglichkeit gegeben, über den Artikel 72, wegen Gefährdung öffentlicher Sicherheit diese Zurückweisung rechtlich korrekt umzusetzen. Ich habe es damals aus praktischen Gründen eines entschieden. Ich glaube, es wäre nicht durchsetzbar oder nur zeitweise durchsetzbar gewesen. Oder mit Situationen, die wir nicht lange durchgehalten hätten. Wasserwerfer an den Grenzen, mit denen Menschen zurückgewiesen werden. Jagd auf illegale Flüchtlinge in den Wäldern von Bayern. Und dann wären wir doch eingeknickt, dann wäre der Schaden größer gewesen. Also das war die Situation damals. Und dann sind wir nicht gut gewesen letztlich bei der Integration. Wir sind jetzt nicht so schlecht, ich glaube bei 40 Prozent ungefähr, Integration und Arbeit, aber das ist kein guter Wert. Also so wäre mal meine Konsequenzen. Es hat dann viele Konsequenzen im Nachhinein gegeben. Einige habe ich angerichtet, manche davon sind durchgesetzt worden, andere nicht. Einiges haben wir jetzt wieder aufgegriffen. Zum Beispiel das Hin und Her der Zuständigkeit per Abschiebung. Das muss grundlegend angegangen werden.

00:24:37: Florian Harms: Da sagen Sie, das muss der Bund entscheiden, und zwar allein der Bund.

00:24:41: Thomas de Maizière: Ja, das ist eine Verfassungsänderung. Das ist ein tiefgreifender Eingriff. Aber ich bin nicht davon überzeugt, dass die Rechtslage so wie sie jetzt ist überzeugend, ist das ein Landkreis oder das Land, wenn es ist zentralisiert, da zuständig dafür ist, Visum in Drittstaaten wie Indien zu besorgen. Das kann nicht funktionieren.

00:25:00: Christoph Schwennicke: Herr de Maizière, Sie sind so ein wunderbar beherrschter Sprecher, Redner und ja auch hochloyal. Das finde ich faszinierend, über sozusagen das Dienstende hinaus. Ich sage Ihnen trotzdem, was ich für einen der entsetzlichsten Sätze gehalten habe, den ich aus dem Munde eines deutschen Regierungschefs je gehört habe. Und das hat unmittelbar mit dem Namen Ihrer Initiative zu tun, nämlich Handlungsfähigkeit des Staates. Angela Merkel saß bei Anne Will, als die Dinge so ins Rollen kamen oder die Menschen sich in Bewegung gesetzt haben, und hat wörtlich gesagt, es liegt nicht in unserer Macht, wie viele noch zu uns kommen. Dieser Satz ist genau so gefallen. Und dann hat sie noch gesagt, jetzt müssen wir halt gucken, dass wir die Umverteilung auf die anderen europäischen Länder hinkriegen. Der erste Satz, ist eine Ohnmachtserklärung und der zweite Satz ist nie Wirklichkeit geworden. Und da glaube ich, das sitzt bei den Menschen schon ganz tief. Mir halten viele vor, ich sei da etwas zu leidenschaftlich bei dem Thema. Ich glaube, das ist ein Thema, was sozusagen die AfD erst wieder zu dem gemacht hat, was sie jetzt leider Gottes ist. Und wir können um dieses Thema nicht drumrum reden. Das war ein fürchterlicher Satz im ersten deutschen Fernsehen.

00:26:13: Thomas de Maizière: Also, was die AfD angeht, bis auf Ostdeutschland, wo es noch ein Sonderfaktor ist, ist das AfD-Ergebnis ein europäisches Normalergebnis. Und da hatten wir auch Erfahrungen im Jahr 2015, aber anders. Das geht ein bisschen tiefer, der Aufstieg der AfD. Der Aufstieg der AfD war übrigens seit dem Amtsende von Angela Merkel noch stärker als zu unserer Zeit. Auch das ist wahr. Ich will trotzdem das nicht wegreden, dass das natürlich das Jahr 2015 ein Beschleuniger für den Erfolg der AfD, das ist so. Aber zu sagen, hätten wir das damals alles anders gemacht, hätten wir keine AfD in der Größenordnung. Das ist sicher auch falsch. Aber ich wollte noch sagen...

00:26:51: Florian Harms: Aber es bleibt ja der Eindruck, dass der Staat die Lage nicht im Griff hatte.

00:26:52: Thomas de Maizière: Ja, das stimmt. Ich will nur sagen, die eigentliche Lösung, nein, ich habe ja selber gesagt, es gibt keine Lösung, das eigentliche, ein wichtiger Hebel zur Eindämmung ist natürlich die europäische Außengrenze, klar. Und wir sehen jetzt an den Zahlen, dass die Zahl der Zurückweisungen an der deutschen Grenze gar nicht so groß ist und gleichwohl die Zahlen in Europa im Moment deutlich runtergehen. Hat etwas zu tun mit dem Schutz der Außengrenzen, hat aber auch etwas zu tun mit den Verhalten der Schleuser. Ja, und mit der Lage in den Krisenländern. Ich bin und bleibe auch loyal, Herr Schwennicke, das werden Sie von mir auch weiterhin so erleben. Auch der Ampel gegenüber und der jetzigen Regierung, weil ich schon intern meine Meinung sage, davon können Sie ausgehen, aber nicht über die Presse. Ich will nur daran erinnern, dass die eigentliche, der eigentliche Rückgang durch das Türkei-Abkommen gekommen ist. Und dieselben Menschen, die gesagt haben, da muss doch was geschehen, haben hinterher gesagt, wie kann man mit diesem halben Diktator Abkommen machen? Man kann doch nicht mit einem Teufel Kirschen essen. Und das hat Angela Merkel verhandelt, wenn ich mal ganz kurz daran erinnern darf. Was ich schon vorgeschlagen habe, Drittstaaten-Lösungen, Kontrollen an den Außengrenzen, ist richtig. Das ist seitdem oft versucht worden. Die Briten haben es versucht mit Rwanda und so. Es ist noch nicht so trivial und nicht so leicht. Ich würde das unterstützen von Anfang an, ich weiß, dass Herr Dobrindt das jetzt auch macht. Das ist alles gut und richtig, aber nicht so leicht. Und ob es die Zahlen bringt, weiß ich auch nicht so genau. Also, und was ich auch noch mal sehr wichtig finde, ich habe sehr die Ampel dafür gelobt, dass es nach zehn Jahren gelungen ist, das gemeinsame europäische System (GEAS) zu verhandeln. Und das ist ja wirklich ein Witz. Ich war zehn Jahre stand aus dem Amt und als es verabschiedet wurde, gab es kein einziges neues Argument, was ich nicht kannte. Pro und Contra dieses gemeinsamen System. Das spricht dafür, wir haben jedes Argument erwogen, wir konnten uns nur nicht durchsetzen. Jetzt ging es, und das schnell umzusetzen, das wäre, glaube ich, sehr gut und hilfreich und ist ja auch vereinbart.

00:28:53: Florian Harms: Zeigt ja einmal mehr, dass wir schneller werden müssen hierzulande in Deutschland. Ich möchte zum Schluss noch auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der hat mit der Sicherheit des Landes zu tun. In der Zeit, in der Sie damals auch Mitverantwortung trugen in der Bundesregierung, ist die Wehrpflicht ausgesetzt worden. Das war im Jahr 2011. Aus heutiger Sicht, wo man eben mit diesem aggressiven russischen Regime von Putin konfrontiert ist, würde man sagen, es war eher ein Fehler. Und wir müssen jetzt schnell in die Puschen kommen, brauchen schnell wieder eine Wehrpflicht. Sehen Sie das nicht so?

00:29:25: Thomas de Maizière: Nein, ich war damals verantwortlich für das Gesetz. Herr Guttenberg hat das politisch angefangen und durchgesetzt, aber ich müsste es umsetzen, um das Wort noch mal aufzugreifen. Ich habe es auch für richtig gehalten, wenn auch mit Schmerzen, wie ich auf dem CDU-Parteitag gesagt habe. Warum? Die Wehrpflicht war ein halbes Jahr. Das Einsatzmodell war Auslandseinsatz. Landesverteidigung spielte keine Rolle. Nach einem halben Jahr können Sie keinen Soldaten nach Afghanistan oder Mali schicken. Erster Punkt. Zweiter Punkt. Fast die Hälfte der Soldaten der Bundeswehr war damit beschäftigt, die Rekruten zu betreuen. Das ist absurd. Drittens, wir hatten gar keine Wehrpflicht. Die Einziehungsquote war bei 10 bis 15 Prozent. Das Verfassungsgericht war kurz davor, wegen Verstoß gegen Artikel 3 dieses Gesetz aufzuheben. Wir hatten ein Problem, dass ein Teil der Oberschicht ihre Söhne gerne nach Augustdorf zu den Aufklärern und zu den Gebirgsjägern geschickt hat und der Rest hat sich gedrückt. Es gab eine Volkskrankheit, die hieß Scheuermann. Die Orthopäden haben zu tausenden heranwachsenden jungen Sportlern gesagt, dass sie einen kranken Rücken haben. Als wir die Wehrpflicht ausgesetzt haben, dann sparte man nämlich auch den Zivildienst, als wir die Wehrpflicht ausgesetzt haben, ist diese Krankheit von heute auf morgen verschwunden. Es ist eine Wachstumsstörung bei heranwachsenen jungen Leuten. Also das war damals richtig. Wenn man es anders hätte machen wollen, zum Beispiel nach 2014, nach dem Einmarsch in die Krim, wo Landesverteidigungen wieder akut wird, dann braucht man eine längere Wehrpflicht, nicht ein halbes Jahr, vielleicht modular, das wird jetzt auch diskutiert. Und ich bin ein großer Anhänger, haben wir auch empfohlen, dass wir eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen machen, dann gibt es auch keine Drückebergerei. Und dann kann man darin ein sehr gutes Angebot machen für Soldaten. Wir brauchen auch sehr große Reserven. Auch ein sehr wichtiger Punkt, dass wir nicht nur kämpfende Soldaten für die Landesverteidigung brauchen, sondern auch Logistiker, Leute, die den Lkw fahren, die Munitionskisten von A nach B schleppen und das muss auch vorbereitet werden durch Reservisten. Also die Aussetzung der damaligen Wehrpflicht war richtig. Jetzt könnte man über eine neue nachdenken, der bessere Weg scheint mir die Dienstpflicht zu sein.

00:31:36: Christoph Schwennicke: Ich widerspreche, Herr de Maizière, in allem Respekt, also ich war selber 15 Monate bei der Bundeswehr, also zur Hochzeit der Wehrpflicht.

00:31:44: Thomas de Maizière: Als Freiwilliger.

00:31:45: Christoph Schwennicke: Nein, nein, als Wehrdienstleistender.

00:31:47: Thomas de Maizière: Ja, aber die war zum Schluss ein halbes Jahr, die Wehrpflicht.

00:31:49: Christoph Schwennicke: Nein, nein, aber ich bin ja leider Gottes schon ein bisschen älter. Also ich war zu der Zeit, wo man 15 Monate hin musste. Punkt, außer man hat verweigert. Und wirklich jetzt nicht. Also es war eine schreckliche Zeit. Und ich habe hinterher auch allen Generalinspekteuren, weil ich für die Süddeutsche zuständig war für Verteidigungspolitik, immer gesagt, die muss weg. Sie können die jungen Leute... Ich habe mich geirrt, würde ich sagen. Und was sie gerade anführen an Gründen. Ehrlich gesagt, eine schwache oder falsch ausgerichtete Wehrpflicht. Und übrigens den Scheuermann gab es damals auch schon. Sie haben immer Flucht, Flucht Tendenzen so. Aber eine schwache oder falsch ausgerichtete Wehrpflicht ist kein Argument für ihre Abschaffung, sondern ein Argument, für ihre Nachjustierung, weil es jetzt natürlich wesentlich schwerer wieder ist, ohne sozusagen die ganze Infrastruktur, ohne die ganze personelle Hinterlegung das Ding wieder zu reaktivieren. Also dass diese Argumente, sage ich Ihnen ganz offen, überzeugen mich nicht, weil sie sozusagen zwar auf die Schwächen von damals hinweisen. Es deswegen gleich ganz bleiben zu lassen und in dem Zeitpunkt heute bei null wieder anfangen zu können, ist für mich nicht der bessere Weg gewesen.

00:32:54: Thomas de Maizière: Ok, dann Einspruch, euer Ehren, weil dann hätten Sie damals, 2011, die Wehrpflicht verlängern müssen.

00:33:03: Christoph Schwennicke: Ja, stimmt.

00:33:04: Thomas de Maizière: Die Koalition mit der FDP hatte aber gerade mal eben die Wehpflicht auf sechs Monate verkürzt. Und es gab 0,0 Aussichten, politisch eine Mehrheit dafür kriegen, die Wehrpflicht zu verlängern. Zumal alle gesagt haben, nach der Grundausbildung wird sowieso nur gejammert.

00:33:19: Florian Harms: Das war ja auch eine andere Zeit, erinnern wir uns noch mal, 2011, da herrschte Frieden in Europa. Man hatte das Gefühl, wenn es Probleme gibt, dann eher irgendwo im fernen Afghanistan, stellen wir uns dafür auf. Jetzt ist die Zeit anders, springen wir noch mal ins Heute. Sie haben gesagt, Sie fordern mit den Mitautoren eine allgemeine Dienstpflicht, also nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen, die man in unterschiedlicher Art und Weise ableisten kann. Muss ja auch nicht nur militär sein. Man kann ja wie früher beim Zivildienst auch in der Sozialeinrichtung, im Krankenhaus arbeiten. Dafür bräuchte es eine Grundgesetzänderung. Christoph ist das wahrscheinlich?

00:33:49: Christoph Schwennicke: Also da bin ich voll und ganz bei Herrn de Maizière. Ich halte das auch für den richtigen Weg, zumal wir ja zwischenzeitlich die Bundeswehr auch für Frauen geöffnet haben. Also warum soll es da dann nicht auch sozusagen alle Möglichkeiten für beide Geschlechter geben? Alle Möglichkeiten heißt inklusive Bundeswehr, aber eben auch das, was du als Alternativen angeführt hast. Ich weiß nicht, ob das hinzukriegen ist. Ich meine, der letzte Versuch, eine ordentliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag hinzukriegen, scheiterte auf fürchterlichste Art und Weise. Aber es wäre wünschenswert, sagen wir so, es wäre wirklich wünschenswert.

00:34:24: Florian Harms: Und das führt mich jetzt zum Abschluss zu der Frage, Herr de Maizière, was braucht es denn jetzt, damit jetzt vielleicht nicht alle, aber ein Großteil dieser wichtigen Vorschläge, die Sie mit den Mitautoren gemacht haben, wirklich in absehbarer Zeit umgesetzt werden?

00:34:37: Thomas de Maizière: Da kommen wir darauf, einen kleinen Schlenker zur Sicherheit zu machen, weil das mehr ist als Wehrpflicht. Wir sind dankbar, dass viele Vorschläge aufgegriffen worden sind, einige im Bereich Sicherheit, aber nicht. Das bezieht sich auf die Einführung eines nationalen Katastrophenschutzes. Das bezieht sich auf eine neue Wehrverfassung. Und das bezieht sich auf das, was man Gesamtverteidigung nennt, also die Zusammenarbeit von zivil- und militärischer Seite, auch mit einer gewissen Verbindlichkeit. Wir haben jetzt nicht die Zeit, das auszuführen. Aber ich möchte nur dringend daran appellieren, dass man diese Vorschläge sich nochmal genauer anguckt. Nur mehr Geld für die Bundeswehr, mehr Soldaten löst das Problem unserer Verteidigungsfähigkeit nicht. So, was muss geschehen, dass es umgesetzt wird? Das Momentum, was jetzt da ist, wo alle sagen, erstens muss was geschehen, zweitens da liegen gute Vorschläge, drittens in der Koalitionsvereinbarung steht es, dieses Momentum darf nicht versickern. Es gab mal ein Papier, früher der Kirche, das wurde tot gelobt. Das war ein schöner Ausdruck, den irgendein Journalist erfunden hat. Und wir möchten nicht mit unseren Vorschlägen tot gelobt werden. Dass alle sagen großartig und wir machen weiter wie bisher. Und deswegen, dass die Umsetzung, die wir anmahnen für Vorhaben, die mahnen wir natürlich auch für unsere eigenen Vorschlage. Da sind Formate wichtig, das habe ich erläutert. Und den Schwung aufrecht zu erhalten, der nötig ist. Leichte Erfolge am Anfang mögen sein, aber dann, wenn es darum geht, Planungs- und Genehmigungsverfahren gründlich zusammenzuschieben, dauert Jahre. Und viele andere Vorschläge, die ich jetzt nicht aus Zeitgründen erläutern kann. Und das ist meine Sorge und meine Bitte zugleich, nicht den Schwung verlieren, sonst verlieren wir sehr viel mehr. Nicht nur gewinnen wir mehr AfD-Wähler, sondern wir werden auch international nach unten weiter durchgereicht. Und das wollen wir alle vermeiden.

00:36:27: Florian Harms: Christoph zum Abschluss, weil das Land ja wirklich polarisiert ist, in Teilen auch hyperventiliert. Man hat manchmal den Eindruck, kann das gelingen, dieses Momentum zu nutzen und den Schwung nicht zu verlieren?

00:36:38: Christoph Schwennicke: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir allesamt auch den Umgang mit den sozialen Medien, und da kommt dieses Hyperventilieren und dieses Polarisieren ja her, immer mehr lernen und ein besonnener miteinander umgehen und ich würde mal sagen, die halbe Stunde Zeit, die wir jetzt hier aufgebracht haben, auch wenn wir uns an der einen oder anderen Stelle respektvoll gestritten haben, die war in der Hinsicht gut investiert und zeigt, dass es eben auch so geht. Besonnen und durchaus auch im Widerspruch über die Dinge zu reden.

00:37:08: Florian Harms: Kritisch besonnen, aber respektvoll, so machen wir weiter. Und ich habe es vorhin versprochen, wir werden den Fortgang begleiten der möglichen Umsetzung dieser Vorschläge. Damit sind wir am Ende dieses Podcasts angekommen. Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinen beiden Gästen, dem ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière. Vielen Dank für Ihre Zeit.

00:37:26: Thomas de Maizière: Sehr gerne, hat mir auch Freude gemacht.

00:37:29: Florian Harms: Und bei Christoph Schwennicke, dem Politikchef von t-online.

00:37:31: Christoph Schwennicke: Auch von meiner Seite herzlichen Dank, Herr de Maizière. Danke dir, Florian.

00:37:35: Florian Harms: Bei Lisa Raphael bedanke ich mich für die Produktion und bei Ihnen allen da draußen fürs Zuhören. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, abonnieren Sie den Tagesanbruch als Newsletter auf t-online, als Podcast, auch auf Plattformen wie Spotify oder Apple Podcasts. Falls Sie Anmerkungen haben, schreiben Sie uns eine E-Mail an podcasts@t-online.de. Nun wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und verabschiede mich in den Sommerurlaub. Aber keine Sorge, der Tagesanbruch erscheint natürlich trotzdem. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen werden Sie jeden Morgen mit allem Wichtigen versorgen. Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert. Am Wochenende geht es in einer längeren Diskussion mit prominenten Gästen um ein aktuelles, politisches Thema. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

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von und mit Florian Harms

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