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00:00:01: Michael Roth: Natürlich ist Demokratie zu so einer Art Luxusspielchen geworden. Denn eigentlich trauen wir einerseits Politikerinnen und Politikern alles zu. Wir trauen ihnen dann aber auch wiederum gar nichts zu.
00:00:15: Lisa Raphael: Hallo zu einer neuen Folge von Tagesanbruch Die Diskussion für das Wochenende vom 19. Oktober 2024. Ich bin Lisa Raphael und führe durch das Gespräch. Diesmal blicken wir mit dem SPD-Spitzenpolitiker Michael Roth auf die Getriebenheit als Politiker. Er hat selbst vor einigen Monaten angekündigt, sich nach der Bundestagswahl komplett aus der Politik zurückzuziehen. Und dann kam ja letzte Woche noch die Nachricht von Kevin Kühnert und seinem Rücktritt. Warum wird es immer schwieriger, das Politikbusiness durchzuhalten? Welchen Einfluss haben die sozialen Medien und dass immer erreichbar sein müssen? Müssen wir denn immer erreichbar sein? Müssen wir selbst nicht klarere Grenzen setzen? Oder müssen andere ihre Erwartungen herunterschrauben? Und für die Diskussion begrüße ich den Bundestagsabgeordneten Michael Roth, der seit 1987 SPD-Mitglied ist und aktuell Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Hallo Herr Roth, und vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen.
00:00:58: Michael Roth: Danke für die Einladung.
00:01:00: Lisa Raphael: Und zum anderen Chefredakteur von t-online, Florian Harms.
00:01:03: Florian Harms: Hallo, ich bin auch gerne dabei.
00:01:05: Lisa Raphael: In den vergangenen Wochen haben sich die Rücktritte von Politikern gehäuft. Erst die Parteispitze der Grünen, dann Kevin Kühnert, ehemaliger Bundesvorsitzender der Jusos und heute SPD-Generalsekretär. Aber wir müssen auch unterscheiden zwischen den Beweggründen Einmal spielen da mentale oder physische Krankheit mit ein, zum anderen politische Überzeugungen. Bei den beiden grünen Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour waren es ja vordergründig inhaltliche Gründe. Die schlechten Wahlergebnisse in den Landtagswahlen zum Beispiel. Kevin Kühnert ist vordergründig aufgrund der psychischen Belastung zurückgetreten. Bei Ihnen, Herr Roth, war es so etwas von beidem. Einerseits sind Sie schon sehr lange dabei, ich habe es gerade gesagt seit 1987 SPD-Mitglied, seit 1998 im Bundestag. Da waren Sie gerade mal 28 Jahre jung. Und einerseits war es ja bei Ihnen auch die Überlastung. Sie waren auch in den letzten Jahren schon in Therapie. Haben Sie öffentlich schon drüber geredet? Andererseits meinten Sie aber auch bei der Ankündigung Ihres Rücktritts im März, dass es auch inhaltliche Gründe gibt, die Entfremdung von der Partei, aber auch, dass Sie den Biss und Willen nicht mehr spüren. Würden Sie denn heute noch mal Politiker werden bzw. für den Bundestag kandidieren, wenn Sie jetzt noch mal so 28 Jahre jung wären?
00:02:17: Michael Roth: Ja. Ich stelle ja nicht mein gesamtes Leben in Frage, vor allem nicht mein politisches Leben, sondern ich nehme für mich das Recht heraus. Nach dann 27 Jahren Mitgliedschaft im Bundestag und nach vielen, vielen Jahrzehnten aktiver Politik. Mach's gut, Tschüs, Auf Wiedersehen zu sagen, um mich dann auch noch mal einer neuen Aufgabe zu stellen. Ich fühle mich noch nicht so alt, dass ich dann irgendwie am Rande stehe und nur noch die politischen Geschehnisse kommentiere. Und jeder merkt und spürt, der Typ würde gern selber noch mal mitmischen. Ich hoffe, dass ich von dieser Krankheit, von der ja viele Ex Politikerinnen und Politiker befallen sind, nicht befallen werde.
00:03:01: Lisa Raphael: Was würden Sie denn sagen? Was war der größte Einschnitt, wenn wir jetzt generell auf den Politiker Beruf schauen und die Veränderung In den letzten Jahren war es die Digitalisierung und die Entwicklung in den sozialen Medien?
00:03:12: Michael Roth: Zweifellos. Sie müssen sich das ja mal so vorstellen Für mich war ja der größte technologische Fortschritt während meiner Schulzeit die Anschaffung einer elektrischen Schreibmaschine bei meiner Freundin Michaela, die ich dann zum Schreiben der Referate in der Oberstufe nutzen konnte. Und ich bin sogar noch durch mein Studium in Frankfurt. Ohne mich im Großen und Ganzen Internet E Mails auseinandersetzen zu müssen. Das fing erst später an. Mein erstes Handy bekam ich einige Monate vor der Bundestagswahl vor 97 98 muss das gewesen sein. Da guckt man sich ja heute mit großen Augen an, weil wir alle wissen, was für eine Bedeutung alleine das Smartphone für uns alle hat. Das ständige, die ständige Erreichbarkeit und auch das ständige Senden. Das hat sich komplett verändert und hat natürlich auch zu massiven Veränderungen geführt. Auswirkungen. Und ich habe den Eindruck, wir haben dafür nie ein Regelwerk entwickelt. Manche nennen es Netiquette. Aber es geht mir nicht nur um den Umgang miteinander, sondern es gibt einfach keine Regeln. Wir haben sonst für alles Regeln aufgebaut. Ich musste ja noch in der Schule lernen, wie man einen Brief schreibt, also wann man sehr geehrt oder hochachtungsvoll schreibt. Mit freundlichen Grüßen, wie man jemanden anspricht. Heute leben wir in einer digitalen Welt. Wir kommunizieren auf ganz anderem Wege und es hat sich so gar nichts herausgemändelt. Es gibt so keine von von allen akzeptierten Regeln und das führt manchmal eben auch zu sehr, sehr negativen Entwicklungen. Und manchmal ist es einfach nur erschreckend.
00:05:00: Lisa Raphael: Na ja, diese schnelle Entwicklung ist schon erschreckend manchmal. Aber andererseits finde ich, wenn man auf Social Media schaut, es ist auch so ein bisschen diese Grundidee von Politik. Also man kann es ja nicht nur schlechtreden, weil jeder kann teilhaben, jeder kann schnell irgendwo seine Idee per Email ins direkt ins Büro schicken. Das ist ja eigentlich so ein bisschen diese Partizipation dahinter, die Idee von Politik. Und ich finde es wichtiger, dass wir vielleicht nicht zu sehr auf das Problem gucken, Social Media und das nicht zu sehr schlechtreden, sondern vielleicht auch direkt fragen Wie können wir damit umgehen? Was können wir besser machen? Sie mahnen ja auch gerade an Es gibt nicht genug Regeln. Also wie könnten wir das sozusagen besser machen? Vielleicht jetzt erst mal die Frage an dich, Florian, Was würde dir da einfallen? Wie könnte man so ein Regelwerk aufstellen?
00:05:50: Florian Harms: Also ich stimme Herrn Rot zu, dass wir dringend Regeln brauchen und die müssen wir aber gemeinsam entwickeln als Gesellschaft, weil wir alle von diesem Informationssturm gleichermaßen betroffen sind. Wir sind alle Overnews, bei anderen formt das so ein schöner Satz von einem britischen Autor, Aldous Huxley. Der hat den vor vielen Jahrzehnten geschrieben und er gilt heute umso mehr. Also wir haben keinen Mangel an Informationen, aber wir begreifen diese Informationen nicht mehr, weil wir sie nicht mehr richtig gewichten können, weil wir nicht mehr vertrauen können, ob sie richtig sind oder falsch, weil sie zum Teil redundant sind, weil sie widersprüchlich sind und wir überfordert sind. Und dafür brauchen wir Regeln. Wie können wir uns die aufstellen? Ich glaube, wir müssen in unterschiedlichen Foren darüber reden. Das beginnt schon in der Schule mit den Schülern. Viele Schüler haben schlicht keine Medienkompetenz. Schüler sind ja wie ein Schwamm im positiven Sinne. Die saugen alles auf. Und sie saugen eben auch alles auf, was ihnen eingetrichtert wird über diese kleinen Rechtecke, die den lieben langen Tag in der Hand halten. Und da ist nicht nur Sinnvolles dabei, sondern ganz viel Quatsch und Unsinn und Redundantes und auch schlicht Falsches. Und deshalb muss diese Medienkompetenz in den Schulen beginnen. Sie muss in den Familien beginnen, die ja die eigentliche Verantwortung für die Kinder tragen. Und sie muss dann weitergeführt werden. Es geht in den Arbeitsalltag. Also verlange ich implizit als Arbeitgeber, dass sich meine Angestellten nach der Arbeitszeit noch anschreiben kann oder nicht. Verlange ich implizit, dass die dann noch reagieren oder nicht? Verlange ich von denen, dass sie immer a jour sind, also immer aktuell informiert sind über alles was passiert im weitesten Sinne in dem Gebiet, in dem Sie arbeiten? Oder gestehe ich Ihnen auch mal zu, dass Sie vielleicht nicht immer aktuell auf Stand sind? Und dann die letzte Frage Wie schaue ich selber darauf? Als Mensch, als Familienmitglied, als Schüler, als Angestellter, als Mitglied der Gesellschaft muss ich immer über alles Bescheid wissen. Und mit alles meine ich wirklich alles. Nicht nur was passiert gerade im Nahen Osten, was passiert im Bundestag, sondern auch Was hat Cathy Hummels wieder gesagt? Was ist in der Nationalmannschaft los? Was sagen irgendwelche Leute, die sich für wichtig erachten und auf einmal ganz, ganz viel Rummel erzeugen? Oder entscheide ich mich ganz bewusst für weniger Information und sage Ich brauche Zeit für anderes, als immer nur den Informationen hinterher zu hecheln?
00:08:15: Lisa Raphael: Herr Roth, was würden Sie darauf entgegnen?
00:08:18: Michael Roth: Also erst mal bin ich froh, dass Sie mir die Chance geben, noch mal klarzustellen Ich bin kein Gegner der Digitalisierung. Ich finde das nach wie vor faszinierend. Immer, wenn ich vor allem mit Schülerinnen und Schülern zusammentreffe, mit Studierenden, dann gibt es danach immer noch ein Angebot und eine Einladung. Wenn jemand eine Frage hat, die er vielleicht nicht mit allen teilen möchte oder irgendetwas, dann kann er mich über meine Social Media Kanäle erreichen. Und dann können wir das Gespräch im Rahmen meiner Möglichkeiten gerne fortsetzen. Das kostet wahnsinnig viel Zeit, Aber ich habe inzwischen die Chance, Menschen zu erreichen. Menschen können mich erreichen, die vermutlich nie einen direkten Zugang zu Politikerinnen und Politikern gefunden haben oder hätten. Das ist ein ganz großes Privileg und das macht im Übrigen ja auch Spaß. Also ich bin froh, dass es das gibt. Aber man muss eben auch über die Folgen reden. Und ich finde, da hat eine Entwicklung stattgefunden und die findet ja nach wie vor statt. Es gibt ja fast täglich Veränderungen, im Kleinen wie im Großen, ohne dass wir mal ein gesellschaftliches Gespräch darüber geführt haben, wie wir es denn machen wollen. Also wann sind wir on, wann sind wir off? Wie geht man um? Auch mit Fehlern, die natürlich gemacht werden? Politikerinnen und Politiker sind heute permanent auf Sendung. Also sie sagen ständig etwas. Die Fehlerquote ist natürlich dementsprechend auch deutlich höher. Früher hätte man gesagt, das versendet sich, heute müssen Sie Angst vor einem Shitstorm haben, wenn mal ein Satz oder ein Tweet oder ein Post nicht so richtig saß oder einfach vieldeutig war. Natürlich müssen auch wir den Mut aufbringen und die Kraft aufbringen. Sagen tut mir leid, da habe ich Mist erzählt. Ich stell es noch mal gerade. Aber teilweise schaffen sie das ja gar nicht mehr. Also wir bräuchten eine Kultur der Nachsicht und des Verzeihens, weil einfach zu viele Fehler gemacht. Denn im Übrigen nicht nur von Politikern, Politikern, auch von Journalisten und Journalisten, weil der Druck ist ja in vielen Bereichen immens gewachsen. Also das wäre für mich noch mal eine wichtige Ergänzung zu dem, was er, Harms eben sagte. Und man muss vor allem als Politiker mit gutem Beispiel vorangehen. Also wir sind ja einer Härte, einer Schärfe, einer Wut, einer Aggression ausgesetzt, die nicht dazu führen darf, dass wir sagen auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, sondern ich wäre dann schon dafür, eher dem Beispiel von Michelle Obama zu folgen. „When they go low, we go high.“ Also nicht Hass mit Hass bedenken, sondern einfach auch wenn es schwerfällt, einfach die Kultur des Respekts und des Anstands aufrechterhalten. Die große Frage, die sich ja für mich immer wieder stellt, sind diese Typen, die permanent beleidigen, die mobben, die bedrohen. Sind die eigentlich im Umgang mit ihrer Familie, mit ihren Kindern? Sollten sie denn welche haben, mit ihren Freundinnen und Freunden, mit den Arbeitskollegen und Arbeitsbereich genauso, weil es hat sich etwas verändert. Noch vor etlichen Jahren hat es diese Schärfe und diese Beleidigungen nur von Rumpelstilzchen und Schneewittchen gegeben. Heute machen die das mit ihrem Klarnamen.
00:11:44: Florian Harms: Ich finde das einen interessanten Punkt, dass sie sagen, wir müssen eigentlich selber den Diskurs auf einem Niveau halten. Wir dürfen uns nicht auf das niedrigere Niveau von denen begeben, die immer nur draufhauen und hetzen und lügen und sonst was tun. Das ist aber verdammt schwierig geworden. Das sehen wir nicht nur an Amerika, das sehen wir mittlerweile auch hierzulande. Wenn man sich beispielsweise anschaut und dieser bei mir im Podcast auch schon darüber gesprochen, wie die AfD in den sozialen Medien erfolgreich unterwegs ist, mit sehr harten Slogans und zugleich einer gewinnenden Botschaft, womit sie um junge Menschen buhlen, dann haben die sehr, sehr gut diese Mechanismen von beispielsweise Ticktack verstanden oder von Instagram. Und viele Politiker, die ein viel höheres Niveau versuchen aufrechtzuerhalten, haben diese Mechanismen noch überhaupt nicht verstanden und erreichen dann auch diese Menschen nicht mehr. Das ist ein Problem.
00:12:37: Lisa Raphael: Aber dann geht es ja auch voll oft um dieses Formulieren der einfachen Antworten und der einfachen Formulierungen. Schnell populistische Dinge. Ich glaube, dass die anderen Politiker dann eher sagen, dass diese Thematik so komplex, die kann ich nicht in drei Worten jetzt aufdiktieren.
00:12:51: Florian Harms: Und genau darum geht es doch, dass wir das als Gesellschaft akzeptieren. Manche Lösungen oder auch manche Probleme lassen sich nicht in drei Sätzen ausdrücken. Und das ist doch etwas, wozu wir alle uns immer wieder bringen müssen. Es reicht auch nicht, jetzt einfach nur zu schimpfen, dass die Ampel in diesem Land alles falsch mache und deshalb alles den Bach runter geht. Ist nicht so, die Regierung ist nicht an allem schuld und häufig ist es damit getan, eher mal hinter die Dinge zu schauen oder sich auch mal die. Eigene Nase zu fassen oder auch mal so etwas Kompliziertes zu verstehen wie Achtung, Fremdwort, Ambiguität. Dinge können nämlich zugleich eine sechs oder eine Neun sein, je nachdem, von welcher Seite man sie betrachtet. Und diesen Perspektivwechsel einzunehmen und dann eben auch so tolerant zu sein. Ich hör mal zu, bevor ich gleich mit einer gepfefferten Antwort komm. Das fehlt leider Gottes heutzutage vielen. Und wenn wir das Vorantreiben, diese unselige Entwicklung immer nur recht haben zu wollen und lauter sein zu wollen, dann landen wir irgendwann da, wo die Amis heute sind.
00:13:48: Michael Roth: Was sicherlich fehlt in der Demokratie, ist, dass engagierte Demokratinnen und Demokraten emotionale Zugänge zu Menschen entwickeln können, die auf Positivem beruhen. Das ist die große böse Fähigkeit von Populisten und von Nationalisten. Die wecken das Arschloch in dir. Sogar ich erwische mich immer wieder, wenn ich bestimmte Dinge höre, dass um meinen Inneren erst einmal so ein Ja hätten sie ja durchaus recht haben entsteht, weil sie mich abholen. Aber sie holen mich nicht da ab, wo ich mich gerne sehe, nämlich als empathischen Menschen, als Mensch, der zum Teilen und zur Solidarität bereit ist, als ein Mensch, der komplexe Zusammenhänge auch zu verstehen vermag. Sondern wo holen Sie mich ab? Sie holen mich ab. Als jemand, der Angst hat, der Besitzstandswahrer möchte, der nichts abgeben möchte, der nicht teilen möchte, der eher daran interessiert ist, dass es einem selbst gut geht und es scheißegal ist, was andere machen. Das ist vor allem auch in internationalen Fragen ganz zentral. Warum geht es uns eigentlich gut? Geht es nur uns noch gut, weil wir so toll sind? Oder geht es uns auch gut, weil andernorts Frieden, Stabilität herrschen und die uns, die wir uns Handel führen? Also das kann man vom ganz, ganz klein ins Große brechen. Also was mir fehlt, ist in der liberalen und sozialen Demokratie die Fähigkeit von so Typen wie ich einer bin und vielen anderen, die Menschen in positiver Weise emotional zu berühren. Nur ein letztes Beispiel vielleicht noch, um das zu illustrieren Ich hatte jetzt in diesen Tagen eine Veranstaltung zu 20 Jahren Osterweiterung und die deutsch polnischen Beziehungen. Und da wurden lange Zahlenkolonnen runtergeführt, also die die wirtschaftlichen Beziehungen haben sich glänzend entwickelt. Polen ist für uns ein ganz wichtiger Absatzmarkt. Der wirtschaftliche Aufschwung also, da wurden rein positive Zahlen genannt, die, wenn man sie sich anschaut, deutlich machen Was ist es für eine Erfolgsgeschichte? Fantastisch. Fabelhaft. Aber damit werden wir ja niemanden gewinnen, denn am Ende brauchen Sie ja persönliche Zugänge. Das heißt, Sie müssen ungefähr. Sie müssen eine Ahnung haben, was passiert in dem Land. Habe ich da vielleicht sogar Verwandte, Freundinnen und Freunde? Nehme ich daran Anteil? Oder warum habe ich ein Interesse daran zu haben, dass es meinen Nachbarinnen Nachbarn gut geht? Also diese Zahlenkolonnen allein, die sehr deutliche Sprache sprechen, das ist eine Erfolgsgeschichte. Und wenn wir dann trotzdem die Menschen fragen, fällt dem einen oder anderen Duschkopf dann doch wieder ein, dass der Pole eigentlich gerne klaut und am liebsten das Auto um die Ecke. Das ist ja mies und falsch. Aber so ist es eben.
00:16:48: Lisa Raphael: Ja, ich glaube, da geht es aber auch so ein bisschen in die Psychologie und das erleben wir ja auch in den Medien und im Nachrichtenbusiness auch oft, dass eben die positiven Nachrichten sich weitaus weniger gut verkaufen als die negativen. Also es sind halt einfach diese Emotionen, die einen dann ergreifen. Angst irgendwo was, was sich ändert, was ich wissen muss.
00:17:09: Florian Harms: Ja Lisa, das ist so, das sehen wir auch bei uns bei den Klickzahlen. Also ganz konkret, so wie du es gesagt hast. Wenn eine Überschrift eher negativ formuliert ist, dann klingt die besser, als wenn sie eher positiv formuliert ist. Trotzdem sollte man das nicht tun, immer nur in die Spalte reinzuhauen. Alles negativ zu Schlagzeilen, weil es ja auch ganz abseits davon, dass es immer dann nur das negative Weltbild widergibt, weil es dauerhaft das Publikum abstößt, weil es die Leute in eine Depression stürzt. Und die gegenwärtige Situation in der Welt ist ja schon so deprimierend mit so vielen Krisen. Ich nehme das so wahr, dass sehr viele Menschen regelrecht sich sehnen nach Positivem, Aufbauenden, Konstruktiven. Und all das ist ja da. Insgesamt gesehen ist es mitnichten so, dass die ganze Welt schwarz ist. Und da bin ich bei dem Punkt, den Herr Roth gerade angesprochen hat, dass das natürlich eine Aufgabe für Politiker sein sollte, als Vorbild auch diese positiven Geschichten zu erzählen. Was läuft denn gut im Land, wo geht es denn voran? Wir haben auch in diesem Podcast hoch und runter diskutiert über die Schwierigkeiten beim Klimaschutz. Alles richtig. Deutschland hat vieles verschlafen, aber jetzt passiert einiges gerade. Ein großes Projekt initiiert worden. Bzw. Der Baubeginn war mit Südlink, also Windkraftstrom in den Süden Deutschlands zu bringen. Geht jetzt los so mit den Bauten für das für das Netz. Ein anderes Thema ist die Migrationsdebatte. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten über Flüchtlinge über Migration nahezu ausschließlich negativ diskutiert. Das hatte auch Gründe aufgrund der Anschläge nicht zuletzt in Solingen. Aber dass da ganz viele erfolgreiche Geschichten dahinter stehen von Menschen, die sich integriert haben, die als Arbeitskräfte dabei helfen, unsere Wirtschaft am Laufen zu halten, unsere Sozialsysteme am Laufen zu halten, die hier Steuern zahlen. Das ist ein bisschen zu kurz gekommen. Und das müssen nicht allein Politiker erzählen. Aber sie können das vielleicht anstoßen, dass wir alle gemeinsam, auch wir Medien und auch wir als Gesellschaft häufiger darauf schauen.
00:19:04: Lisa Raphael: Ist es vielleicht auch so ein bisschen diese Kultur des Meckerns? Also das fällt mir immer in Deutschland besonders auf, wenn ich im Ausland bin. Ich reise sehr gerne, mein Mann kommt aus Australien, da ist irgendwie die Kultur eben anders, dass man irgendwie immer da war, freundlich, mir manchmal zu freundlich, dieses amerikanische aufgesetzte. Aber es ist vielleicht in Deutschland auch so, Herr Roth, Sie haben es auch angesprochen. Wir haben seit sehr vielen Jahrzehnten ein stabiles, funktionierendes politisches System, dass wir vielleicht auch uns daran gewöhnt haben und uns jetzt darauf ausruhen und dann immer nur diese ganz kleinen Fehler suchen, die wir dann bemängeln.
00:19:38: Michael Roth: Ich möchte mir jetzt die These nicht zu eigen machen, dass wenn wir angesichts eines Krieges wären und einer großen Katastrophe, wir das, was wir haben, wieder stärker wertschätzen. Aber natürlich ist Demokratie zu so einer Art Luxus Spielchen geworden. Denn eigentlich trauen wir einerseits Politikerinnen und Politikern alles zu. Wir trauen ihnen dann aber auch wiederum gar nichts zu. Das heißt, bisweilen hat man so den Eindruck, hier Berlin, das ist auf einem ganz anderen Planeten, zumindest auf einem ganz anderen Kontinent. Aber die meisten von uns sind ja auch eingebunden in ein ganz normales Familienleben. Die leben auch so wie ich auf dem Dorf oder in einer kleinen Stadt. Die müssen genauso einkaufen wie alle anderen. Also diese Normalität ist ja auch bei uns vorhanden. Und ja, da gebe ich Ihnen völlig recht. Das ist vielleicht auch ein deutsches kulturelles Phänomen. Wir meckern wahnsinnig gerne, aber meckern alleine hilft ja nicht, sondern meckern und das, was man nicht gut findet, verändern wollen, das ist die bessere Variante. Aber dazu muss man auch erst mal bereit sein zu akzeptieren, dass in einer vielfältigen, diversen anstrengenden Gesellschaft mit ganz unterschiedlichen Erwartungshaltungen so eine Lösung zu finden, schwierig ist. Da braucht man zum Beispiel auch Kompromisse. Und Kompromisse sind eine Zumutung für alle, weil niemand sich 100 % durchzusetzen vermag. Man muss also auf den anderen oder auf die andere zugehen. Das scheint vielen gar nicht mehr klar zu sein, wenn man eben ein anderes politisches Angebot erhält, nämlich klar, einfach, emotional zugänglich, sicher im Bösen. Und wenn man so vorgaukelt, wenn jeder an sich selber denkt, ist doch an alle gedacht, dann haben wir doch das Problem vom Tisch. Also ein bisschen weniger Ukraine, dafür mehr Deutschland und schon geht es allen wieder gut in unserem Land.
00:21:35: Florian Harms: Und das ist natürlich zu kurz gedacht. Und wenn man ein bisschen länger drüber nachdenkt, dann kann man auf diesen Gedanken auch kommen. Man kann das auch verstehen, wenn man es denn will. Aber der Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, den finde ich besonders wichtig. Denn wenn man wirklich bereit ist, sich auf die Komplexität der gegenwärtigen Entwicklung in unserem Land einzulassen, dann kann man gar nicht darauf schimpfen, dass nur Politiker schuld seien, weil man dann versteht, dass das System, was wir hier leben, die Demokratie eben darauf fußt, dass alle sich beteiligen und dass sie, wir haben es gerade beschrieben, Herr Roth, eben aus der Bevölkerung heraus ein Amt übernommen haben. Sie haben das Mandat als Bundestagsabgeordneter, es könnte aber genauso gut jemand anders sein. Und wenn das eben nicht mehr gegeben ist, weil zu viele sich abgewandt haben und sagen Ja, die da oben machen alles falsch, damit will ich nichts zu tun haben und so ein Gegeneinander entsteht, dann wird dieser Transmissionsriemen beschädigt, der eigentlich zwischen dem Betrieb in Berlin und allen anderen im Land immer bestehen muss. Wir alle müssen uns für die Demokratie einsetzen. Und eigentlich, wenn man das zu Ende denkt, müsste jede Person im Land auch wählbar sein oder auch bereit sein, sich wählen zu lassen. Dann würde die Demokratie besser funktionieren.
00:22:49: Lisa Raphael: Gut, letzte Woche hat ja Bodo Ramelow hier im Podcast mehr direkte Demokratie gefordert. Also solche Volksabstimmungen werden ja auch auf jeden Fall eine Option, da mehr alle einzubeziehen. Ich würde gerne noch mal eine kleine Anekdote zu dem Thema, was wir gerade besprochen haben, teilen. Dieses sich nicht einigen können Kompromisse machen. Das fängt ja schon im Kommunalen an, also auf kleiner Ebene. Ich habe einen Bekannten, der engagiert sich in einer Partei und hat mir jetzt berichtet von der schwierigen. Phase. Sich zu einigen. Einfach nur mit sechs Personen hat er darüber diskutiert, das Schulfach Informatik einzuführen. Hier in Berlin haben wir auch schon angesprochen. Schüler mit einzubeziehen ist natürlich wichtig, das auch als eine Stunde pro Woche. Sich daran zu setzen, weil in den anderen Fächern, das schaffen die Lehrer einfach gar nicht mehr. Die ganze Digitalisierung zu erklären. So, dann muss natürlich auch eine Unterrichtsstunde pro Woche wegfallen. Und jetzt war die Frage Welche soll denn wegfallen? Soll es der Sprachunterricht sein, wo halt schon zwölf Wochenstunden für draufgehen? Soll es dann doch lieber naturwissenschaftliche Fächer sein oder bei Musik und Kunst kürzen? Und da konnten die sich schon zu sechst nicht einigen, wo man wieder sieht, wie schwer es einfach ist, einen Kompromiss zu finden. Herr Roth, würden Sie denn sagen, dass wir auch so ein bisschen diesen Respekt und das Verständnis dafür verloren haben, was die Regierung da jeden Tag macht und was im Bundestag so auch alles passiert?
00:24:12: Michael Roth: Der Nationalismus und Populismus lebt ja davon, das herrschende System zu diskreditieren und denen die Glaubwürdigkeit zu nehmen, die für dieses und in diesem System arbeiten. Und das sind dann halt wir. Und natürlich ist das sehr eingängig, also wenn das Bild gezeichnet wird. Politikerinnen und Politiker sind dumm, faul und gefräßig und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Die sind eigentlich überbezahlt, die machen nichts. Also mir ist in meinen jetzt 26 Jahren ja viel begegnet, aber so richtig stolze, faule Politikerinnen und Politiker habe ich ehrlich gesagt nie erlebt. Das Problem, da möchte ich gerne auch noch mal einen Punkt setzen, hat ja auch etwas mit der Digitalisierung zu tun. Uns fehlt ja so ein bisschen das kollektive Lagerfeuer, wo wir alle, egal ob Mann, ob Frau, jung oder alt, egal ob Stadt oder Land, ob in akademischen Hintergrund haben oder eine Lehre gemacht haben als Schreiner, wo wir alle zusammenkommen bei uns auf dem Dorf war das früher noch so, aber heute haben wir es mit einer ganz zerklüfteten Landschaft zu tun. Also wir haben nach wie vor ja noch Menschen, die für die ist das Informationshighlight, die Tagesschau um 20 Uhr und die ausgedruckte regionale Tageszeitung am Morgen. Vielleicht hören die auch noch Nachrichten im Radio und dann haben wir ganz andere. Die haben weder eine ausgedruckte Zeitung, noch gucken sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sich die Nachrichten an oder sie hören deren Radiosender, sondern die sind ganz anders unterwegs. Und das muss man alles zusammenbringen. Ich erreiche, ob Sie es glauben oder nicht, in meinem Wahlkreis noch nicht einmal 25 % aller SPD-Mitglieder per Email. Ich müsste also, um alle zu erreichen, denen einen Brief schreiben. Stellen Sie sich das bitte mal ein Moment vor. Und da kann ich natürlich auch nicht davon ausgehen, dass die überwiegend auf Instagram oder Facebook und erst recht nicht auf Twitter oder XY unterwegs sind. Also jeder hat da. Wir haben verschiedene Bubbles, wir haben verschiedene Informationsmilieus und sind Politiker. Hat die Aufgabe, alles zu bespielen. Also das heißt auch die meiner Kollegen, die richtig aktiv sind in Social Media Kanälen und die vielleicht sogar nicht nur so, wie ich auf Instagram und Facebook unterwegs unterwegs sind, sondern vielleicht auch noch dick Druck machen. Die müssen ja genauso noch die ganzen Präsenzveranstaltungen im Wahlkreis absolvieren. Die machen genauso noch Bürgersprechstunde am Telefon. Die, die werden genauso auch noch von Menschen auf der Straße angesprochen, was ja auch toll ist. Ein großes Privileg ist. Das ist alles zusammengekommen und wir können nicht einfach sagen, wir entschlacken irgendwo. Also Zeitung ist bei mir Tageszeitung, auch wenn ich weiß, es wird von immer weniger Leuten gelesen. Ist nach wie vor eine wichtige Sache für mich. Und dann kommen ja noch die ganzen Onlinemedien dazu. Also ich will nicht sagen, das ist, das erzeugt automatisch Stress, Aber diese ganzen unterschiedlichen Milieus, ich könnte auch von Klassensprechen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise kommunizieren. Die zusammenzubringen ist die Aufgabe von Politik. Also so eine Art Lagerfeuer zu errichten, wo alle zusammenkommen. Das gibt es so nicht mehr. Also versucht man zumindestens irgendwie die Verbindung zu halten zwischen den ganz verschiedenen Lagerfeuern. Und das ist sehr anstrengend und kostet viel Zeit.
00:27:33: Lisa Raphael: Ja, und da sind wir wieder bei dem Punkt, den wir am Anfang hatten, dass sich durch die Digitalisierung einfach so viel schnell ändert. Und das sind wirklich Generationskonflikte. Also die eine Generation kommuniziert so anders und hat das so anders gelernt. Andere Techniken als jetzt, vielleicht die jüngere Kommunikation. Und da treffen echt Welten aufeinander.
00:27:51: Florian Harms: Da treffen Welten aufeinander. Ich habe gerade eine plastische Zahl gelesen, in Vergleich gelesen. Da haben Kommunikationswissenschaftler mal dargelegt, so viele Informationen, wie ein Bauer im 18. Jahrhundert in Deutschland in seinem ganzen Leben aufgenommen hat, Nehmen wir heute an einem einzigen Tag auf. Also Kommunikationsmasse und das Ganze, was Herr Roth dann gerade beschrieben hat, soll von den Politikern dann noch gebündelt werden. Man will alle irgendwie erreichen. Das ist schlicht unmöglich. Und der Versuch ist auch zum Scheitern verurteilt, weil jetzt ja, kommt dann auch noch künstliche Intelligenz. Das heißt, es gibt noch mehr Möglichkeiten, sich zu verbreiten auf noch mehr Kanälen mit noch mehr Content, Masse Und all das noch zu überblicken oder seine Botschaften adäquat zu senden wird bald unmöglich. Deshalb glaube ich, dass es so wichtig ist, über neue Foren nachzudenken. Und du hast vorhin ein Forum schon angesprochen, diese Bürgerräte, über die wir ja auch schon gesprochen haben im Podcast.
00:28:46: Lisa Raphael: Also ich habe die direkte Demokratie angesprochen.
00:28:48: Florian Harms: Direkte Demokratie, aber wir haben glaube ich im vergangenen Podcast auch zumindest mal das Schlagwort Bürgerräte fallen lassen. Ich glaube, das kann ein Element unter vielen sein, um Foren zu bilden, um mit Zeit und ohne permanente Ablenkung über große Fragen zu sprechen und zu diskutieren, die uns alle betreffen, zu denen wir aber vielleicht sehr unterschiedliche Perspektiven haben.
00:29:08: Lisa Raphael: Genau das hast du ja diese Woche auch im Tagesanbruch geschrieben. Und wo da ja jetzt auch eins der guten Bürgerräte das ja jetzt wirklich Ergebnisse bei rausgekommen sind. Aber dann ist halt immer die Frage wird das wirklich auch so angenommen von der Politik? Ich würde es am Ende aber gerne noch mal auf eine andere Frage kommen oder generell so ein bisschen nach auch in die Zukunft blicken. Vorausschauen. Wir haben ja jetzt viel darüber geredet, über dieses immer verfügbar sein on sein. Wir hatten einerseits auch diese Erwartungshaltung der Medien, auch der Wähler, der Nutzer der Öffentlichkeit generell sozusagen auch zu erwarten, dass man auch immer antwortet und immer on ist. Aber wenn wir jetzt die Frage haben, wie gehen wir damit um? Ist es einerseits, dass diese Menschen ihre Erwartungen vielleicht auch herunterschrauben müssen, einfach mal akzeptieren, dass Politiker auch einen Feierabend haben? Oder müssen Politiker auch an sich selbst arbeiten und klarere Grenzen setzen?
00:30:02: Michael Roth: Beides. Es würde immer zur Ehrlichkeit raten. Das ist ganz schwierig für junge Menschen, für jüngere Kolleginnen und Kollegen, auch in der Politik und vermutlich auch im Journalismus. Nicht, dass sie nicht ehrlich sind, sondern Sie stehen derart unter Druck, dass Sie alle es allen recht machen wollen. Also hier, wenn Sie in Berlin sind, rund um die uhr ihre Arbeit machen. Und dann eben noch ergänzend andere über die Social Media Kanäle an ihrer Arbeit teilhaben lassen und am Wochenende bloß keinen Termin absagen und einfach ehrlich sein und sagen Ich habe das auch nicht immer betrieben. Ich habe es aber immer öfter zum Schluss betrieben, nämlich Leute, es ist jetzt Samstagabend, Ich habe die ganze Woche meinen Mann nicht gesehen. Freunde sind bei uns zu Hause zu Besuch. Ich möchte jetzt um 8:00 einfach auch nach Hause, um vielleicht auch noch ein paar Stunden zu Hause mit den Menschen zu verbringen, die mir wichtig sind. Da gucken die manchmal einen erst mal an, aber die verstehen es dann auch. Also ich finde ehrlich sein und jetzt gesagt ich muss aber noch auf 27 andere Veranstalter, tut mir leid, ich kann nur kurz bleiben. Also einmal klare Grenzen setzen oder auch für einen selbst. Und dann täte es vielleicht Politikerinnen und Politikern gut, wenn sie sagen Es ist durchaus auch Teil meiner Arbeit, mal ein Buch zu lesen, einfach mal Sport zu machen, um den Körper und den Geist wieder mit neuer Energie zu füllen. Es ist für mich gut, wenn ich nicht nur morgens diese, diese diese Appetithäppchen bekomme. Auf den verschiedenen Onlineportalen, wo mir kurz der Tag erklärt, was wichtig ist. Sondern vielleicht einfach auch mal am Wochenende richtig langes Stück zu lesen, wo man sagt Mensch, da hat der Journalist dann richtig lange recherchiert oder vielleicht wirklich mal wieder ein mega langen Film sich anzuschauen oder vielleicht sogar in eine Wagneroper zu gehen, die fünf Stunden dauert. Das ist alles Teil auch des Berufes. Und vielleicht ist es der einzige legale Trick, den man anwenden kann, außer Drogen zu nehmen. Dass man denkt, dass man sich selber auch wieder diese Zeiten der Rekonvaleszenz der, der, der der Achtsamkeit gibt, damit man nicht irgendwie verschütt geht und eben auch ehrlich sein. Also beides ist glaube ich wichtig und einfach auch Grenzen aufzeigen. Ich halt mich auch nicht dran am Freitagabend. Ich hatte wirklich. Ich war total kaputt von der Woche. Dann schreibt mir ein von mir hochgeschätzter Journalist, er hätte gerne bis morgen, also Samstag noch von mir einen längeren O-Ton über den Gipfel des Berlin Prozesses. Wir wissen seit einem Jahr, dass dieser Berlin Prozess wirklich in Berlin stattfindet. Es ist jetzt nicht eine aktuelle Entwicklung gewesen, eine Naturkatastrophe oder irgendein Rücktritt. Nein, das wussten alle. Was macht der doofe Roth? Setzt sich natürlich Freitagabend auch hin und schreibt ein paar halbwegs vernünftige Sätze auf. Hätte ich auch einfach sagen können. Wissen Sie was? Es ist jetzt Freitagabend. Sie wollen das bis morgen. Ich bin jetzt einfach mal off und ich lese gutes Buch. Oder ich gucke mir irgendeine Netflix-Serie an.
00:33:09: Lisa Raphael: Oder die Benachrichtigungen in der App gleich so einstellen, dass Sie es gar nicht sehen, die Nachricht von ihm.
00:33:14: Michael Roth: Ja, was habe ich gemacht? Ich habe natürlich gesagt, den kenne ich, den schätze ich. Komm, er kriegt noch eine Nachricht. Aber ich habe, das ist schon mein erster Schritt - meine Therapeutin sagt ja immer: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung - also ich habe mit ihm danach drüber gesprochen. Ich habe gesagt: Wissen Sie was? Es hat mich ein bisschen geärgert. Das Thema ist nicht neu, hat keine Aktualität. Das hätten Sie mir auch schon vor drei Tagen sagen können. Dann hätte ich Ihnen was Vernünftiges aufgeschrieben und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten mal drüber geguckt und hätten den schlimmsten Irrsinn rausgestrichen.
00:33:44: Lisa Raphael: Ja, ja, und da kommen wir wieder auf Ehrlich sein, auch ehrlich sein gegenüber anderen Gefühle einfach auch mal klar zu äußern. Ich habe das aber auch mit dem Absagen. Also mir ist es immer ganz schwer so Sachen abzusagen, weil man halt die Menschen auch nicht enttäuschen will, die einem wichtig sind. Aber man muss da einfach auch ehrlich zu sich selbst sein. Und ein Tipp, den ich noch mitgeben kann: antizyklisches Arbeiten, damit habe ich mich jetzt die Woche beschäftigt. Also auch mal was anderes zwischendurch machen. Nicht immer nur auf dem Laptop, auf dem PC, da wird man ja auch irgendwann verrückt, sondern sich mal fünf Minuten kurz mit was anderem beschäftigen. Florian, Du bist ja auch viel beschäftigter Chefredakteur, hast den vollen Terminkalender. Was ist noch dein Tipp zum Ende?
00:34:23: Florian Harms: Ich finde das mit dem antizyklisches Arbeiten super. Lisa Ich mache das auch so ich stehe zwischendurch kurz auf, drehe ein paar Runden und denk an was anderes. Also bei mir ist das Denken ja auch irgendwie Arbeit. Das heißt, ich beschäftige mich mit einer anderen Thematik und das hilft mir sehr. Und das andere, was mir sehr hilft, ist Musik. Das wissen auch die Leser und Leser des Tagesanspruchs. Dass mir das wichtig ist, dass ich in vielen Lebenssituationen meinen Alltag auflockere durch Musik. Und das hilft mir auch. Und das führt mich auch immer wieder an den Punkt zu sagen Hier ist jetzt Pause. Deshalb Wagner ist nicht so ganz meins, aber mit Mozart, da kämen wir dann auf einen grünen Zweig gemeinsam.
00:34:59: Michael Roth: Dann gehen wir lieber auf ein Depeche Mode Konzert.
00:35:02: Florian Harms: Ja, da bin ich dabei. Da bin ich sofort dabei. Da war ich auch schon.
00:35:06: Lisa Raphael: Ja, ich glaube, die sind richtig gut.
00:35:07: Florian Harms: Die sind immer noch richtig gut.
00:35:09: Lisa Raphael: Ja, das mit dem langen Buch lesen, da trainiert man sich auch so ein bisschen selber. In der Konzentrationsübungen wollte ich noch sagen, weil ich finde, hab auch so ein bisschen festgestellt in den letzten Jahren, Man wird auch immer schlechter, sich wirklich nur mal ne halbe Stunde auf eine Sache zu konzentrieren.
00:35:23: Michael Roth: Also ja, das ist, das ist das, was mich sehr schmerzt. Ich habe früher sehr viel Literatur gelesen, auch Sachbücher, also historische Bücher, die mich wahnsinnig interessiert. Aber weil ich ein neugieriger Mensch bin, und das traue ich mich ehrlich kaum zu, zu sagen öffentlich, weil die meisten Politiker ja immer erklären müssen, dass sie drei Bücher auf dem Nachtschränkchen liegen haben und die gar nicht gleichzeitig lesen, auch wenn sie 18 Stunden am Tag arbeiten. Das wird ja immer so suggeriert. Ich muss mich wirklich in den Ferien, vor allem auch so zwischen den Jahren, wenn ich wirklich zur Ruhe komme, trotzdem wahnsinnig disziplinieren, um noch mal an ein dickes Buch zu gehen. Die Bücher werden immer dünner. Ich überfliege, sehe, ich lese sie nicht zu Ende und ich werde da auch meinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Weil Sie haben völlig recht, wenn wir dann nur noch resignieren, wenn wir ein Buch sehen, was mehr als 90 Seiten hat, dann werden wir, glaube ich, der Schönheit, auch der Sprache und des Wissens über Bücher oder Literatur nicht mehr gerecht.
00:36:21: Florian Harms: Ich habe mir für die nächsten Monate mal schauen, wie lange es dauert, Krieg und Frieden vorgenommen. Das auch ein bisschen dicker und das entführt einen in eine komplett andere Welt. Man kann aber viel darin lernen über die heutige Gegenwart.
00:36:34: Lisa Raphael: Na, dann werde ich dich mal fragen, wann du es fertig gelesen hast.
00:36:36: Florian Harms: Nicht zu früh, Lisa.
00:36:38: Lisa Raphael: Ja, und damit kommen wir zum Ende dieses Gesprächs. Ich hoffe, wir hören Hörer. Sie können auch viel mitnehmen. Sei es denn, offener zu sein für Kompromisse, mehr Nachsicht zu haben. Dass Politiker auch mal Fehler machen können. Mehr Verständnis zu zeigen, wenn es Menschen zu viel wird und sie vielleicht doch mal was absagen müssen, dann hatten wir den Punkt, nicht immer nur zu meckern, sondern sich auch selbst einzubringen, mehr Foren für Demokratie und Beteiligung zu schaffen. Aber das alles im respektvollen Miteinander. Ja, und damit bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Roth, für Ihre Zeit und bei Dir, Florian, für Deine Beiträge. Wenn Ihnen da draußen diese Folge gefallen hat, dann abonnieren Sie gerne den Tagesanbruch Podcast zum Beispiel auf Spotify oder Apple Podcasts. Dann verpassen Sie nämlich keine neue Folge. Anmerkungen, Fragen und Kritik können Sie uns gerne per Sprachnachricht oder Email schicken an podcasts@t-online.de und damit bedanke ich mich fürs Zuhören und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Tschau!
00:37:39: Michael Roth: Vielen Dank!
00:37:40: Florian Harms: Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.