Täglich mehr wissen
00:00:00: Info: Dieses Transkript wurde maschinell erstellt und nicht vollständig gegengelesen.
Sahra Wagenknecht: Da lähmt sich doch die Politik und sie blockiert sich auch gegenseitig. Und ich finde das falsch.
Carsten Janz: Hallo und herzlich willkommen zum Tagesanbruch Wahlspezial. Mein Name ist Carsten Janz. Ich arbeite als Investigativreporter beim Nachrichtenportal t-online und wir haben heute im Gespräch hier im Podcast einen besonderen Gast. Sahra Wagenknecht. Die Messerattacke in Aschaffenburg hat den Wahlkampf verändert, auf das Thema Migration fokussiert. Was plant das Bündnis Sahra Wagenknecht in Sachen Migration? Wie soll die deutsche Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden? Wie kann ein Waffenstillstand in der Ukraine erreicht werden? Und natürlich auch die Frage: Wie sinnvoll ist es eigentlich, eine Partei so sehr auf eine Person auszurichten wie das BSW?
Carsten Janz: Und ich bin nicht allein im Studio.
Daniel Mützel: Hallo, Auch von mir. Ich heiße Daniel Mütze. Ich bin Reporter im Hauptstadtbüro von t-online. Und damit begrüßen wir die Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht. Sahra Wagenknecht. Herzlich willkommen.
Sahra Wagenknecht: Sehr gerne.
Carsten Janz: Hallo Frau Wagenknecht, Ihre Partei ist, wenn die Wahl am 23. Februar stattfindet, nur knapp über ein Jahr alt. Die Umfragen sind derzeit nicht optimal. Sie pendeln so abhängig vom Umfrageinstitut zwischen 4 und 6 %. Tendenz gerade eher ein bisschen negativ. Sie haben jetzt Ihr politisches Schicksal an den Ausgang der Wahlen geknüpft. Dem Spiegel sagten Sie So habe ich gelesen Wer nicht im Bundestag ist, ist in der deutschen Politik kein relevanter Faktor mehr. Ein bisschen provokant gefragt Ist das nicht ein bisschen weinerlich, schon vor der ersten Bundestagswahl so eine Aussage zu treffen?
Sahra Wagenknecht: Nein, das ist überhaupt nicht weinerlich. Das ist einfach eine Feststellung. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in den Bundestag einziehen. Ich bekomme unheimlich viel tolle Resonanz. Wir haben super Veranstaltungen und es wünschen sich doch so viele Menschen in Deutschland, dass sich etwas verändert. Ich meine, die alten Parteien haben uns ja in diese Misere hineingeführt, in eine schwere Wirtschaftskrise, hohe Inflation, ein Kontrollverlust bei der Migration, eine Außenpolitik, die, wo man das Gefühl hat, wir sollen hier auf Krieg getrimmt werden. Die überbieten sich mit Aufrüstung, Vorschlägen und Aufrüstungsforderungen. Natürlich braucht es im nächsten Bundestag eine starke Opposition und ich möchte mir nicht ausmalen, wie Deutschland in vier Jahren aussieht, wenn die einzige relevante Oppositionskraft im Bundestag die AfD ist.
Daniel Mützel: Jetzt aber noch mal zurück zu Ihren Äußerungen. Frau Wagenknecht, Sie sagten auch, ich zitiere "Die Wahl ist natürlich auch die Entscheidung über meine politische Zukunft". Was meinen Sie damit? Ganz konkret gefragt: Würden Sie aufhören, wenn das BSW an der 5 %-Hürde scheitert?
Sahra Wagenknecht: Wenn man nicht im Bundestag ist, hat man in Deutschland keine relevante politische Stimme. Und deswegen ist es natürlich auch eine Entscheidung darüber, ob ich in der deutschen Politik weiterhin etwas ausrichten kann, etwas bewegen kann oder nicht. Aber wie gesagt, der Fall ich wir kämpfen darum, dass wir einziehen und ich bin zuversichtlich, dass wir einziehen und deswegen. Alles andere ist jetzt überhaupt nicht das, worüber ich nachdenke.
Carsten Janz: Aber Frau Wagenknecht, Sie wollen sich ja von den alten Parteien unterscheiden. Und man muss sagen, gerade machen Sie das, was auch viele Politiker, etablierte Politiker machen. Sie antworten nicht auf unsere Frage. Also würden sie aufhören, wenn das BSW nicht über die 5 %-Hürde kommt? Das sei eine Frage, die man auch mit Ja oder Nein beantworten kann.
Sahra Wagenknecht: Sie reden über einen Fall, der hoffentlich nicht eintreten wird. Wir kämpfen darum, dass wir einziehen, und ich werde Ihnen jetzt hier nicht die Schlagzeile liefern, was wir machen, wenn wir nicht einziehen, weil ich bin überzeugt, dass es uns im nächsten Bundestag braucht. Es braucht wenigstens eine Partei, die auch in der Außenpolitik wirklich konsequente Friedenspositionen vertritt. Das tut keiner außer uns. Aber ich finde es schon auch ein Problem, dass wir in diesem Wahlkampf überhaupt nicht mehr über Renten reden. Wir haben die höchste Altersarmut, die Deutschland je hatte. Immer mehr alte Menschen müssen sich einschränken, obwohl sie ihr Leben lang geschuftet haben. Wir haben ein Problem, das seit Jahren die Preise schneller steigen als die Löhne. Das sind doch alles ganz, ganz relevante Themen. Und natürlich ist es auch nach wie vor eine große Gefahr, dass unser Land in einen Krieg hineingezogen wird. Also es gibt so viele sehr wichtige Fragen und wir reden in Deutschland jetzt seit einer Woche hauptsächlich darüber, wer mit wem im Bundestag abgestimmt hat. Das ist wirklich neben der Spur.
Carsten Janz: Sie steigen jetzt schon sehr thematisch ein. Auf unsere Frage haben Sie noch nicht so richtig geantwortet, aber Sie orientieren sich so an diesen mit dieser Aussage "Es entscheidet über Ihre politische Zukunft " ja so ein bisschen auch an Dietmar Woidke, der vor der Wahl gesagt hat, dass er auch eigentlich aufhört, wenn er nicht die SPD als stärkste Kraft hat. Was erhoffen Sie sich davon, dass das BSW möglicherweise eben nicht wegen dieser Inhalte, die Sie gerade erwähnt haben, gewählt wird, sondern wegen Ihnen, damit verhindert wird, dass Sie keine Stimme mehr haben, dass Sie keine relevante politische Kraft mehr sind?
Sahra Wagenknecht: Der Unterschied meiner Aussage zu der von Herrn Woidke ist, dass er theoretisch ja auch Ministerpräsident hätte werden können, wenn er nicht die stärkste Kraft repräsentiert. Während ich festgestellt habe, Wenn wir nicht im Bundestag sind, dann wird es natürlich sehr schwer, das BSW weiter aufzubauen. Und für mich persönlich heißt das dann natürlich, dass ich in der Politik auch nicht mehr das bewegen kann. Das war eine schlichte Feststellung und ehrlich gesagt würde ich jetzt schon gerne darüber reden, warum es uns braucht im Bundestag. Sie haben ja die Frage jetzt mehrfach immer wieder darauf fokussiert, was mit mir wird. Ich denke, wichtiger ist doch, was mit dem Land wird. Und wir haben vier Parteien, die in den letzten Jahren in wechselnden Koalitionen regiert haben. Und sie alle haben dazu beigetragen, dass sich die Lebensverhältnisse, der Lebensstandard einer Mehrheit verschlechtert hat. Also die mittleren Einkommen in den letzten Jahren sind ja gesunken. Wir haben in Deutschland einen akuten Mangel an Lehrern, an Ärzten. Wir haben eine verrottende Infrastruktur, Straßen, Brücken und dafür sind die alten Parteien gemeinsam verantwortlich. Und dass die Menschen verärgert sind, dass sie wütend sind. Das zahlt zurzeit hauptsächlich bei der AfD ein, weil sie eben durch diese miese Politik auch so gestärkt wurde. Und deswegen finde ich es auch so unehrlich, wenn sich jetzt SPD und Grüne als große Antifaschisten inszenieren, weil sie nicht mit der AfD abstimmen wollen, aber gleichzeitig mit ihrer Politik dazu beigetragen haben, dass sich die Zustimmungswerte dieser Partei verdoppelt haben.
Daniel Mützel: Wenn das jetzt alles auf das Konto der AfD einzahlt, dann stellt sich auch die Frage: Warum zählt es nicht auf Ihr Konto, die Sie ja auch die Ampel jahrelang sehr scharf kritisiert haben? Stattdessen haben wir jetzt sinkende Umfragewerte. Und Sie haben sogar auch in einem Interview von einer spürbaren Blockade in den Mainstreammedien gegen das BSW gesprochen. Klären Sie uns auf, Frau Wagenknecht, Sie sind doch eigentlich permanent im Fernsehen zu sehen. Sie werden in Talkshows eingeladen. Sie sind im Interview hier mit uns und auch mit anderen. Wo ist denn diese angebliche Medienblockade?
Sahra Wagenknecht: Also zunächst mal zahlt es selbstverständlich auch bei uns ein. Wir hatten ja jetzt vier Wahlen, die wir mit bravourösen Ergebnissen bestanden haben. Wir haben ja sehr viel Rückhalt und wir sind eine junge Partei. Es gibt uns kaum mehr länger als ein Jahr. Natürlich kann man als eine so junge Partei, also das war schon außergewöhnlich, was wir in diesem ersten Jahr erreicht hatten 6 % bei der Europawahl, zweistellige Ergebnisse bei den Landtagswahlen, Das ist absolut ungewöhnlich. Normalerweise sind Parteien, die ein Jahr alt sind, die stehen dann irgendwie bei ein oder 2 %. Die AfD stand bei 3 %, als sie erst neu gegründet war. Und hätte Frau Merkel damals nicht die Grenze geöffnet, wäre sie wahrscheinlich auch nie in den Bundestag gekommen. Also es ist nicht so einfach, wenn man noch keine Strukturen hat, wenn man noch kein Geld hat, wenn man noch keine Ressourcen hat, auch keine Stäbe. Die große Social Media Arbeit machen können, ist es nicht so einfach, aus dem Stand jetzt plötzlich irgendwie 10 % zu erreichen, Also 5 % für eine so junge Partei ist wirklich ein sehr, sehr respektables Ergebnis. Und insoweit muss man eben einfach schauen, wie kann man jetzt aus dieser Blockade, Sie haben es ja angesprochen, wie kann man trotzdem mit unseren Inhalten präsent sein? Aber ja, es ist nicht so sehr blockiert. Es wird immer behauptet, ich sei ständig in den Talkshows. Das stimmt nicht. Es gab im Herbst ab einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt keine Möglichkeiten mehr, da reinzukommen. Ich bin jetzt in den Wahlsendungen, die sind aber auch eben natürlich standard. Und auch da muss man sagen, man braucht ja Wahlsendungen. Einmal gibt es dann immer diese sogenannten Kanzlerduelle, da ist dann Olaf Scholz und Herr Merz alleine. Dann gibt es die Viererrunde, da sind wir auch draußen und man wollte uns selbst bei den dritten Programmen draußen halten. Da haben wir uns ja eingeklagt. Also wir sind nicht, wir haben schon Schwierigkeiten. Und wenn Sie sagen in den Medien also ganz normale Dinge, die täglich passieren, wenn ich mich zu denen äußern möchte, haben wir große Probleme, das zu platzieren. Aber wenn irgendetwas Negatives läuft, irgendwo ein Mitglied austritt, dann kommt das in die Bundespresse. Das ist bei keiner anderen Partei so, also wir merken schon, dass die alten Parteien alles daran setzen, uns aus dem Bundestag rauszuhalten, weil wir stören, weil wir keine pflegeleicht Opposition sind, sondern eine mit Rückgrat. Und die Medien, die diesen Parteien nahestehen, die unterstützen sie dabei. Also das ist ja relativ eindeutig.
Daniel Mützel: Welche Medien meinen Sie da?
Sahra Wagenknecht: Na, schauen Sie doch sich an, wie über uns geschrieben wird und wie über andere Parteien geschrieben wird. Da können Sie im Spiegel lesen, da können Sie in der Bild lesen oder da können Sie das öffentlich rechtliche Fernsehen anschauen. Also ich war gerade bei einer ZDF Sendung Wahlarena. Die Sendung selber war völlig in Ordnung und ordentlich moderiert, also auch was die Chancengleichheit der verschiedenen Parteien angeht. Aber man hatte ein Publikum eingeladen und das offenbar ganz gezielt, wo also eigentlich nur die Grünen und die Linken Rückhalt hatten. So, das ist natürlich auch etwas, was einen Eindruck schaffen soll. Also wenn man in einer Sendung ist und hat viel Beifall, dann wirkt das beim Publikum so, als hätte man was besonders Brillantes gesagt. Wenn man keinen hat, wirkt es anders. Also es gibt schon hier ganz klare Interessen, die auch darauf hinauslaufen, das BSW draußen zu halten. Ich bin überzeugt, dass es trotzdem nicht gelingen wird.
Carsten Janz: Sie haben es jetzt gerade selbst angesprochen, wenn bei Ihnen in der Partei zum Beispiel Leute austreten, dann wird darüber berichtet. Generell viel über die Mitgliederpolitik wurde auch berichtet. Sie haben sich ja bewusst dafür entschieden, damit so was wie bei der AfD zum Beispiel nicht passiert, dass dann Rechtsextreme oder Reichsbürger in die Partei kommen. Da haben sie eine sehr strikte Aufnahmepraxis entwickelt. Die hat ja auch zu Kritik geführt, sie seien eine Kaderpartei, Frau Wagenknecht, mit lediglich treuen Anhängern von Ihnen. Sind Sie denn eine Kaderpartei?
Sahra Wagenknecht: Wissen Sie, wir haben immerhin mit dieser Aufnahmepraxis verhindert, dass uns das passiert, was den meisten jungen Parteien in Deutschland passiert dass sie sich im ersten Jahr zerlegen. Und was heißt Kaderpartei? Ich meine, selbst bei 1200 Mitgliedern kann man nicht jeden so gut kennen, dass man ihn wirklich einschätzen kann. Aber man kann. Einen Eindruck haben. Und junge Parteien ziehen tatsächlich. Sie ziehen viele engagierte, ehrliche, idealistische Menschen an, aber sie ziehen eben leider auch viele schwierige Charaktere an, sie ziehen Neurotiker an, sie ziehen Menschen an, die es auch nur auf Mandate abgesehen haben, und man muss versuchen, das zu steuern. Wir werden nach der Wahl wesentlich mehr Ressourcen haben, die wir in den Parteiaufbau auch stecken können. Wir haben ja jetzt ein erstes Jahr gehabt mit vier Wahlen. Das heißt natürlich, dass wir in diesem ersten Jahr alles, was wir an Kapazitäten hatten, auch unser gesamtes Personal auf Wahlkämpfe richten mussten. Und wir hatten ja eigentlich ursprünglich gedacht, nach den Landtagswahlen gibt es eine gewisse Atempause, dass wir dann mehr Menschen aufnehmen können und Partei den Parteiaufbau in den Fokus nehmen können. Dann zerlegte sich diese desolate Ampel, dann kam die Neuwahl, der schnelle Wahlkampf und dann ging das wieder nicht. Aber ich bitte noch mal wirklich zu bedenken eine Partei in Deutschland zu gründen ist viel schwerer als in anderen Ländern. Und deshalb gibt es ja auch wenig neue Parteien. Obwohl die alten Parteien kaum noch jemanden überzeugen, haben die meisten neuen Parteien keine Chance, weil sie sich auch durch den Föderalismus, durch viele Regeln im Parteienrecht ist es so schwer gemacht, sind die Hürden so hoch, dass die meisten daran scheitern. Wir sind nicht daran gescheitert. Wir haben das erste Jahr gut bestanden, und sicher ist da nicht alles toll gelaufen. Es gibt Menschen, die haben wir draußen, die sind noch nicht Mitglied geworden, obwohl sie großartig sind und unsere Partei bereichern würden. Und manche sind da auch etwas traurig darüber, oder? Oder ich verstehe das auch. Wieso nehmt ihr mich nicht auf? Wieso andere? Es ist eben ein langsamer Prozess und da ist nicht alles perfekt. Aber zumindest wir sind nicht irgendwo im Chaos geendet, sondern wir haben 16 Landeslisten eingereicht, die alle akzeptiert wurden. Das ist bei neuen Parteien nicht ganz unüblich. Wir haben tolle Kandidaten.
Carsten Janz: Fast 17 Landeslisten.
Sahra Wagenknecht: Ja, das sagen Sie es zum Beispiel. Ich meine, in Hamburg sind uns zwei Leute durchgerutscht, die genau in die Kategorie gehören, die wir nicht haben wollen. Aber 2 von 1200? Okay, kann man sich halt mal irren. Aber wir hätten, wenn wir anders gewachsen wären, wahrscheinlich nicht nur in Hamburg solche Schwierigkeiten gehabt, sondern womöglich in zehn Landesverbänden. Also dass Leute eigenständig Landesverbände gründen. Das ist ja dort der Fall gewesen. Eigenständig Listen aufstellen, auch wieder unter großer Presse Begleitung und interessant war als dann ist ja der Wahlausschuss hat ja entschieden und natürlich ist unsere Liste anerkannt worden und unser Landesverband und nicht der andere darüber hat hat die Presse nicht berichtet. Aber vorher hieß es Chaos beim BSW und es gibt zwei Listen und wer weiß, können die überhaupt antreten?
Carsten Janz: Ja, wir haben auch viel berichtet. Als erstes übrigens auch darüber. Die haben sich natürlich auch über innerparteilich fehlende Demokratie beschwert. Diese Mitglieder aber auch in Thüringen gab es dann, sage ich mal, ein bisschen Stunk, als über Nacht, ich glaube 25 Mitglieder aufgenommen wurden, ohne Absprache mit den mit dem Landesverband sozusagen. Und in Bayern sind jetzt auch tatsächlich prominentere Mitglieder ausgetreten aus der Partei. Und am Donnerstag ist dann auch Herr Pöhner ausgetreten, immerhin Mitglied des Europäischen Parlaments für ihre Partei. Und man hat dann schon das Gefühl, dass gerade so das ein bisschen um die Ohren fliegt.
Sahra Wagenknecht: Also wissen Sie, uns fliegt nicht die Partei um die Ohren, weil sechs Leute oder sieben Leute austreten. Bei jungen Parteien ist das noch mehr als bei anderen Parteien auch üblich, dass Menschen eintreten und Menschen treten aus. Und ich sage mal, wenn sich ja Pirna nicht wohlgefühlt hat, sei's drum. Ein bisschen grenzwertig finde ich schon, wenn jemand einer Partei ein Mandat verdankt, das immerhin fünf Jahre ein hohes Einkommen sichert. Er hätte auch vor zwei Monaten austreten können, da hat er ja schon Unmut bekundet oder hätte in einem Monat austreten können. Dass es zwei Wochen vor der Wahl macht, um der Partei maximal zu schaden, die ihn ins Europaparlament gebracht hat, finde ich jetzt, zeugt nicht unbedingt von Charakterstärke, Aber sei's drum. Und bei den anderen sechs Mitgliedern, da ist eben genau das haben Sie berichtet, ob sechs Mitglieder bei der CDU, bei der SPD, bei den Grünen ausgetreten sind. Also wahrscheinlich sind da mehr ausgetreten, vielleicht auch mehr wieder eingetreten. Das sind doch normale Prozesse in Parteien. Und ich meine, bei den sechs ging es darum, ging es ja um die Migrationspolitik, ging es um unser Abstimmungsverhalten. Und ehrlich gesagt, die Kritik kann ich nicht akzeptieren. Denn wir sind gegründet worden mit dem Anspruch in der Migrationspolitik eine realistische Position zu haben. Und das war ja einer der ersten Konflikte, die ich mit der Linken hatte, schon 2015 2016, wo ich gesagt habe, diese hohen Zahlen, die überfordern unser Land und dann scheitert auch Integration, wenn so viele kommen. Und das BSW ist mit der Position begründet worden: Wir müssen das begrenzen. Gerade auch im Interesse derer, die es schon die in Deutschland leben, die gut integriert sind. Und da gibt es Millionen Menschen mit. Migrationshintergrund, die ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft sind. Gerade auch in ihrem Interesse müssen wir diesen Kontrollverlust überwinden, weil sonst das politische Klima in Deutschland immer mehr vergiftet wird und irgendwann natürlich in eine fremden oder schon ansatzweise jetzt in eine fremdenfeindliche Richtung kippt. Und das war immer unser Anspruch. Und so haben wir auch im Bundestag abgestimmt. Und wer das kritisiert. Gut, das steht jedem frei, aber das war eigentlich von Anfang an etwas, was uns ausgemacht hat. Diese Positionierung, die ist ja auch mit mir verknüpft. Also ich habe ja immer für diese Position gestritten.
Daniel Mützel: Man kann die Position vertreten und man muss trotzdem nicht gemeinsame Sache mit der AfD machen. Das ist ja oft die Kritik. Gezielt formuliert wurde auch an dem Migrationsmanöver von Friedrich Merz letzte Woche. Und Sie und Ihre Leute hätten ja auch diesen Entschließungsantrag, also diesen Fünf Punkte Plan, an diesem besagten Mittwoch verhindern können. Sie haben sich aber enthalten und damit ging der durch. Also erstmals im Bundestag ist ein Antrag beschlossen worden, mehrheitlich mithilfe der Stimmen der AfD. Das wurde ja von vielen als historische Zäsur, als Tabubruch bezeichnet. Sie hätten es verhindern können, haben es nicht gemacht. Ist das nicht ein Problem für einen Teil Ihrer Wähler, die vielleicht weniger migrationskritisch sind oder vielleicht durchaus migrationskritisch, aber so ein Manöver eben nicht akzeptieren? Sie haben ja offensichtlich auch ein paar Wähler und ein paar Mitglieder dadurch verloren.
Sahra Wagenknecht: Also Wähler nicht. Also wir sind nicht seitdem in den Umfragen runtergegangen, das kann auch nicht das Kriterium sein. Ich meine, die ganze Debatte ist doch zutiefst verlogen. Wir machen, wir stärken nicht die AfD dadurch, dass es im Bundestag auch Abstimmungen gemeinsam mit der AfD gibt, sondern die AfD ist deshalb stark, weil die Probleme nicht gelöst werden. Und gerade der Kontrollverlust bei der Migration ist ein wichtiger Antrieb dafür, dass immer mehr Menschen sagen, sie wollen die AfD wählen. Und die ganze Diskussion darüber darf man mit der AfD abstimmen oder nicht? Hat der AfD natürlich auch geholfen. Also Frau Weidel kann eigentlich jetzt in Urlaub fahren. Der Wahlkampf läuft auch ohne sie, weil alle nur als Referenzpunkt haben: Darf man mit der AfD, darf man nicht mit der AfD? Statt darüber zu reden, Was können wir tun, dass nicht mehr so viele Menschen nach Deutschland kommen, weil das so viele Probleme verursacht in den Schulen, in einem überforderten Gesundheitssystem, in vielen Bereichen. Und es sind vor allem die nicht Privilegierten, die weniger auf der Sonnenseite des Lebens stehen, die darunter leiden. Es sind ja nicht die grünen Wähler in ihren hippen Trendvierteln, da kommen die Flüchtlinge ja gar nicht hin. Und deswegen ist es wichtig, über die Probleme zu reden. Und den Fünf Punkte Plan, da haben wir nicht zugestimmt, weil ein Teil ist richtig und ein Teil ist eben nicht richtig. Ich halte es für richtig, dass wir Grenzkontrollen machen an wichtigen Punkten und dass wir da auch zurückweisen. Aber wir haben gesagt, wenn dieser Antrag die Illusion verbreitet, dass wir 4000 Kilometer deutsche Grenze flächendeckend kontrollieren können, dann macht er den Menschen etwas vor. Und dazu kam auch noch, dass es in diesem Antrag eine sehr merkwürdige Beschreibung von Fluchtursachen gibt. Weil natürlich ist der Ukrainekrieg eine große Fluchtursache. Klar, das sind über 1 Million Menschen, die jetzt in Deutschland sind. Da hätte man allerdings längst mehr tun können und müssen, um diesen Krieg zu beenden. Aber ansonsten kommen die Flüchtlinge ja überwiegend aus dem Nahen Osten und sie kommen überwiegend aus Ländern, die durch amerikanische Kriege verwüstet worden. Und das wird dort nicht angesprochen, sondern es wird so getan, als ob alle Fluchtbewegungen dieser Welt das Ergebnis der Politik von Wladimir Putin sind. Und das halten wir auch für unehrlich. Also es gab Dinge, die wir richtig finden, Dinge, die wir falsch finden. Und dann haben wir uns enthalten aus dieser Abwägung heraus. Und bei dem Zustrom begrenzungsgesetz haben wir zugestimmt, weil wir gesagt haben, dass es sinnvoll, was dort beschlossen wird. Und ich finde es wirklich unsäglich, dass kaum noch darüber geredet wurde, was war, was Stand in diesen Anträgen soll hätte man zustimmen müssen, hätte man nicht zustimmen müssen, weil das und das drin stand, sondern es steht nur noch. Mit der AfD darf man nicht. Ich meine, ich sage mal, wenn ich das zu Ende denke, dann könnte nach der Wahl diese SPD grüne Minderheitenregierung, die wir jetzt haben, einfach weitermachen. Und die CDU dürfte vier Jahre lang keinen Antrag stellen. Auch keine andere Oppositionspartei durfte einen Antrag stellen, weil es immer so wäre, dass er mit der AfD eine Mehrheit finden könnte. Dann lähmt sich doch die Politik und sie blockiert sich auch gegenseitig. Und ich finde das falsch, weil letztlich der Hauptprofiteur dieser politischen Blockade ist die AfD. Irgendwann sitzt sie im Kanzleramt, wenn wir so weiter machen.
Daniel Mützel: Ich würde trotzdem sagen, dass auch viel über die Inhalte gesprochen wurde und auch oft gesagt wurde, dass das politische Ziel, das in diesem Antrag verbunden wurde und so wie Sie es gerade auch dargestellt haben, den meisten Leuten in Deutschland mittlerweile geteilt wird, dass die sich eine Begrenzung der Migration wünschen. Dennoch wir reden ja bei der AfD von einer in Teilen rechtsextremistischen Partei. Insofern ist die Debatte, finde ich, auch durchaus für die Demokratie wichtig und nützlich, darüber zu sprechen. Deswegen die Frage Frau Wagenknecht, wie steht denn das BSW grundsätzlich dazu mit Anträgen der AfD? In Zukunft wird das BSW gemeinsam mit der AfD, wenn das politische Ziel geteilt wird oder die Inhalte mitstimmen oder sehen Sie da irgendwo auch Grenzen?
Sahra Wagenknecht: Also ich halte es für ein Problem und nicht für einen Segen für unser Land, dass eine Partei, in der es tatsächlich Rechtsextremisten und Neonazis gibt, immer stärker wird. Auch eine Partei übrigens, die sich jetzt sehr stark als rechte Hand von Donald Trump in Stellung bringt. Also Elon Musk und Donald Trump unterstützen die AfD ja nicht zum Nulltarif, sondern sie werden in Zukunft in Deutschland das an Politik vertreten, was der jetzige amerikanische Präsident will. Und das hat man bei der Aufrüstung ja schon gesehen. Trump fordert 5 % der Wirtschaftsleistung, also 200 Milliarden, die Hälfte des Bundesetats für Rüstung, für Waffen auszugeben. Und die AfD kommt sofort um die Ecke und sagt, sie unterstützt das. Also ja, ich sehe das als ein großes Problem an, aber gerade deshalb möchte ich, dass wir die Anliegen der Wählerinnen und Wähler der AfD ernst nehmen. Weil diese Wähler sind keine Nazis. Diese Wähler sind auch nicht sozusagen die rechte Hand von Donald Trump, sondern das sind Menschen, die haben ernsthafte Sorgen, sie haben ernsthafte Probleme und sie erwarten von der Politik, dass diese Probleme gelöst werden. Und sie sagen zum Beispiel bei der Migration Die große Mehrheit wünscht sich, dass die Zahlen gesenkt werden. Warum blockieren SPD und Grüne eine solche Lösung?
Daniel Mützel: Das ist eine andere Frage. Ich habe sie ganz konkret gefragt: Würden Sie mit der AfD zusammen künftig Anträge beschließen, wenn Sie das politische Ziel eines solchen Antrags teilen?
Sahra Wagenknecht: Ja, na selbstverständlich. Man hat doch die AfD immer stärker dadurch gemacht, dass man dieses alberne Schauspiel aufgeführt hat. Die AfD beantragt, der Himmel ist blau und alle stimmen dagegen. Und die Bevölkerung guckt aus dem Fenster und sagt Aber der Himmel ist doch blau. Die AfD hat recht, alle anderen sind doof. Also wir haben immer. Wir haben das auch bisher schon so gehandhabt, dass wir in der Sache entscheiden. Wenn ein Antrag richtig ist, dann stimmen wir zu. Und in dem Falle war es ja ein CDU Antrag. Aber das gilt generell. Wenn ein Antrag richtig ist, stimmen wir zu. Wenn wir ihn nicht richtig finden, stimmen wir dagegen. Bzw wenn es halbe halbe ist, dann enthalten wir uns. So sollte doch Politik funktionieren.
Carsten Janz: Wir wollten noch einmal zurückkommen auf das Thema Migration. Sie selbst, also das BSW, hat gefordert, die Migration müsse begrenzt werden, hat von Zahlen unter 100.000 gesprochen. Wie wollen Sie das schaffen?
Sahra Wagenknecht: Wir sollten einfach das im deutschen Asylrecht umsetzen, was das Grundgesetz vorschreibt. Laut Grundgesetz haben in Deutschland nur diejenigen Anspruch auf ein Asylverfahren, die nicht aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Und deswegen wäre meine Meinung zumindest um kurzfristig eine Atempause zu bekommen, dass wir die Asylgesetzgebung so verändern, dass nur derjenige ein Verfahren beantragen kann, der nachweist, dass er nicht aus einem sicheren Drittstaat kommt. Und wir müssen dann allerdings, das ist das nächste mit den anderen europäischen Ländern versuchen, das europäische Asylrecht zu verändern, weil dieses Asylrecht funktioniert, nicht, weil wie ist es denn in der Realität? Ich meine, das Asylrecht ist mal erfunden worden und auch etabliert worden, weil verfolgte Menschen Schutz genießen sollen. Und das ist auch richtig, dass Menschen, die in ihrer Heimat von Tod von Folter bedroht sind, dass sie geschützt werden. Aber das heutige europäische Asylrecht hat ja einen ganz anderen Effekt Dadurch, dass faktisch jeder, der es irgendwie schafft, seinen Fuß auf europäischen Boden zu setzen, auch in Europa bleibt das ist ja die Realität, setzen wir einen enormen Anreiz gegenüber Menschen aus ärmeren Ländern, dass sie irgendwie, wenn sie halbwegs nicht ganz arm sind, ihre Ersparnisse zusammenlegen, kriminelle Schlepperbanden bezahlen, sich denen anvertrauen und von denen irgendwie und teilweise verlieren, sie ihr Leben dabei aber zumindest von diesen kriminellen Schleppern irgendwie nach Europa gebracht werden, damit sie eben in Europa bleiben. Aber es ist keine sinnvolle Regel, weil die Ärmsten, die, die eigentlich am meisten unsere Hilfe bräuchten, die kommen so gar nicht, weil die können die Schlepper nicht bezahlen. Und unser Land und auch andere europäische Länder werden überfordert von dieser bei diesen hohen Zahlen des Zuzugs. Weil Integration muss funktionieren und wenn die Zahlen so hoch sind, funktioniert sie nicht. Also sollten wir lieber schauen, wie wir Kriegspolitik beenden, wie wir Wirtschaftssanktionen, die zum Beispiel Syrien furchtbar verarmt haben, wie wir die beenden, wie wir helfen, dass dort ein Wiederaufbau stattfindet, als gerade denen, die es ist ja mehr die Mittelschicht, die kommt, die in ihren Länder dann auch fehlt, einen Anreiz zu setzen, dass sie nach Europa sich auf den Weg machen und eine hochkriminelle Schleuserindustrie milliardenschwer alimentieren.
Carsten Janz: Nun wollen sie aber auch reale Politik machen. Und die bedeutet ja auch, es stehen Leute vor den deutschen Grenzen. Und da ist dann die Frage, wenn die hier stehen und die erst mal da sind, sollen wir die dann zurückweisen?
Sahra Wagenknecht: Ja, müssen wir, damit nicht mehr so viele dastehen. Wenn wir das umsetzen, was im Grundgesetz steht, dann steht auch keiner mehr an der Grenze, Weil wenn man gar keinen Anspruch auf ein Asylverfahren und auf soziale Leistungen in Deutschland hat, ja dann kommen die Menschen ja auch nicht mehr. Das ist ja die Logik dahinter. Das ist ja auch viel besser, als flächendeckend jetzt irgendwie wieder die Schlagbäume hochzuziehen, was natürlich sich niemand wünschen kann. Ich wohne ja in einem Grenzgebiet, da geht die Grenze teilweise durch Ortschaften, das kann man nicht kontrollieren und die grüne Grenze ist sowieso riesengroß. Aber wir brauchen in Deutschland eine Atempause. Wir müssen erst mal überhaupt die Probleme bewältigen mit denen, die jetzt schon nach Deutschland gekommen sind. Da sollten wir auch wirklich strikt zu dem Prinzip übergehen. Wer durch Gewaltdelikte, durch Gewalttaten an auffällt, der verliert seinen Anspruch auf Asyl. Da wird auch das Verfahren abgebrochen. Und diese Menschen müssen unser Land verlassen, weil wir haben ja sehr viele Menschen in Deutschland, die haben eigentlich gar keinen Aufenthaltsstatus. Aber wenn sie schon sehr lange in Deutschland sind, wenn sie hier Arbeit gefunden haben, wenn sie sich integriert haben, dann sollten wir diese Menschen nicht abschieben. Aber wir sollten die abschieben, die tatsächlich kriminell sind, die durch Gewaltdelikte auffallen, die auch nicht integriert sind, die sich in Parallelgesellschaften bewegen, weil das ist etwas, was unser Land auf Dauer in einer Weise verändert, die die Mehrheit der Menschen auch nicht will.
Daniel Mützel: Eine Atempause, sagen Sie. Das klingt für mich wie einen nationalen Alleingang, der erst mal euer Recht aussetzt oder nicht beachtet. Das ist ja auch der Kern der Debatte. Inwieweit könnte Deutschland das überhaupt machen? Und wenn es dann Zurückweisungen gibt, dann stehen die in Polen, dann stehen die in Österreich und die Regierungen haben da auch keine große Lust, mit diesen Menschen dann fertig zu werden. Wie wollen Sie damit umgehen und wie wollen sie verhindern, dass es zu so einem Dominoeffekt kommt, dass eben kein EU Staat sich mehr verpflichtet fühlt, irgendeine Absprache auf EU Ebene überhaupt umzusetzen?
Sahra Wagenknecht: Der nationale Alleingang Deutschlands, der ist jetzt da und der besteht darin, dass wir in dieser Größenordnung Menschen aufnehmen. Das tun andere Länder nicht. Die meisten Länder tun das nicht. Ich meine, schauen Sie sich an, selbst die Flüchtlinge aus der Ukraine, die man natürlich, also soweit sie aus den Kriegsgebieten kommen. Natürlich brauchen diese Menschen Hilfe und Unterstützung. Aber schauen Sie sich an, wie viele in Deutschland sind und wie wenige in Polen beispielsweise, obwohl sie von der Sprache her, ja in Polen sich viel besser integrieren könnten, viel besser am Arbeitsmarkt teilnehmen könnten.
Daniel Mützel: Es sind auch viele in Polen.
Sahra Wagenknecht: Nein, nein. Also pro Kopf ist das viel, viel, viel weniger als in Deutschland und bei anderen Flüchtlingsgruppen erst jetzt erst recht. Andere Länder haben ihre Zuwanderung deutlich reduziert. Sie machen auch Grenzkontrollen, sie machen Zurückweisungen und wir scheitern daran. Und das deshalb, weil auch gerade die Ampelregierung eben alles blockiert hat. Langfristig brauchen wir natürlich, das habe ich ja gesagt, andere europäische Regeln. Also es geht nicht nur darum, dass wir hier unsere uns abschotten und es dann in den anderen Ländern ist, sondern wir sollten das europäische Asylrecht so reformieren, dass in Zukunft Asylverfahren generell nur noch an den Außengrenzen und in sicheren Drittstaaten stattfinden und dann nur noch diejenigen in die EU kommen, die einen gesicherten Schutzanspruch haben. Wenn die Zahlen jetzt runtergegangen wären, wenn wir.
Carsten Janz: Die sind ja aber runtergegangen.
Sahra Wagenknecht: Naja 230.000 im letzten Jahr. Ich bitte Sie.
Carsten Janz: Im Januar aber waren es, glaube ich, 12.000.
Sahra Wagenknecht: Ja, es ist immer noch viel zu viel. Also wie gesagt, letztes Jahr wurde gesagt, das ist also eine Reduktion von 30 %. Ja, gegenüber den noch höheren Zahlen im Jahr davor. Aber es ist im langfristigen Trend mit an der Spitze und es ist zu viel. Das also ein Land, ein Land, wo...
Carsten Janz: Im langfristigen Trend ist es eher weniger also 230.000, es gab natürlich...
Sahra Wagenknecht: Im Jahr davor waren es über 300.000 und davor war es aber deutlich drunter
Carsten Janz: 2015 war es 700.000.
Sahra Wagenknecht: Also ja gut, das hat die AfD in den Bundestag gebracht. Die 700.000 von 2015, das war ja auch nicht zu bewältigen. So wie wir es jetzt machen, wird das auf Dauer wirklich unser Land verändern und wird auch das Klima immer mehr vergiften? Und irgendwann schlägt das ja vor allem gegen die zurück, die schon lange hier wohnen, die auch gut integriert sind, weil wir bekommen ja eine steigende Fremdenfeindlichkeit, wenn diese Integrationsproblematik nicht gelöst wird und wenn tatsächlich die Menschen in ihrem Alltag spüren, dass sich ihr Leben zum Nachteil verändert, dass sie eben kaum noch eine Wohnung kriegen, dass die Sozialwohnungen alle mit Flüchtlingen belegt sind, dass sie kaum noch einen Arzttermin bekommen, das ist. Und was sich an den Schulen abspielt, ist ein Drama. Und zwar an den Schulen der ärmeren Wohngebiete, wo fast keine Klasse mehr startet oder wo auch nur die Mehrheit Deutsch spricht. Die große Mehrheit spricht kein Deutsch. Wie kann man diese Schulen noch, wie soll da ein Lernniveau erreicht werden? Und deswegen sage ich ja, wir sollten dieses Problem lösen. Und sollten dann auch wieder über die wichtigen Themen reden. Natürlich ist es in Deutschland ein Problem, wie die Situation bei den Löhnen ist, dass der Mindestlohn zu niedrig ist, dass die Mieten so extrem steigen, dass so viele alte Menschen arm sind. Das sind ja eigentlich die Themen, die die Menschen auch hauptsächlich bewegen. Und darüber sollte man auch in diesem Wahlkampf reden. Und wir sollten eben auch über Krieg und Frieden reden.
Daniel Mützel: Sprechen wir zum Abschluss über den Ukrainekrieg. Sie haben die Bundesregierung immer wieder für Ihre Waffenlieferungen an die angegriffene Ukraine kritisiert. Jetzt blockiert der Kanzler höchstpersönlich ein neues, 3 Milliarden schweres Waffenpaket für Kiew, das seine Minister und die Außenministerin Baerbock geschnürt hatten. Angeblich, so sagt Olaf Scholz, wäre kein Geld da. Aus Sicht ist es doch eigentlich eine gute Sache, oder? Wäre das nicht mal ein guter Moment, um auch Olaf Scholz mal zu loben?
Sahra Wagenknecht: Na ja, das hat ja auch ein bisschen was damit zu tun, dass es uns gibt. Also das BSW ist ja tatsächlich ein Faktor, der auch in der SPD oder die SPD unter Druck setzt. Das sagen mir alle hinter vorgehaltener Hand, auch aus der SPD. Dass tatsächlich diejenigen, die sich dort eher gegen Waffenlieferungen aussprechen und die gibt es natürlich, dass die nicht völlig untergepflügt wurden, hat etwas damit zu tun, dass wir gegründet wurden.
Daniel Mützel: Das sagen in Sozialdemokraten?
Sahra Wagenknecht: Das sagen mir Sozialdemokraten. Man kann es ja auch daran ablesen. Ich meine, Olaf Scholz ist ja immer umgefallen bei der Frage der Waffenlieferungen, also ob das Panzer waren, Kampfjets waren. Er hat immer erst Nein gesagt, dann Jein und dann Ja. Und seit es uns gibt, hat er plötzlich also etwas mehr Rückgrat. Es hat auch mit dem Druck zu tun, natürlich. Aber nichtsdestotrotz, das zeigt natürlich auch, dass wir im nächsten Bundestag sein müssen, weil sonst ist dieser Druck eben weg. Aber Scholz sagt ja gar nicht, er will die Waffen nicht mehr liefern, sondern er sagt ja lediglich, er will dafür die Schuldenbremse aufheben und will das also mit Verschuldung finanzieren. Das ist jetzt nicht die ganz große, also sage mal, der ganz große Wurf zu sagen, ich schlief an nur Waffen, wenn ich über Schulden finanzieren kann, weil das Problem und das werfe ich Olaf Scholz vor, wir hätten längst mit einer eigenständigen Außenpolitik mehr dafür tun können, dieses schreckliche Sterben zu beenden. Wir haben seit Mai letzten Jahres liegt ein Friedensplan von Brasilien und China auf dem Tisch, den auch die Schweiz unterstützt. Warum hat Olaf Scholz nicht in seinem Telefonat mit Putin er hat ja mal mit ihm geredet? Er hat ihn nicht gefragt, ob er auf Grundlage dieses Friedensplans bereit wäre, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Das hat offenbar nicht stattgefunden. Und ich finde, dass wir jetzt darauf warten, ob Donald Trump den Krieg beendet. Jeder weiß doch, dass dieser Krieg nur auf dem Verhandlungsweg beendet werden kann. Er wird ja nicht anders beendet werden. Die Ukraine wird die besetzten Gebiete nicht zurückerobern können. Also muss man versuchen, an der jetzigen Frontlinie die Waffen schweigen zu lassen. Vielleicht macht es Donald Trump. Ich halte ihn für ziemlich unberechenbar. Und deswegen hätte ich mir eine Bundesregierung gewünscht, die sich eigenständig darum bemüht.
Daniel Mützel: Trump ist auch deswegen gewählt worden und er scheint es zumindest durchaus glaubhaft, auch jetzt zu versuchen, so einen Waffenstillstand. Bald sollen erste Details auch von so einem Friedensplan öffentlich werden. Jetzt mal so gefragt: Wenn der amerikanische Präsident, der mächtigste Politiker auf Erden, glaubhaft sich für einen Waffenstillstand in der Ukraine einsetzt, wozu braucht es noch das deutsche BSW?
Sahra Wagenknecht: Also erstens hoffe ich, dass Trump das macht und ich hoffe, dass er das auch durchsetzen wird. Es wäre ein großes Verdienst, wenn er das tut. Es zeigt allerdings, dass diejenigen, die die ganzen Jahre gesagt haben, mit Putin kann man nicht verhandeln, Unrecht hatten und dass diejenigen, die dafür geworben haben, dass endlich verhandelt wird und man das Sterben beendet, doch vielleicht nicht so falsch lagen. Und das zweite ist Ich hoffe sehr, dass damit die Gefahr einer Ausweitung dieses Krieges nicht mehr so akut ist, weil die Waffen schweigen. Aber dass wir jetzt in ein neues Wettrüsten hineintaumeln, dass wir womöglich im nächsten Jahr amerikanische Mittelstreckenraketen in Deutschland stationieren, die ohne Vorwarnzeit Moskau treffen können und damit die Gefahr hier bei uns erheblich erhöhen, dass Russland und sei es, wenn sie irrtümlich glauben, dass diese Raketen zum Einsatz kommen, selber auf den roten Knopf drückt, sprich dass die Kriegsgefahr steigt. Das ist leider ein Thema, was uns vorerst begleiten wird, solange wir nicht tatsächlich wieder eine andere und auf Entspannung ausgerichtete Außenpolitik machen. Und wir brauchen auch nicht immer mehr Ausgaben für Rüstung. Wir bräuchten eigentlich endlich mal wieder Gespräche über Abrüstung, über Rüstungskontrolle. Und Donald Trump ist nun garantiert nicht ein Präsident, der Abrüstungsverträge verhandelt. Er hat damals wichtige Abrüstungsverträge gekündigt. Er fordert jetzt...
Daniel Mützel: Wladimir Putin auch nicht, oder?
Sahra Wagenknecht: Ja, es muss ja von beiden Seiten ausgehen.
Daniel Mützel: Aber auch von Russlands Präsident.
Sahra Wagenknecht: Ja, ich weiß nicht, ob Russland jetzt so ein großes Interesse hat, immer mehr Geld in Rüstung zu verpulvern. Das haben sie ja dann auch nicht mehr für andere anlegen.
Daniel Mützel: Sie tun es aber.
Sahra Wagenknecht: Na ja, weil Sie zurzeit Krieg führen. Deswegen geben sie auch sehr viel Geld für Rüstung aus.
Daniel Mützel: Dann scheint es ja ein Interesse daran zu geben.
Sahra Wagenknecht: Ja trotzdem, wir geben ein Vielfaches dessen aus. Also die Begründung ist ja, wir müssten jetzt noch mehr aufrüsten, damit am Ende Russland uns nicht angreift. Und ehrlich gesagt, wenn ich mir anschaue, dass alleine die Verteidigungsetats der europäischen Natostaaten größer sind als der ganze russische Staatshaushalt. Wenn ich mir ansehe, dass die russische Armee jetzt seit drei Jahren daran scheitert, die ukrainische Armee entscheidend zu schlagen. Wenn man mir dann erzählt, wir müssten jetzt noch mal das Doppelte oder Dreifache für Waffen ausgeben, damit Putin uns nicht überrollt und demnächst vor dem Brandenburger Tor steht, dann muss ich sagen: Das ist eine Beleidigung unserer Intelligenz, wenn man uns das erzählt. Wir brauchen kein neues Wettrüsten und wir sollten uns bemühen, dass es hier tatsächlich neue Verträge gibt. Das ist aber die einzige Kraft, die dagegen ist. Das ist die Rüstungswirtschaft, die natürlich riesig profitiert. Das ist auch eine gerade dieser militärisch-industrielle Komplex in den USA hat stark den Wahlkampf von Donald Trump finanziert, hat ein großes Interesse, viel Waffen zu verkaufen. Deswegen fordert ja auch Donald Trump, dass wir jetzt eben unsere Verteidigungsausgaben auf über 200 Milliarden im Jahr erhöhen und vor allem US Waffen kaufen. Das war ja damit verbunden und dem müssen wir widerstehen, dem müssen wir widersprechen. Und wir brauchen eine Bundesregierung, die das Selbstbewusstsein hat, das zu tun. Und ja, der ehemalige Blackrock Lobbyist Friedrich Merz ist da sicherlich genauso wenig geeignet wie Olaf Scholz, der ja schon in den letzten Jahren immer nur abgenickt hat, was die Amerikaner wollten.
Carsten Janz: Frau Wagenknecht, eine letzte Frage: Ich habe gehört bei Kollegen, dass ihr Mann hauptsächlich zu Hause kocht, wenn gekocht wird und dass ihr Mann Oskar Lafontaine hauptsächlich Bolognese auch sehr gut kochen könnte. Und jetzt einmal noch so eine Frage zum Abschluss: Wenn Sie jetzt eine einen gegnerischen Kanzler oder Spitzenkandidaten zu einem Abendessen zu Hause einladen müssten, wen würden Sie wählen und worüber würden Sie bei Bolognese dann sprechen?
Sahra Wagenknecht: Oh Gott, ein Spitzenkandidat? Ja, also bei denen, die jetzt zur Auswahl stehen. So richtig prickelnd ist das alles nicht. Wahrscheinlich würde ich schon mit Olaf Scholz sprechen wollen. Darüber, warum die SPD so gekippt ist und warum sie so wenig die Tradition von Willy Brandt und die Entspannungspolitik noch ernst nimmt. Und was man vielleicht auch machen kann, dass sich das mal wieder ändert.
Carsten Janz: Frau Wagenknecht, damit müssen wir zum Ende kommen. Wir hier bedanken uns ganz herzlich bei Ihnen für das Gespräch.
Sahra Wagenknecht: Gerne.
Carsten Janz: Und vielen Dank Ihnen da draußen fürs Zuhören. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat. Abonnieren Sie den Tagesanbruch Podcast überall da, wo es Podcast gibt. Dann werden Sie immer benachrichtigt, wenn es eine neue Folge gibt. Wenn Sie noch eine Anmerkung oder Frage haben, schicken Sie uns am besten eine Sprachnachricht oder eine Email an podcasts@t-online.de oder schreiben Sie uns einen Kommentar unter die Folge bei Spotify. Und damit bedanke ich mich bei Lisa Raphael für die Produktion und Daniel Mützel und Carsten Janz sagen hiermit Tschüss und ein schönes Wochenende.