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00:00:02: Dr. Tobias Schmid: Die Gesetzgebung, die Gesellschaft, ist sehr lange einem nachhaltigen Irrtum aufgesessen. Und der Irrtun war, die Plattformen werden das schon irgendwie selber regeln. Und zugleich ist es eine Gefahr, auf die es superschwer ist, eine Antwort zu finden. Denn jeder Eingriff, den wir vornehmen würden, ist ja immer auch ein Eingliff sozusagen in der Herzkammer der Meinungsfreiheit.
00:00:20: Florian Harms: Aber es kommt ja hinzu, dass diese Algorithmen eben Spaltung belohnen, Zuspitzung belohne, Hass belohnt und so auch Lügen hoffähig und salonfähig machen.
00:00:32: Lisa Raphael: Hallo und herzlich willkommen zu Tagesambuch, die Diskussion für das Wochenende vom 31. Mai 2025. Ich bin Lisa Raphael und moderiere dieses Format. Die USA haben es im Januar für ein paar Stunden geschafft. TikTok abschalten. Die Amerikaner fürchteten Spionage aus China und haben deswegen ein Gesetz erlassen. Trump hat das dann wieder ausgesetzt. Wenige Stunden später war TikTok wieder online. Warum ist es so schwer, gegen solche großen sozialen Netzwerke anzukommen? Wie ist die Situation in Deutschland und der EU? Könnten wir hierzulande Instagram, TikTok und Co. verbieten? Und für die Diskussion begrüße ich Dr. Tobias Schmidt. Er ist Jurist, hat schon bei RTL im Medienrecht gearbeitet, war Vorstandsvorsitzender des Verbands Privater Rundfunk und ist seit 2016 Direktor der Landesmedienanstalt NRW. Er verhandelt in seiner Position dort auch auf EU-Ebene die Medienregulierung für Deutschland und ist Europa-Beauftragter der Direktorenkonferenz der Medienanstalten. Herzlich Willkommen, Herr Dr. Schmidt und vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen.
00:01:38: Dr. Tobias Schmid: Sehr gerne und vielen Dank für die Einladung.
00:01:40: Lisa Raphael: Uns im zweiten begrüße ich den Chefredakteur von T-Online, Florian Harms, der sich auch, sei es privat, in der Familie oder hier für T-online thematisch immer mal wieder mit diesem Thema auseinandersetzt. Hallo Florian und schön, dass du da bist.
00:01:52: Florian Harms: So ist es, liebe Lisa, hallo auch von mir an alle Hörerinnen und Hörern.
00:01:55: Lisa Raphael: Genau. Und wir sind hier oft schon in unseren Podcast-Diskussionen auf diesen Punkt gestoßen, wo wir nicht mehr weiter wussten mit der Frage, warum ist es denn nun so schwer, soziale Netzwerke wie Facebook oder Instagram zu verbieten oder wenigstens stärker in die Schranken zu weisen? Fangen wir aber mal mit einer etwas lockereren Einstiegsfrage an. Herr Schmidt, Sie haben auch zwei Kinder, wie ich gelesen habe. Wissen Sie denn, wie viel Zeit diese in den sozialen Netzwerken verbringen?
00:02:20: Dr. Tobias Schmid: Ja, ich habe zwei Kinder und schon alleine, weil die nicht ganz doof sind, achten sie sehr darauf, dass ich das nicht so genau weiß. Die sind allerdings inzwischen auch schon beide volljährig, insofern es ist ja auch ein bisschen deren eigenes Ansinnen. Aber ich hatte kürzlich bei einer Veranstaltung den schönen Moment, als ich aufgeregten Eltern die einfache Wahrheit beibringen musste, dass es so ist, dass wenn Kinder erst mal ihr erstes Smartphone haben, dass das sozusagen auch das erste Mal ist, dass die ausziehen. Die ziehen dann nämlich in ihr Smartphone ein. Und dort verbringen sie dann erst mal sehr viel Zeit. Und das ist so, daran werden wir wohl nicht sehr viel ändern können. Und ich glaube, es ist auch besser, wenn wir einfach in diesem Fall dann auch als Eltern oder als Gesellschaft oder als Schulen uns daran gewöhnen, mit diesem Umstand umzugehen und nicht zu glauben, dass er wieder weggeht.
00:03:04: Lisa Raphael: Ja, Florian, was gibt es für Regeln bei euch zu Hause? Wie viele Social Media oder Videospiele sind da erlaubt?
00:03:10: Florian Harms: Lisa, das ist ein Riesenthema. Das kannst du dir vorstellen bei drei Kindern. und ich muss offen gestanden sagen, ich habe die Verantwortung, die man als Vater hat. Und da geht es mir vielleicht ein bisschen ähnlich wie das, was Sie erlebt haben. Herr Schmidt zu Beginn beim ersten Kind unterschätzt und bei den zweiten und dritten Kind übertreibe ich es jetzt vielleicht ein bisschen. Also bin sehr dahinterher, das zu kontrollieren. Ich kontrolliere das über mein eigenes Smartphone. Und ich bin ständigen diplomatischen Verhandlungen, komplexen Gesprächen darüber, ob man noch zwei Minuten mehr Zeit bekommt für Brawl Stars oder für Minecraft. Und wenn nicht, ob man vielleicht noch ein kleines bisschen Spotify drauflegen könnte, dann sehe ich aber, dass man bei Spotify auf einmal auch irgendwelche Videos gucken kann. Also ich kaum noch hinterher und das zeigt dann eben nicht nur wie groß die Verantwortung ist, sondern wie groß auch die Risiken sind, wenn man Menschen wie Kindern, die eben noch nicht die Medienkompetenz haben, wie vielleicht du oder ich oder Herr Schmidt, einfach diesen Geräten ausliefert und den Algorithmen ausliepert.
00:04:11: Lisa Raphael: Genau, Florian, du sprichst es schon an, gerade bei Heranwachsene ist eben diese Gefahr, weil das Gehirn auch noch nicht ganz so vollends entwickelt ist und sie auch noch nicht so resistent gegen Stress, Krisen, negative Inhalte sind. Die DRK Mediensucht-Studie hat da zum Beispiel herausgefunden, dass etwa ein Viertel der 10- bis 17-Jährigen in Deutschland soziale Medien in einem potentiell gefährlichen Ausmaß nutzt. Rund sechs Prozent gaben in dem Fragebogen an, dass sie durch Social Media andere Aufgaben im täglichen Leben vernachlässigen, also wie dann zum Beispiel Schule, Hausaufgaben. Jetzt steht ja oft diese Forderung im Raum und wir haben es auch von unseren Hörern in Zuschriften oft schon gehört. Können wir denn diese Portale nicht einfach verbieten? Herr Dr. Schmidt, wäre denn so eine Abschaltung von Instagram oder TikTok möglich?
00:04:59: Dr. Tobias Schmid: Ja, das ist eine gute Frage, auf die ich vielleicht auf zwei Ebenen antworten möchte. Die erste ist, wir müssten dann erst mal definieren, wogegen haben denn diese Plattformen verstoßen. Also sozusagen ist es ja, wie das so ist in einem Rechtsstaat. Natürlich kann man gegen ein Unternehmen vorgehen, wenn ein Unternehmen sich nicht an Recht und Gesetz hält. Das, was uns aber ja sehr oft bei den sozialen Medien stört, ist ja gar nicht so sehr das Verhalten der Plattform. Dazu kommen wir vielleicht gleich noch. Sondern vor allen Dingen das Verhalten von einzelnen Individualpersonen. Also Hass, Hetze, Cyber Grooming, also sexualisierte Kontaktaufnahme, all diese Dinge passieren in diesen Medien. Aber sie passieren ja nun zunächst mal durch eine andere Person. Und wie das so ist, verantwortlich ist dann erst mal die andere Person, ich bilde mal das einfache Beispiel. Sie verbieten ja auch nicht den Betrieb einer Autobahn, nur weil dort jemand gegen das Tempolimit verstößt. Also das muss man sozusagen zumindest einmal für sich beantworten. Und das Zweite ist... Eher so eine ordnungspolitische Überlegung. Wissen Sie, natürlich ist das eine totale Herausforderung für uns als Gesellschaft, diese digitale Welt sozusagen neu einzufrieden. Wir müssen mit Sicherheit hier noch ganz viele Antworten finden. Aber ich finde, die Idee, es einfach zu verbieten, ist auch so ein bisschen eine gesellschaftliche Kapitulation. Also nur weil einem sonst nichts mehr einfällt, zu sagen, dann schalten wir jetzt mal den Rums ab. Das finde ich ein bisschen ärmlich. Also da hoffe ich doch, dass uns noch was Besseres einfällt. Und das letzte Argument. Dass ich ins Feld führen möchte, ist, ich glaube, es ist am Ende ganz einfach. Wir werden diese Zahnpasta nicht mehr zurück in die Tube bekommen. Also wir können jetzt die eine Plattform verbieten, dann wird das die nächste werden. Also insofern würde ich dazu raten, dass man sich eher darüber Gedanken macht. Erstens, wie kann man klare Regeln für solche Plattformen auch gesetzlich so definieren, dass klar ist, woran sie sich halten müssen und diese Regeln dann auch konsequent durchsetzen? Und zum Zweiten, wie können wir dafür sorgen, dass wir diesen Umgang mit diesen Medien in der Ausbildung vor allen Dingen von Schülerinnen und Schülern mit einer größeren Aufmerksamkeit versehen, damit Kinder und Jugendliche eben frühzeitig lernen, dass das ein ganz toller Raum ist. Das ist ja ein unheimlich demokratisches Medium, aber es hat eben auch total viele Gefahren vom sexualisierten Kontakt über die Desinformation bis zur Konfrontation mit Hass und Hetze. Und das muss man lernen. Und ich glaube, dass wir hier ein bisschen umdenken müssen. Also meine Empfehlung wäre weniger über ein Totalverbot nachzudenken, sondern eher darüber nachzudenken, dass man die Regeln innerhalb dieser Welt klarer zieht und konsequenter umsetzt und gleichzeitig sich mehr darüber Gedanken macht, wie man Kindern und Jugendlichen, aber ehrlich gesagt auch Erwachsenen vielleicht ein bisschen besser erklären kann, dass das ebenso ist wie jeder Lebensraum. Auch dieser hat ein paar Gefahren.
00:07:36: Florian Harms: Ich finde, da zeichnen Sie ein treffendes Bild, Herr Schmidt, mit der Autobahn. Also der Vergleich, dass wir Autobahnen haben und da gibt es eben Regeln und wer die Regeln überschreitet, der wird dann sanktioniert. Das ist doch das große Problem, dass wird das eben bei den sozialen Plattformen überhaupt nicht tun. Wir greifen die nicht mit den richtigen Regeln an. Facebook ist rund 20 Jahre alt und wir haben in diesen 20 Jahren als Gesellschaft, aber auch als Politik, als Gesetzgeber noch nicht ansatzweise den richtigen Umgang gefunden damit. Und wenn Sie sagen, wir müssen uns darüber Gedanken machen, dann ist mir das offen gestanden zu wenig. Die Gedanken hätten wir uns vor 10, 15 Jahren machen müssen. Jetzt braucht es wirklich Antworten. Warum? Weil wir ja sehen, dass diese Plattform mit ihrer schieren Allmacht, mit ihren Algorithmen nicht nur angefangen haben, sondern längst dabei sind, unsere Gesellschaften tiefgreifend zu verändern. Wir hatten jetzt gerade das Beispiel. Dass man eine regelrechte Sucht entwickelt. Sie haben Treffen gesagt, man lebt als Kind dann mittlerweile in seinem Smartphone, nicht mehr in der echten Welt. Dann verlernt man ja auch soziale Beziehungen, soziale Bindungen. Aber es kommt ja hinzu, dass diese Algorithmen eben Spaltung belohnen, Zuspitzung belohnt, Hass belohne und so auch Lügen hoffähig und salonfähig machen. In Amerika glauben Studien zufolge 40 Prozent der Bevölkerung, dass die Wahl zwischen Donald Trump und Joe Biden, wir erinnern uns damals, gefakt war. Und das sind Lügen, die Trump und seine Leute systematisch verbreitet haben über die sozialen Medien. Und das kommt bei den Leuten an. Und wenn man mal den Boden verlässt, dass man als demokratische, pluralistische Gesellschaft sich an Fakten orientiert und auf der Basis von Fakte überlegt, wie man weitermachen will als Land, dann gerät vieles ins Wanken. Und vielleicht ein letzten Punkt dazu. Ich habe kürzlich ein Interview geführt mit Francis Fukuyama. Das ist einer der großen Vordenker der amerikanischen Politikwissenschaft. Hat schon viele gesellschaftliche Trends nicht nur analysiert, sondern tatsächlich auch richtig prognostiziert. Und den habe ich gefragt, was denn eigentlich der Grund dafür ist, das in den demokratischen Gesellschaften des Westens der Populismus erstarkt. Und dann hat er ein paar ökonomische Gründe genannt und politische Gründer, soziale Gründe, kam dann aber zu dem Punkt, dass er sagte, der entscheidende Punkt und der entscheide Grund für den Populismus und für die zunehmende Spaltung ist Social Media, weil die Menschen nur noch in Filterblasen unterwegs sind, weil sie übereinander statt miteinander reden, weil sie Lügen glauben, weil sie gar nicht mehr rauskommen aus diesen geschlossenen kleinen Blasen, weil sie eben in ihrem Smartphone leben, wie Herr Schmidt sagt. Und das dürfen wir doch nicht mehr tolerieren. Und deshalb ist eben der entscheidende Punkt meiner Ansicht nach. Wir müssen erstens die Plattform Betreiber zwingen, ihre Algorithmen offen zu legen, damit man wirklich sieht, wie funktionieren die denn, dann kann man sie nämlich auch besser kontrollieren. Und zweitens müssen wir doch die Plattformbetreiber genauso gewichten, wie man ein Medium gewichtet. Also ich als Chefredakteur von T-Online habe die Verantwortung dafür, dass die Inhalte auf T-online wahrheitsgemäß wiedergegeben werden. Herr Mark Zuckerberg hat das überhaupt nicht, weil eben... Instagram, Facebook, aber auch TikTok und X, nicht als Medien eingeordnet werden, sondern als Plattform. Und da darf jeder jeden Stuss verbreiten. Und solange es diese Verantwortung eben nicht gibt, der Plattformbetreiber wird das immer so weitergehen. Das ist das Problem.
00:10:59: Lisa Raphael: Was entgegnen Sie, Herr Schmidt, und vielleicht können Sie es nochmal erklären mit den Plattformen, ein bisschen auch aus rechtlicher Situation.
00:11:06: Dr. Tobias Schmid: Also ich glaube, dass Herr Harms und ich hier keinen Dissens haben. Die Herausforderung dessen, was Herr Harams beschrieben hat, ist, wie zerlegen wir das jetzt so, dass das operationalisierbar wird. Also die Betrachtung ist jetzt erst mal dem Grunde nach richtig. Ich fange mal vorne an. Ich glaube, das erste, was man konstatieren muss und das ist, das ist jetzt erstmal so, wie es ist. Ich will es jetzt gar nicht unnötig bewerten, aber ich glaube wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, bei dem man spätestens nach den letzten Aussagen von Herrn Zuckerberg oder Herrn Musk sagen muss. Die Gesetzgebung, die Gesellschaft ist sehr lange einem nachhaltigen Irrtum aufgesessen und der Irrtun war, die Plattformen werden das schon irgendwie selber regeln. Also wir haben ja auch sehr lange so getan, als wäre das am Ende so, dass Herr Musk oder Herr Zuckerberg oder wer auch immer sich hinsetzt und sich selbst um Hass, Hetze, Desinformation und ähnliches kümmert. Wenn ich ehrlich sein darf, da war ich noch nie so ein Riesenfan von, weil ich die Idee, dass das eine Individualperson finde, die außerdem mit diesem Geschäftsmodell furchtbar viel Geld verdient. Im Sinne einer Gesellschaft löst, das hielt ich für unwahrscheinlich und nun zeigt sich auch so ist es auch. Das bedeutet und das ist die erste Konsequenz und so habe ich Herrn Harms auch verstanden und da stimme ich ihm vollkommen zu. Es ist jetzt und zwar spätestens jetzt der Zeitpunkt, wo wir das Ganze vom Kopf wieder auf die Füße stellen müssen und das es am Ende ja ganz einfach. Die Regeln legt die Gesellschaft fest und nicht ein Unternehmen und die Gesellschaft wird vertreten durch den Gesetzgeber und der Gesetzgebert muss dafür Regeln festlegen. Das sind am Ende wir alle. Das Unternehmen, also die Plattform, hat diesen Regeln zu folgen. Und zwar übrigens jeweils den Regeln des Marktes, in dem sie aktiv ist. Und wenn eine Plattform in Europa aktiv ist, muss sie sich eben an die Regeln in Europa Und wenn ihr das zu doof ist, kann sie es auch lassen. Das wird erfahrungsgemäß bei 480 Millionen Kunden nicht der Fall sein. Also insofern glaube ich, dass Europa hier eine ziemlich zentrale Rolle spielt. Wenn diese ersten beiden Schritte klar sind, dann ist der dritte Schritt auch klar, nämlich es liegt an uns, an der Exekutive, darauf zu achten, dass diese Eingehalten werden und zu intervenieren, wenn es nicht mehr. Der Fall ist. So bis dahin ist das jedenfalls staatstheoretisch ja relativ einfach. Ich wundere mich, wie lange wir gebraucht haben, um das als Gesellschaft sozusagen jetzt zur Kenntnis zu nehmen. Und soweit ist es jetzt aber. Und Herr Hamse im Recht, das hätte man alles schon vor zehn Jahren machen können sollen müssen, hat man halt nicht. Da müssen wir es halt jetzt machen. Das nutzt ja alles nichts. Und es ist ja auch so, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der europäische Gesetzgebert sich dieses Themas. Doch deutlich verstärkt annehmen. Jetzt kommen wir zum zweiten Punkt dessen, was Herr Harms gesagt hat, nämlich was genau wollen wir denn jetzt regeln? Und da würde ich empfehlen, dass wir zumindest mal auch wegen der Verrage, welche Verantwortung haben die Plattformen, dass wird zumindest mal zwei verschiedene Bereiche ein bisschen auseinanderhalten. Das eine ist eigentlich relativ einfach. Das ist das Thema Hass, Hetze, Antisemitismus, Volksverhetzung und so weiter. Das sind alles verbotene Äußerungen, die sind in der echten Welt genauso verboten Das heißt, das sind Straftaten und diese Aussagen sind Aussagen, gegen die man vorgehen kann, was auch in verstärktem Maße geschieht. Und hier liegt die Verantwortung der Plattform, die man noch klarer fassen könnte, darin, dass sie die Exekutivbehörden, die Staatsanwaltschaften, die Polizei, die Medienaufsicht sozusagen in ihrer Arbeit nicht unnötig behindern. Ich nehme mal ein Beispiel. Unsere Medienaufsichtsbehörde benutzt zur Suche nach Hass und Hetze im Netz bereits seit einigen Jahren ein künstliches Intelligenztool, das heißt Kibii, und damit sind wir in der Lage, pro Tag über 10.000 Seiten auf, zum Beispiel antisemitischen Inhalt zu durchsuchen. Wir werden auch fündig und wir generieren daraus Hunderte oder auch Tausende von Verfahren. Das ist tatsächlich ein relativ großer Schritt bei der Rechtsdurchsetzung. Es gibt ein Unternehmen, das uns mit unserem Tool nicht auf seine Seiten lässt, nämlich Meta. Also in allen anderen Unternehmen können wir sozusagen tätig werden? Meta lässt es nicht zu. Warum nicht? Weil sie sagen, die Rechtsgrundlage sei nicht klar genug oder warum auch immer. Und das ist so ein Fall, wo ich sagen muss, das muss man ändern. Natürlich muss es so sein, dass wir die Rechtsdurchsetzung in jedem dieser Räume vornehmen können und dass nicht ein Unternehmen sagt, pff, mir doch egal, was die Europäer oder die Deutschen da machen, ich bin amerikanisches Unternehmen, das ist mir alles wurscht.
00:15:07: Lisa Raphael: Es ist ja gerade das Unternehmen, wo die meisten Nutzer sind, Facebook und Instagram. Warum kann man da nicht einfach technisch, kann nicht die KI alle Seiten durchsuchen?
00:15:17: Dr. Tobias Schmid: Ja, sie kann. Das ist aber, es ist so, dass diese Seiten, diese Unternehmen sind ja nicht ganz so hilflos, wie sie immer tun. Die tun ja immer so, als wären sie sozusagen lediglich eine technische Infrastruktur. Das stimmt ja nicht. Die können schon erkennen, wenn wir auf diesen Seiten tätig werden. Und sie können diese Scrape, das wir dort sozusagen durchführen, ihrerseits dann wieder sperren. Aber es ist ein schöner Fall, wo man sagen muss, das Problem ließe sich sehr einfach lösen. Nämlich der Gesetzgeber könnte das klarstellen. Der Gesetzgebe könnte klarstellen, dass die Unternehmen eben verpflichtet sind. Also wenn Sie es nicht freiwillig machen. Wäre ja auch schön gewesen. Eigenverantwortung eines Unternehmens ist ja auch was Hübsches. Aber wenn Sie das nicht selber machen, dann muss der Gesetzgeber das nachschärfen. Und ich bin auch ziemlich sicher, dass er das in Kürze tun wird. Jetzt komme ich noch zu dem, wenn Sie mir erlauben, noch ganz kurz zu dem anderen Feld, das Herr Harms besprochen hat. Und das ist viel komplizierter. Das ist das Thema Desinformation, Manipulation, Populismus. Ja, ich stimme zu, dass das eine der größten Gefahren für eine demokratische Gesellschaft ist. Und zugleich ist es eine Gefahr, auf die es super schwer ist, eine Antwort zu finden. Denn jeder Eingriff, den wir vornehmen würden, ist ja immer auch ein Eingliff sozusagen in der Herzkammer der Meinungsfreiheit. Also, in einer Demokratie ist es eben nicht verboten, den größten Unsinn zu erzählen. Und es ist relativ vieles erlaubt. Und die Frage, ab wann greift man eigentlich ein, ist sowieso schon nicht einfach. Und dann die zweite Frage, und was genau soll jetzt eine Plattform tun? Ich hätte einen Vorschlag, den vielleicht besprechen könnten. Ich würde vorschlagen, wir konzentrieren uns bei dieser Diskussion weniger auf die Frage, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. Herr Hamz hat recht, ein professioneller Journalist muss sich an diese Maßstab halten, aber das muss halt nicht jedes Individuum. Aber wir könnten uns stattdessen erstmal auf etwas konzentrierend, wo ich eine viel größere Gefahr sehe, nämlich die technische Manipulation. Ich nehme mal ein Beispiel. Es gibt das sogenannte Coordinated in Authentic Behaviour, das läuft wie folgt. Die Partei X im Ortsverband So und So postet irgendeinen Unsinn. Keine Ahnung, die Aussage, alle Flüchtlinge bekommen einen Führerschein geschenkt. Diese Aussage ist falsch. Sie ist politisch schädlich. Sie ist wahrscheinlich nicht verboten. Und wahrscheinlich ist der Satz alleine auch nicht der Untergang der Demokratie. Aber was wir dann beobachten können, ist, dass wenn diese Partei gut organisiert ist, gibt es innerhalb von wenigen Sekunden 200, 300, 400.000 Reposts. Damit wird der Eindruck erweckt, dass dieser Satz richtig sei und dass das ein wahnsinnig wichtiges Thema sei und das ganz viele Menschen dieser Meinung seien. Und wenn man das weiterverfolgt, stellt man fest, diese Reposts kommen merkwürdigerweise ganz überwiegend aus Nordafrika und alle Absender haben Namen mit nur zwei Buchstaben. Oder anders formuliert, die Wahrscheinlichkeit, dass das gar keine echten Absender sind, ist extrem hoch. Das ist eine technische Manipulation. Das heißt, der einzelne Satz, der vielleicht gar nicht das Problem gewesen probieren. Bei dem ich auch gar nicht finde, dass man jetzt stundenlang darüber forschen sollte, ob der nun richtig oder falsch ist, weil man dann immer in diese Zensurdiskussion kommt. Aber der ist auch nicht das Problem. Das Problem ist, dass über die Relevanz dieses Satzes getäuscht wird und dass damit eine Meinungswucht erzeugt wird, die nur durch einen technischen Trick erfolgt. Und das könnte man ziemlich einfach verbieten.
00:18:20: Lisa Raphael: Florian, was sind deine Gedanken dazu?
00:18:22: Florian Harms: Da stelle ich zu, da bin ich dabei und das schwingt mit in dem, was ich versucht habe vorhin zu erklären, dass man eigentlich die Plattformbetreiber zwingen muss, ihre Algorithmen offen zu legen und damit natürlich auch die technischen Vorgänge, die dann dazu führen, dass Reichweite erzeugt wird. Das eine ist ja, dass interessierte Kräfte, wie beispielsweise jetzt der geschilderte Fall, mit Hilfe von Bots schnell den Anschein erwecken können, dass bestimmte Dinge eben so sein und damit Leute auch in die Irre führen. Das andere ist, dass das eben nicht mehr nur kleine harmlose Einzelpersonen sind oder auch mal Parteien sind. Nein, das sind andere Staaten, die aktiv diese Technologien nutzen, um unsere Gesellschaft zu schädigen, um den demokratischen Prozess und die gesellschaftlichen Debatten hierzulande zu beeinflussen und zu lenken. Und am versiertesten darin sind nicht nur die Chinesen, sondern vor allem die Russen. Und wenn man sich mit deutschen Geheimdienstlern unterhält, die da sehr genau und sehr besorgt draufschauen, dann bekommt man eben als Rückmeldung erstens die Russen sind mit ihren Trollfabriken da hochprofessionell und sie sind sehr weit gediehen. Ich meine, wir erinnern uns an die Manipulation der amerikanischen Präsidentschaftsmahl. Das haben die geschafft. Wir erinneren uns auch an viele Fälle in Deutschland, wo eben hierzulande Lügen systematisch verbreitet wurden. Herr Schmitz hat es gerade beschrieben. Manchmal geht das schon in Sekunden und Minuten. Und das zweite ist, dass diese russischen Stellen eben auch ganz gezielt versuchen, nicht nur die Gesellschaft hier zu verunsichern, sondern das auch einsetzen für ihre politischen Ziele. Und das haben wir beispielsweise gesehen in der Diskussion über Waffenlieferungen für die Ukraine in Deutschland. Man kann da sehr unterschiedlich drauf schauen. Und das gehört eben auch zur Meinungsfreiheit. Beispiel Taurus Lieferung soll man den Ukrainen, dem deutschen Marschflugkörper liefern oder nicht, kann man breit diskutieren. Aber wenn dann eben manipuliert durch russische Stellen die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung gelenkt wird, dann ist das keine freie pluralistische Diskussion mehr, sondern dann kommt da eine Beeinflussung und ein Schatten auf dieser gesellschaftlichen Debatte, der dazu führt, dass hierzulande viele Menschen eben nicht mehr auf der Basis von Fakten diskutieren können und sich frei ihre eigene Meinung bilden können. Und darin liegt die eigentliche Gefahr. Und wenn wir da nicht aufpassen, dann landen wir tatsächlich irgendwann in einer Situation. Wie sie in Ungarn jetzt schon zu sehen ist oder wie sie in der Slowakei zu sehen, da sind es dann eher die jeweiligen Regierungsstellen, die versuchen, gezielt die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Aktuell ist der Fall jetzt in Rumänien rund um die dortige Präsidentschaftswahl und liefern uns quasi diesen Trends aus, dass wir nicht mehr als freie Gesellschaft unsere pluralistischen Debatten frei führen können, sondern dass wir dabei manipuliert werden. Und das ist hochschädlich und das kann dazu führen, dass hierzulande irgendwann ein regelrechter Notstand, ein Entscheidungsnotstand entsteht, weil Regierende den Eindruck haben, sie können gar nicht mehr anders, als jetzt der öffentlichen Meinung gerecht zu werden und dann eben so oder so zu entscheiden. Ein bisschen hatte ich schon den Anschein bei dieser Taurus-Debatte, wenn man sich da mit SPD-Abgeordneten und auch mit Personen aus dem Kanzleramt unterhalten hat, dann merkte man schon, dass die unter einem gewaltigen Druck standen, dieser öffentlichen Meinung pro oder contra Tauruslieferung irgendwie genüge zu tun. Und das finde ich hochgefährlich.
00:21:46: Lisa Raphael: Ja, also wir sehen, dass es auf jeden Fall politisch sehr vertrackt ist, dass da sehr viel mehr dranhängt, vor allen Dingen EU-weit, als wir im ersten Moment vielleicht auch denken. Könnte man aber nicht zum Beispiel in Deutschland auch strengere Regeln festlegen, die jetzt nicht EU- weit sind, oder würde das dann nichts bringen, Herr Schmidt?
00:22:07: Dr. Tobias Schmid: Also klar kann man das. Wir sind ja ein souveräner Staat. Wir können verhältnismäßig vieles. Es gibt ein paar Kollisionen, wo sozusagen Europa schon tätig geworden ist. Damit will ich Sie aber nicht im Detail langweilen. Ich finde, das ist auch ein wichtiger Punkt. Den müssen wir auch vergegenwärtigen. Die großen Unternehmen haben uns über viele Jahre in so eine Komplexitätsfalle geschickt. Ich erinnere mich noch an Aufsätze von Herrn Zuckerberg in X-Tages Zeitung in ganz Europa, wo er geschrieben hat. Regulierung wäre eine total tolle Idee, aber sie müsste weltweit sein, denn sein Unternehmen sei ja auch weltweit. Man sagen muss ja, aber mein lieber Herr Zuckerberg, das ist ja nicht mein Problem. Also das kann sein, dass sein Unternehmen weltweit tätig ist, aber das ist nicht die Perspektive eines Staates. Die Perspektiv eines Staates, dass ich meine Demokratie, meine Gesellschaft schützen muss und das mache ich nach meinen Regeln. Und da sollte man sich auch nicht ins Boxhorn jagen lassen. Im Zweifelsfall ist die Idee, diese Regeln für die Europäische Union gemeinschaftlich zu fassen, keine schlechte Idee, weil man natürlich aufgrund des großen Marktes eine andere Durchsetzungskraft hat. Insofern würde ich sagen, klar Kann man? Und ich würde auch appellieren, dass wir, wir sollten uns nicht ins Boxhorn jagen lassen. Ich stimme der Analyse von Herrn Habens zu und das ist eine große Gefahr. Aber noch können wir die unter Kontrolle bringen. Und ich glaube, dass wird dabei zwei Dinge zugleich hinkriegen müssen. Und das ist als Gesellschaft nicht so einfach. Wir müssen auf der einen Seite eine, wie soll ich sagen, gewisse demokratisch konzentrierte und gleichzeitig resiliente Grundeinstellung haben. Also man darf sich halt auch nicht über jedes Thema aufregen, nur weil es irgendjemand setzt. Und das werden wir intensiver lernen müssen, als wir das noch vor 20 Jahren mussten, einfach weil die Themenbreite, weil das politische Spektrum und weil die Ansichten in der Bevölkerung viel heterogener sind, als wenn wir das über viele, viele Jahre hatten. Und das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Und gleichzeitig, und das ist auch übrigens wichtig, dass man das zulässt, das ist die Grundidee einer Demokratie, selbst wenn die nicht immer nur das findet, was ich gerade persönlich gut finde. So, und gleichzeitig müssen wir die Grenze, ab wo wir sagen, so und das, ist jetzt nicht mehr Teil der Meinungsfreiheit klarer ziehen. Also die ist klargezogen bei den Dingen, die illegal sind. Beispiel Antisemitismus, das ist einfach verboten und sie ist eben unklarer in diesem Bereich der Desinformation und Manipulation. Also da gibt es im Prinzip, wenn man ehrlich ist, ziemlich wenig Regeln. Warum? Weil das in aller Regel eben ein Bestandteil der Meinungsfreiheit ist. Und ich glaube und dafür ist der Eingriff, der vollkommen richtig beschrieben ist, von vor allen Dingen ausländischen Diensten ein gutes Beispiel. Ich glaube, wir müssen vor allen Dinge diese Felder der technischen Manipulation in den Griff bekommen. Und dabei muss auch klar sein, diese Regeln müssen wir, also entweder der deutsche oder der europäische Gesetzgeber, setzen und wir, die europäisch- oder deutsche Medienaufsicht, müssen das durchführen. Der Glaube, dass uns das die Plattformen in Ordnung bringen, ist naiv. Daran haben die überhaupt kein Interesse, das ist denen auch vollkommen burscht. Und wie man jetzt bei Herrn Zuckerberg gesehen hat, wenn der politische Wind sich um drei Grad in die eine Richtung dreht, schmeißt er sich auf den Boden und reint in die andere Richtung. Das kann er von mir aus gerne machen, der Mann ist Unternehmer, der wird schon wissen, was er tut, aber das ist nichts, worauf eine Gesellschaft sozusagen aufbauen Deswegen... Den Punkt, den wir jetzt, glaube ich, herausarbeiten können, ist, der Gesetzgeber sollte sich von mir aus gerne in der Bundesrepublik beginnend und dann vielleicht durch Europa kopiert – das passiert ja häufiger mal – vornehmen, welche Teile im Bereich der Manipulation kriege ich relativ schnell geregelt. Und das ist eigentlich auch nicht so schwierig, denn das sind immer die Teile, die schnell objektivierbar sind. Also. Technische Manipulation durch Bots, durch Coordinated Inauthentic Behavior, das Vorgehen mit Spiegelseiten, also all das, was sozusagen die Doppelgängerkampagnen, die man da macht, das sind, das sind Vorgänge, die sind sozusagen inhalteagnostisch. Da muss ich gar keine Diskussion darüber führen, ob jetzt der Inhalt gut oder schlecht ist, sondern das ist einfach eine technische Manikulation und das könnte man regeln. Aber wenn Sie mir noch einen Satz erlauben, weil ich das, die Beispiele von Herrn Hamms gut finde und ich sehe das auch und das macht jetzt mal eine einfache Das wird wieder ein bisschen komplizierter, ne? Ich glaube, wenn man sich anguckt, welche Desinformationskampagnen besonders erfolgreich sind, dann fällt mir immer die Bettwanzen-Kampagne ein. Also diese Geschichte, dass man ganz Europa in Unruhe versetzt hat, darüber, dass es in Paris in jedem Hotel Tausende von Bettwansten gäbe und das war schön lossiert worden vor den beiden großen Sportereignissen in Paris und wie sich im Nachhinein herausstellt, war es einfach falsch. Und es war durch einen Dienst eines sehr großen Landes im Osten sozusagen platziert. Und warum? Weil das eigentliche Ziel der Desinformation gar nicht die eine falsche Geschichte ist, sondern das Ziel der des Information ist, ein ständiges Gefühl der Verunsicherung in Gesellschaften zu erzeugen. Und diesen Zusammenhang zu verstehen, ist gar nicht so easy. Wissen Sie, so eine Desinformation wie alle heilige tianischen Flüchtlinge essen Katzen, wie in den USA, das ist so doof, da ist also so blöd, ist der Amerikaner jetzt auch nicht. Das kann man schon erkennen, dass das falsch ist, das kann man dann glauben oder auch nicht! Das eigentlich Infame ist die Desinformation, die man als solche kaum zugeordnet bekommt. Und deswegen ist, glaube ich, etwas, was wir unbedingt noch in unserem Fokus nehmen müssen, ist, dass wir der Bevölkerung besser erklären, warum wird desinformiert. Also diese Queer-Bono-Frage, wem nutzt das eigentlich? Und dabei ist dann die einzelne Bettwanze eigentlich egal, sondern dieses Verunsicherungsgefühl, dass man glaubt, alles geht im Bach runter, der Staat kriegt hier nichts mehr in den Griff und so weiter. Das ist ja die eigentliche Gefahr.
00:27:15: Florian Harms: Und das Risiko ist dabei ja, dass das eben nicht nur aus Diktaturen kommt, wie Russland oder China, sondern dass wir dasselbe Phänomen mittlerweile auch in Demokratien sehen. Also die Öffentlichkeit mit massenhaften Falschinformationen zu verunsichern, ist ein Konzept, was die amerikanischen Rechtspopulisten sehr systematisch anwenden. Steve Bannon, Berater von Donald Trump, hat das auf den einfachen Satz gebracht. Flooding the zone with shit. Ich verzichte jetzt darauf, das zu besetzen. Aber man kann verstehen, was damit gemeint ist. Also man ballert einfach die Öffentlichkeit zu mit permanenten Informationen, die mal komplett falsch sind, die mal nur halb wahr sind, die manchmal vielleicht auch wahr sind. Aber nur irgendwelche Randthemen aufwerfen. Und so verunsichert man die Leute, erzeugt das Gefühl, na, hier funktioniert eigentlich nicht so richtig und deshalb braucht es doch hier jetzt mal einen richtig starken Führer, jemanden, der autoritär mal richtig durchgreift. Und das ist ein Phänomen, das es mittlerweile in Amerika breit erforscht, was die Basis von Donald Trump, auch die Maga-Basis, systematisch groß gemacht hat. Und das es deshalb so gefährlich. Und deshalb sehen wir das eben nicht nur aus dem Osten kommen, sondern wir sehen es auch aus dem Westen kommend. Wir sehen es mittlerweile auch in vielen europäischen Staaten. Die Brexit Kampagnen Großbritannien beruhte zum großen Teil auch. Auf Verunsicherungen in den sozialen Medien, auf Gerüchten, die dort gestreut wurden und dann eben in kurzer Zeit so ein Gefühl bei vielen Menschen geschürt haben, hier funktioniert nichts mehr, die Grenzen sind sperrangelweit offen, wir brauchen jetzt jemanden, der das alles dicht macht und wir müssen uns lösen vom Kontinent. In Frankreich sehen wir es ähnlich, in Ungarn sehen wir das ähnlich und hierzulande eben auch. Und deshalb, da stimme ich Ihnen zu, auf jeden Fall, Herr Schmidt, darüber müssen wir stärker informieren und das kann auch nicht nur medienüberlassen sein. Da braucht es eben auch mehr geballte politische Kompetenz, das aufzudecken. Und das fehlte mir zumindest in der Vergangenheit schon, dass es eben auf Bundesebene zu wenige profilierte Politiker gab, die sich gezielt mit diesem Thema nicht nur befassen, sondern auch auskennen und auch erklären können, was die dahinter liegenden Mechanismen sind.
00:29:24: Lisa Raphael: Meinst du jetzt mit dem neuen Digitalministerium, dass sich da was bessern wird?
00:29:27: Florian Harms: Naja, Carsten Wildberger wird sich wahrscheinlich erst mal darum kümmern, die technische Infrastruktur in Deutschland in vielen Stellen zu verbessern. Das ist ja auch dringend notwendig. Das andere ist eher eine Aufgabe, wo man sich inhaltlich damit beschäftigt, was da gerade passiert. Und man kann es auch nicht nur einem Minister zuschieben, sondern wir alle, die wir irgendwie zu der demokratischen Debatte in diesem Land beitragen, müssen uns damit befassen.
00:29:47: Lisa Raphael: Und apropos Trump-Anhänger, mager Basis, da muss ich jetzt gerade an die Rede von J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar denken. Da hat er ja uns, also Europa, sozusagen attestiert, dass unsere Meinungsfreiheit in Gefahr ist, weil wir immer mehr regulieren. Also er hat sich da auch teilweise auf Plattformen wie Facebook oder Instagram bezogen. Hat uns vorgeworfen, dass wir mit immer mehr Regeln auch Gruppen ausschließen, die aber für den Diskurs, für die Meinungsfreiheit wichtig wären. Herr Schmidt, hat er denn damit in irgendeiner Weise vielleicht sogar Recht oder was ist Ihnen nach dieser Rede durch den Kopf gegangen?
00:30:27: Dr. Tobias Schmid: Ja, das ist eine super interessante Frage, die kann man auf zwei Ebenen beantworten, nämlich der rein emotionalen, wenn man sich den Auftritt von Herrn Vans angeguckt hat, dann, wie soll ich sagen, selten spürte, fühlte ich mich so europäisch wie in diesem Moment oder es gibt die etwas sachlichere Betrachtungsweise und da ist ein Punkt, glaube ich, wie sollen ich sagen? Wir müssen ja damit auch damit irgendwie umgehen. Wir bewegen uns ja nun dank der Konvergenz und Globalisierung in der in derselben Welt. Und wenn die USA das so finden, finden die USA dass jetzt erst mal so und deswegen macht es vielleicht Sinn, dass man sich einmal nochmal überlegt, warum ist denn das so? Und wie soll ich sagen, das ist jetzt kein akademisches Ausbildungsdefizit von Herrn Vance, sondern das ist natürlich Ausdruck eines theoretischen Konfliktes, den es schon ganz lange gibt, der nur nie eine Rolle spielte. Und der hat seine Ursache darin, dass der Freiheitsbegriff in Nordamerika und der Freiheitsbegriff in Europa nicht identisch ist. Der Freiheitsbegriff in Nordamerika ist geprägt durch die Grundidee, dass das Individuum frei ist. Und die Hauptaufgabe des Staates ist, diese individuelle Freiheit zu schützen. Und was das Individuum macht, darf es machen, es sei denn, es ist eine eindeutige Straftat. Das heißt, der Staat nach dem US-amerikanischen Verständnis ist vor allen Dingen dafür da, dafür zu sorgen, dass jeder tun und lassen kann, was er will. Der Freiheitenbegriff der europäischen Gesellschaft ist ein anderer. Geprägt durch Herrn Rousseau, ist das getragen von dem Gedanken, dass die Gesellschaft als gesellschaftfrei sein muss. Und damit das funktioniert, hat die Gesellschaft Regeln, die dafür sorgt, dass der Einzelne sich sozusagen nicht zulasten anderer verhält. Deswegen gibt es bei uns ein anderes Verständnis von einfachen Dingen wie Arbeitslosen und Sozialversicherung bis hin zur Frage, wo findet die Meinungsfreiheit ihre Grenzen. Und das war jetzt vor 50 Jahren auch schon so. Da war es aber egal, weil wir sozusagen gar nicht aufeinander prallten. Denn das geschieht ja erst durch den Umstand, dass wir eben jetzt online uns in derselben Welt bewegen und dadurch überhaupt erst diesen Konflikt haben. Und, also wie soll ich es formulieren, leichter gesagt ist, wir glaubten, dass wir dasselbe meinten, als wir die Begriffe Freiheit benutzten und müssen jetzt einsehen, dass wir nicht so ganz das Gleiche meint, sondern dass wir ein anderes Verständnis von der Rolle zwischen Staat und Gesellschaft und dem Einzelnen haben, als das in den USA der Fall ist. Was ist die Antwort darauf? Erstens, ich weiß gar nicht, welches von den beiden Systemen das Bessere ist. Das ist halt so, wie es ist. Und zweitens, ja, dann machen wir es halt so wie wir es machen. Ich bin schon sehr dafür, dass Europa seine Vorstellung einer demokratischen, freiheitlichen Gesellschaft stark machen sollte. Ich glaube nicht, dass das etwas ist, worüber wir uns bei Herrn Vans rechtfertigen müssen, sondern ich glaube, dass dieses System, das wir in Europa haben, das eben... Eine stärkere Balance zwischen den Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft hat, kein schlechtes System ist. Und es ist jetzt an uns, Europa und zunehmend auch an der Bundesrepublik, als eine der wichtigsten Nationen in Europa, dieses Freiheits- und Gesellschaftsverständnis auch selbstbewusst zu vertreten. Und dann muss eben eine Firma wie Facebook lernen, dass sie sich möglicherweise auf dem einen Kontinent anders verhalten muss, als auf dem anderen. Und das ist dann auch nicht so schlimm, dann muss ich es halt tun.
00:33:46: Lisa Raphael: Alles klar. Zum Ende würde ich nochmal ein bisschen Hoffnung geben wollen, denn wir haben schon sehr viel kritisiert und die Lage sehr schwarz gemalt und genau das wollten wir eigentlich nicht machen, denn das ist ja auch das Problem der Sache, dass immer mehr negative Inhalte verbreitet werden. Herr Schmidt, können Sie nochmal erklären, es hat sich doch auch was getan in den letzten zwei, drei Jahren. Also man hört jetzt immer häufiger die Nachrichten Digital Services Act, dann nochmal Digital Markets Act. Darauf wurde Zum Beispiel vor ein paar Wochen diese Strafe geben, Apple und Meta verhangen auf Grundlage dieses neuen Gesetzes und der Digital Services Act richtet sich ja vor allen Dingen auch, damit Menschen mehr Rechte haben, damit es transparenter ist und einen Bezug auch auf Hassrede und Beleidigung denke ich. Vielleicht können Sie da nochmal erklären, was hat sich denn getan, was sind so die positiven Entwicklungen in der Richtung?
00:34:38: Dr. Tobias Schmid: Sehr gerne und Sie haben vollkommen recht. Und es gibt auch gar keinen Grund, dystopische Bilder zu malen. Ich glaube, es ist erstens, und das ist, glaube ich, ganz wichtig, wir müssen immer sehen, dass ein so revolutionärer Umwandlungsprozess wie die Digitalisierung eben dazu führt, dass wir auch eine Vielzahl von Regeln und Verständnissen anpassen müssen. Das ist ganz normal. Das war zuletzt nach der industriellen Revolution so. Und auch dort dauerte das zwei bis drei Jahrzehnte, bis man das dann erledigt hatte. Da sind wir diesmal gemessen, daran verhältnismäßig schnell dran. So, was ist bisher geschehen? Es gibt inzwischen relativ klare Regeln und Mechanismen und übrigens auch sehr gute Formen der Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden bei diesem einen Themenkomplex, den wir heute ansprachen, nämlich Hass und Hetze. Das dauert dann immer ein bisschen, bis das einen Masseneffekt hat, aber wenn ich einen Blick darauf werfe, wir hatten nach dem Überfall der Hamas auf Israel die Situation, dass wir als Medienaufsichten der Bundesrepublik kombiniert mit dem Bundeskriminalamt und der Bundesnetzagentur innerhalb von wenigen Wochen mehrere Tausend Fälle adressieren, zur Anzeige bringen und auf den Plattformen löschen konnten. Und die Plattform löscht das dann auch. Also das fängt an zu funktionieren und das wird mit Sicherheit auch greifen. Der Verfolgungsdruck auch gegen die Täter wird zunehmen. Das wird funktionieren. Zum zweiten, Sie haben es angesprochen, ist die Europäische Union in ihrer letzten Legislaturperiode extrem aktiv geworden mit dem DMA, dem Digital Market Act, dem Digital Services Act und dem European Media Freedom Act sind drei Rechtsgebilde gesetzt worden. Die sind vielleicht noch nicht perfekt. Aber sie sind ein ganz klares Zeichen, dass Europa wieder die Prärogative des Gesetzgebers sich zurückholt und sagt so, am Ende legt die Gesellschaft fest, wie wir das hier haben möchten und nicht das Unternehmen. Und selbst wenn diese Regeln, das dauert dann immer ein bisschen, bis das anfängt zu greifen und alle diese Gesetze haben immer das Risiko, dass man ein paar Normen noch toller finden könnte, aber es ist als Signal eindeutig, dass Europas sozusagen sich die Hoheit über die Frage, wie wollen wir online zusammenleben, zurückhult. Und wenn wir auf diesem Pfad weitergehen, und dabei spielt die Bundesrepublik meiner Einschätzung nach eine ganz zentrale Rolle, wenn die BundesRepublik vor allen Dingen in der engen Zusammenarbeit mit Frankreich auf diesem pfad weitergeht, dann werden wir diese Phänomene auch sukzessive unter Kontrolle bekommen. Was bleibt ist, dass unsere Gesellschaft ein sehr viel breiteres Meinungsspektrum hat, als wir das noch vor 10 oder 15 Jahren hatten. Daran werden wir uns gesellschaftspolitisch gewöhnen müssen. Aber soweit ich das für meinen Zuständigkeitsbereich sagen kann, die Idee, dass faire Regeln im Netz hat, die auf der einen Seite Meinungsfreiheit garantieren und auf der anderen Seite trotzdem so Dinge wie Vielfalt, Menschenwürde und Jugendschutz schützen. Diese Balance werden wir hinbekommen, wenn die Bundesrepublik, wenn Europa hier ihre Führungsrolle einlegt.
00:37:25: Florian Harms: Und vielleicht daran anknüpfend von mir auch noch der Lichtblick, das bestätigt das nämlich, was Herr Schmidt gesagt hat. Wenn man mal den weltweiten Vergleich zieht, dann denke ich, kann man schon sagen, dass wir hier in Europa mittlerweile eigentlich am weitesten fortgeschritten sind bei der Diskussion und der Behandlung der Frage, wie man mit den sozialen Medien umgeht und wie man darauf reagiert, auf den unterschiedlichen Ebenen, die Herr Schmidt gerade beschrieben hat. Und das löst einen Abstrahleffekt aus, denn andere Länder, andere Weltregionen schauen sehr genau darauf, wie wir das hier machen, insbesondere was in Brüssel jetzt passiert und nehmen sich durchaus auch ein Vorbild daran. Das heißt nicht, dass sofort alles gut wird, aber das bedeutet eben, dass auch der Druck auf die Digitalkonzerne zunimmt und dass die sich damit auseinandersetzen müssen. Deshalb lobbyieren die auch so massiv in Brüssel und versuchen irgendwie, ihre Interessen durchzusetzen. Ich habe aber mittlerweile den Eindruck, dass dieser Lobbyismus durchaus auch an Grenzen stößt, weil eben insbesondere aus Paris, aber mittlerweile auch aus Berlin in Brüssel sehr klar gemacht wird, dass wir hier nicht mehr alles mit uns machen lassen wollen. Und da muss man auch sagen, dass die EU-Kommission von Frau von der Leyen sehr viel stringenter vorgeht, mittlerweile als das vergangene Kommission gemacht haben. Deshalb bin ich schon zuversichtlich, dass jetzt was passiert. Es muss dann aber auch passieren und es muss dann auch durchgesetzt werden.
00:38:47: Lisa Raphael: Ja, das sind doch ein paar gute Schlussworte und damit bedanke ich mich auch ganz herzlich bei meinen Gästen. Einmal Dr. Tobias Schmidt von der Medienanstalt Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben und für die ganze Expertise auch in Bezug auf die technischen Bots, was man da alles machen könnte und auch diese Hoffnung, dass sich doch was bewegt und dass wir auf dem richtigen Weg sind. Danke, Herr Schmidt.
00:39:12: Dr. Tobias Schmid: Ich danke Ihnen ganz herzlich.
00:39:13: Lisa Raphael: Und auch bei dir Florian, vielen Dank fürs Gespräch und Ihnen da draußen auch fürs Zuhören. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, abonnieren Sie den Tagesarmbruchpodcast überall da, wo es Podcasts gibt. Dann werden Sie immer benachrichtigt, wenn es eine neue Folge gibt und Sie können dort auch Folgen herunterladen und unterwegs ohne Internet hören. Lassen Sie uns auch gerne eine Bewertung da, zum Beispiel auf Spotify oder Apple Podcasts. Das hilft uns dabei, dass noch mehr Menschen auf unseren Podcast aufmerksam werden. Und wenn Sie noch eine Anmerkung oder Frage haben, dann schicken Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts.t-online.de. Auf Spotify können Sie zum Beispiel auch einen Kommentar hinterlassen. Und damit vielen Dank fürs Zuhören. Bis zum nächsten Mal und ciao!
00:39:56: Florian Harms: Tschüss und bleiben Sie uns gewogen!