Tagesanbruch von t-online

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00:00:02: Georg Mascolo: So dass, wenn ich zurückschaue, ich glaube, dass die Debatte um das Impfen wahrscheinlich die größten gesellschaftlichen Schäden angerichtet hat. Vergessen kann ja auch etwas Heilsames sein. Aber dem Staat steht es eben nicht zur Verfügung. Er muss Nach einer solchen Krise, solchen Ausmaßes muss er zurückschauen und sagen Welche Lehren ziehe ich daraus?

00:00:29: Lisa Raphael: Hallo zu einer neuen Folge von Tagesanbruch Die Diskussion dem wöchentlichen Podcast von t-online, diesmal für das Wochenende vom 22. März 2025. Und dieser Tag ist ein besonderer Jahrestag. Denn genau heute vor fünf Jahren ist der erste Corona Lockdown in Kraft getreten. Ab da begann eine Zeit, die unsere Gesellschaft tief verändert hat. Was haben wir gelernt aus der Pandemie? Welche Fehler wurden gemacht? Warum hat die Regierung immer noch keine richtige Aufarbeitung auf den Weg gebracht. Und sind wir gewappnet für die nächste Pandemie? Ich bin dieser Raphael, führe durch das Gespräch und begrüße jetzt die beiden Gäste für meine Sendung. Und zwar zuerst den Bestsellerautor und renommierten Corona-Experten Georg Mascolo. Er hat zwei Bücher über die Pandemie herausgebracht, vor kurzem sein zweites Buch mit dem Virologen Christian Drosten. Er war Spiegel-Chefredakteur und leitete die Recherche Kooperation von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung. Und ich freue mich, dass Sie jetzt hier sind, Herr Mascolo, und sage Herzlich willkommen!

00:01:33: Georg Mascolo: Hallo, Schön, hier zu sein.

00:01:34: Lisa Raphael: Und zum zweiten begrüße ich den Chefredakteur von t-online, Florian Harms.

00:01:38: Florian Harms: Ich freue mich auch auch auf die Diskussion.

00:01:40: Georg Mascolo: Ich mich auch.

00:01:41: Lisa Raphael: Ja, ich denke, wir können uns noch alle an die Zeit im März 2020 erinnern. Die Geschäfte, Kitas, Schulen wurden geschlossen, es herrschte Kontaktverbot. Man durfte sich mit maximal einer weiteren Person treffen. Es folgte ein zweiter Lockdown die Debatte um die Impfpflicht und aktuell die Fälle von LongCovid und Impfschäden. Wir wollen hier im Gespräch zuerst auf die Fehler, die in der Pandemie gemacht wurden, schauen und was wir daraus lernen können. Und dann auf die zentrale Frage, was das mit unserer Gesellschaft gemacht hat, diese Zeit. Und zum Schluss die Frage stellen, ob wir denn auf eine nächste Pandemie vorbereitet sind. Wenn man Gesundheitsminister Lauterbach in Interviews zur Corona Zeit hört, ist er nicht so wirklich selbstkritisch. Ende Januar sagte er auf die Frage zu den Fehlern mit Blick auf die Schulschließungen Folgendes.

00:02:25: Ton Karl Lauterbach (Quelle: Deutschlandfunk): Vielleicht wäre es besser gewesen, bei den Kindern etwas großzügiger zu sein und dafür bei den Betrieben etwas strenger. Tatsächlich war die Priorität bei uns zum Teil eine andere und daher ist mit den Betrieben zum Teil großzügiger umgegangen worden als mit den Schulen. Und das würde ich im Nachhinein als einen Fehler betrachten.

00:02:47: Lisa Raphael: Herr Mascolo, was würden Sie sagen? Was war der größte Fehler in einer Panne?

00:02:50: Georg Mascolo: Also hinter das, wo Karl Lauterbach jetzt ein Fragezeichen setzt, würde ich ein Ausrufezeichen setzen. Es ist ganz sicher die Frage gewesen Wie sind wir mit Kindern und Jugendlichen umgegangen? Und zwar unter einem ganz einfachen Aspekt Zu Beginn der Pandemie ging es ja nur darum, Kontakte zu reduzieren. Man wusste, dass man die nie auf Null würde reduzieren können. Das heißt, es ging immer um die Frage Welcher Teil der Gesellschaft kann eigentlich offen bleiben und welcher Teil der Gesellschaft trägt die Lasten? Und diese Abwägung hat ganz häufig stattgefunden zuungunsten der Kinder und der Jugendlichen und der Familien. So was wie Homeoffice, was es in anderen Ländern früh gab, gab es bei uns erst spät. Ganz sicher etwas, was sich bei einer weiteren Pandemie so nicht wiederholen sollte und dürfte.

00:03:35: Lisa Raphael: Florian, was würdest du sagen? Was war deiner Ansicht nach der größte Fehler?

00:03:40: Florian Harms: Auch genau diese Frage, wie mit unterschiedlichen Gruppen in der Bevölkerung umgegangen worden ist. Und wir sehen ja jetzt auch, wo wir dann über die Schäden sprechen, dass es insbesondere viele Kinder und Jugendliche wirklich hart getroffen hat in ihrem Aufwachsen. Man weiß das von Jugend Psychologen, wenn man in bestimmten Lebensaltern wie beispielsweise zwischen 8910 und dann hoch in die Pubertät wenig Sozialkontakte zu Gleichaltrigen hat, dann hat das prägende Folgen für das gesamte Leben. Und das haben wir nicht gut genug gemacht als Gesellschaft. Ohnehin hatte ich den Eindruck, dass in der gesamten Diskussion das Wohl und Wehe der Älteren, die ja auch überwiegend betroffen waren von den schweren gesundheitlichen Corona-Folgen, sehr stark im Mittelpunkt der Debatte stand und das Wohl und Wehe von Jüngeren weniger. Und ähnlich konnte man es dann auch bei Berufsgruppen sehen. Vielleicht reden wir ja auch noch darüber, wie zum Beispiel Freiberufler an der Veranstaltungsbranche und andere getroffen worden sind.

00:04:36: Lisa Raphael: Ja, diese Branche hat eben auch sehr gelitten. Auch die ganzen Betriebe sieht man ja auch heute noch an den Insolvenzen. Wo gab es denn so einen Moment, wo man vielleicht gegensteuern hätte können? Gab es den oder waren die Politiker eigentlich ahnungslos, weil sie eben noch nicht genug vorbereitet waren? Also müsste man die Politiker vielleicht auch ein bisschen in Schutz nehmen.

00:04:56: Georg Mascolo: Also das würde ich ganz sicher tun für die erste Phase der Pandemie, an die wir ja alle noch eine ganz gute Erinnerung haben. Da ist was in unser Leben getreten, von dem wir eigentlich dachten, das sind so Dinge aus dem Geschichtsbuch Seuchen, Quarantäne, Distanzierung von Menschen. Das ist ja etwas, von dem wusste man, dass es existiert. Aber ich glaube nicht, dass wir gedacht haben, dass es uns in unserer hochtechnisierten Medizinwelt tatsächlich noch mal passieren könnte. Und dann war es auf einmal da und wir waren so wehrlos, wie die Menschen es im Mittelalter auch gewesen sind. Am Anfang ging es um die Frage Meine Kontakte. Früher hat man sich ein Tuch vor den Mund gehalten, dann wurde es wie die Maske. Das heißt, bis wir tatsächlich Impfstoff gehabt haben, haben wir kein anderes Mittel gehabt als das, was es über Jahrhunderte zur Seuchenbekämpfung gab. Dass das etwas war, was die Politik überwältigt hat. Das habe ich verstehen können. Insofern habe ich auch für den Beginn des Krisenmanagements ein Verständnis. Diese berühmte Wir haben ja alle das Wort MPK irgendwann gelernt. Wusste man vorher gar nicht, dass es so was eigentlich gibt. Dann saß man da bis abends vor dem Fernseher und dachte Wie lange brauchen Sie heute? Acht Stunden. Zehn Stunden? Zwölf Stunden. Und dann erfuhr man, was geht und was nicht geht, was zugemacht werden muss, was möglicherweise offen oder teilweise aufgemacht wird. Und da sehe ich den schwersten Fehler und das schwerste Versäumnis in der Politik dass man am Anfang, wenn etwas neu kommt, nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Das ist in Ordnung. Aber wir haben das dann über Jahre gemacht, obwohl man in keinem Plan für den Umgang mit Katastrophen und schon gar nicht in Pandemieplänen das Wort MPEG auch nur finden würde. Das heißt, am Ende haben sich da 16 plus eins zusammengefunden in quälenden Sitzungen und haben die Frage diskutiert, wie es mit der ersten Bundesliga, mit der zweiten Bundesliga und mit der dritten Bundesliga. Und wie verhalten sich Möbelmärkte zu Gartenmärkten? Und kann man jetzt eigentlich, wenn die Friseure zu sind, vielleicht für medizinische Fußpflege eine andere Regelung finden? Und sie haben sich einfach so sehr verloren in dieser Form des Krisenmanagements, dass einige der nicht nachvollziehbaren Entscheidungen, die wir gesehen haben, einen Schritt zurückzutreten, sich zu fragen Wo stehen wir jetzt eigentlich? Was macht tatsächlich noch einen Sinn? Was wissen wir, was wissen wir noch nicht? Das hat zu wenig stattgefunden. Also diese MPK, so sehr man den Beginn dieses Krisenmanagements verstehen kann, ist im Nachhinein in der Art und Weise, wie sie zustande kam und wie sie diskutiert hat, einer der großen Fehler.

00:07:40: Lisa Raphael: Kurze Nachfrage noch mal zu dem, was Sie genau meinen. Also meinen Sie, die Politiker haben sich so ein bisschen in den Details verrannt? Dann nach einer Zeit?

00:07:48: Georg Mascolo: Ja, das. Ich habe ja für das erste Buch dann doch ganz ungewöhnlichen Zugang gehabt, auch zum Verlauf dieser Sitzungen. Und man kann das gar nicht anders nennen. Es lädt sich emotional ungeheuer auf. Große Fragen werden praktisch überhaupt nicht diskutiert. Es gibt überhaupt gar keine Diskussion, beispielsweise über die Frage Was machen wir eigentlich, wenn es mal einen Impfstoff gibt? Kommen wir ohne eine Impfpflicht aus? Wie überzeugen wie die Menschen eigentlich? Das heißt, diese vielen kleinen Dinge des Alltags, die nehmen breitesten Raum ein, weil man das Gefühl hat, jeder und jede will noch was dazu sagen. Aber die großen strategischen Diskussionen, die in der Pandemie so ungeheuer wichtig sind, die finden praktisch überhaupt nicht statt.

00:08:35: Lisa Raphael: Und nicht weit genug gedacht.

00:08:38: Georg Mascolo: Die wichtigste Währung in der Pandemie ist die Zeit. Man weiß, dass man immer gegen die uhr läuft. Man weiß, dass man Entscheidungen im Zweifel früh treffen muss. Dafür muss man sie antizipieren. Und das findet am Ende Praktisch überhaupt nicht mehr statt, sondern endlose Diskussionen über die Frage, wie es in der Außengastronomie im Saarland ist und wie sich das zu Rheinland Pfalz verhält. Also der gesamte Druck auch der Gesellschaft entlädt sich in diesen Diskussionen, dieser MPK, die Kanzlerin wird immer ungeduldiger und sagt Wir sitzen hier nur noch, weil niemand was entscheiden will. Irgendwann werden wir kein Geld mehr haben. Wir werden dafür einstehen müssen, was wir hier jetzt eigentlich nicht schaffen. Also diese Form des Mechanismus der Krisenbewältigung, der war falsch.

00:09:25: Florian Harms: Ich glaube auch, dass diese MPK, dass diese Ministerpräsidentenkonferenzen unter der Leitung der Kanzlerin Merkel wesentlich dazu beigetragen haben, dass Teile der Gesellschaft das Vertrauen verloren haben, nicht nur in die konkreten Handelnden, sondern auch in die Lösungsfindung Kompetenz des Staates. Und das ist ja auch zum Teil hinreichend absurd gewesen. Wir haben dann erfahren, dass einzelne Protagonisten selber sehr ungehalten waren. Der damalige thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow spielte dann Candy Crush während dieser Runden, während man wartete darauf, dass ein kleiner Kreis aus der MPK irgendwann eine bestimmte Entscheidung traf. Und dann ist ja auch aus diesen Runden heraus Informationen weitergegeben worden von einzelnen Beteiligten an bestimmte Journalisten. Und das führte dann dazu, dass man eigentlich im Land immer darauf wartete Was machen die denn da jetzt in diesem Rat und was kommt denn jetzt? Und dann ist diese Debatte abends in den Talkshows weiter geführt worden und sofort natürlich hinterfragt worden. Aber alles unter so einem Eindruck, wie Georg Mascolo das gerade geschildert hat, dass das nicht so richtig transparent ist, dass es auch nicht wirklich zielführend ist, dass es also nicht auf die großen strategischen Fragen ausgeht Wie gehen wir denn jetzt strategisch damit um? Wir bereiten uns jetzt schon auf das vor, was vielleicht in einem halben Jahr kommt, nämlich zum Beispiel, wenn es dann wieder dunkler wird, draußen kälter wird, wenn man sich mehr in Innenräumen aufhält, also möglicherweise ein weiterer Lockdown notwendig wird. Oder wenn ein Impfstoff irgendwann verfügbar sein wird. Sondern es ging immer nur um vermeintlich aktuelle, kurzfristige Fragen, die dann angereichert wurden durch das Urteil bestimmter Virologen, die dann auch kritisch hinterfragt worden sind in der Öffentlichkeit und erst recht von Menschen, die dann eben das Vertrauen verloren hatten und dann ja zum Teil wirklich auf übelste Art und Weise diese Mediziner diskreditiert haben.

00:11:13: Georg Mascolo: Ich will noch einen Punkt ansprechen, der mich bis heute auch sehr beschäftigt. In dieser MPK, in der ja beispiellose Entscheidungen getroffen werden, was die Einschränkung von Grundrechten in unserem Land angeht, haben wir so vorher nie erlebt, werden wir hoffentlich danach auch nie wieder so erleben. Und ich will gar nicht sagen, dass alles falsch war. Natürlich war nicht alles falsch, aber das, was der Staat natürlich zwingend den Bürgerinnen und Bürgern schuldet, nämlich zumindest eine nachträgliche Transparenz, die gibt es bis heute nicht. Und was ist der Grund dafür? In dieser Sitzung lief offiziell nicht als ein Tonband. Es wurde nicht einmal ein anständiges Protokoll geführt. Etwas, was wir später ja an vielen anderen Stellen auch gesehen haben. Wenn ich nur an den Streit über die Reiki Protokolle erinnere. Das finde ich vollends unverständlich, weil hier handelt es sich nicht um militärische oder diplomatische Geheimnisse. Man kann argumentieren, dass es eine gewisse Vertraulichkeit in der Krise benötigt und dass nicht alles sofort öffentlich diskutiert werden kann. Aber zumindestens im Nachhinein darf nichts von dem, was getan und nicht getan werden, behandelt werden wie ein Staatsgeheimnis. Ich glaube, dass das im Nachhinein zu einem großen Verdruss und zu einem Vertrauensverlust bei den Menschen führt und weiterführen wird.

00:12:37: Lisa Raphael: Wir haben ja schon öfter angesprochen, dass eben viel Vertrauen verloren gegangen ist. Kommen wir doch mal auf diese Frage zu sprechen, was die Zeit generell noch mit unserer Gesellschaft gemacht hat. Also wenn wir jetzt schauen, wie massiv Kinder und Jugendliche darunter gelitten haben, auch jetzt noch krasse Auswirkungen. Viele leiden unter Depressionen, haben eklatante Bildungslücken, die sie verpasst haben. Aber auch wenn wir auf diese Zeit der Impfpflicht schauen wir hatten jetzt auch schon die Ausgrenzung der Gesellschaft kurz angesprochen. Bei dieser Impfdebatte wurden ja wirklich auch Familien auseinander gebracht und es hat auch Freundschaften teilweise zerstört. Ich denke, da fühlen sich viele Hörerinnen und Hörer abgeholt. War denn im Nachhinein diese Ausgrenzung der Impfskeptiker ein Fehler?

00:13:22: Georg Mascolo: Ja, so wie auch die Debatte über die Einführung der Impfpflicht bleibenden Schaden hinterlassen hat. Und ich glaube, vor allem aus einem relativ einfachen Grund. Und dass die Politik sehr früh das Versprechen abgegeben hatte, keine Impfpflicht einzuführen. Es hat sehr wohl mahnende und warnende Stimmen gegeben, die argumentiert haben und gesagt haben. Lasst uns doch erst mal sehen, wie sich die Pandemie entwickelt. Eine Impfpflicht ist immer eine schlechte Idee. Der Staat setzt darauf, seine Bürgerinnen und Bürger in solchen Fällen zu überzeugen und nicht zu zwingen. Aber sie kann ja als Ultima Ratio möglicherweise notwendig sein. Das heißt, man hätte diese Diskussion auch offen lassen können. Hat man aber nicht, sondern hat versprochen, es käme zu keiner Pflicht. Und dann haben wir die Debatte erlebt. Und haarscharf ehrlich gesagt hätte das Virus sich nicht selber mit der Omicron Variante nen Stück selbst entschärft, glaube ich. Wären wir neben Österreich auch die zweite Demokratie Europas gewesen, die sich für eine solche Impfpflicht entschieden hätte. Und natürlich hinterlässt das Schäden und die Diskussion hinterlässt Schäden. Und sie hinterlässt auch deshalb Schäden, weil der kluge Staat darauf setzt, seine Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen. Und das hat er jedenfalls in Deutschland nicht ausreichend getan. Alle sind erstaunt gewesen, wie viele Menschen skeptisch gegenüber einer Impfung sind. Aber die waren ja jetzt nicht alle schwul bla oder Verschwörungs leugner, sondern viele haben einfach Fragen gehabt, die sie beantwortet haben wollten. Und das eine Bundesland, um das so zu sagen ist, das zum Beispiel sehr gut gemacht hat, war Bremen, die genau das früh erkannt haben. Die haben gesehen, dass in den reicheren Stadtbezirken, da standen die Leute Schlange bei ihren Hausärzten und Hausärzten. Viele kannten wahrscheinlich auch irgendjemand aus privaten Zusammenhängen, aus dem Sport oder wo auch immer. Das heißt, es gab ein Teil der Gesellschaft, für die konnte es gar nicht schnell genug gehen, jetzt geimpft zu werden. Einmal, zweimal, dreimal. Und dann gab es aber auch einen Haufen Menschen, die haben gar keinen Hausarzt und die haben auch gar keine Hausärztin. Und die sind vielleicht auch sonst in Fragen der Gesundheitsversorgung eher ein bisschen nachlässig Lässig. Oder haben mehr Fragezeichen. Und auf diese Menschen zuzugehen und ihnen ein Angebot zu machen, das ist etwas, was wir erst sehr spät verstanden haben, so dass, wenn ich zurückschaue, ich glaube, dass die Debatte um das Impfen wahrscheinlich die größten gesellschaftlichen Schäden angerichtet hat.

00:16:06: Florian Harms: Und ich glaube, das betrifft auch die Frage, wie Medien mit diesem Thema umgegangen sind, durchaus auch wir bei t-online. Und da haben wir auch nicht nur viele kritische Fragen bekommen von vielen Leserinnen und Lesern, sondern auch harsche Kritik, weil auch unsere Berichterstattung in der Kommentierung stark dem Kurs ähnelte, den die Regierenden genommen haben, nämlich pro Impfen. Und da sind viele Leserinnen und Leser zu dem Schluss gekommen, dass ihre Interessen sich in der Berichterstattung gar nicht mehr niederschlagen. Und dann kann man noch und nöcher erklären, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem Bericht, also einer Nachricht und einer Kommentierung, die dann die persönliche Meinung des Autors wiedergibt. Viele Menschen haben den Unterschied nicht wahrgenommen, haben es vermengt und hatten den Eindruck, nicht nur die Regierenden, sondern auch große Medienhäuser wie t-online würden ihnen jetzt diktieren, was sie sich unter die Haut rammen sollen. Dazu muss man immer sagen, dass man natürlich zum einen sich kritisch hinterfragen muss. Auch wir Journalisten müssen das tun, keine Frage, auch ich persönlich in meiner Kommentierung. Zum anderen hat Georg Mascolo gerade ein wichtiges Stichwort genannt, nämlich die Omicron Variante. Denn das Virus hat sich ja verändert und auch die Diskussion über eine Impfung hat sich verändert. Es gab zu Beginn, als die Impfungen dann auf dem Markt waren, den verbreiteten Eindruck, dass man mit einer Impfung nicht nur sich selbst, sondern auch andere schützen kann. Das war zumindest der damalige Informationsstand und das hat sich dann im Laufe der Pandemie verändert. Und es hat sich auch mit den Mutationen des Virus verändert. Und das ist natürlich nicht im selben Maße bei allen Menschen angekommen, dass sich auch die Notwendigkeit einer Impfung, die Folgen einer Impfung, also auch die positiven Impfungen verändern konnten.

00:17:49: Lisa Raphael: Ja, viele haben sich auch geimpft, viele junge Leute, um eben die ältere Gesellschaft zu schützen. Genau das ist die Frage was hätte man besser machen können und wo hätte man anders kommunizieren müssen? Ich habe da eine ganz spannende Meinung gefunden, und zwar von der Kabarettistin Christine Prayon. Einigen ist sie bekannt als Birte Schneider aus der heute show und bei ihr wurde ein Impfschaden attestiert. Im Medizinersprech heißt es Post vac. Ihre Symptome sind unter anderem Herzrasen, Muskelzuckungen, Blutdruckschwankungen. Und sie sagte in einer Doku von Eckart von Hirschhausen im ARD etwas Interessantes auf die Frage, wie sie als Gesundheitsministerin damals reagiert hätte.

00:18:30: Ton Christine Prayon (Quelle: ARD): Wenn ich der Meinung wäre, dass die Impfung wichtig ist. Kann ich ja sein, kann ich als Politiker sagen. Dann hätte ich gesagt Leute, wir möchten euch das sehr ans Herz legen und euch empfehlen, Wir können aber nicht sicher garantieren, dass das nebenwirkungsfrei ist. Wir wissen es nicht. Aber wenn euch was passiert, dann stehen wir dafür ein, dass wir euch helfen, dass wir euch unterstützen. Finanziell, medizinisch. Dann sind wir da. Das ist aber nicht passiert.

00:19:00: Lisa Raphael: Eben genau zu sagen, wir wissen es nicht besser, weil viele Politiker oder auch Experten haben eben gesagt na ja, die Impfung ist sicher. Wäre das ein Punkt gewesen, wo man nachhaken müsste.

00:19:10: Georg Mascolo: Also ich würde übrigens bis heute argumentieren, dass die Impfung sicher ist, auch im Vergleich zu ganz vielen anderen Impfungen oder dem Einsatz von anderen Medikamenten und Therapeutika. Aber der Fehler hat da angefangen, wo beispielsweise Karl Lauterbach gesagt hat praktisch nebenwirkungsfrei oder sogar nebenwirkungsfrei, weil das gibt es nicht. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Also das ist nebenwirkungsfrei existiert schlicht nicht. Ich kann es nur wiederholen Ich glaube, die Impfung ist ein Segen gewesen. Aber das, was wir jetzt diskutieren, ist eine gute Erinnerung daran, dass die Pandemie eben nicht für alle Menschen vorbei ist. Also diese Vorstellung. Und deswegen beschäftigt mich auch die Frage, warum diese Diskussion so wenig stattfindet. Die Pandemie ist gar nicht für alle Menschen vorbei. Sie ist nicht vorbei für diejenigen, die ihm Schaden haben. Sie ist vor allem nicht für diejenigen vorbei, die unter LongCovit leiden. Ich würde mir als Gesellschaft ehrlich gesagt wünschen, dass wir eine ähnliche Anstrengung, die wir mal unternommen haben, so schnell wie möglich Impfstoff zu entwickeln. Jetzt alles daran zu setzen, Menschen mit LongCovit-Symptomen, so gut es denn irgend geht zu helfen. Weil das schauen wir ja nicht nur zurück, da schauen wir an jedem Tag irgendwie nach vorne. Corona hat seine unmittelbare Bedrohung und Bedrohlichkeit verloren, aber existiert ja als Krankheit noch, wird als Krankheit wahrscheinlich auch nie verschwinden. Wird möglicherweise für viele Menschen immer genau diese LongCovit Folgen haben. Also wir müssen auch aufpassen in unserem Mechanismus des finde ich sagen. Entweder schauen wir nur hin und tun so, als gäbe es gar nichts anderes mehr. Oder wir lösen es durch andere Debatten an und vergessen dann diejenigen, die unter der Pandemie noch immer zu leiden haben. Und das sind dann doch erschreckend viele Menschen. Und die Kinder und Jugendlichen, über die wir schon gesprochen haben, gehören dazu.

00:21:05: Lisa Raphael: Und was fehlt da genau? Also Sie haben jetzt angesprochen, man sollte da mehr in die Forschung investieren, aber woran hakt es noch?

00:21:14: Georg Mascolo: Also inzwischen glaube ich, passiert da viel, aber auch da war zu spät schon so ein Grundmuster. Es hat schon eine Zeit gebraucht, bis man LongCovit so ernst genommen hat, wie man es ernst nehmen muss. Und bis heute schreiben mir jedenfalls Betroffene und schildern ihre Fälle, wo ich bisweilen geradezu entsetzt bin, wie wenig Sensibilität ist bei Berufsgenossenschaften, Krankenkassen und so dafür auch immer noch gibt. Die Tatsache, dass man eine Krankheit und ihre Folgen nicht vollständig verstanden hat, heißt nicht, dass sie nicht existiert. Und das heißt, so muss man mit den Betroffenen auch umgehen. Sie brauchen Empathie, sie brauchen Unterstützung und sie haben den Anspruch auf die bestmögliche Forschung und medizinische Unterstützung.

00:22:02: Florian Harms: Und zugleich gibt es eben auch andere Menschen, die nach wie vor unter den Folgen von Corona leiden. Ich habe in meinem Freundeskreis mehrere Freiberufler, die vor der Pandemie von Veranstaltungen lebten und mir jetzt berichten, dass durch die Lockdowns nicht nur ihre berufliche Grundlage weggebrochen ist, sondern dass sie auch nicht wiedergekommen ist. Jetzt in unserem normalen Post Corona Leben, weil sich durch die veränderten Bedingungen und auch die veränderte Praxis vieler Menschen, zum Beispiel zu welchen Veranstaltungen man geht, sich das geändert hat. Also es gehen beispielsweise heute weniger Menschen auf Veranstaltungen, als das vor der Pandemie der Fall gewesen ist. Das heißt, viele müssen sich neu orientieren oder auch wenn man die Gastronomie nimmt. Da haben viele ihren Job verloren und mussten sich dann neu orientieren. Viele Gastronomen suchen händeringend Personal. Das sind alles Folgen dieser Pandemie gewesen.

00:23:00: Lisa Raphael: Aber ja nicht nur auf gesundheitlicher Ebene, dass Leute Angst haben, sich anzustecken.

00:23:04: Florian Harms: Nein es geht um die berufliche Existenz.

00:23:05: Lisa Raphael: Sondern eben auch wegen der wirtschaftlichen Entwicklung, die Corona mit sich gezogen hat. Und glaubst du vielleicht auch, dass die Entwicklung in der inneren Sicherheit ein Punkt sein könnte, warum vielleicht weniger Leute auf Veranstaltungen gehen?

00:23:17: Florian Harms: Ja, das mag auch sein. Auch, dass man vielleicht anders darauf schaut, wo geht man wirklich hin? Weil das den Punkt Innere Sicherheit ansprichst. Da könnten wir lange sprechen. Marco, der ein Experte dafür ist. Aber was wir schon gesehen haben, ist, dass sich Teile der Bevölkerung radikalisiert haben in dieser Zeit. In der Corona Zeit eben aus unterschiedlichen Gründen Vereinzelung, Misstrauen gegenüber dem Staat, gegenüber den Medien. Dass zum Teil auch radikale Kräfte das ausgenutzt haben, um ganz gezielt anzufangen, gegen Andersdenkende, gegen den Staat zu hetzen und dass das natürlich insbesondere durch die sozialen Medien, durch die dortigen Algorithmen verstärkt worden ist. Also das, was man so als schwul benennt, als Corona Skeptiker, wo man auch manchmal eher drüber lächelt. Naja, die Leute mit dem Aluhut, die gibt es. Aber es gibt eben auch eine erkleckliche Zahl von echten Radikalen, die sich in dieser Corona Zeit radikalisiert haben und auch nicht mehr von runterkommen.

00:24:16: Lisa Raphael: Aber der Algorithmus spielt ja da genau mit rein. Also umso mehr du diese radikalen Inhalte legst, die Länge anschaust, umso mehr wird er halt ausgespielt. Und auch generell sind die Algorithmen von Instagram Facebook ikt auch darauf ausgerichtet, das eher negative Inhalte.

00:24:32: Florian Harms: Das ist das alte Übel und darüber könnten wir noch drei Podcasts machen. Ja, du kennst ja meinen Standpunkt gegenüber den sozialen Medien. Ich finde, man muss das viel härter reglementieren, weil diese Plattformen eigentlich keine Plattform, sondern Medien sind und müssen sie wie Medien behandeln. Dann müssten auch die Eigentümer nach Medienrecht behandelt werden. So wie ich als Chefredakteur verantwortlich dafür bin, was auf die Online steht, müsste Mark Zuckerberg persönlich mit seiner sozusagen Eigentümerschaft von Facebook verantwortlich für das sein, was da steht. Das ist nicht so, und weil wir das nicht im Griff haben, tragen die sozialen Medien, die oft genug asoziale Medien sind, leider Gottes dazu bei, unsere Gesellschaft weiter zu polarisieren, weiter zu spalten.

00:25:10: Lisa Raphael: Aber nach vorne gefragt Ist es denn überhaupt möglich? Wenn wir jetzt darauf schauen, es ist ja wirklich möglich, dass irgendwann uns eine nächste Pandemie erreicht. Ist es dann überhaupt möglich, gesellschaftlich durch die sozialen Medien noch mal vielleicht auf die Rolle und die Bedeutung der sozialen Medien geschaut, also wirklich gesellschaftliche Debatten um solche kontroversen Themen zu führen, wenn dort halt hat die Radikalisierung so eine Gefahr ist?

00:25:38: Georg Mascolo: Das ist eine Herausforderung, nicht nur in Zeiten der Pandemie. Ich würde sagen, der Sinn noch nie. Journalismus hat echt seine eigenen Macken. Ich mache das jetzt seit 40 Jahren und alle Fehler, die man in diesem Beruf machen kann, habe ich wahrscheinlich irgendwann auch schon mal selbst gemacht. Aber der Journalismus funktioniert dann doch nach ziemlich klaren ethischen und handwerklichen Kriterien. Und das muss er auch, wenn er seiner entscheidenden Aufgabe nachkommen will. Und das ist eine dienende Funktion für die Menschen in diesem Land zu haben. Und die besteht ja nicht darin, Menschen beständig zu sagen, was sie jetzt meinen sollten, sondern ihnen die Information zu verschaffen, damit sie zu ihren eigenen Schlüssen kommen können. Und ich würde sagen, dass die sozialen Medien, deren Geschäftsprinzip ist, so meilenweit entfernt von dem, was Gesellschaften eigentlich benötigen keine Missionierung, sondern Information, klüger zu werden und nicht nur erregter zu werden. Und damit zu Ihrer Frage Pandemie. Ich kann nur hoffen, dass uns keine mehr erwischen wird, jedenfalls zu unseren Lebzeiten, weil das, was wir uns auf allen Ebenen mal versprochen haben, zu sagen, einen solchen Einschnitt, den gucken wir uns hinterher an und daraus ziehen wir unsere Schlüsse. Das haben wir uns auf globaler Ebene versprochen, bei der Weltgesundheitsorganisation noch während der Pandemie. Da haben wir gesagt, wir schließen den Welt pandemievertrag. Der wird für die Gesundheitsfrage so wichtig, wie das Paris Agreement für den Klimaschutz ist. Und aus diesem Abkommen ist nichts geworden. Bei uns warte ich immer noch auf etwas, was auch nur ansatzweise den Begriff der Reflektion, Aufarbeitung, Aufklärung verdienen würde. Das heißt, würde es uns morgen treffen, bin ich ehrlich gesagt voller Sorge, weil wir haben nichts festgehalten. Wir haben uns auf nichts geeinigt und verständigt. Wir haben an keiner Stelle versucht, Gräben zuzuschütten, offene Diskussion zuzulassen. Und ich empfinde das als schweren Mangel und habe neulich mit Erstaunen ein Interview des Bundespräsidenten gelesen, in dem er gesagt hat Wenn die neue Regierung jetzt nicht in der Lage sei, sich sehr schnell darauf zu einigen, wie eine Coruna Aufarbeitung aussieht, dann würde er diese Krone Aufarbeitung an sich ziehen und würde sie als Bundespräsident durchführen. Ich kann mich schlechterdings an keinen anderen solchen Fall erinnern, wo der höchste Repräsentant des Staates sagt Wenn ihr es nicht hinkriegt, dann mache ich es und ich sage es euch auch vorher, dass es so kommen wird.

00:28:28: Lisa Raphael: Aber es gab ja echt viele Initiativen, die da in der Diskussion waren also Enquete Kommission, Bürgerrat, Untersuchungsausschuss. Und Herr Lauterbach hat jetzt auch noch mal in einem kürzlichen Interview genau das angekündigt. Es wird auf jeden Fall kommen in der nächsten Bundesregierung. Aber warum ist denn dann nichts gekommen? Lag es vielleicht eher an dieser Formalität? Wie machen wir es, dass nichts gekommen ist?

00:28:50: Georg Mascolo: Also ein Teil der Verantwortung liegt bei der Ampel. Das war irgendwann in der Zeit, wo die sich auf nichts mehr einigen konnten. Und obwohl sie eigentlich alle einig waren, dass das Corona Thema, was das angeht, besser Streit frei gestellt werden sollte, haben sie die Kraft dafür nicht mehr aufgebracht, sondern haben sich so wie in allen anderen Bereichen auch verhakt. Und dann gibt es zwei wirklich radikal unterschiedliche Betrachtungen in der Frage der Aufarbeitung. Es gibt ein Lager, angeführt von Politikern wie Markus Söder, die das auch ganz offen sagen. Die sagen, das bringt alles überhaupt nichts. Die Form von Aufarbeitung, die nutzt letztlich nur denjenigen, die ohnehin in diesem Land schon viel zu viel politische Macht haben ansammeln können, wie die AfD beispielsweise oder auch das BSW. Zur Wahrheit gehört, dass ich glaube, dass hinter diesem Argumenten ein Stück auch immer steckt. Die mangelnde Bereitschaft, Rechenschaft abzulegen. Also wenn man sagt, das dient sowieso nur den Falschen. Dann muss ich halt auch nicht erklären, was sie vielleicht im Nachhinein nicht erklären möchte. Und ich bin auch nicht sicher, ob Markus Söder alle seine Entscheidungen im Nachhinein noch mal angeschaut haben möchte. Und dann gibt es ein zweites Argument. Das halte ich für geradezu fatal. Das heißt, wir haben doch jetzt andere Probleme. Soll heißen, wir haben auch gar keine Zeit, uns darum zu kümmern. Was sicher richtig ist, ist, dass wir so eine Überlappung und schnelle Abfolge von Problemen haben, die für Politik und Parlament außerordentlich herausfordernd sind. Aber das Argument, dass wir jetzt andere Probleme hätten, Ist aus meiner Sicht völlig untauglich. Ich glaube, dass nichts zur Polarisierung dieser Gesellschaft in den vergangenen Jahren so beigetragen hat wie die Pandemie und der Umgang damit. Ich glaube, dass nichts mehr zu einer weiteren Polarisierung beitragen würde, als wenn wir morgen ein ähnliches Ereignis hätte. Und die Menschen würden sagen Was. Die haben sich mit der Frage überhaupt nicht beschäftigt. Sie haben sich überhaupt nicht die Frage vorgelegt, wie wir jetzt eigentlich besser vorbereitet sein sollten. Und es sind übrigens auch zwei völlig unterschiedliche Dinge, das viele Menschen da draußen sagen. Bei den Problemen, die ich im Moment jeden Tag von denen ich höre und lese, will ich mich jetzt nicht auch noch mit der Pandemie beschäftigen, wie das damals war. Das finde ich völlig in Ordnung. Vergessen kann ja auch was Heilsames sein. Aber dem Staat steht es eben nicht zur Verfügung. Er muss Nach einer solchen Krise, solchen Ausmaßes muss er zurückschauen und sagen Welche Lehren ziehe ich daraus? Ansonsten geht es uns irgendwann wie mit der Bundeswehr, mit wie mit der Digitalisierung. Meine Worüber reden wir in diesen Tagen? Wir reden viel zu häufig darüber, dass wir an vielen Stellen keine Erkenntnisproblem mehr hatten und das seit sehr langer Zeit. Aber dass wir so ein richtiges Umsetzungsproblem haben, das zu spät auf so eine sonderbare Art und Weise ein bisschen die deutsche Grundmelodie geworden ist. Aber wenn es um einschneidende Ereignisse wie eine Pandemie geht, wo es um so viele Menschenleben und Gesundheit geht, finde ich, ist das eine Form von ich kann es gar nicht anders sagen von Nachlässigkeit, die man den staatlichen Organen nicht durchgehen lassen darf, weil das, was er seinen Bürgerinnen und Bürgern zuallererst schuldet, ist den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit. Und dazu gehört Vorbereitung auf die nächste Pandemie.

00:32:25: Lisa Raphael: Und weil da eben auch so viel Vertrauen verloren gegangen ist, wäre das vielleicht auch ein ein Schritt, dieses Vertrauen wieder her zu holen?

00:32:33: Florian Harms: Ja, ganz bestimmt. Und deshalb gehört es in die gewählten Institutionen, also beispielsweise die Parlamente. Also ja, es bräuchte eine Enquetekommission oder einen Untersuchungsausschuss oder ein anders geartetes Gremium, vielleicht auch aus mehreren Parlamenten, wenn man die Landesparlamente noch mitdenkt. Ich glaube, man sollte darüber hinausgehen. Deshalb finde ich so ein Instrument wie ein Bürgerrat oder etwas Ähnliches sehr ansprechend, weil man dann eben ganz unterschiedliche Stimmen aus der Bevölkerung transparent in die Lage versetzt, mitzudiskutieren und das mit aufzuarbeiten. Wir haben ja hier im Podcast auch schon mehrfach über die segensreiche Wirkung solcher Bürgerrechte gesprochen, zumindest mal für den Aspekt der Sichtbarmachung von Problemen und von unterschiedlichen Perspektiven auf die Probleme. Ich glaube, das könnte dazu beitragen, dass selbst Menschen, die ein Misstrauen entwickelt haben und Vertrauen verloren haben in die politisch Handelnden, in die Gewählten, in die Regierenden durch so ein Gremium, was eben breiter in der Gesellschaft verankert ist. Vielleicht noch mal ins Nachdenken kommen und sagen Jetzt hör ich mal, wie die das in Bremen gemacht haben, Jetzt höre ich mal, was in Bayern war. Jetzt trage ich selber dazu bei, was bei mir in Sachsen passiert ist und wir gemeinsam versuchen mal ein paar Schlüsse daraus zu ziehen. Ich glaube, wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass durch so einen Prozess alle Probleme gelöst würden und wir dann in der Lage wären, perfekt auf die nächste Pandemie zu reagieren. Aber wir sind so weit weg von einem echten Erkenntnisstand und einer echten Lehre auf ganz unterschiedlichen Feldern. Da muss mehr passieren, denn sonst ist die Gefahr groß, dass angesichts der überlappenden Krisen, die die Georg Mascolo gerade angesprochen hat, immer neue Enttäuschungen und neues Misstrauen zueinander kommt. Das erleben wir ja jetzt auch. Das Misstrauen, das in der Corona Pandemie angehäuft worden ist, wird noch verstärkt durch das Misstrauen, das jetzt im Umgang mit dem Ukrainekrieg und die Reaktionen auf das aggressive Russland durch die Regierenden angehäuft wird. Und jetzt kommt noch Donald Trump hinzu und Migration und Klimakrise. Viele Menschen haben den Eindruck, sie werden eigentlich überrollt von Krisen. Und die Regierenden sind nicht mehr in der Lage, das adäquat zu managen.

00:34:45: Lisa Raphael: Nicht mit einbezogen, so auch in die Probleme. Andererseits Es schwingt halt beim Bürgerrat immer diese Kritik mit. Na ja, einerseits ist es nur ein kleiner Ausschnitt der Gesellschaft, der dort eben mit entscheidet oder Ideen mit einbringt. Andererseits ist halt auch diese Frage wie viel bringt es am Ende wirklich? Werden diese Entscheidungen umgesetzt? Werden sie gehört? Vielleicht würden die Bürger lieber sehen, dass Herr Söder zum Beispiel seine Fehler ordentlich in einem Untersuchungsausschuss aufarbeitet, als solche Ideen, die vielleicht versickern.

00:35:14: Georg Mascolo: Ich glaube nicht, dass es eine ein Gremium, eine Lösung geben wird, womit es dann letztlich erledigt ist. Ich finde die Idee eines Bürgerrates großartig. Ich finde die Idee einer Enquetekommission großartig. Es gibt übrigens auch noch andere Modelle. Man muss die hier in Deutschland gar nicht erfinden. Man kann ja einfach mal in die Länder schauen, die entweder noch mittendrin sind, so wie Großbritannien beispielsweise oder so wie Schweden, die schon fertig sind. Es gibt großartige Modelle, die man sich anschauen kann, man kann sie kopieren, man kann daraus ein Stück irgendwie was Eigenes bauen, wenn man denn nur wollte. Aber ich will einen Punkt noch ansprechen, den Florian Harms gerade auch schon angesprochen hat. Ich glaube, dass die Rolle der Medien auch in dieser Sache eine ganz wichtige ist. Und ich bedaure beispielsweise, dass wir selber auch so wenig zurückschauen auf die damalige Berichterstattung. Ich habe sie als ganz ungewöhnlich empfunden in zweierlei Hinsicht. Erstens Man hatte es mit einem so komplizierten Sachverhalt zu tun, der sich noch dazu virologisch beständig bewegte und veränderte, dass wir in Wahrheit auch in einem Bereich der permanenten Überforderung gestanden haben. Und wie geht man eigentlich mit Ungewissheit um? Wie schafft man es, Ungewissheit nicht in Lautstärke zu übersetzen? Wie schafft man es in einer Zeit, in der das Fragezeichen eigentlich meistens am Ende einer Geschichte steht oder jedenfalls in Teilen nicht das doppelte Ausrufezeichen zu benutzen? Und ich glaube, der zweite Aspekt für mich ist das jedenfalls so gewesen, dass es die erste Krise gewesen ist, über die ich berichtet habe, in der ich nicht die normale journalistische Distanz gehabt habe, weil wir ja alle ein Stück auch Betroffene gewesen sind in der Sorge um Kinder, die Eltern, die schwierigen Umstände, unter denen wir möglicherweise persönlich unser Leben auch beruflich und privat neu ordnen musste. Journalismus ist aber die Technik, sich solcher Vorprägungen bewusst zu sein und sie dann in der Berichterstattung so gut es denn irgend geht, auszublenden. Ich glaube, dass auch die Berichterstattung über Corona ein solcher großer Einschnitt in unserem Beruf gewesen ist, dass wir ja an einzelnen Stellen jetzt auch mal sagen könnten Dann machen wir den Anfang, wir schauen auf uns selbst, wir diskutieren das, wir bereiten uns selber darauf vor, wie wir vielleicht mit einer solchen nächsten Herausforderung und Überforderung umgehen würden. Eigentlich müssten wir auf niemanden warten.

00:38:03: Lisa Raphael: Also ich fasse noch mal zum Ende zusammen Wir hatten schon viele Dinge angesprochen. Einerseits dieses Vertrauen, was wieder aufgearbeitet werden müsste in der Bevölkerung, könnte zum Beispiel durch die Aufarbeitung passieren. Dann fehlt es noch an Forschung, an Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche, für die Zukunft, an wirklich der Anerkennung von Look of it und Postfach fehlen. Die Regulierung von sozialen Netzwerken haben wir angesprochen. Haben wir noch was vergessen? Um diese Frage zu beantworten, sind wir auf die nächste Pandemie vorbereitet.

00:38:34: Georg Mascolo: Ich glaube, dass wir wahrscheinlich ganz viel vergessen haben.

00:38:38: Lisa Raphael: Aber man kann immer nicht immer alles in einer halben Stunde thematisieren.

00:38:41: Florian Harms: Dann brächten wir noch mal zwei Stunden für diesen Podcast. Also wenn ich mich allein erinnere, wie die Gesundheitsämter hantiert haben während der Pandemie, mit Faxgeräten, mit Handzetteln, in denen wirklich dann versucht wurde, die Kontaktkette nachzuverfolgen. Wenn ich mich daran erinnere, dass mein Mann dann wieder ausgehen durfte, ein Restaurant da die Adresse aufschreiben musste und das junge Frauen sich dann beschwert haben und auch zurecht gesagt haben na ja, meine Adresse, die ich da aufgeschrieben habe, wurde jetzt von irgendwelchen Typen da abfotografiert und die stalken mich jetzt. Also alle solche Dinge, die eigentlich nicht sein dürften in einem hochentwickelten Industrieland. Und Georg Mascolo hat gerade die mangelnde Digitalisierung angesprochen. Ich glaube, das ist ein Knackpunkt an ganz vielen Stellen und eben auch an dieser. Weshalb ich das so bedaure, dass wir da nicht wirklich schneller vorankommen. Die neue Bundesregierung, die sich jetzt abzeichnet, aus Union und SPD, spricht ja darüber, ein Digitalministerium zu gründen. Das wäre vielleicht ein interessanter Ansatz, wo man dem Thema zumindest mal die gebührende Bedeutung verlieh.

00:39:42: Georg Mascolo: Ich hätte, wenn ich das noch hinzufügen darf, auch Sorge, dass wir eins in der Pandemie nicht vergessen. Und das sind dann doch sehr viele Menschen, denen wir im Nachhinein ungeheuer dankbar sein müssen. Das ist diejenigen, die im Gesundheitssystem gearbeitet haben, diejenigen, die bei Lidl oder Aldi hinter einer Plexiglasscheibe an der Kasse gesessen haben. Und 500 Menschen standen am Tag irgendwie vor ihnen. Und die Frage Sollen Sie jetzt eigentlich mal Homeoffice machen oder nicht? Hat für sie gar nicht existiert. Diejenigen, die dann abends nach Hause gekommen sind, in eine kleine Wohnung mit zwei oder drei Kindern und die Nichts ist ja falscher als der Satz, dass in der Pandemie und vor der Krankheit alle gleich sein. Das Gegenteil ist wahr Die großen sozialen Unterschiede, die Spannungen in einer Gesellschaft, die treten auf eine besondere Art und Weise hervor. Und ich würde mir eine Diskussion wünschen, die die anerkennt, wie viele Menschen in dieser Pandemie ihr Bestes und noch was darüber hinaus geleistet haben über die Teile, in denen wir. Wir waren ja jetzt auch nicht die schlechtesten, sondern wir haben uns da irgendwo so im Mittelfeld durchgeschoben und haben nur besonders viel Geld dafür ausgegeben. Ich wünsche mir eine Diskussion, die anerkennt, was geleistet worden ist und mit einer Souveränität für Transparenz sorgt und mit noch größerer Souveränität Fehler benennt, Fehlstellungen, Fehlentscheidungen benennt und sagt Das machen wir beim nächsten Mal anders. Das wäre ja.

00:41:13: Lisa Raphael: Was, um jetzt zum Ende nicht zu negativ zu enden: Was gibt uns denn Hoffnung? Woran merkt man vielleicht auch, dass wir was gelernt haben?

00:41:21: Florian Harms: Na ja, dass wir heute hier zusammensitzen und darüber reden und ich glaube, auch viele unserer Hörerinnen und Hörer sich sehr dafür interessieren, ist schon ein Indiz. Und ich bin gerade auch noch in einem anderen Podcast gefragt worden, darüber zu sprechen vom WDR. Tschuldigung Lisa, muss ich einmal gestehen, hab ich dir noch gar nicht verraten. Natürlich ist dieser hier viel wichtiger, aber ich merke schon jetzt, zum fünften Jahrestag dieser grundstürzenden Veränderungen, die unser aller Leben betroffen hat, gibt es ein großes Interesse. Und das ist ja eigentlich ein positives Zeichen.

00:41:49: Lisa Raphael: Ich merke es auch so in öffentlichen Verkehrsmitteln. Man ist dann doch ein bisschen aufmerksamer geworden, setzt dann doch mal die Maske auf, ist ein kleines Zeichen, aber ist ja auch schon mal was. Herr Mascolo, noch eine Anmerkung von Ihnen, was Ihnen auffällt?

00:42:03: Georg Mascolo: Also ich wollte ja nach dem ersten Buch über Corona auf keinen Fall noch ein zweites Buch schreiben. Das zweite ist tatsächlich nur entstanden, weil Christian Drosten zu mir kam und sagte, ich sei doch genauso wie er davon überzeugt, dass dieses Schweigen, Dieses nicht diskutieren, dieses nicht Rechenschaft ablegen, dass das irgendwie falsch sei. Und dann habe ich gedacht, er hat völlig recht. Und es war, sagen wir mal, der ungewöhnliche, umgedrehte Mechanismus, dass der Wissenschaftler den Journalisten davon überzeugt hatte, was zu machen, weil normalerweise würde das ja eher andersrum sein, aber ich bin für dieses Buch dann mit ihm viel unterwegs gewesen und immer ist im Nachhinein, vor allem wenn man irgendwo in große Hallen große Veranstaltungsorte geht, kam ganz oft die Frage vorher müsste man da vielleicht vorsichtig sein? Kommen da irgendwie Leute und stören? Kommt es da möglicherweise auch zu Bedrohungssituation und nichts. Nichts davon habe ich erlebt, sondern was ich erlebe, ist eine große Neugierde der Menschen, eine große Bereitschaft, darüber zu diskutieren, zuzuhören, auch anderen Argumenten zuzuhören und an solche Orte zu gehen und solche Diskussionen zu führen, erinnert mich beständig daran, dass das schärfste Ende, das wir halt so häufig wahrnehmen, weil es so laut geworden ist über die sozialen Medien und wie ich finde, leider auch viel zu häufig, beispielsweise in den Talkshows im Fernsehen. Dass das mit der Art und Weise, wie viele Menschen diskutieren wollen, gar nicht wahnsinnig viel zu tun hat. Wir dürfen den Glauben daran, dass wir in der Mitte unserer Gesellschaft die schwierigsten Diskussionen vernünftig miteinander führen können. Den dürfen wir nicht aufgeben. Wir waren schon mal besser darin, respektvoll anderer Meinung zu sein. Das kann man auch an ganz vielen Stellen, wenn es um diese Pandemie geht. Aber genau dieser respektvolle Streit und die Bereitschaft, sich auch mal von einem besseren Argument überzeugen zu lassen, das ist etwas, woran ich glaube und woran ich nicht fest überzeugt bin, dass wir das nicht aufgeben dürfen.

00:44:19: Lisa Raphael: Das ist auch ein bisschen positives Schlusswort, was wir jetzt mitnehmen können ins Wochenende. Und damit müssen wir zum Ende kommen. Und wir sehen, dass die Corona Pandemie wirklich eine einschneidende Zeit für unsere Gesellschaft war und dass das Thema uns noch weiter beschäftigt. Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, noch eine Anmerkung oder Frage haben, schicken Sie uns am besten eine Sprachnachricht oder Email an Podcasts@t-online.de. Und wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, abonnieren Sie unseren Tagesanbruch Podcast, um keine davon neue zu verpassen. Das geht zum Beispiel über Spotify oder Apple Podcasts und auf diesen externen Plattformen können Sie die Folgen auch herunterladen und offline, also ohne Internet, anhören. Damit bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Mascolo, und bei Dir, Florian, fürs Gespräch sowie Ihnen da draußen fürs Zuhören und sage Tschüss und bis zum nächsten Mal.

00:45:05: Georg Mascolo: Danke für die Einladung. Tschüss!

00:45:07: Florian Harms: Auch von mir Vielen Dank. Tschüss Und bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert. Am Wochenende geht es in einer längeren Diskussion mit prominenten Gästen um ein aktuelles, politisches Thema. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

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von und mit Florian Harms

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