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00:00:00: Info: Dieses Transkript wurde maschinell erstellt und nicht vollständig gegengelesen.
00:00:01: Lisa Raphael: Hallo und herzlich willkommen zu Tagesanbruch die Diskussion dem wöchentlichen Podcast von t-online, bei dem wir tiefgründiger auf ein Thema der Woche schauen. Und diese Woche stand ganz im Zeichen des dritten Oktobers, des Tags der Deutschen Einheit. Einige von ihnen haben bestimmt ein verlängertes Wochenende. Und genau auf diesen wichtigen Jahrestag wollen wir in dieser Folge mit dem Ost Beauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, schauen. Wo steht Deutschland? 34 Jahre nach der Wiedervereinigung geht es Ostdeutschland doch gar nicht so schlecht, wie viele denken. Oder müssen wir ganz raus aus diesem Denken in Ost und West Schemata? Und ich bin Lisa Raphael, moderiere das Gespräch und muss sagen, dass ich mich persönlich auch sehr auf diese Folge freue. Meine Familie kommt selbst aus dem Osten, aus Ostberlin und Thüringen und ich erlebe sozusagen diesen ganzen Wandel. Ich bin 94 geboren, in zweiter Generation mit, aber noch viel mehr freue ich mich, dass wir so einen Gesprächspartner gewinnen konnten, der auch politisch großen Einfluss auf das Thema hat. Und damit begrüße ich ihn auch hier bei uns, den Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland von der SPD. Carsten Schneider.
00:01:10: Carsten Schneider: Hallo, ich grüße Sie Frau Raphael.
00:01:12: Lisa Raphael: Und außerdem begrüße ich den Chefredakteur von t-online, Florian Harms.
00:01:16: Florian Harms: Hallo, ich freue mich auf die Diskussion.
00:01:18: Lisa Raphael: Ja, ich würde gerne anfangen mit der Wahrnehmung von Lebensverhältnissen. Die Bundesregierung hat dafür im Juli zum Ersten Mal den Gleichwertigkeit sbericht vorgestellt und dabei herausgefunden, dass obwohl die wirtschaftliche Entwicklung im Osten aktuell besser als im Westen ist, wird das von den Menschen in Ostdeutschland nicht so wahrgenommen. Dazu Wirtschaftsminister Robert Habeck.
00:01:40: Ton Robert Habeck (Quelle: YouTube) Im Moment ist der Osten Deutschlands stärker in der wirtschaftlichen Dynamik als der Westen Deutschlands. Und deswegen, ja, ich weiß, ich habe darauf hin selber hingewiesen, dass die gefühlte oder die selbst wahrgenommene Wirklichkeit manchmal unterschiedlich ist.
00:01:55: Lisa Raphael: Ja, im Zuge des Berichts wurden auch über 30.000 Menschen befragt, und ein Großteil der Menschen in Ostdeutschland sagt, es lebe sich dort schlechter als im Rest des Landes. Herr Schneider, Sie kommen aus Erfurt, kennen also auch die Situation vor Ort. Wie erklären Sie sich diese Wahrnehmung?
00:02:10: Carsten Schneider: Ja, also erst mal Dieser Bericht lohnt sich wirklich zu lesen, wie auch der jetzt zum Stand der deutschen Einheit. Ich kann mir das schwer erklären. Also die gerade wenn sie sich die Städte auch von der Infrastruktur angucken, Kitaplätze, Schulen, die sind sehr gut, verglichen mit anderen Bundesländern, die ich im Blick habe. Und auch die Infrastruktur ist hervorragend, weil das alles neu gemacht wurde. Und deswegen ist der Nachholbedarf in Investitionen, die wir jetzt in den nächsten zehn Jahr machen, es im Westen also die ganze in Sanierung, die Sie jetzt mitbekommen, die findet ja im Rhein Main Gebiet etc. statt. Also es gibt ein Zurück. Komme ich zu Ihrer Frage Auseinanderklaffen zwischen gefühlt und der Realität und persönlich schätze Menschen ihren ihre Lebenssituation gut bis sehr gut ein für das Land nicht so gut. Und dieser Gap, der bereitet mir auch Kopfzerbrechen.
00:03:05: Lisa Raphael: Sie haben gerade schon diese Investitionen angesprochen. Es bewegt sich auch viel im Osten, aber trotzdem gibt es ja auch dieses Problem des demografischen Wandels und der Abwanderung. Und darüber machen sich auch Unternehmer vor Ort Sorgen, wie zum Beispiel unser Hörer Holger Heckmann, den wir im August zur Diskussion zu den Landtagswahlen hier im Podcast hatten. Er hat ein Unternehmen in Altenburg in Thüringen, das ganz nah an der Grenze zu Sachsen liegt.
00:03:31: Ton Holger Peckmann (Hörer): Wir finden keine Mitarbeiter mehr. Die, die dageblieben sind, die sind jetzt in Rente. Wir reden, wenn 35 Jahre nach der Wende, die können ja einen 35 Jahre alten PKW auch nicht als Neuwagen verkaufen.
00:03:43: Lisa Raphael: Genau. Und Florian, du warst diese Woche bei Herrn Peckmann in Altenburg. Was konntest du denn da mitnehmen? Auf dieses Thema bezogen?
00:03:51: Florian Harms: Ja, er hat mir noch mal klar geschildert, was der Hintergrund dieses Problems ist. Also unser Hörer, Herr Heckmann, betreibt selbst eine Firma mit etwa 40 Angestellten und es fällt ihm ungemein schwer, Nachwuchs zu finden. Und das ist wirklich richtig schwierig. Also auch dann wirklich alle Aufträge anzunehmen, weil ihm Leute fehlen, die die übernehmen könnten. Und zugleich hat mich sehr gefreut, dass er genau das auch sagte, was Carsten Schneider gerade hervorgebracht hat. Dass er nämlich den Eindruck hat, eigentlich ist die Lage viel besser als die Stimmung. Seine persönliche Lebensrealität und die auch seiner Bekannten und Freunde ist eigentlich sehr positiv und es entwickelt sich alles in die richtige Richtung. Aber die allgemeine Stimmung, auch die politische Stimmung ist dann doch sehr düster bei vielen. Und das bereitet ihm auch Sorgen.
00:04:37: Lisa Raphael: Und wenn wir jetzt auf die Ergebnisse der Landtagswahlen blicken, die politische Stimmung, die du ansprichst, Florian, man kann es ja sogar politische Spaltung nennen. Herr Schneider, Sie sind drei Jahre Ostbeauftragter der jetzt. Man könnte Ihnen auch vorwerfen, da passiert nichts. Was würden Sie darauf antworten?
00:04:56: Carsten Schneider: Ja, das stimmt nicht. Nehmen Sie Altenburg, eine Stadt, die eine Nähe zu einer exzellenten Anbindung an Leipzig hat, also eine boomende Stadt. Wir haben dort im Marstall das Schloss, wir sanieren die Kunstsammlung von Gerhard Altenburg in dem Museum. Auch da kann man sehr, sehr gut und auch günstig leben. Man muss aber hin. Wir haben einen guten Oberbürgermeister von der CDU, und die Frage ist jetzt, ob da hinzugehen nach Altenburg, nachdem viele Jahrzehnte die Menschen dort eine Wegzug Verlusterfahrung hatten. Also es sind leider immer die Kinder gegangen und das steckt ganz tief in den Knochen der Eltern und der Älteren drin. Das zu drehen auch. Ein Bild, aber auch in der Realität. Deswegen bitte ich immer alle, bevor sie ein Urteil fassen, erst mal hinfahren, angucken, mit den Leuten reden und dann urteilen. Und es gibt, gerade wenn sie die Nähe auch zu Leipzig haben, das zu und dazwischen haben sie die tollen Seen, die neu geschaffen wurden. Das sehen Sie auch die Schaffens Leistung der letzten 35 Jahre, weil Leipzig Süd. Altenburg Das war eine furchtbare Gegend, da gab es Braunkohletagebau noch und nöcher. Und jetzt? Heute haben sie eine Seenlandschaft dort. Es ist attraktiv und deswegen brauchen wir eine Rückwanderung, also derer, die gegangen sind in den 90er 2000 und auch gesteuerte Zuwanderung und wieder mehr und stärkere West Ost Wanderung. Dafür werbe ich, auch wenn das angesichts der Wahlergebnisse irgendwie komisch klingt. Aber das ist die Chance, die wir auch als vereintes Land haben. Und die Chancen in Ostdeutschland liegen quasi auf der Straße, weil die Jobs sind da und sie sind mittlerweile auch in besseren Positionen auch gut bezahlt. Hier kann man tatsächlich noch was machen. Also es ist nicht alles besetzt, sondern sie kommen und können so eine Stadt zu der Gesellschaft tatsächlich auch noch mit prägen und werden da eigentlich auch immer mehr.
00:06:52: Lisa Raphael: Aber wie wollen Sie denn da rangehen an das Problem, wenn wir uns jetzt mal die Abwanderungszahlen anschauen, da war ja eigentlich ein positives Signal. Fünf Jahre lang sind mehr Menschen zurück nach Ostdeutschland gegangen und jetzt hat sich es wieder umgekehrt Wieder mehr Abwanderung aus Ostdeutschland nach Westdeutschland. Also wie soll man das denn? Wie soll man die jungen Leute überzeugen?
00:07:14: Carsten Schneider: Indem ich genau das mache, was ich jetzt gerade die ganze Zeit mache, mit dem hier für die Region aufkläre und werbe. Ich habe mir die Zahlen, das sind 7000 im Saldo, im letzten Jahr auch. Das ist nicht schön. Ich wünschte es wäre anders. Ich werde mir die Nationalität dazu mal angucken. Ich bin mir nämlich ganz sicher, wer das ist, der da tatsächlich im Saldo mehr gegangen ist. Aber wenn Sie günstigen Wohnraum wollen, wenn Sie exzellente Schulen wollen, wenn Sie einen Kitaplatz Vollzeit haben wollen, ohne dass Sie stundenlang durch die Stadt gurken müssen, sind Sie da richtig. Und die Regionen sind auch noch zu prägen. Das nicht alles besetzt schon seit Jahrhunderten. Oder von Familien, wie sie vielleicht in Hamburg oder in in Baden-Württemberg, so sagen es mir zumindest Freunde sind scheint, sondern sie können ziemlich zügig auch eine sehr verantwortungsvolle Position in unserer Gesellschaft auch wahrnehmen. Und das brauchen wir auch. Und ich werbe dafür, mit offenem Blick durch die Lande zu gehen und zu versuchen, diese Chancen auch zu ergreifen. Und das unterstützen wir auch mit sehr, sehr viel Geld. Wenn ich an die ganzen Strukturwandel denke Ausstieg aus der Kohle und die neu geschaffenen Arbeitsplätze, gerade da auch in der Gegend Taucher usw, die sie da auch genannt haben. Da kommen neue Forschungsinstitute hin und die Infrastruktur ist hervorragend und es liegt an den Menschen, an denen, die da sind. Welt Also offen zu sein für Leute über und denen, die neugierig sind und was machen wollen An sich.
00:08:41: Lisa Raphael: Also wirtschaftlich, sage ich mal, halte ich mal fest, passiert viel. Auch ich finde, die Hochschullandschaft ist eine Sache, die wir vielleicht noch hervorheben sollten. Ich habe selbst in Sachsen studiert und war an eins der renommiertesten Medieninstitute Deutschlands in Mittweida. Aber trotzdem sehen wir ja die Wahlergebnisse. Ich meine, das beunruhigt ja auch und auch Unternehmer beklagen sich, dass sie eben bei solcher Stärke der AfD Angst haben vor noch mehr Abwanderung. Florian Hat denn Herr Heckmann dazu was gesagt? Er ist ja selbst Unternehmer. Er hat ja schon über die Mitarbeiter beklagt. Sieht er denn das auch als Problem? Die Stärke der AfD in Thüringen?
00:09:19: Florian Harms: Ja, also er und auch andere haben mir berichtet, dass es wirklich da eine große Diskrepanz gibt zwischen dem, was sie persönlich erleben, denken, fühlen, was eben sehr positiv geprägt ist und der eher düsteren politischen Stimmung. Und das hat dann nicht nur etwas mit den Wahlergebnissen zu tun, sondern auch mit dem tatsächlich verbreiteten schlechten Image von Ostdeutschland als Dunkeldeutschland. Und da bin ich bei dem, was Carsten Schneider gerade gesagt hat, Dem kann man entgegenwirken, wenn dem man sich interessiert. Es gab den großen Appell, den ich da jetzt mehrfach gehört habe in Altenburg, dass die Leute gesagt haben Ja, dann kommt doch erst mal her, guckt euch doch mal an, wie es wirklich ist. Redet nicht immer über uns, redet mal mit uns.
00:10:01: Lisa Raphael: Und wie hats dir gefallen?
00:10:01: Florian Harms: Mir hat es hervorragend gefallen. Ehrlich gesagt. Ich finde, dass es insbesondere Altenburg in der Nähe von Leipzig gelegen hat. Eine tolle Anbindung über die S-Bahn. Da kann man innerhalb von Minuten...
00:10:11: Lisa Raphael: Ah man kommt mit der S-Bahn hin?
00:10:12: Florian Harms: In einer halben Stunde ist man in Leipzig auf dem Marktplatz. Es hat viele tolle alte Bauwerke. Carsten Schneider hat gerade den Marstall erwähnt. Es gibt viele mehr. Alles aus der Gründerzeit, aus der Kaiserzeit. Da ist richtig was passiert. Zugleich ist die Bevölkerungsstruktur eben problematisch. Über 50 Jahre Durchschnitt und viele Menschen sind weggegangen, insbesondere jüngere. Das ist aber so etwas. Das kann man nur aufhalten, indem man eben auch anfängt, die Stimmung zu drehen und das Image zu drehen. Und. Das ist, glaube ich, für alle eine Herausforderung. Und es ist auch für alle eine Aufgabe, dass wir alle mal anfangen, miteinander zu reden und zu gucken, Wo sind denn die Chancen in unserem Land? Wenn man als junge Familie heute in Hamburg oder München arbeiten und eine Wohnung und eine Kita finden will? Ja, da kann man sich ganz hinten anstellen. Das ist richtig problematisch. In einer Stadt im Osten sieht das anders aus.
00:11:00: Lisa Raphael: Das stimmt allerdings. Wenn wir jetzt noch mal zurück auf die Ergebnisse, die Stärke der AfD schauen und da auch noch mal auf die junge Generation. Es ist ja eben auch so erschreckend, dass so viele junge Menschen die AfD wählen, dort ihre Antworten für die Politik sehen. Herr Schneider, wie denken Sie über diese Thematik und wie erklären Sie sich auch dieses Phänomen?
00:11:19: Carsten Schneider: Ich kann mir das Phänomen nicht erklären. Die, die ich treffe, sind nicht so drauf. Ich sehe aber eine Verstärkung im Bereich seit vielen Jahrzehnten, also wachsendes Wählerpotential. Und es gibt eine Korrelation zwischen sinkender Einwohnerzahl und Stärke dieser Partei. Wir reden im Übrigen viel zu viel über diese eine Partei. Davon lebt sie auch und das macht sie stark. Und deswegen dann immer so sagen Wir brauchen diesen Regionen, wo die Menschen, wenn sie ein Problem haben, sagen na ja, ihr macht was zu, der Konsum oder die Kneipe. Ganz wichtiger Ort. Und das liegt ja daran, was weniger Umsatz gibt. Also weil die Menschen nicht da sind und die den Gleichwertigkeitsbericht, den sie erwähnt haben. Der ist total wichtig, auch als politisches Entscheidungsinstrument, weil in den Städten es wird einfach wahnsinnig teuer und es ist anstrengend, dort als junge Familie zu leben. Nehmen Sie die Frage Geldwert und ich bleibe bei Thüringen. Am meisten verdienen brutto die Menschen in Thüringen in Jena, Industriestadt Jena Optik Carl Zeiss Weltspitze optischen Bereich. Die Kaufkraft ist aber in Jena fast am geringsten von dem Geld, was sie verdienen, weil die Mieten unbezahlbar wirklich mittlerweile unbezahlbar sind und weil es schwer ist, überhaupt noch was zu finden. Und deswegen brauchen wir eine Entwicklung, in die Kleinstädte und auch in die Dörfer hinein, diese zu stärken und dort eben auch Lebendigkeit zu haben. Es geht, glaube ich, um diese Lebendigkeit und auch Orte der Begegnung zu haben, die es für jüngere Familien attraktiv macht, dahin zu ziehen. Und ich glaube, diesen Trend Wechsel auch im Blick, brauchen wir in Deutschland, dass nicht immer nur das Stadtbild das ist und das der Großstadt, das das alleinige anstrebenswert ist, sondern es differenziert auch gesehen wird und die, wenn ich das so sagen darf, das ist eine klimatische Frage, auch bei uns. Aber bei den jungen Wählern: Lassen Sie mich vielleicht einen Punkt nehmen, und das ist die Corona-Zeit und der starke Schutz der Älteren, den wir durch die harten Isolationsmaßnahmen gemacht haben und das zu wenig im Blick haben für die Jüngeren. Da haben viele was an dem Studium gescheitert, haben die Ausbildung oder denen, die die Schule nicht zu Ende gebracht gibt Anstieg von Depressionen usw Also da waren wir gerade in der ersten Welle, nicht aber der zweiten Welle zu strikt und zu wenig im Blick für die Jüngeren. Ich glaube, dass einer der Ergebnisse sich da auch widerspiegelt, wie auch das Fortsetzen des Wahlverhaltens der Eltern, das übertragen wird auch auf die Jüngeren, die sich nicht dagegen wehren. Es gibt ja kein 68 gegen die Eltern, sondern in Teilen ein Fortsetzen des bestehenden Wahlverhaltens, das in Teilen rechtsextremistisch, in Teilen rechtskonservativ ist, in Teilen aber auch durch starke Verunsicherung geprägt ist. Und auf diese politische Verunsicherung eine Antwort zu geben, ist die Aufgabe, die die großen politische Volksparteien haben und auch die SPD. Und das heißt zum Beispiel auch die, das sagen darf, aktuell bei der Migrationsfrage klar zu sein Wir brauchen gesteuerte Zuwanderung in unser Land. Wir brauchen aber auch klare Grenzziehung, dass hier nicht jeder kommen und bleiben kann. Ja, und diese Eindeutigkeit, die haben wir in der Umsetzung zu wenig gezeigt. Und ich glaube, dass wir da und es hat nicht zu den Wahlergebnissen damit generell eine Struktur in Deutschland zu tun, dass wir dort konsequenter sein müssen.
00:14:50: Lisa Raphael: Also Sie haben auch den Aspekt der politischen Verunsicherung angesprochen, also nehmen das auf jeden Fall auch wahr im Osten. Das ist das eine Ergebnis, das man so interpretieren kann von den Wahlergebnissen. Und wir haben über die Wahlergebnisse und jetzt über den Tag der Wiedervereinigung auch mit einigen unserer Lesern von t-online im Vorhinein gesprochen. Und ein Aspekt, der dabei auch aufgekommen ist in Bezug auf die Wahlen in Ostdeutschland, ist das Thema Vertrauen. Und dazu hat ein Leser von uns, Roland aus Cottbus, folgende Bedenken geäußert:
00:15:22: Ton Roland Knappe (Hörer): Also meine relativ klare Meinung ist, dass diese Wahlergebnisse vor allen Dingen eins sagen Das Vertrauen in diese aktuell gelebte Demokratie ist für große Teile weg, weil dort einfach in den letzten Jahren. Sachen passiert sind, auch teilweise in Jahrzehnten, die letztendlich dazu geführt haben, dass man in großen Teilen der Bevölkerung, insbesondere auch in jüngeren Altersbereichen, der Meinung ist, dass diese Politik nicht mehr Deutschland guttut und insbesondere auch nicht dem Osten guttut.
00:15:57: Lisa Raphael: Ja, also er spricht auch genau das hier an, dass vor allen Dingen auch die jüngeren Altersbereiche dort das Vertrauen teilweise auch verloren haben. Herr Schneider, was würden Sie denn sagen? Wie können wir dieses Vertrauen zurückgewinnen, auch in staatliche Institutionen, in die Demokratie allgemein?
00:16:13: Carsten Schneider: Ja, ich habe jetzt nicht genau raus gehört, was er genau meinte, welche Entscheidungen jeweils, dass wir auf erneuerbare Energien setzen und nicht auf Atom oder die, das wir im Zuwanderungsrecht gemacht haben? Deswegen kann ich jetzt auch da nur abstrakt bleiben. Die Institutionen der Demokratie in Deutschland, wozu ja auch Pressefreiheit zum Beispiel gehört als Institution, als vierte Gewalt, aber auch die Organisation des Staates. Also in Brandenburg angefangen mit wie ist es mit den Schulstunden und, weil er aus Cottbus kommt, mit dem Ausfall? Wie ist es mit dem Strukturwandel? Raus aus der Braunkohle, rein in was Neues. Das verunsichert natürlich die, die dort gearbeitet haben. Es sind 8000, die arbeiten da noch, keiner wird arbeitslos werden und es wird etwas Neues entstehen. Also es wird dort viele neue Arbeitsplätze geben, zum Beispiel auch beim Betriebswerk in Cottbus über 1200 neue Jobs haben und das ist eine Veränderung. Ich glaube, dass die Zukunft war früher weit weg. Jetzt ist die Zukunft jeden Tag da und sie ist auch jeden Tag erlebbar, und dass das mit der Beschleunigung der Gesellschaft für manche, für die Politik auch, aber für die der Bevölkerung auch eine Überforderung ist, glaube ich. Und die politische Mitte muss aus meiner Sicht eins machen Sie muss sagen, was ist, ohne falsche Schamvorstellung oder ohne nur politisch korrekt zu sprechen. Und ich habe den Eindruck, dass zu viel in Deutschland aus der Mitte der großen Städte dominant im öffentlichen Diskurs ist und zu wenig das Leben der Menschen in Kleinstädten und Dörfern. Das bricht aufeinander. Und es gibt auch ein Auseinanderklaffen zwischen veröffentlichter Meinung, was wir jetzt hier machen und öffentlicher Meinung, also was die Leute so denken. Und zwischen Elite in den Zentren und den Menschen, die jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen.
00:18:27: Lisa Raphael: Sprechen Sie da auch so ein bisschen dieses Phänomen an, sich nicht mehr trauen, dass man alles sagen darf?
00:18:32: Carsten Schneider: Ja, das ist ganz irre. Man kann ja alles sagen in Deutschland. Macht ja auch jeder veröffentlicht ja auch. Mittlerweile kann das ja auch jeder im Netz, auch oder in sozialen Medien tun. Aber die Dominanz in der veröffentlichten Meinung, die trifft nämlich zum Beispiel die Frage von Krieg und Frieden, die alle Menschen umtreibt Ukraine, Russland. Dass es fast kaum Widerspruch zu der Meinung, die ich teile, gab, dass wir die Ukraine unterstützen müssen, das führt bei vielen dann, habe ich den Eindruck doch, zu so einer „Kann das denn sein?“-Haltung.
00:19:10: Lisa Raphael: Und ist das jetzt auch eine Kritik an den Medien, die ich an Herrn haben, es gleich weitergeben soll, oder?
00:19:14: Carsten Schneider: Na ja, ich finde schon, dass es das sind. Ich bin total für Pressefreiheit, bin für exzellenten Journalismus. Ich bin aber gegen Aktivismus und finde Journalist müssen Journalisten sein, nicht Aktivisten. Und ich habe manchmal den Eindruck, dass sie mich so vorsichtig formulieren, dass Berlin Mitte sehr stark durchschlägt. Das meine ich mal so als Bild in der veröffentlichten Meinung. Und es sein bestimmt immer das Bewusstsein. Und wenn man ab und zu vielleicht doch eher Lauchhammer Leber sieht die Welt vielleicht ein bisschen anders aus.
00:19:47: Florian Harms: Ich würde da gerne darauf antworten. Ich stimme Ihnen zu, dass Journalismus niemals Aktivismus sein sollte und dass da bei manchen Publikationen eine Grenze überschritten worden ist. Ich würde zugleich aber sagen, dass die Medienvielfalt in Deutschland noch nie so groß gewesen ist wie heute. Und wenn man sich vielfältig informieren möchte, dann kann man das tun. Dann ist es aber nicht damit getan, dass man sich eben nur innerhalb seiner Blase auf Ticktack oder Instagram oder Facebook bewegt, sondern man muss da aktiv rausgehen. Und das fehlt mir bei vielen Menschen, die sich dann immer beklagen und sagen na ja, die Medien oder die Politik, das ist so eine zurückgelehnte Haltung. Man sitzt da bequem in seinem Sessel im Wohnzimmer und klagt alle anderen an Demokratie ist nichts, was da oben stattfindet. Veränderungsprozesse. Pluralismus ist nichts, was man einfach anderen überlassen kann, sondern da sind wir alle gemeinsam 83 Millionen Menschen als Staat. Bürger gefordert. Wir müssen uns einbringen. Und das stört mich ganz häufig in diesen Diskussionen. Wenn dann eben immer wieder gesagt wird Ja, ja, dieses oder jenes funktioniert nicht. Und deshalb war ich ebenso positiv überrascht, als ich jetzt in Altenburg gewesen bin, dass ich da Menschen getroffen habe, die sagten Nee, eigentlich ist die Lage viel besser und wir schaffen das. Wir müssen halt was tun, Wir müssen uns halt engagieren. Und deshalb auch Lisa, diese sozusagen als Teilantwort auf deine Frage dahingehend was ist alles falsch gemacht worden? Natürlich ist während der Pandemie viel falsch entschieden worden, aber das haben die damals Verantwortlichen aus der Lage damals heraus entschieden. Was heute wahrscheinlich fehlt, ist eine Evaluierung, eine Aufarbeitung dieser Zeit durch demokratische Gremien, gerne auch im Bundestag, wo man dann sagt Was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen, was lernen wir daraus für die Zukunft? Aber was ich überhaupt nicht verstehe, ist zu sagen na ja, überall läuft was falsch in der Pandemiebekämpfung, in den erneuerbaren Energien, bei der Elektromobilität und so und deshalb ist alles schlecht und ich lehne alles ab. Und ich wähle deshalb eine erwiesenermaßen rechtsradikale Partei, die das demokratische System abschaffen will. Das ist nicht demokratisch und das ist nichts, was man von einem Staatsbürger einfach durchgehen lassen sollte, wenn man Kritik übt. Ja, verdammt noch mal, dann tritt in eine Partei ein, egal welche, ob links oder rechts, aber halt keine Extremisten engagiert. Ich mach was los.
00:22:02: Lisa Raphael: Ja und um die Corona Zeit aufzuarbeiten, sucht ja gerade Sahra Wagenknecht nach mehr Verbündeten für ihren Antrag für einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Sie, Herr Schneider, haben aber kürzlich in einem Interview der Rheinischen Post gesagt, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht eigentlich nur ein One-Hit-Wonder ist. Sind Sie denn immer noch der Auffassung, jetzt, auch nach dem Wahlergebnis in Brandenburg, wo ja jetzt recht klar ist, dass die SPD ihre Partei mit dem BSW in einer Zweierkoalition regieren müsste?
00:22:33: Carsten Schneider: Ja, das bin ich. Ich denke ja, weil es Parteien betrifft, in Dekaden und nicht in einem Jahr. Sicherlich wird sie noch da ein bisschen bleiben, allein weil sie auch so eine extreme mediale Abbildung erfährt und zu jedem Kram ja eingeladen wird. Aber nur eins: In Thüringen muss sie, die diese Landtagsfraktion, als sie sich konstituiert hat. Das musste drei Tage verschoben werden, weil die sie erst mal kennenlernen mussten. Also es gibt kein wirkliches Programm der Partei, noch kennen sich die Leute um politische Entscheidung. Fünf Jahre für ein Land, da kann viel passieren, wie man jetzt auf Bundesebene sieht mit dem Krieg. Da muss man schon zusammenhalten und auch eine feste Basis haben. Das ist da nicht der Fall. Deswegen glaube ich nicht, dass diese Fraktion, so wie sie jetzt sind, auf längere Zeit zusammenbleiben und dass es auch dauerhaft in einer einzelnen Person, dass das auch trägt. Aber das ist meine Prognose. Wir werden sehen, wir werden sehen. Vielleicht gibt sie auch eine Veränderung des Parteiensystems. All along in anderen europäischen Ländern. Gut fände ich das nicht, weil das hat schon leninistische Strukturen und ist auch keine linke Partei, sondern irgendwas eher eine Mischung aus Biedermeier, Nationalismus, Protektionismus und in Teilen Umverteilung also. Aber ich bin sehr bei heraus, was die. Was die Aktivierungsfrage betrifft Es macht mich auch rasend, wenn die Leute nölen, aber nicht machen und weil ich bin das beste Beispiel Ich bin in die SPD eingetreten. Meine Eltern waren nie in der Partei, weder DDR noch dann doch noch danach im Westen und auch sonst niemand. Und ich habe es auch ohne Geld und ohne Vitamin B geschafft, in den Bundestag zu kommen, weil ich mich dort durchgesetzt haben, die Leute mich gewählt haben. So etwas gibt es in kaum anderen Ländern Europas. In der Demokratie das In den USA brauchen Sie 1 Million, um demokratische Abgeordnete werden. Die brauchen Sie privat in Deutschland. Ich hatte 4000 Mark, die ich mir erspart hatte. Das geht, und das sind ja diese Chancen, die vor der Tür liegen, die man nur ergreifen muss. Aber es kostet halt ein bisschen Zeit. Denn nur so der Empörungsdemokratie empört mich mehr. Oder ich mache mal leid und denke, dass politische Handlung das ist nicht der Fall ist es auch schon harte politische Arbeit, die auch Zeit kostet. Aber wir haben wenigstens die Macht und diese Gesellschaft zu prägen in einer kleinen Stadt in dem Dorf und nicht ohnmächtig. Das Schlimmste, was es gibt, ist Ohnmacht. Und die gibt es, die dafür gibt. Wir sind die Voraussetzung in Deutschland nicht. Im Gegenteil, man kann die Macht in der Hand haben.
00:25:04: Lisa Raphael: Letzte Frage, um noch mal zurückzukommen auf das Thema Wiedervereinigung Erst an dich, Florian. Wir stehen jetzt, 35 Jahre nach der Wende, nach dem Mauerfall. Was denkst du, haben wir die Wiedervereinigung geschafft? Oder wird es immer diese Unterschiede zwischen Ost und West geben?
00:25:19: Florian Harms: Das kommt auf die Perspektive drauf an, wenn man sich mal einen internationalen Vergleich ansieht, wo stehen wir da als Bundesrepublik Deutschland? Dann würde ich sagen, wir sind hoch erfolgreich. Und natürlich ist diese Wiedervereinigung an vielen Stellen geschafft worden. Wir haben ein funktionierendes politisches System. Der Föderalismus funktioniert, die Wirtschaft. Funktioniert leidlich, selbst wenn wir gegenwärtig eine Krise haben. Das ist alles sehr positiv. Wenn man jetzt etwas tiefer reinschaut und dann ins persönliche Erleben geht, ob das jetzt in einer Stadt ist oder einem Dorf oder einer Kleinstadt, sieht das sehr unterschiedlich aus. Und dann habe ich auch Verständnis für Menschen, die sagen ja, Pustekuchen, hier ist nüscht vereinigt. Sowohl auf der Ostseite wie auf der Westseite. Aber noch mal da kommen wir noch mal an den Punkt, den Carsten Schneider gerade auch ausgeführt hat. Vereinigung ist ja nichts, was qua Unterschrift unter einen Einigungsvertrag funktioniert, oder? Weil sich jetzt ein Politiker in den Bundestag stellt und sagt Wir sind jetzt alle vereinigt. Die Vereinigung müssen wir leisten, alle Bürgerinnen und Bürger gemeinsam, jeden Tag im Alltag. Und dazu gehört eben auch, dass man sich füreinander interessiert. Und wenn man beispielsweise als Westdeutscher noch nie in seinem Leben im Osten gewesen ist, dann ist das ein schwerer Fehler. Das sollte man mal tunlichst ändern. Dann überlegen, ob man statt dem nächsten Mal Urlaub vielleicht einfach mal ins schöne Thüringen fährt und mal guckt, wie die Leute da ticken. Die sind nämlich gar nicht alle düster. Da sind sehr viele sehr anständige, sehr nette, sehr engagierte Menschen. Und durch solche persönlichen Verbindungen entsteht dann schrittweise eben ein immer stärker werdendes Band der gesellschaftlichen Einigung.
00:26:50: Lisa Raphael: Und jetzt die Frage an Sie, Herr Schneider, in Ihrem Titel von Ihrem Bericht des Ostbeauftragten stand auch im Titel Ost und West vereint und frei. Also sind Sie der Meinung, dass wir schon vereint sind?
00:27:00: Carsten Schneider: Ach ja na klar, frei, vereint und unvollkommen stand da im Übrigen noch. War mir wichtig war nicht, Regierungspropaganda zu machen, sondern es ist natürlich auch alles noch im Wege. Aber was wäre Deutschland ohne Altenburg? Ohne Altenburg kein Skat ohne Altenburg. Das Bier ist exzellent und ohne Altenburg auch den Senf und vor allen Dingen den Mutzbraten nicht, wenn ich das noch sagen darf. Eine Delikatesse, dies nur in dieser Gegend gibt. Es heißt, dieses Land ist vielfältig, kulturell und auch was das Essen etc. betrifft. Und das macht uns ja aus. Das weiß man, aber nur wir haben es gesagt. Wenn man ab und zu auch mal in Fahrt mit offenen Augen und offenem Herzen.
00:27:37: Lisa Raphael: Alles klar. Ich bin jetzt auch schon ganz gespannt mal Altenburg kennenzulernen. Also ich glaube, Sie beide haben mich jetzt überzeugt. Ich hoffe Ihnen da draußen, liebe Hörerinnen und Hörer, wir haben Sie auch überzeugt. Wenn Sie noch eine Anmerkung oder Frage zu dem Thema haben, schicken Sie uns gern eine E-Mail oder auch gern Sprachnachricht an Podcasts@t-online.de. Und wenn Ihnen diese Diskussion gefallen hat, dann abonnieren Sie doch gern den Tagesanbruch Podcast überall da, wo es Podcasts gibt. Und damit bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Schneider, und auch bei Dir, Florian, für eure Zeit ein schönes Wochenende und vielen Dank fürs Zuhören an alle da draußen. Tschau!
00:28:13: Carsten Schneider: Tschüss!
00:28:13: Florian Harms: Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.