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00:00:02: Christoph Heusgen: Putin wird wieder irgendwie einen Weg finden, wie er da Trump umschmeicheln kann und deswegen ist es die Stunde Europas. Ich habe den Mann erlebt, ich habe erlebt, wir haben alles versucht, mit dem Minsk-Abkommen ja ihm einen diplomatischen Weg auch zu weisen. Das Einzige, was Putin akzeptiert, ist eine Position der Stärken.
00:00:26: Florian Harms: Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts Tagesanbruch – Die Diskussion. Die vergangene Woche stand im Zeichen der Außen- und Krisenpolitik. Der Krieg und die Waffenruhe zwischen Israel und Iran, russische Luftangriffe auf ukrainische Städte, der NATO-Gipfel mit einer historischen Entscheidung, der erste EU-Gipfel von Bundeskanzler Friedrich Merz. Was bleibt von dieser dramatischen Woche? Wie geht es weiter in der Welt und was bedeutet das alles für Deutschland? Wir wollen die Lage einordnen. Schön, dass Sie zuhören.
00:01:03: Florian Harms: Liebe Hörerinnen und Hörern, es ist ja nicht so, dass innenpolitisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich hierzulande nichts los wäre. Aber die vergangenen Tage waren klar von Krisen im Ausland und der Außenpolitik geprägt. Zum Abschluss dieser bemerkenswerten Woche schauen wir auf die Ergebnisse der Entwicklungen im Nahen Osten, in der Ukraine, bei der NATO und der EU und blicken voraus, was daraus erwächst. Mein Name ist Florian Harms, neben mir im Studio sitzt zum einen Christoph Heusgen. Er war ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinen Nationen in New York, die in der vergangenen Woche ihren 80. Geburtstag begangen haben, erzählte zu den engsten außenpolitischen Beratern der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel und leitete anschließend die Münchner Sicherheitskonferenz, die zu den wichtigsten Plattformen für sicherheitspolitische Fragen zählt. Kurz gesagt, er ist der optimale Podcast-Gast nach dieser Woche. Herzlich willkommen.
00:01:55: Christoph Heusgen: Vielen Dank für die Einladung.
00:01:56: Florian Harms: Und noch ein weiterer optimaler Gast sitzt neben mir. Er heißt ebenfalls Christoph, aber nicht Heusgen, sondern Schwennicke, ist Politikchef und geschätzter Kolumnist von t-online. Hallo lieber Christoph.
00:02:06: Christoph Schwennicke: Hallo Florian und ich freue mich sehr, dass Sie bei uns zu Gast sind, Herr Heusgen.
00:02:11: Florian Harms: Herr Heusgen, beginnen wir mal mit dem Konflikt zwischen Israel und Iran. Das ging ja wirklich tagelang, war hochdramatisch. Und nach einem Machtwort von US-Präsident Donald Trump haben dann die beiden verfeindeten Länder ihren Beschuss eingestellt. Jetzt tobt ein Streit drüber, wie stark die iranischen Atomanlagen denn getroffen worden sind. Sie haben im Interview mit den Kollegen vom ZDF gesagt, dass sie nicht glauben, dass der Iran wirklich massiv geschwächt worden ist bei seinem Atomprogramm. Worauf stützen sie diese Einordnung?
00:02:39: Christoph Heusgen: Ja, ich stütze diese Einordnung auf das, was wir ja hören, was wir hören von der Internationalen Atomenergiebehörde, was wir hören auch von amerikanischer Seite, von den Nachrichtendiensten dort. Und es verdichten sich ja die Informationen darüber, dass es den Iranern gelungen ist, das angereicherte Uran aus Fordow abzuziehen, bevor es bombardiert worden ist. Wir sind in gewissem Sinne leider zurück, wo wir vorher waren. Was schlimm ist, ist, dass das, was für mich mit das Wichtigste ist, nämlich, dass dieses schreckliche Regime endlich verschwindet. Da haben wir leider jetzt mitbekommen, dass es weiter an der Macht ist. Im Gegenteil, es hat jetzt die Zügel nochmal angezogen. Wir hören jetzt in den letzten Tagen von der Vollstreckung von Todesurteilen, von einer Hetzjagd auf mutmaßliche Kollaborateure. Also insgesamt dafür ist es schlecht. Wir wissen jetzt noch nicht, ob der Iran aus dem Atomwaffensperrvertrag aussteigt, ob wir überhaupt noch die Möglichkeit haben werden zu verfolgen, was der Iran in Zukunft auch in Blick auf Anreicherungen macht. Also wir stehen nicht besonders gut da. Aus meiner Sicht gilt das, was immer gegolten hat, nicht nur weil ich Diplomat bin, sondern weil ich glaube, dass solche Probleme nicht durch Gewalt gelöst werden und wir müssen zurück an den Verhandlungstisch, so nah es geht an das, was wir ja schon erreicht hatten 2015, als wir ja mit dem Iran einen Deal hatten.
00:04:18: Florian Harms: Aber erreicht worden ist doch nur, dass das iranische Regime weiter bestehen konnte. Dass es die Hisbollah aufgerüstet hat, die Hamas aufgerüstet hat. Die dann dieses fürchterliche Massaker an Israelis im Oktober 2023 verübt hat. Hätte man nicht jetzt diese Gelegenheit nutzen müssen und sagen müssen, okay, wenn wir schon bombardieren, dann stürzen wir auch dieses Mullah-Regime und machen einen Neuanfang, einen Regime-Change?
00:04:41: Christoph Heusgen: Dieses Land hat 90 Millionen Einwohner, dieses Land hat eine alte Kultur, dieses Land in der Geschichte, erinnern Sie sich an die frühen 50er Jahre, schon mal erlebt, wie ein Regime-Change unternommen worden ist.
00:04:55: Florian Harms: Als der Schah weichen musste.
00:04:59: Christoph Heusgen: Nein schon vorher - in den 50ern - als im Iran man sich auch mal gegen die Ausbeutung durch amerikanische und englische Ölfirmen gewehrt hat. Ein Mossadegh war doch der Premierminister, der ist weggeputscht worden ist. Mithilfe der CIA. Dann ist der Schah, ja mithilfe der CIA, ins Amt gehievt worden. Dieser Schah war ein höchst korrupter Mensch, der auch ein Terrorregime hatte. Es ist so weit gegangen, dass der Westen, Frankreich und andere, selbst Helmut Schmidt hat den fallen gelassen, den Schah, dann Chomeini unterstützt haben. Also Regimewechsel von außen. Ich glaube, wir sollten wirklich aufpassen, was wir machen, wenn wir zurückgucken, auf das, was der sogenannte Westen angerichtet hat im Iran vorher. Das heißt, wir sollen das tun, was auch die Nobelpreisträgerin Mohammadi von 2023 gesagt hat, lasst uns machen, unterstützt uns. Setzt das Regime unter Druck, macht Sanktionen und helft uns, aber nicht von außen, da sind die Oppositionellen auch im Iran einer Meinung.
00:06:03: Florian Harms: Christoph, du bist ja eigentlich der Innenpolitik-Experte, aber zu Donald Trump hast du sicherlich auch eine Meinung. Also selbst wenn wir jetzt sagen, ok, der Schlag gegen das iranische Atomprogramm war vielleicht nicht so erfolgreich, wie zunächst erhofft. Bei der anderen großen Gelegenheit, beim NATO-Gipfel, war es ja schon so, dass Donald Trump dafür gesorgt hat, dass die europäischen NATO-Partner jetzt endlich ihre Verpflichtungen einlösen, sehr viel mehr fürs Militär zu investieren. Ist Donald Trump ein begnadeter Außenpolitiker?
00:06:29: Christoph Schwennicke: Also vorweggesagt, Florian, man kann gar nicht keine Meinung zu Donald Trump haben. Dazu reizt er einfach zu sehr. Der kann einen nicht kalt lassen. Und ja, ich sag's mal etwas zugespitzt und provokant. Vielleicht wenn man in zehn Jahren oder 15 oder auch 20 Jahren draufschaut auf das, was er herbeigeführt hat oder auch hinterlassen hat. Dann muss man vielleicht feststellen, er hat etwas geschafft, was 20 Jahre, korrigieren Sie mich, Herr Heusgen, aber was 20 Jahre nicht geklappt hat, nämlich, dass sich die Europäer, was Verteidigungsfähigkeit anlangt, endlich auf ihren eigenen Hosenboden setzen. Und die Methoden, die er dabei anwendet und auch die Rhetorik, die er dabei anwendet, die sind also gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig bis teilweise fürchterlich. Aber er hat ein Ergebnis gezeigt, das mit anderen Mitteln und anderen Worten über Jahrzehnte nicht herbeigeführt werden konnte. Und das muss man einfach konzedieren. Ich bin gespannt, ob Sie es auch so sehen, Herr Heusgen, oder ob Sie da Widerspruch einlegen würden. Aber noch mal, die Tonlage ist fürchterlich. Das Vokabular übrigens, auch ein sehr reduziertes Vokabular. Was schon ja ein Kindlich-Vokabular ist. Ja, also dagegen hatte Adenauer einen elaborierten Wortschatz, ist schwer erträglich. Aber dieses Ergebnis, ich mein der Bundeskanzler hat gesagt, dieser Gipfel wird in die Geschichte eingehen der NATO, da liegt er nicht so falsch, glaube ich.
00:07:55: Florian Harms: Herr Heusgen, gehen Sie damit? Donald Trump als wirklich jetzt erfolgreicher Außenpolitiker?
00:08:00: Christoph Heusgen: Also bei mir sträubt sich alles dagegen. Wissen Sie, wir Europäer haben ja schon lange gesagt, wir wollen endlich auf eigenen Füßen stehen.
00:08:09: Florian Harms: Aber das eine ist es zu sagen, das andere ist es zum Machen.
00:08:10: Christoph Heusgen: Wir sagen, dass andere das so machen. Wir haben schon den Gipfel in Wales 2014 als historisch bezeichnet, als wir unter dem Eindruck der Annexion der Krim durch Russland dann gesagt haben, so, und wir hoch und heilig versprechen, wir werden jetzt Richtung zwei Prozent Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung auskommen. Das war die Bundeskanzlerin, das war Frau von der Leyen, das war Steinmeier als Außenminister. Hoch und heilig versprochen, historisch, Ich weiß nicht, wie Sie berichtet haben seinerzeit, und dann anschließend kam das dann in die Mühlen der Aufstellung der Haushalte und dann standen wir bei der Invasion 2022 bei 1,3% anstatt bei 2%. Also the proof of the pudding is in the eating. Ich hätte mir gewünscht, wir wären selbst dazu gekommen. Alt-Bundeskanzler Scholz hatte ja die Zeitenwenderede gehalten. Und da hatte man den Eindruck, da werden sie auch alle davon gesagt, das war historisch und ab jetzt geht's aufwärts, wir machen zwei Prozent. Dann haben wir auch gesehen, wie hinterher nichts passiert ist. Jetzt hoffen wir, dass es passiert. Und ich sehe jetzt auch im Haushalt auch langfristige Finanzplanung. Das bildet sich jetzt in Zahlen ab. Ich bin diesmal in der Tat optimistisch, dass das endlich der Groschen gefallen ist.
00:09:24: Florian Harms: Endlich der Groschen gefallen, vielleicht mit bisschen Hilfe der Amerikaner, Christoph. Kann das jetzt noch funktionieren?
00:09:28: Christoph Schwennicke: Ja, ich wollte gerade noch eben ergänzen, dass im Unterschied zu damals sich da dieses Versprechen unmittelbar, jedenfalls im deutschen Haushalt, in einer Dimension wiederfindet, wie ich das nicht für möglich gehalten hätte. Man kann tatsächlich sagen, das Zitat habe ich irgendwo lesen, ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat, deswegen muss ich die Urheberschaft schuldig bleiben. Merz löst jetzt die Zeitenwende ein. Also Scholz hat sie ausgesprochen und Merz setzt sie um. Das ist, glaube ich, die Kurzfassung und das ist schon ungeheuerlich, da wird es auch noch viel Widerstände geben. Es geht ja schon los. Wir erinnern uns alle noch an Frau Matthäus Meyer, die gesagt hat, wir brauchen keine Eurofighter, wir brauchen Kindergärten und so ähnliche Diskussionen wird es auch diesmal wieder geben. Aber es ist enorm beherzt und es ist enorm substanziell und ganz konkret.
00:10:17: Florian Harms: Es ist wirklich konkret und man merkt das ja auch, weil in dieser Woche Finanzminister Lars Klingbeil seinen Haushaltsentwurf eingebracht hat ins Kabinett, der ist dann abgesegnet worden. Und man sieht da schon, im Moment haben wir ja noch große Spielräume aufgrund des Sondervermögens, aber perspektivisch werden natürlich Verteilungskämpfe ausgefochten werden müssen. Denn ich habe irgendwo die Zahl gelesen, dass wir so um 2029 rum etwa die Hälfte des Haushalts für Rente und für Verteidigung ausgeben müssen. Und dann ist ja klar, an anderer Stelle wird es weniger werden. Also Christoph, was kommt da auf das Land zu?
00:10:48: Christoph Schwennicke: Ja, diese Verteilungskämpfe haben im Grunde schon begonnen. Und es gibt so ein paar Indizien dafür, dass die Regierung bei diesem Haushaltsentwurf auch Teile des Geldes verfrühstückt, also des Sondergeldes, sagen wir der extra Schulden, was die Infrastrukturmittel anlangt, Teile dieses Geldes verfrühtstückt für Wahlversprechen, Stichwort Mütterrente-Erhöhung und solche Dinge. Und das wäre natürlich fatal und falsch. Denn wenn das Ganze dann verzischt... Verdampft in Wahlversprechen, teilweise fragwürdige Wahlversprechungen oder deren Umsetzung, anstatt in Brücken zu gehen, die ja dann wiederum auch die Voraussetzungen sind, dass das schwere Panzer drüber fahren können. Da gibt es ja diese Verbindung. Dann wäre das fürchterlich. Das muss sehr genau beobachtet werden jetzt und es gibt so ein paar Indizien dafür, dass der Versuch gemacht wird, das Geld anders wie zu verfeuern.
00:11:41: Florian Harms: Herr Heusgen, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Sicherheitspolitik und das eine ist ja, dass man in der Politik Geld bereitstellt zum Kauf neuer Waffen und ähnliches. Das andere ist ja dass man die Gesellschaft ja auch mitnehmen muss. Wir als Gesellschaft müssen ja resilient werden und bereit werden sehr viel mehr zu tun für unsere Verteidigung. Wie schätzen Sie das gegenwärtig ein? Was muss da noch passieren?
00:12:01: Christoph Heusgen: Ja, ich glaube, das ist der Schlüsselpunkt. Ich glaube, eine Regierung kann auf Dauer nur ein solches Programm durchsetzen, wie Schwennig jetzt gerade dargestellt hat, wenn die Bevölkerung dahintersteht. Wir haben mit der Münchner Sicherheitskonferenz eine Veranstaltungs-Serie gemacht, die hieß Zeitenwende on Tour, weil wir damit mit den Menschen vor Ort in Town Halls reden wollten. Und da ist schon viel Verständnis, aber es muss weiter erklärt werden. Es hilft dann auch nicht, wenn wir sagen, ja, wir machen das jetzt, weil Trump das möchte. Wir müssen den Menschen auch nochmal ganz klaren Wein einschenken, dass wir bedroht werden. Ich weiß nicht, ob Sie berichtet haben über die letzte Rede von
00:12:43: Florian Harms: Auf dem Wirtschaftsforum St. Petersburg, da hat er sinngemäß gesagt, überall da, wo ein russischer Soldat seinen Stiefel hinsetzt, das gehört uns.
00:12:50: Christoph Heusgen: Und sorry, aber russische Soldaten hat es in Ostdeutschland gegeben, russische Soldaten hat es den Skandinavien gegeben, unterm Zarenreich, die hat es im Baltikum gegeben. Fragen Sie die Skandinavier, fragen Sie die Balten, was sie glauben, was passiert. Wie in Finnland ist innerhalb weniger Monate von 20 auf 80 Prozent die Zustimmung zu einer NATO-Mitgliedschaft, weil die Leute das Gefühl haben, ja, die Bedrohung ist reell. Putin sagt es ja. Und ich glaube da... In Deutschland immer noch ein Defizit. Viele Leute glauben nicht, dass Putin es ernst meint. Und ich habe den Mann erlebt, ich habe erlebt, wie er fallen, wir haben alles versucht mit dem Minsk-Abkommen, ja, ihm einen diplomatischen Weg auch zu weisen. Und wir hätten aus dieser, das heißt, er hat das ja in die Tonne getreten, er das Land überfallen, er macht diesen Neo-Imperialismus und wir müssen uns einfach im Klaren sein. Ich glaube, da muss noch mal die Ansage klar sein. Und wenn dann versucht wird irgendwie ja man muss nur verhandeln und man trifft sich in Baku irgendwie es geht ja schon weiter mit den Russen nein das einzige was Putin akzeptiert ist eine Position der Stärke und das muss müssen die Leute verstehen
00:13:59: Florian Harms: Ganz kurz, weil mich das noch mal interessiert. Das interessiert auch viel unsere Hörer, glaube ich, weil sie so nah dran waren, weil sie damals bei Verhandlungen mit den Russen und Putin dabei waren. Putin hat sich ja wahrscheinlich auch verändert in den vergangenen Jahren. Er tritt uns jetzt entgegen als imperialistischer Aggressor. Sehen Sie irgendwo in seinem engsten Zirkel oder auch in seiner Persönlichkeit Ansatzpunkte, wo man angreifen könnte und sagen könnte, da können wir ihn kriegen, damit er dann doch eben irgendwann bereit ist zu einer Waffenruhe in der Ukraine?
00:14:26: Christoph Heusgen: Also ich habe in der Tat Putin seit 2005 erlebt. Es gibt zwei Putins, den bis etwa 2011, als Medvedev zurücktrat. Er ist dann wieder ins Amt gekommen. Die größten Demonstrationen der Geschichte Russlands. Und dann hat er gesehen, was in der arabischen Welt passiert, die umstürzt. Und dann ist er umgeschwenkt auf den Nationalismus, Neopatriotismus und so weiter. Und die Leute stehen hinter ihm. Er beherrscht das Narrativ, er beherrschte alle Medien. Die Leute glauben, dass Russland jetzt in der Defensive ist. Von da droht jetzt nicht so viel Gefahr. Ich sehe das Beste darin, dass wir fortsetzen müssen bei Sanktionen. Der Wirtschaftsminister Russlands hat jetzt offiziell zugegeben, dass sie in Rezession gehen. Das Staatsvermögen geht runter und dieses Land verarmt auf Dauer. Und die Frage ist, wie lange hält das Russland durch? Wann werden die Oligarchen auch irgendwie nervös werden? Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass wir einen langen Atem haben, dass wir Sanktionen vorsehen. Es muss irgendwie gelingen, auch Chinesen und Inder mal dazu zu kriegen, dass sie nicht das billige russische Gas aufkaufen. Wir müssen da eine größere Allianz hinbekommen. Aber wir müssen einen langen Atmen haben. Die russische Bevölkerung kann leiden.
00:15:43: Florian Harms: Ganz schön hart, Christoph, wie schaust du drauf?
00:15:46: Christoph Schwennicke: Die russische Bevölkerung kann leiden, hat der Heusgen gerade gesagt. Und ich fürchte wir nicht. Denn Sie haben es zu Recht gesagt, Herr Heusgen, das Geld ist ja das eine. Aber der Mentalitätswechsel ist das entscheidende Geld. Also die Moneten sind schneller aufzutreiben als der Mentalität Wechsel. Und ich finde es sehr ehrenwert, dass Sie diese Tour gemacht haben. Zeitenwende on Tour, um das wirklich auch unter das Volk zu bringen. Mich hat bestürzt diese Woche. Dass der Juso-Chef Türmer, ich glaube, Philipp Türmer heißt er, wir hatten zuerst darüber berichtet, jetzt auf den Parteitag hin der SPD einen Antrag eingebracht hat, dass die Wehrpflicht eben nicht, selbst in dieser soften Version der freiwilligen Wehrpflicht, wieder eingeführt werden soll. Ich glaube, dieser junge Mann hat den Schuss nicht gehört. Ich glaube das ist eine fürchterliche Mischung aus Hedonismus und Wirklichkeitsverweigerung, was sich da manifestiert. Und wenn das nicht in die Köpfe vor allem der jungen Leute reinkommt, dass sich was fundamental verändert hat, dann haben wir da noch ganz, ganz viel Arbeit vor uns.
00:16:51: Florian Harms: Herr Heusgen, braucht es eine Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht?
00:16:53: Christoph Heusgen: Wir müssen die Fähigkeitsziele umsetzen, die die NATO gesetzt hat. Also es heißt immer so, wir tun den Gefallen Trump mit den 3,5 Prozent. Nein, diese 3, 5 Prozent sind ja hinterlegt mit Fähigkeiten Luftabwehr. Wir müssen Manpower haben, um gegen einen russischen Angriff gewappnet zu sein. Dafür braucht es 60.000 zusätzliche Soldaten, heißt es. Und man muss sehen, wie man in die 60.000 zusätzlich bekommt. Ich finde die Idee von Pistorius jetzt einen Antrag zu machen, weil er sagt okay, lass mal versuchen freiwillig, indem man in die Schulen geht, indem jeder muss ein Formular ausfüllen, dann muss man sehen, kriegen wir genug und wenn nicht, dann müssen wir notfalls in die Wehrpflicht gehen. Also und ich hoffe sehr, dass sich Pistorius damit auch in seiner eigenen Partei durchsetzen kann.
00:17:40: Florian Harms: Schwierig genug, denn ich nehme das auch wahr, auch aus anderen Parteien, das ist ja nicht nur die SPD, auch bei den Grünen, die jetzt da nicht unmittelbar zustimmen müssen, aber auch bei der FDP, war das in der Ampel schon enorm schwierig und das zeigt ja, genau wie du das gesagt hast Christoph, in der Gesellschaft ist bei vielen, natürlich auch bei Jüngeren, die unmittelbar betroffen werden, noch überhaupt nicht die Bereitschaft da, eben jetzt einzustehen für die Sicherheit des eigenen Landes. Ich habe aber häufig auch den Eindruck, dass aus der Politik jetzt noch nicht die entscheidenden Signale gesetzt werden. Also so eine Ruckrede. Leute, jetzt ist es wirklich ernst. Ihr müsst jetzt zur Waffe greifen oder, wenn ihr das nicht wollt, einen Ersatzdienst leisten. Also hast du das schon so gehört?
00:18:17: Christoph Schwennicke: Ja, also die Rede jetzt von Merz oder die Worte von Merz auf dem NATO-Gipfel gingen schon deutlich in diese Richtung. Da reicht einmal natürlich nicht. Wir erinnern uns an den Begriff, an dem ich mich selber erst sehr gestoßen habe, muss ich zugeben. Wir müssen kriegsbereit werden, hat der Verteidigungsminister gesagt.
00:18:35: Florian Harms: Kriegstüchtig, glaube ich, ne?
00:18:36: Christoph Schwennicke: Kriegsbereit meine ich. Ich meine sogar kriegsbereit, ist auch letztlich egal. Das entscheidende Wort, das wird nicht bereit und tüchtig, sondern Krieg. Er hat nicht gesagt verteidigungsfähig. Er hat absichtlich das Wort Krieg benutzt und ich dachte, muss das sein? Damals habe ich flammende Kommentare dagegen geschrieben, gebe ich offen zu. Und heute sage ich, vielleicht musste er diesen Holzhammer rausholen, um mal so richtig auf den Kopf zu schlagen und den Leuten bewusst zu machen, den Gong zu schlagen, was die Stunde geschlagen hat. Und ich komme noch mal auf Herrn Türmer und die Jusos zurück. Jugend hat das Recht, sich zu irren. Ich hab mich auch geirrt in diesem Alter und bin mit meinem Mofa damals vor die Wiley Barracks in Neu-Ulm gefahren. Da sollten die Pershing 2 stationiert werden. Wir haben wild dagegen demonstriert und hat sich gut gefühlt dabei. Das war alles in Ordnung. Ton Steine Scherben haben gespielt und Peter Maffay auch. Da war übrigens so, dass dann welche gerufen haben, lieber Pershing 2 als Peter Maffay. Das hätte von mir kommen können. So, aber ich weiß inzwischen, wir lagen falsch. Es war richtig und wichtig, dass so unschön es ist, wenn Atomraketen stationiert werden. Aber trotzdem müssen wir Leuten wie Herrn Türmer versuchen, klarzumachen, dass es sein muss. Leider Gottes. Ich war selber Wehrpflichtiger. Das waren jetzt nicht die schönsten Monate meines Lebens, gebe ich zu. Aber es hat vielleicht auch nicht geschadet, dass ich weiß, wie man ein G3-Gewehr mit einem Turnbeutel über dem Kopf auseinanderbauen und wieder zusammenbauen kann. Und zwar mit Stoppuhr, ja.
00:20:01: Christoph Heusgen: Darf ich vielleicht kurz einwerfen? Es hat ja eine Rede, ich glaube im letzten Jahr hat das oder einen Vorschlag des Bundespräsidenten gegeben, der gesagt hat, er ist für die Wiedereinführung oder für die Einführung eines, einer Art sozialen Pflichtjahres für jeden Deutschen. Das kann bei der Bundeswehr sein, das kann in der Pflege sein, dass kann in Vereinen sein. Und ich komme ja viel rum, halte viele Reden, wie gesagt, Zeitenwende und Tour vor einer Zeit, auch jetzt. Wenn dieser Vorschlag kommt, bekommt man schon sehr viel Applaus, und zwar auch in dem ich mache das immer im Zusammenhang, sage wir müssen als Gesellschaft zusammenstehen. Und mache ich mir das Beispiel, was sind die glücklichsten Länder in Europa? Nur mal, oder in der Welt, das ist Finnland. Finnland hat die Wehrpflicht, die finnische Gesellschaft steht zusammen. Ganz oben ist die Schweiz, hat auch Wehrpflicht. Also diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft, glaube ich, kann man darüber bekommen. Dafür braucht man eine Grundgesetzänderung, kriegen wir wahrscheinlich unrealistisch. Aber dieser Gedanke gesellschaftlicher, und ich will jetzt auch mal, Sie haben den Türmer, den Juso-Vorsitzenden angesprochen. Ich habe viele Jugendliche erlebt, die in Vereinen, an Universitäten ehrenamtlich unterwegs sind mit einer Begeisterung, wo ich sage, ich weiß nicht, ob in meiner Generation das war. Also wir dürfen das auch nicht schlecht reden. Es gibt viele, die sind sich bewusst darüber, dass unsere Gesellschaft zusammenhalten muss und die auch die entsprechenden Anstrengungen erbringen. Das sollte man auch hervorheben. Man sollte solche Beispiele auch bringen. Sagen, das ist die junge Generation nicht immer, nee, es war alles besser zu unserer Zeit. Nein, es waren nicht besser und es gibt heute tolle, wahnsinnig tolle jungen Leute, die im Ehrenamt sind.
00:21:37: Florian Harms: Tätig sind. Das stimmt, wir haben auch in dem Podcast schon mit jungen Menschen darüber geredet und zur Wahrheit gehört jetzt halt auch, jetzt sitzen hier drei ältere Herren, zumindest mal über 50, sagen wir es mal höflich. Und wenn ich mit Jüngeren mich unterhalte, dann höre ich von denen häufig, ja klar, wenn ich mich selber entscheide, was ich machen möchte in meinem Leben, dann bin ich bereit dazu, aber nicht, wenn der Staat mich irgendwie dazu verpflichtet. Erst recht nicht in einer Zeit, wo ich gar nicht weiß, was mich künftig erwartet. Das Rentensystem ist kaputt, das Klima ist kaputt. Ich weiß gar nicht, wie es weitergehen wird. Und jetzt wollt ihr auch noch, dass ich zur Waffe greife. Also ich glaube eben, da gibt es wirklich einen großen gesellschaftlichen Diskussionsbedarf. Deshalb finde ich Veranstaltungen wie die, was Sie genannt haben, sehr gut. Und ich glaube, das muss noch viel stärker rein. Christoph, du hast die Parteien benannt, aber wahrscheinlich auch in die Schulen, dass man diese Debatten führt. Gleichwohl. Ich würde gerne zum Schluss unseres Gesprächs noch mal einmal auf die Ukraine schauen, Herr Heusgen, weil Sie sich da auch sehr gut auskennen. Bei diesem NATO-Gipfel war ich jetzt dabei in Den Haag und es war völlig klar, es ging ausschließlich um eine Person, um Donald Trump und dann abgeleitet davon, um die Verpflichtung der Europäer sehr viel mehr Geld für Verteidigung auszugeben. Die Ukraine kam nur am Rande vor, Selenskyj durfte zwar zum Begrüßungsdinner im Königspalast, aber saß da mehr oder weniger am Katzentisch und dann in der großen Runde Arbeitssitzung und drum herum hat er im Gegensatz zum vergangenen Jahr, Gipfel unter Joe Bidens Ägide in Washington, keine Rolle gespielt. Haben Sie denn den Eindruck, dass jetzt angesichts der gegenwärtigen Entwicklung, vor allem der Nahostkrise, die Ukraine so ein bisschen in den Hintergrund zu geraten droht, auch seitens der Amerikaner?
00:23:06: Christoph Heusgen: Ja, diese Befürchtung haben wir ja seit Anfang an, das hatte Angela Merkel schon 2017, als Trump ins Amt kam. Die Befürchtung wird er unsere Politik genauso weiterführen. Und das ist bis heute ein Unsicherheitsfaktor. Wir können hoffen, dass er das versteht. Das war ja schon positiv, dass der sich, die haben es nicht erwähnt, er hat sich ja doch zu einem bilateralen, also im Gespräch getroffen. Also das war ja vorher nicht geplant. Wir können nur darauf hoffen, dass die Amerikaner ihre Hilfen fortsetzen. Ist es garantiert? Nein, ist es nicht. Putin wird wieder irgendwie einen Weg finden, wie er da Trump umschmeicheln kann. Und deswegen ist es die Stunde Europas. Wir müssen die Ukrainer unterstützen. Die Ukrainer werden nicht aufgeben. Sie erleben, was ihnen passiert. Sie erlebe das ja in den besetzten Gebieten von Butscha bis Mariupol und Irpin und so weiter. Die werden kämpfen. Das ist eine tolle Armee, die ist ja unglaublich innovativ und wir müssen sie da weiter nach Kräften unterstützen. Putin hat ja gesagt, Ukraine will der Ganz haben und anschließend macht er weiter. Das heißt, wenn wir die Ukraine verteidigen, dann verteidigen wir uns selbst. Und es ist ja auch richtig, dass die von uns besprochenen 3,5 Prozent auch angerechnet werden auf die Hilfen für die Ukraine. Das ist in der Logik unserer Selbstverteidigung.
00:24:25: Christoph Schwennicke: Es hat mal einer gesagt, unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Peter Struck damals, Verteidigungsminister, SPD. Ich würde mal sagen, was Herr Heusgen gerade zusammengefasst hat, stimmt auf jeden Fall noch mehr. Das heißt nicht, dass das andere nicht auch gestimmt hat. In der Ukraine wird unsere Sicherheit unmittelbar verteidig. Und weil wir vorhin auch über Mentalitäten gesprochen haben, sie haben es auch anklingen lassen, das ist ein unfassbar tapferes, starkes Volk. Und ich möchte mir nicht vorstellen, wie unser Land da stünde in so einer Situation. Und allein das schon muss einen motivieren, alles, aber auch alles an Unterstützung diesem Land zu geben, weil, wie Herr Heusgen zu Recht gesagt hat, Putin wird da nicht haltmachen.
00:25:07: Florian Harms: Also alles heißt auch den Taurus liefern.
00:25:10: Christoph Schwennicke: Da war ich lange auch sehr zurückhaltend, wie du weißt. Es ist ja auch keine Sache, dass man mit großem Hurra jetzt Militärgerät abgibt, das tatsächlich das Potenzial hat, dann Moskau zu treffen. Das ist ja im Grunde die Sache bei diesen Marschflugkörpern. Aber ich bin inzwischen so weit, dass ich sage, ja, es muss mit zum Arsenal gehören.
00:25:29: Florian Harms: Sie stimmen dazu, wenn ich mich recht erinnere, Herr Heusgen...
00:25:30: Christoph Heusgen: Ich war da von Anfang an dafür und die Ausreden ja der braucht Bundeswehr dabei, das geht nicht. Das stimmt ja alles nicht, weil wir liefern es an Südkorea ohne dass ein Bundeswehr-Soldat beteiligt ist. Wir sollten es machen. Ich finde es gut, dass Merz jetzt nicht da groß drüber redet, was er liefert. Ich hoffe nur, dass in der Sache er tatsächlich das auch liefert. Wir müssen irgendwie Putin zu verstehen geben, dass er diese Sache nicht gewinnen wird.
00:25:54: Florian Harms: Reicht das, was jetzt getan und gemacht wird, oder braucht es noch sehr viel mehr? Nicht nur an Waffen, sondern auch an Geld, an Unterstützung.
00:26:02: Christoph Heusgen: Es wird nie ganz reichen. Wir müssen sehen, wie können wir gezielt die Ukraine unterstützen. Wir sollten auch viel mehr dann anstatt teuer hier bei uns produzieren, in der Ukraine produzieren. Wir sollten bei der Entwicklung der Drohnen, der Abwehrfähigkeiten, da kann man ja auch mit kleinem Geld sehr viel erreichen, da unterstützen. Da sollten wir sehr viel offener sein und so viel wie möglich machen. Ich glaube, dass in der Bundesregierung ist auch die Einschätzung gar nicht so anders als das was wir hier besprechen. Es ist in der Koalition nicht so einfach, kann ich mir vorstellen, aber der Grundkonsens ist da und da müssen wir jetzt vorangehen.
00:26:41: Florian Harms: Ein klarer Appell zum Abschluss dieses Gesprächs. Vielen herzlichen Dank, denn damit sind wir am Ende angekommen. Dankeschön an Sie, Christoph Heusgen.
00:26:48: Christoph Heusgen: Vielen Dank für die Einladung.
00:26:50: Florian Harms: Und herzlichen Dank auch an den anderen Christoph.
00:26:52: Christoph Schwennicke: Ja, ich danke auch und bleiben sie munter, trotz allem.
00:26:56: Florian Harms: Bei Lisa Raphael bedanken wir uns für die Produktion dieses Podcasts. Und bei Ihnen allen, die Sie uns zugehört haben, dafür, dass Sie Zeit für uns hatten. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, abonnieren Sie den Tagesanbruch als Newsletter auf t-online, als Podcast überall, wo es Podcasts gibt. Wenn Sie Anmerkungen haben, schreiben Sie uns eine E-Mail an podcasts@t-online.de. Nun wünsche ich Ihnen ein sonniges und hoffentlich friedliches Wochenende. Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.