Tagesanbruch von t-online

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00:00:02: Axel Gebhard: Und dann kamen die Russen und haben also furchtbare Sachen gemacht. Die plünderten natürlich alles, was es überhaupt nur möglich war. Die haben unheimlich viel Alkohol getrunken, alles was überhaupt nach Alkohol aussah. Sie haben sogar Parfumflaschen ausgetrunken. Die Amerikaner kamen erst am 3. Juli nach Berlin. Die haben sofort dafür gesorgt, dass Penicillin an die Krankenhäuser geliefert wurde. Und dadurch sind wir mehr oder weniger gerettet worden.

00:00:33: Florian Harms: Hallo und herzlich Willkommen zu Tagesanbruch Die Diskussion am Wochenende vom 3. Und 4. Mai 2025. Vor 80 Jahren, am 8. Mai 1945, endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Zwölf Jahre Naziherrschaft waren zu Ende. Adolf Hitler hatte sich in seinem Bunker das Leben genommen. Sowjetische Rotarmisten eroberten Berlin. Die Alliierten befreiten die Konzentrationslager. Nur noch wenige Zeitzeugen können von diesem historischen Moment berichten. Einen habe ich heute zu Gast. Mein Name ist Florian Harms. Schön, dass Sie zuhören.

00:01:12: Florian Harms: Liebe Hörerinnen und Hörern, hört und liest man dieser Tage die Nachrichten, könnte man meinen, wir erlebten eine hoch dramatische Zeit. Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, Donald Trump und das Zoll-Chaos, das vorzeitige Ende einer Bundesregierung und der Start einer neuen Bundesregierung. Schon richtig, das sind bewegende Entwicklungen, aber was vor acht Jahrzehnten hierzulande geschah, war ungleich dramatischer. Das nationalsozialistische Gewaltregime brach zusammen. Generaloberst Alfred Jodl unterzeichnete am 7. Mai 1945 in Reims in Frankreich die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht. Am 8. Mai endete der Zweite Weltkrieg offiziell, auch wenn in Ostasien noch bis September weitergekämpft wurde. Große Teile Europas lagen in Schutt und Asche. Weltweit waren dem 6-jährigen Gemetzel rund 60 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, allein 27 Millionen in der Sowjetunion, darunter 8 Millionen Ukrainer. Rund 6 Millionen Juden wurden von den Nazis und deren Schergen ermordet. Den sowjetischen, amerikanischen, britischen und französischen Soldaten boten sich bei der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager Bilder des Grauens. Zum vollständigen Bild gehört auch, dass zwischen 1944 und 1950 zwischen 12 und 18 Millionen Deutsche aus den ehemaligen Ostgebieten vertrieben wurden. Dabei kamen etwa 600.000 von ihnen ums Leben. Tausende Frauen wurden von Rotarmisten vergewaltigt. Das war die Rache für die Mordbrennerei der deutschen SS-Einsatzgruppen und Wehrmachtsoldaten. Auf den Trümmern des Nazireichs entstanden zwei deutsche Staaten, die BRD und die DDR, die seit 1990 wiedervereinigt sind. Heute zählt dieses Deutschland zu den wohlhabendsten und einflussreichsten Demokratien der Welt. Aber der Schwur nie wieder, also nie wieder Extremistenherrschaft, Rassenhass und Ausgrenzung, ist bei vielen Bürgern zur Floskel verkommen. Deshalb ist es umso wichtiger, an die Geschehnisse vor 80 Jahren zu erinnern, Lehren daraus zu ziehen, das Bewusstsein wachzuhalten, dass Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern jeden Tag belebt und verteidigt werden müssen. Nicht allein von Politikern, sondern von allen Bürgern. Um zu verstehen, wie das war, damals Anfang Mai 1945, als das Nazi-Reich endgültig zerbrach und Deutschland die Stunde null erlebte, kann man Bücher lesen, Filme schauen, Museen und Gedenkstätten besuchen. Oder man befragt Zeitzeugen. Es sind nicht mehr viele Menschen, die uns aus dieser Zeit berichten können, aber eine ist mir jetzt zugeschaltet. Axel Gebhard war damals 13 Jahre alt und wohnte mit seiner Familie in Zehlendorf im Südwesten Berlins. Sein Onkel Hans Deppe war vor und nach dem Krieg ein bekannter Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent. Er verhalf zum Beispiel Romy Schneider 1953 mit dem Film Wenn der Weiße Flieder blüht zu ihrem Leinwand-Debüt. Wie sein Onkel hat auch Axel Gebhard in der Musik- und Fernsehbranche gearbeitet, zuletzt als Abteilungsleiter beim ZDF. Heute ist er 93 Jahre alt und lebt in Mainz. Ich freue mich außerordentlich, dass er sich Zeit für diesen Tagesanbruch-Podcast genommen hat. Hallo, lieber Herr Gebhard.

00:04:25: Axel Gebhard: Hallo. Ich grüße Sie.

00:04:27: Florian Harms: Herr Gebhard, Sie sind uns per Telefon zugeschaltet. Das sage ich mal noch vorab. Falls also der Ton zwischendurch mal wackeln sollte, dann bitte ich dies gegenüber unseren Hörerinnen und Hörern zu entschuldigen. Herr Gebhard, lassen Sie uns einmal auf diese Zeit Ende April 1945 schauen. Ende April, Anfang Mai. Sie waren Teenager damals und haben erlebt, wie die Rotarmisten Berlin erobert haben. Wie war das? Was sind Ihre eindrücklichsten Erinnerungen an diese Zeit?

00:04:55: Axel Gebhard: Der Krieg war damals noch nicht zu Ende. Die Russen kamen über den Teltow-Kanal am 24. April nach Zehlendorf, haben Zehlendorf erobert und es wurde ja noch bis zum 8. Mai, bis zum 7. Mai in Berlin gekämpft. Ich hatte miterlebt, wie die deutschen Soldaten da in unserem Grundstück vorbeihuschten und praktisch auf der Flucht waren. Und kurze Zeit später tauchten dann auf einmal Soldaten in braunen Uniformen auf. Das waren die ersten russischen Soldaten. Meine Mutter und ich, wir hielten uns damals im Haus meines Onkels auf, der zu Dreharbeiten in Bayern war. Und meine Mutter betreute meine Großmutter. Wir waren also zu viert: meine Mutter, ich, eine Pflegerin, meine Großmutter und ein Hausmädchen. Wir sind natürlich sofort in den Keller gerannt, ja. Und kurze Zeit darauf waren auch schon die ersten Russen da und durchsuchten das Haus. Aber die waren eigentlich mehr auf der Suche nach deutschen Soldaten als... Aber bestohlen haben sie uns auch gleich. Es wurde was an Wertgegenständen dabei, an Schmuck, Ringen und so weiter, wurde mitgenommen. Aber sonst waren sie relativ friedlich. Schlimm wurde es erst, als dann diese sogenannten Besatzungssoldaten kamen. General Schukow hatte ja den russischen Soldaten erlaubt, eine Woche in Deutschland zu tun, was sie wollten. Sie konnten also Leute umbringen oder stehlen und so. Das war also eine sehr, sehr schlimme Zeit.

00:06:30: Florian Harms: Was haben Sie dort erlebt?

00:06:31: Axel Gebhard: Ja, wir waren im Keller, im Haus meines Onkels im Keller eingeschlossen. Mein Onkel hatte den Keller als Luftschutzraum umgebaut, auch mit kleinen Nebenräumen. Und dort saßen wir, also meine Mutter, meine Großmutter, unser Hausmädchen und die Pflegerin und ich. Und dann kamen die Russen und haben also furchtbare Sachen gemacht. Ja, also unser Hausmädchen wurde mehrmals vergewaltigt. Und in der Nachbarschaft, wie ich später erfahren habe, wurden Leute umgebracht, weil sie nicht schnell genug ihren Schmuck abgegeben haben. Übrigens, die Hildegard Knef wohnte gar nicht weit von uns entfernt, auch am Teltower Damm. Und beispielsweise einer der Siemens-Verwandten, die wohnten auch nicht weit von uns entfernt, der wurde beispielsweise auch von den Russen erschossen. Also wir hatten ungefähr eine Woche eine ziemlich schlimme Zeit. Aber nach einer Woche hat ein russischer Offizier das Haus beschlagnahmt. Ein sehr kultivierter Mann, der stammte aus der Nähe von Leningrad und der ganz gut Deutsch sprach und der hat dafür gesorgt, dass wir jeden Tag einen Eimer Suppe auf die Kellertreppe bekamen und ein Stück Brot manchmal und so weiter. Und der hat mich auch manchmal zu sich heraufgeholt und er sprach ganz gut deutsch. Und mit dem habe ich für mich nicht sehr angefreundet, aber es war, wie gesagt, ein gebildeter, kultivierter Mann, mit dem man sich unterhalten konnten. Und so Beziehung wurde ein bisschen abgekühlt, als ich ihm erzähle, dass mein 9 Jahre älterer Bruder in Russland als Soldat war. Und das hat ihn natürlich sehr gestört. Er erzählte, dass seine Familie von den Deutschen umgebracht worden sei. Die Russen plünderten natürlich alles, was es überhaupt noch möglich war. Wir hatten im Keller einen riesengroßen Koffer, der uns von Freunden in den Keller zum Schutz von Bombenangriffen abgestellt worden war und den sollten wir aufnehmen, was wir aber nicht konnten, weil wir keinen Schlüssel hatten. Und die Russen haben diesen Koffer aufgebrochen und entdeckten als Erste eine Wehrmachtsuniform. Und nahm also an, dass mein Vater, der damals schon über 70 war, praktisch Offizier war und ihm das gehörte. Mein Vater, der wurde daraufhin gleich in den Garten geholt und musste schwer arbeiten. Die Russen machten sich einen Spaß daraus. Er stand da, musste Holz hacken und die haben ihm so vor die Füße geschossen. Und er wurde ziemlich schikaniert.

00:09:08: Axel Gebhard: Ich durfte mich frei bewegen und machte auch positive Erfahrungen. Ich hatte einen sehr netten russischen Soldaten, der natürlich nicht deutsch sprach. Ein Muslim, der im Ende des Gartens eine eigene Feuerstelle sich eingerichtet hatte, weil er ja entsprechend dem Sitzen dort wie ein Islam üblich kochen musste, die gekocht hat. Und der hat mich gebeten, das wurde ja sehr viel gestohlen, er brauchte einen Schneider, der ihm einen Sack oder irgendwelche Säcke nähen sollte. Und ich kannte einen und habe ihn auch da hingebracht und er hat für seine Kriegsbeute Säcken genäht und dann führte mich der Russe dann hier nach dem Zehlendorf, die gibt es hier im Lehrpark, der bei uns in der Nachbarschaft war und auf einer Wiese dann lachweißen sie. An die 100 beschädigte Fahrräder, die die Russen ja alle geklaut hatten, aber die alle beschädigt waren und ich nicht mehr fahrbereit war. Und zur Belohnung würde ich mir ein Fahrrad aussuchen. Naja, das waren so die positiven Erinnerungen, die ich hatte, ja. Wir standen ja unter dem Schutz dieses Offiziers, der das Haus besetzt hatte. Also insofern geschah uns weiter nichts. Meine Mutter, mein Vater und ich, wir erkranken allerdings. Die Amerikaner kamen erst am 3./ 4. Juli nach Berlin, bis dahin war ja ganz Berlin unter russischer Kontrolle, sie hatten sogar Moskauer Zeit hier für eine Zeit. Und wir kamen ins Krankenhaus und die Amerikaner haben sofort dafür gesorgt, dass Penicillin an die Krankenhäuser geliefert wurden. Und dadurch sind wir, meine Eltern und ich, praktisch mehr oder weniger gerettet worden. Also ich verdanke mein Leben eigentlich den amerikanischen Soldaten, die Penicillin ins Krankenhaus brachten.

00:11:14: Florian Harms: Es sind ja existenzielle Erfahrungen, was Sie schildern. Also diese Vergewaltigungen, Krankheit, dann Tote in Ihrem Umfeld. Konnten Sie das damals verarbeiten oder mussten Sie das verdrängen oder wie sind Sie damit umgegangen?

00:11:29: Axel Gebhard: Ja, also wir waren ja im Grunde genommen ein kleines bisschen widerstandsfähig. Ich habe ja jahrelang diese schweren, dummen Angriffe in Berlin miterleben müssen, in denen wir viel Schlimmes gesehen haben. Ich will nicht sagen, dass wir abgehärtet waren, aber wir waren Realisten und haben die Dinge so genommen, wie sie sind. Und natürlich hat uns das sehr belastet. Man lebt in ständiger Angst, dass irgendwas passieren würde. Nämlich die Russen waren unberechenbar. Die haben unheimlich viel Alkohol getrunken. Alles, was überhaupt nach Alkohol aussah. Sie haben sogar Parfumflaschen ausgetrunken, die waren dann völlig unberechenbar. Also mitgenommen hat uns da schon sehr, aber direkte Angst hatte ich nicht. Wir haben jetzt, wie gesagt, diese Bombenangriffe miterleben müssen und da waren wir etwas abgehärtet.

00:12:22: Florian Harms: Wie war die Stimmung in der zerbombten deutschen Hauptstadt damals? War das eher Erleichterung darüber, dass die Nazi-Herrschaft jetzt vorbei war und auch die Bombenangriffe vorbei waren? Oder war es Angst vor dem, was kommt?

00:12:33: Axel Gebhard: Eigentlich mehr Angst war von dem, was kommt über die Naziherrschaft und so weiter. Da wurde eigentlich gar nicht so viel gesprochen. Das war eine Realität, die den meisten Leuten bewusst war. Es gab natürlich noch viele Nazis, die immer noch einen sogenannten Endsieg glaubten. Aber im Grunde genommen war das bekannt. Ich war allerdings, wir waren informiert, weil mein Onkel und auch mein Vater, wir waren nie Nazis. Und bei uns wurden die Nazis auch offen kritisiert. Ich sollte beispielsweise in eine Napola, diese Nazi-Erziehungsanstalt, gehen. Und da kam der Ortsgruppenleiter der NSDAP zu meinen Eltern und haben sie aufgefordert, dass ich dahin gehen muss. Aber meine Eltern haben gesagt, das müssten sie erst überlegen. Und die Reaktion war, dass ich mit Hilfe meines Onkels, der in Markbreit am Main einen Freund hatte, der ein Internat hatte, dass ich ganz schnell in dieses Internat geschickt wurde, also ich nicht mehr in Berlin anwesend war, als die Nazis wieder nachfragen und mich da in dieses Internat schicken wollten. Also ich war dann in Markbreit am Main und das war ganz furchtbar mit morgendlichen Fahnenappellen und ein voller Schlafsaal, die mussten all unser Geld abgeben. Mein Vater, der eine Geschäftsreise machte nach Prag und machte dort Stationen und drückte mir 20 Mark in jegliche Hand, was ich hätte abgeben müssen, aber ich habe diese 20 Mark behalten und bin nach ungefähr 14 Tagen mit Hilfe eines Kameraden nach dem Abendessen über die Mauer des Internats geklettert und bin danach zum Bahnhof gegangen, hab meine Fahrkarte nach Berlin gekauft habe ich dort auf der Herren-Toilette versteckt, bis der Zug kam. Das gleiche in Würzburg, wo ich umsteigen musste. Und war am nächsten Morgen wieder in Berlin. Ich war schon da, als ich meine Mutter einen Anruf bekam. Der Axel ist verschwunden, vermutlich auf dem Wege nach Berlin. Meine Mutter sagt, er ist schon da. Das sind natürlich auch Erinnerungen hier. Aber ich hatte auf der anderen Seite auch wieder Glück, nämlich meine Schulklasse, mit Lehrer und so weiter, war inzwischen evakuiert worden nach Polen. Da wurden ja ganze Klassen weggeschickt wegen der Fliegerangriffe. Und ich musste dann nach ein paar Tagen, musste ich nach Kleinmachnow in die Eigenherd-Schule und ging dort bis Kriegsende in die Schule.

00:15:12: Florian Harms: Herr Gebhard, Sie waren damals 13 Jahre alt, noch recht jung. Wussten Sie etwas über die nationalsozialistischen Verbrechen, vor allem in der Sowjetunion oder über die Vernichtungslager?

00:15:23: Axel Gebhard: Nein, wir wussten etwas über die Konzentrationslager, aber uns war das nur bekannt, das wären Arbeitslager. Dass es Vernichtungslager wären, das war uns nicht bekannt. Darüber wurde auch nicht gesprochen.

00:15:39: Florian Harms: Wann haben Sie das erfahren?

00:15:41: Axel Gebhard: Das habe ich eigentlich erst nach dem Krieg erfahren. Über die Verbrechen der Nazis wussten wir nicht. Ich habe die zufällig miterlebt. Die Verhaftung unseres Hausarztes, Dr. Erdmann, der auch in der Machner Straße wohnte. Ich ging da vorbei zur Schule, wo auch immerhin. Und sah, wie er von zwei Männern in Ledermänteln abgeführt wurde und in ein Auto gesetzt wurde. Dieser Doktor Erdmann, der hatte in der Kleingartenkolonnie, die wir hatten da, ich glaube Heimat hieß die, an der Grenze nach Kleinmachnow, der hat dort ein Agitationszentrum eingerichtet und ist wohl dabei ertappt worden. Er hat freundlicherweise diese Einsperrung überlebt. Und wurde dann nach Kriegsende befreit und kam wieder nach Zehlendorf zurück und wurde dort stellvertretender Bürgermeister, praktizierte aber nicht mehr. Aber wir hatten immer noch Kontakt zu ihm und er hat mir eh da weniger dafür gesorgt, dass wir meine Eltern und ich in die Krankenhäuser kommen konnten. Er hat uns also auch geholfen, dass wir wieder weiterleben konnten. Ich weiß schon, weil mein Onkel war, die viele Schauspieler und Künstler, das waren ja alle Salon-Bolschewisten, die waren überzeugte Kommunisten, hatten keine Ahnung, was das bedeutet. Da wurde schon aktiv über die Nazis geschimpft und gesprochen. Und es wurde auch darüber gesprochen, dass da also sehr viele schlimme Dinge passierten. Aber direkt über Morde und so weiter nicht.

00:17:18: Florian Harms: Und dann in den Jahren nach Kriegsende ist das ja aber immer stärker zutage getreten. Da gab es dann auch Aufklärungsfilme von den Alliierten, also beispielsweise von den Amerikanern, die in den Konzentrationslagern bei der Befreiung gefilmt haben. Das wurde vorgeführt. Wie haben Sie das damals wahrgenommen? War das so, dass sich die Deutschen geschämt haben für das, was die deutsche Regierung in ihrem Namen angerichtet hat, oder wurde das verdrängt? Wie haben sie das wahrgenommen?

00:17:46: Axel Gebhard: Es wurde im Allgemeinen verdrängt, aber geschämt schon. Also mich hat besonders beeindruckt, ich, der Yehudi Menuhin, ihnen ja sicher auch bekannt, dieser bekannte, amerikanische Geiger, Jude, der kam ja 1947 nach Berlin. Im Titania-Palast hatte er sein Konzert gegeben und hat auf die Einnahmen zugunsten von Berliner Kindern und Kriegsversehrten verzichtet. Und das hat mich ungeheuer beeindruckt... (macht eine Pause)

00:18:15: Florian Harms: Dass er das gemacht hat.

00:18:17: Axel Gebhard: Dass er das gemacht hat und das hat eigentlich… Hach (schluchzt), Entschuldigung.... Ja, das hat mich eigentlich für mein ganzes Leben geprägt und für mich war immer einer meiner Lieblingsziele, ich habe immer danach gelebt, war eine mögliche Versöhnung zwischen den Juden und zwischen den Deutschen. Ich habe selbst zwei jüdische Patenonkel und eine jüdische Patentante. Meine Patentante war durch die Heirat mit einem Christen geschützt. Die Nazis haben diesen Ehepaaren nicht direkt was getan. Die kam gut weg, aber mein Onkel starb 1943 und meine Patentante war vogelfrei. Wir konnten sie aber mit anderen Freunden zusammen verstecken und sie hatte überlebt. Also wir waren, diese Gräueln der Nazis gegenüber den Juden, das war uns bewusst. Juden gehörten zu unserem Freundeskreis, bei einer Familie, das war für uns nicht verständlich. Das war überhaupt nicht etwas, was wir uns in irgendeiner Weise negativ beurteilt hatten. Wir hatten viele jüdische Freunde. Und für mich war immer eines der wichtigsten Anliegen, etwas zu tun, um diese Gräuel der Nazis gegenüber den Juden wieder zu beseitigen. Ich habe mich immer aktiv beteiligt an Aktionen, an Vorträgen und so weiter. Die etwas damit zu tun hatten, über diese Nazi-Verbrechen zu berichten. Ich bin ja selber hier, ich war in der deutschen israelischen Gesellschaft, bin sehr oft in Israel gewesen, sehr oft, habe auch Reisen dorthin organisiert. Ich war zweiter Vorsitzender und Schriftführer und habe sehr viele enge Beziehungen nach Israel, auch heute noch. Israel ist für mich ein... Ich möchte beinahe sagen, auch mit einem Heimatland, ja, ich liebe Israel und ich habe, für mich wird das immer ein Bestreben sein, alles zu tun, um eine Aussöhnung mit den Juden zu erreichen.

00:20:24: Florian Harms: Jetzt ist das Ende dieses Zweiten Weltkriegs und der schlimmen Jahre 80 Jahre her. Jetzt gibt es viele Ortsgedenkveranstaltungen, es gibt Reden. In Berlin ist sogar der 8. Mai in diesem Jahr einmalig ein offizieller Feiertag. Was denken Sie, auch ein Gedenk dessen, was Sie gerade sagten, im Hinblick auf eine mögliche Aussöhnung zwischen den Völkern? Welche Schlüsse sollten wir heute aus den damaligen Ereignissen ziehen? Also wir Heutigen, die das eben nicht selber erlebt haben damals?

00:20:52: Axel Gebhard: Immer wieder erzählen, immer wieder berichten, was passiert ist, die Tatsachen den Menschen darlegen und nichts vertuschen und nichts verbergen. Es muss eine permanente Information da sein, vor allem den Kindern gegenüber. Ich habe jetzt wiederholte Berichten zum 8. Mai gesehen, dass einige Politiker gesagt haben, jede Schulklasse müsste eigentlich einmal ein Konzentrationslager besichtigt haben. Das wäre ganz wichtig. Ich habe auch immer gesagt, ihr müsst alle einmal nach Israel fahren, um dort die politischen Verhältnisse kennenzulernen. Ihr werdet ein ganz anderes Bild bekommen, was in Israel passiert ist und wie Israel jetzt leben und was sie auch Gutes und Schönes dort erreicht haben und getan haben.

00:21:44: Florian Harms: Das finde ich einen sehr interessanten Gedanken und da kann ich auch sagen, das ging mir auch selber so. Und mit jedem Besuch in einer Gedenkstätte und mit jedem Film und auch mit den Reisen, die ich selber gemacht habe, auch beispielsweise nach Israel, habe ich mehr begriffen von dem, was damals passiert ist, obwohl ich ja nachgeborener bin. Herr Gebhard, mich interessiert jetzt noch ein Aspekt.

00:22:07: Axel Gebhard: Ich wollte zum Antisemitismus noch ein böses Wort von Karl Kraus, der Ihnen sicher auch bekannt ist, sagen, ja, der hat mal gesagt, das ist ja ein Philosemit, das hat er gesagt, das ist ein Antisemit, der Juden mag, ein ganz, ganz böses Wort und leider, leider stimmt es.

00:22:26: Florian Harms: Karl Kraus hat ohnehin viele wirklich starke Sätze geprägt, entlarvende Sätze. Herr Gebhard, was mich jetzt im Hinblick auf die heutige Zeit noch interessiert, es ist ja so, wir haben viele Krisen gegenwärtig in der Welt, die Preise steigen. In Deutschland wird diskutiert über die marode Infrastruktur. Man hört jetzt viele Zeitgenossen klagen, die so sagen, Deutschland steht eigentlich am Abgrund, das funktioniert hier alles nicht mehr. Haben Sie Verständnis für so eine Perspektive aus Ihrer Erfahrung heraus?

00:22:56: Axel Gebhard: Überhaupt nicht, überhaupt nicht. In den Deutschen ist es noch nie so gut gegangen wie jetzt. Ja, Menschen gibt es ja, vor allem alte Menschen, denen es nicht gut geht. Das ist schon sehr schlimm. Aber das ließe sich politisch alles regeln.

00:23:12: Florian Harms: Was fehlt Ihnen, wenn Sie sowas hören, wenn man sagt, na, alles ist so fürchterlich und so?

00:23:18: Axel Gebhard: Ja, die Leute denken nicht nach oder interessieren sich nicht für die, wie die Realität wirklich ist, ja. Dann diese völlig falsche Politik gegenüber Ostdeutschland, die wir nach der Wiedervereinigung da betrieben haben. Sie haben sich aufgeführt wie Besetzer, haben die Leute mehr oder weniger überhaupt nicht zu Wort kommen lassen. Die konnten sich ja überhaupt nicht entwickeln. Die sind wirklich besetzt worden. Dass sich da Widerstände erhoben haben gegen die Unterregierung. Das ist nur verständlich. Diese AfD-Wähler, die vielen die wir hier haben, das sind keine Nazis. Die meisten Menschen, das sind Protestwähler. Bis auf dieses braune Gesindel, das an der Spitze der Partei steht. Aber die meisten Menschen sind überhaupt keine Nazis!

00:24:08: Florian Harms: Da muss ich einmal einhaken, lieber Herr Gebhard, also ich verstehe das, wenn Sie sagen, ein Großteil der AfD-Wähler sind jetzt keine Extremisten, sondern die sind einfach Protestwähler. Zugleich muss man natürlich sagen, der Verfassungsschutz hat gerade am Freitag die gesamte AfD als rechtsextremistisch eingestuft und das aus guten Gründen, nachdem Tausende Dokumente dort durchsucht worden und betrachtet worden und gewichtet worden sind. Und da muss man schon sagen, viele der Funktionäre der AfD sind de facto Rechtsextremmisten und lehnen die deutsche Demokratie ab.

00:24:40: Axel Gebhard: Ja, das sehe ich auch so, aber doch nicht die vielen Millionen, die die AfD gewählt haben. Das sind keine Rechten.

00:24:51: Florian Harms: Wie sollte man mit diesen Menschen umgehen? Was sollten die Signale sein, damit man wieder zu einem besseren Verständnis führt und die demokratischen Parteien wieder gestärkt werden?

00:25:01: Axel Gebhard: Sie zu akzeptieren, wie sie sind, mit ihnen sprechen, mehr Kontakte herstellen. Wichtig, dass die Leute auch die Realität kennenlernen, auch etwas über die Vergangenheit darauf erzählen. Ich meine, die Leute sind ja von einer Diktatur in die nächste gerutscht, als die Kommunisten dann 1945 kamen. Ich meine die Leute aufklären, wie die Verhältnisse wirklich sind und mit ihnen sprechen. Ständige Kontakte sind wichtig. Beispielsweise dass auch Schuhklassen darüber gehen, viele Kontakte hergestellt werden. Es ist ganz wichtig, dass auch unsere Politiker dann rübergehen, vor allem dass auch in unserer Regierung endlich mal auch wieder Ostdeutsche kommen. In unserer neuen Regierung, die uns jetzt da bevorsteht, ist eine einzige DDRlerin aus Brandenburg im Ministerium. Wo sind die anderen Leute? Die haben doch weitere interessante Politiker auch dort. Warum hat man nicht die in die Regierung geholt?

00:26:01: Florian Harms: Also da sprechen Sie einen wunden Punkt an, tatsächlich in der neuen Bundesregierung von Friedrich Merz. Zumindest wenn man auf die Unionsministerkandidaten schaut, ist Ostdeutschland kaum repräsentiert. Jetzt warten wir mal ab, wen die SPD aufstellt, aber das ist ja auch eine tatsächlich vehemente Kritik immer schon gewesen jetzt, dass Ostdeutsche in Bundespositionen, sowohl in der Politik, wie auch in Ämtern, in Behörden deutlich unterrepräsentiert sind.

00:26:28: Axel Gebhard: Also ich hoffe, dass die SPD da was liefert. Ich bin aus Überzeugung bei der Jugendsozi. Ich war auch bei den Falken, das ist die sozialistische Jugendbewegung gewesen nach dem Krieg von der SPD. Also ich hoffe nur, dass die SPD vernünftige Leute jetzt mit in die Regierung bringt.

00:26:49: Florian Harms: Das wollen wir mal hoffen. Lieber Herr Gebhard, was möchten Sie denn unseren Hörerinnen und Hörern zum Schluss dieses Podcasts noch mitgeben? Haben Sie vielleicht noch eine Botschaft für uns?

00:26:58: Axel Gebhard: Sich ein bisschen mehr an die Realität halten und sich nicht immer beeinflussen lassen von irgendwelchen Schwätzern oder Faktenverschieber. Dass sie sich wirklich mal mit den Verhältnissen wirklich auseinandersetzen. Und vor allem auch daran denken, wie gut es ihnen im Grunde genommen geht. Nicht allen, aber den meisten von uns.

00:27:21: Florian Harms: Den meisten von uns geht es sehr gut. Das ist doch ein schönes Schlusswort auch für dieses Wochenende, dass wir das mal anerkennen. Damit sind wir am Ende dieses Podcasts Tagesanbruch die Diskussion angekommen. Ich bedanke mich sehr herzlich bei meinem Gast Axel Gebhard.

00:27:36: Axel Gebhard: Ich danke Ihnen, auf Wiederhören.

00:27:40: Florian Harms: Bei Lisa Raphael, Mark von Lüpke und Michaela Fischer bedanke ich mich für die Vorbereitung und Produktion dieses Podcasts und bei Ihnen allen fürs Zuhören. Wenn Ihnen das Gespräch gefallen hat, empfehlen Sie den Tagesanbruch bitte weiter als Newsletter auf t-online und als Podcast zum Beispiel auf Spotify. Ich wünsche Ihnen allen nun ein sonniges Wochenende. Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert. Am Wochenende geht es in einer längeren Diskussion mit prominenten Gästen um ein aktuelles, politisches Thema. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

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von und mit Florian Harms

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