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00:00:00: Info: Dieses Transkript wurde maschinell erstellt und nicht vollständig gegengelesen.
00:00:02: Lutz Jäkel: Und das zu sehen, das hat mich überwältigt. Da habe ich erst mal wirklich geheult. Das war ein unfassbar unfassbares Glücksgefühl.
00:00:13: Florian Harms: Sechs Wochen ist es her, dass Diktator Baschar al Assad fluchtartig Syrien verlassen hat. Die islamistische HTS-Miliz hat Damaskus erobert und kontrolliert große Teile des Landes. Im Osten und Norden operieren kleinere Milizen. Nach 54 Jahren Assad Diktatur und fast 14 Jahren Krieg feiern die Syrer den Sieg über die Tyrannei. Zugleich trauern viele um ihre Angehörigen. In den Foltergefängnissen und Massengräbern des Regimes verschwanden Hunderttausende Menschen. Wie ist die Lage vor Ort jetzt? Dieser Tage? Kann Syrien ein friedliches Land werden? Oder ist das nur noch eine Frage von Wochen, bis neue Kämpfe ausbrechen? Ist den neuen Machthabern zu trauen? Oder errichten sie eine islamistische Diktatur? Wie leben? Was sagen? Worauf hoffen die Syrer?
00:01:09: Florian Harms: Liebe Hörerinnen und Hörer. Schön, dass Sie wieder zuhören. Ich bin Florian Harms, Leiter als Chefredakteur, die Redaktion von t-online und muss Ihnen sagen: Diese Podcastfolge ist außergewöhnlich. Nicht nur, weil wir über ein besonderes Thema sprechen. Heute geht es nämlich nicht um deutsche Politik, sondern um Syrien. Ein Land, das eine jahrtausendealte Kulturgeschichte besitzt, das eine wichtige Rolle als Brücke zwischen Orient und Okzident spielt und dessen Entwicklung tatsächlich auch Deutschland in den vergangenen Jahren stark beeinflusst hat. Rund 1 Million Syrer sind vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen. Dieser Podcast ist aber auch deshalb außergewöhnlich, weil wir heute einen besonderen Gast haben. Lutz Jäckel ist nicht nur ein preisgekrönter Fotoreporter, Buchautor und Vortragsredner sowie einer der erfahrensten Syrienkenner im deutschen Journalismus. Er ist auch einer meiner besten Freunde. Hallo lieber Lutz, schön, dass du hier bist. Oder wie wir Syrien Liebhaber zu sagen pflegen. Ach was, sag ja.
00:02:09: Lutz Jäkel: Hallo lieber Florian, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich auch ganz besonders auf diese Folge.
00:02:13: Florian Harms: Diese Folge da sprechen wir gleich, bevor wir das machen. Noch eine kurze Empfehlung an unsere Hörerinnen und Hörer, denn gestern ist unsere Sonderfolge mit dem grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck erschienen. Da erklärt er unter anderem, ob er sich ein schwarz-grünes Bündnis nach der Wahl vorstellen könnte. Die Folge finden Sie im Tagesanbruch Podcast auf t-online oder auch bei Spotify oder Apple Podcast. Den Link gibt es hier auch noch mal im Newsletter-Artikel.
00:02:38: Florian Harms: Lutz, jetzt zu uns beiden. Wir beide kennen uns seit 27 Jahren und haben in dieser Zeit sehr viel miteinander erlebt. Im Jahr 1998 begegneten wir uns in der Altstadt von Damaskus, wo wir beide Arabisch lernten. Später haben wir viele Reisen durch die arabische Welt unternommen, haben gemeinsam Bücher und Reportagen veröffentlicht, Vorträge vor großem Publikum für Unternehmen und auf Kreuzfahrtschiffen gehalten und vor allem unzählige Gespräche über die Entwicklung in den arabischen Ländern geführt. Oft genug haben wir dabei vor Entsetzen die Köpfe geschüttelt, weil die Kriege, die auf den Arabischen Frühling 2011 folgten, große Teile der Region verwüsteten, zigtausende Menschen ins Leid stürzten. Immer wieder sahen wir aber auch Lichtblicke, überraschende Wendungen, mutmachende Geschichten von unseren arabischen Freunden und natürlich die unbezwingbare Empathie vieler Menschen in der arabischen Welt. Und die Syrer haben es uns eben besonders angetan. In ihrem Heimatland kreuzen sich Kulturen und Sprachen, Handelswege und Religionen. Und umso bewegter waren wir, als vor sechs Wochen die Kämpfer der HTS-Miliz in wenigen Tagen die Assad-Diktatur gestürzt haben und in Damaskus einmarschiert sind. Hat Syrien jetzt endlich eine Chance auf eine friedliche Zukunft? Das war die alles beherrschende Frage. Die Nachrichten waren ja voll von Meldungen. In den sozialen Medien überschlugen sich die Videos euphorischer Menschen. Aber du wolltest es genauer wissen. Also hast du ein paar Sachen zusammengepackt und bist gemeinsam mit deiner Freundin, der Autorin Nadine Pungs, in den Libanon geflogen und von dort weiter in die syrische Hauptstadt Damaskus gefahren. Zwei Wochen lang warst du im Land unterwegs, was tausende Fotos gemacht hast, mit vielen verschiedenen Menschen gesprochen. Heute bist du hier im Tagesanbruch Podcast, worüber ich mich sehr freue. Und ich glaube, viele unserer Hörerinnen und Hörer sind genauso neugierig wie ich. Also erzähl doch bitte mal, als du jetzt nach all den Jahren wieder nach Damaskus gekommen bist, was für ein Gefühl war das? Und wie ist die Stimmung in der Stadt?
00:04:34: Lutz Jäkel: Es war zunächst mal ein unfassbares Glücksgefühl, dass ich erleben durfte, wie du gerade gesagt hast: Wir sind über Beirut, über diese doch recht bekannte Straße zwischen Beirut und Damaskus, die wir beide auch vor vielen Jahren häufiger gefahren sind, auch nach Syrien gekommen. Und es war auch ganz schön. Es klingt ein bisschen merkwürdig, aber dass wir nicht direkt nach Damaskus fliegen konnten, sondern uns so langsam wieder Syrien angenähert haben. Und dieses langsame Ankommen auf einer Strecke, die mir durch viele Reisen sehr bekannt war und ist, das war ein unfassbares Gefühl. Wir sind an die libanesische Grenze gekommen, da war noch ziemlich viel los. Auch viele syrische Geflüchtete sind dort leider gestrandet, campieren dort, war jetzt gerade im Winter sehr, sehr schwierigen Witterungsbedingungen. Und dann ging aber alles ganz schnell. Wir haben unseren Ausreisestempel bekommen, wir sind rübergefahren durch das Niemandsland. Und als wir uns dann der syrischen Grenze genähert haben, als wir die ersten syrischen Grenzposten gesehen haben, an denen niemand mehr war, niemand stand, das war schon ein fast schon bizarres Gefühl. Ich hatte Gänsehaut bekommen. Vor allem dann. Ich bin direkt am ersten Grenzposten ausgestiegen. Ich habe das angesehen. Und Florian, du weißt ja, selbst wenn man durch Syrien gereist ist, über all die vielen Jahre, die Konterfeis, die Porträts der Diktatoren, wie soll Assad und vor allem dann in den letzten Jahrzehnten natürlich von Baschar al Assad waren omnipräsent. Überall konnte man sie sehen, musste man sie sehen. Und plötzlich waren die weg. Und die, die wir da gesehen haben, an den Grenzposten, die waren zerschossen, die waren zerkratzt, die Plakate teilweise auf dem. Gerissen und das zu sehen, das hat mich überwältigt. Da habe ich erst mal wirklich geheult, weil ich auch nach dieser langen, langen Zeit, in der ich ja auch nie mehr nach Syrien reisen konnte, wegen des Krieges, auch wegen meiner journalistischen Arbeit über Syrien, dann plötzlich ziemlich unerwartet wieder nach Syrien kommen zu können. Das war ein unfassbares Glücksgefühl.
00:06:31: Florian Harms: Und hat dieses Glücksgefühl dann angehalten, als ihr nach Damaskus gekommen seid. Wie ist die Stimmung in der Hauptstadt?
00:06:37: Lutz Jäkel: Ja, das hat angehalten. Wir haben ja zunächst mal die ersten Tage bei einem sehr guten Freund gewohnt, bei Amir, den ich seit über 20 Jahren kenne. Ein Freund übrigens, den ich auch während der Kriegszeit nicht wirklich kontaktieren konnte, weil er auch von meiner Arbeit zu Syrien weiß, die ja sehr kritisch ist gegenüber der Diktatur. Und aus Sicherheitsgründen konnte ich ihn auch über alle Jahre nicht kontaktieren, weil ich wusste, wenn wir in Kontakt stehen, dann hört sehr wahrscheinlich der Apparat, der Geheimdienst mit und das könnte für ihn und seine Familie gefährlich werden. Aber einen Tag nach dem Sturz des Regimes hat er mich kontaktiert und hat gesagt Hallo, Lutz, hier Amir. Wie geht es dir? Wann kommst du? Und da sind wir dann gekommen und haben dann eben die ersten Tage bei ihm gewohnt. Und wir waren dadurch dann auch sofort in Damaskus, in der Stadt, in der Altstadt, vor allem da, wo wir auch mal gelebt haben vor vier Jahren. Und diese, dieses Glücksgefühl, das ich selbst gespürt habe, das hast du tatsächlich überall auch dort gespürt, gesehen, erlebt. Die Menschen sind, das kann man wirklich sagen, euphorisch, wenn man sich mit ihnen unterhält. Wenn man sieht, wie sie selbst feiern, wie sie plötzlich die Fahnen schwenken, die neue syrische Fahne mit den drei Sternen. Wenn du siehst, dass die ganzen Porträts der Diktatoren alle entfernt worden sind oder zerkratzt oder übermalt und du dann mit den Leuten sprichst und sie sagen jetzt, jetzt sind wir frei. Man spricht auch immer vom surreal, wieder vom neuen Syrien oder [arabisch] "Syrien ist jetzt frei" und das sagen dir die Menschen. Und überhaupt, das ist schon ein besonderes Indiz dafür, dass sie sich befreit fühlen, dass sie mit dir ganz offen auf der Straße, in der Öffentlichkeit darüber reden und den Diktator auch einen Hund nennen und einen Hurensohn. Also all das, wofür man sofort früher inhaftiert worden wäre, vielleicht noch nachher zum Foltergefängnis gebracht worden wäre. Und diese Befreiung ist überall spürbar.
00:08:27: Florian Harms: Ich erinnere mich, weil du das gerade erwähnt hast, was die Zensoren anbelangt Als wir damals studiert haben in Syrien, da gab es noch keine Smartphones, also haben wir uns Briefe geschrieben. Ich zum Beispiel habe meiner Freundin in Deutschland Briefe geschrieben, haben von ihr Briefe bekommen und die wurden alle immer zensiert, noch gegengelesen. Und dann trafen wir irgendwann den Zensor, weil der nämlich im Nebenberuf auch noch ein bisschen Sprachunterricht gegeben hat und ich erinnere mich wie heute daran. Dann sagte der mir irgendwann auf den Kopf zu Ach Florian, übrigens in deinem Brief von deiner Freundin steht folgendes. Und das haben wir rausgenommen. Ganz offen ist er damit umgegangen. Das war schon fast absurd humorvoll. Aber natürlich gab es auch eine sehr tragische Seite. Und Lutz, jetzt hast du ja gerade dieses christliche Viertel in der Altstadt von Damaskus angesprochen. Bab Tuma Da haben wir damals auch gewohnt. Vor dem Krieg waren etwa 10 % der syrischen Bevölkerung Christen. Viele sind dann während des Krieges geflohen. Aber es ist immer noch ein Land mit sehr unterschiedlichen Religionen, das darf man nicht vergessen. Jetzt hast du gerade gesagt, Die Leute feiern. So ist das so im ganzen Land ist das so bei den Angehörigen aller Religionen. Denn es war ja so, dass das Assad Regime aus einer kleinen, ich sag mal islamischen Sekte bestellt war von den Alawiten. Und die Christen habe ich noch im Ohr, sagten immer na ja, weil die eine Sekte sind, werden sie uns als Minderheit auch immer schützen. Haben die Christen jetzt nicht die Befürchtung, dass sie unter die Räder geraten in diesem neuen Syrien, in diesem Syria zida?
00:09:53: Lutz Jäkel: Doch diese Befürchtung gibt es auf jeden Fall. Und die Sorge oder auch die gewisse Skepsis ist auch durchaus berechtigt. Natürlich, man darf eigentlich nicht sagen, das ist ja auch ein soweit geprägtes Narrativ, dass das Assad Regime damals Minderheiten geschützt habe. Das hat das Regime ja nicht gemacht, weil es so nett und freundlich war und sondern weil es eben, wie du gesagt hast, selbst aus einer religiösen Minderheit kam. Also schützt man religiöse Minderheiten, schützt man sich selbst. Und dennoch, und das wissen wir beide ja auch sehr gut aus der Geschichte, ist Syrien ja genau das ein multiethnischer, ein multireligiöser Staat, immer schon seit Jahrhunderten, man kann sagen seit Jahrtausenden. Also das, was in den letzten Jahrzehnten eine Diktatur immer so ein bisschen auch als Narrativ gepflegt wurde, als politisches Narrativ seitens des Regimes, ist im Grunde genommen, wenn man so will, ein bisschen die DNA Syriens. Und dennoch natürlich, weil jetzt eine Übergangsregierung an die Macht gekommen ist, die natürlich vor allen Dingen islamistisch geprägt ist, ist die Sorge durchaus da. Das muss man auf jeden Fall sagen, das merkt man auch. Ich war ja auch über Weihnachten dort. Ich bin Heiligabend ganz bewusst auch im christlichen Viertel unterwegs gewesen. Ich war bei einem Gottesdienst an Heiligabend in eine Kirche in einem Christen Viertel. Und das war interessant, weil zum einen war das der erste Gottesdienst nach dem Sturz des Regimes. Viele Christen sind in die Kirchen gegangen. Das wurde dort auch gefeiert, weil es machte vorher schon so ein bisschen die wurde die Frage gestellt Dürfen denn jetzt Christen überhaupt unter den Islamisten Weihnachten feiern? Ja, das durften sie. Und nicht nur das. Ich habe dann erlebt, dass an Heiligabend der frisch gewählte Gouverneur von Damaskus. Der war es wenige Tage im Amt. Der ist an Heiligabend durch das Christenviertel gegangen und hat, um salopp zu sagen, Hände geschüttelt. Er hat mit den Menschen gesprochen, mit Passanten, und zwar mit Muslimen wie Christen. Das kann man ja durchaus auch müssen erkennen Muslime vielleicht eher dadurch, wenn er mit einer Frau sie unterhält, die ein Kopftuch trägt, dann sagt man okay, Muslimin, Aber er ist doch an eine Kirche vorbeigekommen, bei der gerade ein Gottesdienst eingegangen ist. Da kamen Kirchgänger raus, also Christen. Die sind auch auf ihn zugegangen und alle Passanten oder viele Passanten waren ihm sehr zugeneigt. Und er war auch ist auch sehr auf die Menschen zugegangen, hat Hände geschüttelt und gefragt Wie geht es euch? Was wünscht ihr euch? Und die meisten haben gesagt Wir danken euch erst mal für die Befreiung von dieser schlimmen Diktatur, also Christen wie Muslime haben sich bedankt. Also einerseits ja, es gibt so ein bisschen die Sorge, mal schauen, wie es weitergeht. Und andererseits ist es sehr, sehr offensichtlich, dass die Übergangsregierung vor allen Dingen gebildet durch ehemalige HTS-Kämpfer oder noch HTS-Kämpfer und von Islamisten, dass sie zumindest versuchen, Zeichen zu setzen, Signale auszusenden. Und die werden auch wahrgenommen, die werden gesehen mit einer gewissen Skepsis, aber auch mit einer Erleichterung.
00:12:37: Florian Harms: Und jetzt habe ich auf deinen Bildern, die du veröffentlicht hast, unter anderem auf Instagram und auf Facebook, kann man dir folgen und kann deine Reisen begleiten. Aber auch gesehen, dass es neben der Euphorie natürlich auch viel Elend gibt. Also da sieht man zum Beispiel Bilder von bettelnden Kindern. Wie hast du das erlebt?
00:12:53: Lutz Jäkel: Ja, das stimmt. Und das sind auch bedrückende Bilder. Wir haben ja, man kann durchaus sagen, die sind knapp zwei Wochen und ich muss vielleicht noch dazu sagen oder fragt das Wie ist es denn so in Syrien? Ich kann seriös auch nur meine persönlichen Eindrücke wiedergeben, die sich vor allen Dingen auf Damaskus und Umgebung beschränken müssen, weil wir in diesen Tagen vor allen Dingen dort gewesen sind. Mir war es ganz, ganz wichtig, eben weil wir dort mal gelebt haben, weil ich so lange nicht mehr dort gewesen bin, die Stimmung einzufangen in Damaskus und Umgebung. Da war noch ein Tag in Homs. Aber das, was wir dort gesehen haben, hat sich dann auch sehr stark verdichtet in dieser Zeit. Wir haben viel Schönes erlebt. Also auch ich persönlich habe natürlich viel Schönes erlebt, weil ich dann ganz viele Erinnerungen wieder hochkommen. Ich habe viel Bekanntes wiedergesehen, auch gerade in meinem Christenviertel, überhaupt in Damaskus. Aber wir haben ja auch viel, viel Schreckliches gesehen.
00:13:37: Florian Harms: Und da möchte ich einmal nachfragen, denn du bist ja nördlich von Damaskus in Saidnaja gewesen. Dieser Ort ist um die Welt gegangen. Dort stand das wahrscheinlich berüchtigtste Foltergefängnis des Assad Regimes. Da sind zigtausende Menschen eingesperrt, gequält, getötet worden. Du bist da hingegangen, du hast es dir angesehen. Du hast auch mit Angehörigen gesprochen. Was hast du von denen erfahren?
00:13:59: Lutz Jäkel: Das ist ein unfassbar trauriger Ort. Florian Wenn man das sieht, ein Ort, von dem man schon irgendwie wusste. Und ich bin früher häufig auch mal in sehr nahe gewesen, weil dort ein sehr schönes Kloster steht. Das war ein Besichtigungspunkt auch bei Rundreisen durch Syrien.
00:14:17: Florian Harms: Ein christliches Kloster.
00:14:17: Lutz Jäkel: Ja genau, ein christliches Kloster.
00:14:19: Florian Harms: Das war ja auch ein Luftkurort, Saidnaja.
00:14:21: Lutz Jäkel: Ja so ein bisschen. Ja, das ist auch völlig bizarr. Wenn du da jetzt hin fährst Richtung Gefängnis, dann auf. Davon habe ich ein Foto veröffentlicht. Da ist neben der Straße ein Haus, ein großes Schild, wo für das Fünf Sterne Resort Sheraton geworben wird. Und in Sichtweite dahinter ist das Foltergefängnis. Na ja, und man wusste ja damals schon, dass das ein schlimmer Ort ist, aber dass es eine solche Hölle gewesen sein muss, das zeigt sich dann erst, wenn man vor Ort ist. Also dieser ist ein riesiges Gefängnis im sogenannten Roten Trakt. Das war ja der Bereich, in dem die Menschen vor allen Dingen über Monate, Jahre inhaftiert waren, gefoltert wurden. Es stinkt, es ist eng. Es sind riesige Zellen, wo bis zu 100 Häftlingen zusammengepfercht waren. Wir waren auch unten in den Kellerräumen, wo die einzelnen Zellen waren. Und, Florian wenn du das siehst, eine Zelle, vielleicht 1,50 Meter mal 1,50m. Fensterlos, kein Licht da unten, völlig verdreckt. Da haben Menschen teilweise über Monate, vielleicht sogar Jahre irgendwie überlebt. Wie man das aushält, ist mir ein völliges Rätsel. Wir waren wirklich. Es war auch sehr, sehr schwer, muss ich sagen, als Fotojournalist dort zu arbeiten, das zu dokumentieren und dann eben, wie du sagst, genau das sind ja immer noch ganz viele Angehörige, die völlig verzweifelt nach irgendwelchen Spuren ihrer vermissten Angehörigen suchen. Ein Beispiel Im Vorhof liegen hunderte, tausende zerfetzte Zettel auf dem Boden, weil das ja auch alles akribisch dokumentiert worden ist seitens des Regimes. Und dann greifen Angehörige nach diesen Zetteln wahllos in der Hoffnung, irgendwie einen Hinweis auf ihre Angehörigen zu finden.
00:15:55: Florian Harms: Und wird das nicht irgendwie aufbereitet oder gibt es keine Organisation, die dabei hilft, das zu erhalten, diese Akten?
00:16:01: Lutz Jäkel: Zumindest in der Zeit, in der wir da waren, offenbar nicht, sondern es ging ja zunächst mal auch darum, dass das mal die Menschen alle befreit worden sind. Das macht ja auch ein bisschen das Gerücht die Runde, dass es noch irgendwelche versteckten unterirdischen Geschosse Räume gab. Das hat sich offenbar nicht bestätigt. Also es sind ganz offensichtlich alle Menschen befreit worden und das war erst mal das Wichtigste, was worum es ging. Und jetzt geht es nicht um die Aufarbeitung, Aber ja, tatsächlich. Also die, diese ganzen Zettel und alles, was da so rumliegt. Also man läuft da eigentlich rein und. Man sieht, dass zum einen die Schergen des Regimes fluchtartig alles verlassen haben. Sie haben alles stehen, liegen lassen. Manchmal sieht man in irgendwelchen Wärterräumen noch Uniformen, die haben ihre Uniform ausgezogen und haben sich davongemacht, sind nach Hause gegangen, wollten unerkannt sein. Und dann siehst du die Angehörigen, die dann verzweifelt ihre Angehörigen suchen, mehr mit ihnen gesprochen. Eine Mutter hat ihre Wut, ihre Trauer, ihr verzweifelt herausgeschrien. Ich habe in einem Mann gesprochen, der aus Aleppo kam. Und ich habe ihn gefragt Wen suchst du hier? Und dann zeigte er mir gleich das Bild seines Sohnes auf seinem Handy und sagt Mein Sohn. Und dann habe ich gefragt, was ist passiert? Da sagt er, ja der war vor einigen Jahren in Homs auf einer Demonstration es gefangen genommen worden und seitdem verschwunden. Und dann habe ich ihn gefragt: Warum glaubst du, dass er hier ist in Saidnaja? Da sagt er, ich weiß es nicht, aber irgendwo muss ich ja anfangen. Und das begegnet mir überall in Syrien. Und das ist bedrückend und lässt einen wirklich verzweifeln, wenn man solche Orte sieht.
00:17:27: Florian Harms: Das sind wirklich erschütternde Szenen, die du da schilderst. Du hast das ja auch in Fotos eingefangen. Man kann diese Fotos von Lutz Jäckel sehen, beispielsweise auf deinem Instagram Account, auf deinem Facebook Account, künftig auf deiner Webseite lutz-jaeckel.com. Wenn man so was sieht, was macht das mit einem, Lutz? Du sagt gerade Das ist die Hölle. Man kommt dahin, dass auf der einen Seite die Euphorie über das befreite Land und da ist, auf der anderen Seite dieses unfassbare Leid von so vielen Menschen, die Angehörige verloren haben. Du bist ja nicht nur in Saidnaya gewesen, sondern auch noch an einem weiteren grausamen Ort. Der befindet sich auch in der Nähe von Damaskus, Qutaife. Da gibt auch Bilder davon. Das ist quasi ein, sage ich mal, ein wüstenartiges großes Feld, mit einer Mauer umgrenzt. Und allein dort könnten Amnesty International zufolge 100.000 Opfer des Assad Regimes verscharrt worden sein in Massengräbern. Was hast du dort erfahren?
00:18:24: Lutz Jäkel: Es ist ein Beispiel für die Brutalität und für die Perfidität dieses Regimes. Denn wir sind da hingefahren. Wir hatten Hinweise, dass es dort dieses Massengrab geben soll, und wir wollten das vor allem auch als Fotojournalist dokumentieren, sind dort hingefahren. Wir hatten Koordinaten bekommen, GPS-Daten, wo das sein mussten. Dann kam ich zu dem Lager. Genau das ist ein altes Militärlager, ummauert und da stehen vier große russische Mobile Radar. Abhöranlagen. Kannst du sehen, weil das überall auf Kyrillisch drinsteht. Und wir sind da reingegangen in dieses Gelände. Und wir haben aber keine Spuren von Massengräbern gefunden. Einige Tage zuvor, da gingen ein paar Bilder auch ein bisschen durch die sozialen Medien. Auch in den anderen Medien waren da Untersuchungen. Also wir wussten, da war jemand und da muss was sein. Wir haben es aber nicht gefunden und dann haben wir da lang rum gesucht. Wir haben, wir haben die HTS-Kämpfer dann zwei an einem Checkpoint gefragt und ihm sagte doch, das ist dahinten irgendwo und wir haben gesagt okay, da ist nichts und dann sind wir wieder gefahren und dann haben wir weiter recherchiert und dann habe ich irgendwann noch mal in so eine Pressegruppe, wo ich bin so unserer internationalen WhatsApp Pressegruppe mit drin. Alle, die da in Syrien unterwegs waren oder sind und hat dann mal nachgefragt, haben gesagt auch das ist da. Und dann habe ich unseren Kollegen vom Spiegel, Christoph Reuter angeschrieben, wir kennen uns gut. Und dann habe ich ihn gefragt Christoph, du warst doch auch da, wo ist das denn? Da sagt er ja nicht im Lager, außerhalb des Lagers. Und dann sind wir noch mal dahin gefahren. Und das. Florian hat uns wirklich zutiefst schockiert, weil wir gedacht haben, wenn und das ist ja über viele Jahre, vor allen Dingen während des letzten Krieges, also während der zehn, 14 Jahre des Krieges, passiert, wenn Menschen inhaftiert werden, gequält, gefoltert, getötet und dann verscharrt werden in Massengräbern, dann haben wir uns schon so ein bisschen vorgestellt. Dann versucht das Regime vielleicht, das ein bisschen zu verbergen. Also verscharrt man diese Getöteten innerhalb des Geländes. Aber nein, das Regime hat sich nicht mal die Mühe gemacht, es zu verbergen. Im Gegenteil, Die haben das auf offenem, freien Feld, haben die riesige Gruben ausgehoben. Ich habe Drohnen Aufnahmen davon und dann sind wir da hingegangen und dann haben wir diese Gruben gesehen. Da haben wir wirklich realisiert Ach so, hier ist das. Und dann haben wir Gruben gesehen. Das hat uns historisch auch an andere Zeiten erinnert, dass wir da runter gegangen sind. Na siehst du, an den Wänden dieser Erdwände siehst du jede Menge Kleidungsreste herausragen. Schuhe, Kinderschuhe. Und das hat uns zutiefst verstört, weil uns dann erst klar geworden ist, darum ging es dem Regime Angst und Schrecken so zu verbreiten, dass das nicht verborgen bleibt, sondern dass jeder davon wusste. Und so war das auch, wenn wir mit Menschen gesprochen haben. Jeder wusste, wo das ist, aber niemand konnte darüber sprechen. Jetzt sprechen die Menschen und das zu realisieren, dass sie das nicht versteckt haben, sondern öffentlich gemacht haben, so dass es jeder wusste, damit man die Menschen einschüchtert. Das ist für mich das Beispiel auch für die Perfidität dieses Regimes.
00:21:06: Florian Harms: Unfassbar. Lutz Ich erinnere mich an eine Szene damals vor dem Krieg in der Assad-Diktatur in Bab Tuma. Da ging ich, glaube ich oder wir beide durch eine Gasse, und auf einmal kam um eine Ecke drei Polizisten, die hatten jemanden zwischen sich, ein Familienvater, den schleiften sie hinter sich her und schlugen dem immer auf den Kopf und schleiften ihn dann in die nahe gelegene Polizeiwache. Und das hat mich nicht nur so tief erschüttert, um das zu sehen, sondern am stärksten erschüttert hat mich die Reaktion der anderen Nachbarn. Denn die haben alle weggeguckt. Natürlich nicht weggenommen. Die haben einfach Angst gehabt.
00:21:44: Lutz Jäkel: Damit sich vielleicht ein bisschen freuen, wenn ich erzählen darf, dass diese Polizeistation an diesem Platz nicht mehr existiert.
00:21:52: Florian Harms: Was ist damit passiert?
00:21:52: Lutz Jäkel: Die haben. Ich meine, ich bin da nämlich auch hin. Wir wussten ja, es war ja nicht nur Polizeistation, sondern oberste Stockwerk. War ja eine Zweigstelle des Geheimdienstes, wo ja oft uns die Menschen dann hin gebracht worden sind und dann wo auch immer hin weiter vor der Polizeistation stehen vier alte Polizeiautos, alle zerstört, zerschlagen und davor wiederum hochmoderne Autos der neuen Übergangsregierung. Also es sind Elitesoldaten, die aus Idlib ja kommen, von HTS-Übergangsregierung, die haben hochmoderne neue Autos. Sie stehen da und nebendran die alten verrotteten Polizeiautos aus der Assad Zeit und alle zerstört. Und die Polizeiwache ist ein Stockwerk auch ausgebrannt. Also die wurde gleich gestürmt.
00:22:31: Florian Harms: Ich erinnere mich, wenn da die Fenster offen standen, hörte man die Schreie, konnte man unter anderem die Schreie. Lutz du warst aber auch an einem weiteren Ort, der jetzt Schlagzeilen gemacht hat. Denn es ist ja so gewesen, dass dieses brutale Assad Regime hart sanktioniert worden ist. International. Und dann sind die auf die perfide Idee gekommen, sich anders zu finanzieren, nämlich durch die Produktion von Drogen, durch Captagon. Das ist ein Aufputschmittel, dass es massenhaft hergestellt worden in Syrien, in kleinen Fabriken, kleinen Labors und dann verkauft worden in die gesamte arabische Welt als Partydroge nach Saudi-Arabien beispielsweise, zum Teil dann auch auf Schmuggelrouten über den Hamburger Hafen, wo es dann umgeladen worden ist, und dann wieder runter in die arabische Welt gefahren zu werden. Du warst dort. Du bist mithilfe von HTS-Kämpfern in so ein Labor gekommen. Was hast du da gesehen?
00:23:21: Lutz Jäkel: Da muss ich auch gleich schon sagen, weil du sagt es so in kleineren Fabriken. Nein, das war eine riesige Fabrik. Wir sind tatsächlich genau in die Nähe von Damaskus in eine dieser Fabriken gekommen. Man schätzt, dass es etwa. Bisher sind etwa 150 gefunden worden, davon sicher kleinere. Aber wir waren in einer...
00:23:36: Florian Harms: 150 einzelne Fabriken zur Herstellung von Captagon?
00:23:38: Lutz Jäkel: Genau, genau das ist die Zahl. Jetzt also Stand Anfang Januar, und wir waren in eine dieser ganz großen. Und wir waren auch ein bisschen überrascht, dass wir werden dann in das bekommen, wo das ist in den Gefahren. Und ich hatte ja auch übrigens eine Presseakkreditierung. Wir waren nämlich am ersten Tag, als wir in Damaskus waren, im Informationsministerium. Da saßen sehr freundliche Herren der Übergangsregierung. Die haben mich gefragt, wo ich herkomme, was ich mache. Ich hatte dann eine Bescheinigung, meiner wurde Agentur live dabei, für die ich ja fotografieren. Und dann haben wir innerhalb von drei Minuten eine Presseakkreditierung per WhatsApp bekommen. Also da dachte ich okay, gut organisierte Jungs und bei dieser Presseakkreditierung, die hat uns auch wirklich geholfen, weil wir halt überall wo hingekommen sind, haben die auch alle immer gefragt wo wir seid ihr und habt ihr eine Erlaubnis? Dann haben wir es gezeigt auf dem Smartphone. Ja, ja, alles klar und dann an, aber sagt dann Herzlich willkommen, Ja bitte schaut euch um. Und als wir dann diese Captagon Fabrik waren, da waren dann auch echt so harte Jungs von der hatte es und dann sind wir auch hin und die haben das ach von der Presse sei die ja super kommen mit, wir zeigen euch alles, dann haben die uns da wirklich mit. Klingt ein bisschen merkwürdig, ja, sage aber wirklich mit großer Freude uns alles gezeigt, weil sie auch wollen, dass das die Welt erfährt und sieht.
00:24:40: Florian Harms: Und was habt ihr dann da gesehen?
00:24:42: Lutz Jäkel: Wir waren in so oder hätte einen großen Keller lagern und wirklich lagern. Und dann hat die uns gezeigt, wie die Captagon Pillen geschmuggelt worden sind und da ist eine riesige Halle, Da stehen ich weiß ich, hunderte von Elektrospulen, Attrappen, also wie so kleine Generatoren, die sehen täuschend echt aus. Und dann hatten erst Kämpfer gefragt okay, welche soll ich dann hier mal aufmachen? Ich hab mal so gefragt wie aufmachen? Sucht ihr eine Ausnahme? Ich mir so einen Kasten ausgesucht und dann hat er den genommen hat. Die hat er natürlich martialisch aufgeschlagen diesen Generator und heraus Riesen hunderte Captagon Kapseln, wo er sagte ja, das ist ein Wert hier von mehreren 10.000 Dollar pro Generator und davon standen hunderte in dieser Fabrik. Dann hat er uns Attrappen gezeigt von von Kartoffeln und von Mangos, von Äpfeln. Die sahen wirklich aus wie wie Obst und hatte die aufgeschlagen heraus Riesen Captagon Pillen.
00:25:32: Florian Harms: Also so hat das Regime geschmuggelt.
00:25:33: Lutz Jäkel: Genau so hat das Regime über die ganzen Jahre, wie du gesagt hast, in die gesamte arabische Welt, teilweise bis nach Europa, den Markt mit Captagon überschwemmt. Sie haben das selbst hergestellt, dann geschmuggelt und damit Milliardenumsätze gemacht. Also man geht davon aus, dass das Assad Regime sich letzten Jahren des Krieges vor allen Dingen darüber finanziert hat, und das haben wir vor Ort gesehen und das war unfassbar.
00:25:57: Florian Harms: Und diese Droge hat Folgen. Also man kann dadurch auch, man kann davon abhängig werden. Man weiß aber auch, dass es nicht nur als Partydroge genommen worden ist, sondern beispielsweise auch islamistische Kämpfer und Attentäter. Selbstmordattentäter haben das Zeug geschluckt, um sich unempfindlich zu machen gegenüber Zweifeln, Skepsis, Schmerzen. Und insofern ist das wirklich grausam, was da passiert ist. Und das Ganze ist natürlich auch gedeckt worden, unter anderem von Russland, die ja das Assad Regime unterstützt haben. Lutz, wenn du jetzt mal diese ganzen Erfahrungen von diesen zwei Wochen rekapituliert auf. Der einen Seite die Euphorie, die du bei den Menschen gesehen hast, die Freude über das befreite Syrien auf der anderen Seite, die Trauer über das, was passiert ist, die Gewalt, die Brutalität und natürlich auch manche Zweifel, was denn jetzt kommt. Hast du den Eindruck, jetzt als Fazit, das für Syrien, für dieses geschundene Land jetzt eine halbwegs stabile, friedliche Zukunft möglich ist?
00:26:54: Lutz Jäkel: Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand wirklich seriös mit Sicherheit beantworten, wohin die Reise geht nach Syrien. Aber wenn du mich nach meinem persönlichen Eindruck fragst und ja, nun kann man ja sagen, jetzt kennen wir ja Syrien ja schon ziemlich lange und können es auch ein bisschen vergleichen. Ich habe Syrien, ich habe die Menschen in Syrien noch nie so euphorisiert und befreit erlebt. Ich glaube, das entfaltet eine ganz besondere Kraft. Selbst den Islamisten wird es nach meiner Einschätzung nicht gelingen, dieses Freiheitsgefühl, dieses Gefühl der Befreiung auch von jahrzehntelanger Unterdrückung sich wieder nehmen zu lassen. Das wird den Islamisten nach meiner Einschätzung nicht gelingen. Und vor allem eines nicht vergessen Erstens haben das die Menschen jetzt gespürt, vor allem zu einem Zeitpunkt, als ihr niemand mehr daran geglaubt hat. Auch wir nicht. Ich war ja genauso überrascht wie wahrscheinlich alle Menschen, vor allem die Syrerinnen und Syrer selbst, Dass nach fünf Jahrzehnten über fünf Jahrzehnte Diktatur, nach fast 14 Jahren Krieg plötzlich doch es zu einer Wendung kommt. Und die Syrerinnen und Syrer befreit werden und sich auch so fühlen, das ist das eine, das andere. Und das kommt mir manchmal auch eine Diskussion auch in der medialen Diskussion manchmal wirklich zu kurz. Ist ja das Potenzial, das ja vor allen Dingen auch von den Millionen Geflüchteten ausgeht. Wir darf nicht vergessen, dass es ja schon auch eingangs gesagt also über 1 Millionen Geflüchtete aus Syrien leben bei uns inzwischen in Deutschland oftmals seit vielen Jahren. Viele sind sehr gut integriert, sprechen gut Deutsch, haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Nicht alle haben es geschafft. Natürlich. Und gerade die wollen dann vielleicht auch wieder zurückkehren. Aber selbst die. Und ich habe mich auch durch mein Syrien Projekt mit der Lieferung Tage. Einen Bildband habe ich ja mittlerweile in den letzten Jahren dann doch ein recht großes Netzwerk aufbauen können zu Syrern, die in Deutschland leben, die mittlerweile auch teilweise Deutsche geworden sind. Und mit denen habe ich mich unterhalten, über sie gesprochen, sie gefragt Was sind eure Pläne, was glaubt ihr? Und viele sagen Ich möchte gar nicht mehr zurückkehren, weil ich hab mir in Deutschland etwas Neues aufgebaut. Ich habe eine Heimat und ich fühle mich hier wohl und das ist meine neue Heimat. Aber ich möchte auf jeden Fall mich daran beteiligen, unser Syrien wieder aufzubauen. Und dann und das glaube ich, das haben viele vor. Einige wollen zurückkehren, einige bleiben hier, aber wollen dabei sein beim Wiederaufbau. Und diese Menschen haben in den letzten Jahren bei uns in Deutschland erlebt, was es bedeutet, in einer freien Gesellschaft zu leben, Rechtsstaatlichkeit zu leben, demokratische Verhältnisse kennenzulernen. Das wissen die Menschen. Und mit dieser Erfahrung kehren sie vielleicht zurück oder helfen beim Wiederaufbau. Und ich glaube, das zusammengenommen mit dem Befreiungsgefühl der vielen Syrer in Syrien selbst wird das eine Kraft entfalten, von der ich hoffe und ehrlich gesagt glaube, dieser Prozess ist unumkehrbar und es wird lange dauern und ein steiniger Weg. Aber ich habe große Hoffnung für Syrien und seine Menschen.
00:29:33: Florian Harms: Das wäre also auch ein sehr positiver Effekt dessen, was Deutschland geleistet hat. Eine Delegation dieser rund 1 Million Syrer. Ja. Zugleich hat Deutschland natürlich auch ein Interesse daran, dass Syrien jetzt stabil bleibt, damit es eben durch einen weiteren Krieg nicht zu nochmaligen Flüchtlingswellen kommt. Was denkst du, was kann Deutschland? Was kann die deutsche Gesellschaft, die doch die Bundesregierung tun, um diesen Stabilisierungsprozess zu unterstützen?
00:29:57: Lutz Jäkel: Insofern ist klar Syrien und die der Syrer selbst werden es ohne ausländische Hilfe nicht schaffen. Es besteht ein großes Potenzial. Und es gab ja nun auch erste Schritte. Auch unsere Außenministerin Anne Baerbock war ja schon in Damaskus, wenn auch nur für einen knappen Tag. Aber immerhin, Es werden ja erste Gespräche geführt. Vor wenigen Tagen gab es die Internationale Konferenz in Riad in Saudi-Arabien mit vielen Vertretern der arabischen Länder. Also es finden schon Gespräche statt, es werden Ideen aufgebracht und ich finde die EU und allen voran auch Deutschland als das EU-Land, das ja mit Abstand die meisten syrischen Geflüchteten aufgenommen hat, hat einerseits eine Verantwortung, aber auch wie du sagst, ein Eigeninteresse daran, dass man bei dem Aufbau helfen kann. Und natürlich muss das auch finanziell passieren. Natürlich, das ist ein ureigenes Interesse, aber natürlich auch aus humanitärem Interesse, dass man natürlich die Syrer jetzt in diesem völlig diesem Wandlungsprozess Transformationsprozess in diesem neuen Syrien nicht alleine lässt. Und wenn wir da, glaube ich, gute Gespräche führen, und zwar offene Gespräche führen. Also ich finde es noch ein bisschen schwierig, was mir jetzt auch schon ein bisschen Diskussion mitbekommt. Man ist halt sehr skeptisch, weil es Islamisten sind. Ja, ich finde auch, man muss das skeptisch begleiten und auch beobachten. Aber man muss auch die Signale sehen, die tatsächlich und das habe ich wirklich auch vor Ort vielfach erlebt, könnten jetzt noch mal eine Stunde drüber reden, die einfach da ausgesendet werden. Und wenn man sich dem auch mal etwas offener zeigen würde, dann glaube ich, ist das auf einem guten Weg. Und man sollte auch die Minderheiten. Es sind eine ganz, ganz wichtige Frage und auch ein ganz, ganz wichtiges Thema. Aber auch hier würde ich mal sagen, es geht nicht nur um. Die Minderheiten. Es geht um alle Menschen in Syrien, die über viele Jahre nicht nur während des Krieges, sondern auch über die Jahrzehnte Diktatur viel Leid erlebt haben. Und deswegen sollte man alle Menschen in Syrien mitnehmen. Und wenn das gelingt, dann schafft es Syrien. Da bin ich sicher.
00:31:43: Florian Harms: Man sollte alle mitnehmen. Und lieber Lutz, wir könnten noch stundenlang weiterreden wahrscheinlich. Du bist Fotoreporter, du schreibst Bücher, du hältst aber auch Multimedia Vorträge und da kann man dir noch viel mehr zuhören. Wo kann man diese Vorträge sehen?
00:31:57: Lutz Jäkel: Auf großen Bühnen im deutschsprachigen Raum. Deutschland, Österreich, in der Schweiz. Da war ich auch letztes Jahr mit meiner Syrien Live Reportage viel unterwegs. Da habe ich das Syrien vor dem Krieg gezeigt, einfach um hier im deutschsprachigen Raum den Menschen zu zeigen, Was haben viele Syrerinnen und Syrer zurückgelassen, was haben sie zurücklassen müssen, was vermissen sie? Und das hat viel Spaß gemacht. Vor allem, weil ich damit recht viele Menschen erreichen konnte. Aber jetzt natürlich völlig unverhofft, über die ich jetzt einen neuen Vortrag zu konzipieren, in dem ich das neue Syrien zeigen werde. Es wird auch die nächste Reise schon geplant ist.
00:32:29: Florian Harms: Ich hoffe, den auch sehen zu können. Vielen Dank, lieber Lutz. Oder wie wir Halb-Syrer sagen: Shukran, kitier. Jana elni ararassi [arabisch für Danke, Tschüss]
00:32:37: Lutz Jäkel: Jana elni ararassi, Habibi [arabisch für Danke, Tschüss mein Lieber].
00:32:37: Florian Harms: Danke für deine Zeit.
00:32:39: Lutz Jäkel: Danke dir!
00:32:39: Florian Harms: Der Fotoreporter und Arabien Kenner Lutz Jäckel ist mit seinen Multimediavorträgen in vielen deutschen Städten unterwegs. Hingehen lohnt sich sehr und das sage ich nicht nur als sein Freund, sondern auch als begeisterter Zuschauer. Mehr Infos gibt es auf seiner Website lutz-jaeckel.com. Ich bedanke mich bei Lisa Raphael, die diesen Podcast produziert hat und natürlich bei Ihnen allen unseren Hörerinnen und Hörern. Wenn Ihnen unser Gespräch gefallen hat. Abonnieren Sie den Tagesanbruch Podcast bei Spotify oder Apple Podcasts oder empfehlen Sie diesen gern Bekannten weiter. Das hilft uns sehr. Falls Sie Fragen haben, schreiben Sie uns eine E-Mail an podcasts@t-online.de. Damit bleibt mir zu sagen Tschüss! Bleiben Sie uns gewogen und Marsalama.