Tagesanbruch von t-online

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Richard Schneider: Aber was Israel möglicherweise, ich sage das hier vorsichtig möglicherweise, kann, ist tatsächlich in einem richtig großen Krieg die Hisbollah dezimieren, das heißt vor allem ihre gesamten Waffensysteme.

Lisa Raphael: Hallo, zu einer neuen Folge von Tagesanbruch die Diskussion dem wöchentlichen Podcast von t-online, diesmal für das Wochenende vom acht und 20. September. Fast ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel blicken wir heute auf den Konflikt in Nahost. Die Angriffe zwischen Israel und der libanesischen Terrororganisation Hisbollah spitzen sich immer weiter zu. Über 600 Menschen sind dabei schon gestorben, Tausende Libanesen sind auf der Flucht. Wie weit kann sich der Konflikt noch hochschaukeln? Ist ein Flächenbrand realistisch? Und wie gut ist die Hisbollah ausgestattet? Wäre es für Israel möglich, sie komplett auszuschalten? Und ich bin Lisa Raphael, moderiere dieses Format und begrüße für die Diskussion zum einen den Spiegel Autor und langjährigen Leiter des ARD-Büros in Tel Aviv, Richard Schneider.

Richard Schneider: Hallo, guten Tag.

Lisa Raphael: Und zum anderen t-online-Chefredakteur Florian Harms.

Florian Harms: Hallo, ich freue mich auf die Diskussion.

Lisa Raphael: Ja, bevor wir auf die Lage ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober schauen. Der Jahrestag steht ja bald an. Blicken wir jetzt noch mal auf die aktuelle Situation. Herr Schneider, Sie leben seit fast 20 Jahren in Tel Aviv, waren auch lange Korrespondent der ARD. Von dort aus. Die Angriffe der Hisbollah haben sich ja in dieser Woche erstmals auf den Großraum Tel Aviv ausgeweitet. Die Rakete konnte allerdings vom Luftabwehrsystem abgefangen werden. Als Reaktion plant Israel jetzt eine Bodenoffensive, also in den Süden des Libanon einzumarschieren. In dem ganzen Konflikt hat sich die Aufmerksamkeit ja jetzt von Gaza weg hin zum Libanon verschoben. Deshalb am Anfang erst mal allgemein gefragt Worauf beruht denn dieser Konflikt, dieser Hass aufeinander zwischen Hisbollah und Israel im Gegensatz zu der Hamas?

Richard Schneider: Also zunächst einmal haben Sie etwas gesagt, wo ich gleich dazwischengrätschen will. Sie haben gesagt, als Reaktion auf die Rakete auf Tel Aviv plant jetzt Israel eine Bodenoffensive. Da wissen Sie schon mehr als als viele Menschen in Israel. Also ganz real. Die Bodenoffensive, wenn sie kommt, kommt nicht als Reaktion auf diese Rakete, sondern sie kommt ganz generell, weil die Lage im Norden Israels aus israelischer Sicht nicht tragbar ist. Es sind seit dem 8. Oktober. Am 7. Oktober war das Massaker der Hamas im Süden Israels, und am 8. Oktober hat die Hisbollah sozusagen in Loyalität zur Hamas angefangen, ebenfalls hinüberzubomben, was dazu führte, dass etwa 60 bis 80.000 Israelis aus ihren Städten, Dörfern und Kibbuzim evakuiert werden mussten und jetzt schon seit vielen, vielen Monaten nicht zurück nach Hause können. Es ist also eine Situation, es, die kein Land der Welt so hinnehmen würde. Und das ist jetzt die die neue Losung dieser Regierung. Über die Regierung können wir nachher noch reden, dass man jetzt diese Situation endgültig beheben muss, dass man eine neue Situation schaffen muss und das vor allem an eine neue Sicherheitssituation schaffen muss, die anders sein wird als die letzten 20 Jahre. Auf Ihre Frage, woher der Hass und die Feindschaft kommt da müssen wir hinüber blicken, nicht in den Libanon, sondern in den Iran. Der Iran hat mit der Islamischen Revolution 1979 mit Ajatollah Khomeini unter anderem eine der wichtigsten ideologischen Prinzipien und Ziele, nicht nur die islamische Revolution in die gesamte muslimische, aber im Endeffekt auf die ganze Welt auszutragen, sondern es geht auch darum, dass diese zionistische Entität, wie Israel immer nur genannt wird, vernichtet werden muss, um von der Landkarte getilgt werden muss. Und dafür hat der Iran seit vielen, vielen Jahren in verschiedenen Ländern um Israel herum sogenannte Proxys Stellvertreter aufgebaut. Die Hisbollah ist die stärkste mit über 150.000 Raketen, von denen viele präzisionsgesteuert sind, aber auch noch mit vielen anderen Möglichkeiten und ist damit für Israel eine wirklich große Bedrohung. Noch ein Satz zur Hisbollah. Sie ist für den Iran auch eine Rückversicherung gewesen. Bis jetzt, denn der Iran arbeitet ja an einer Atombombe und Israel hat immer und immer wieder gesagt das wird man nicht zulassen. Also immer steht im Raum, dass möglicherweise die israelische Luftwaffe eines Tages die Nuklearanlagen im Iran angreift. Und dafür braucht der Iran dann die Hisbollah, um Israel dann mit einem Krieg an der Heimatfront so zu überziehen, dass es eben das gesamte zivile Gebiet abdeckt und dass somit dann die Luftwaffe einen Zweifrontenkrieg führen müsste.

Lisa Raphael: Ich möchte da noch was hinzufügen Ich glaube, es ist ein komplexes Thema und du kennst dich ja auch in der Region aus, hast selber in Syrien studiert. Das ist ja auch das Nachbarland von beiden Ländern.

Florian Harms: Ja, Syrien war jetzt noch mal ein weiteres Thema. Vielleicht lassen wir das ein bisschen am Rande, aber ich kann allem ja nur zustimmen, was Richard Schneider gesagt hat. Vielleicht noch ein Eindruck. Der Nahostkonflikt beschäftigt uns ja seit Jahrzehnten. Wir sehen immer wieder Eskalationen, auch immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen. Gleichwohl Die Intensität, die wir jetzt seit einem wir bald einem Jahr sehen, ist, glaube ich, in der Form zumindest mal auf die letzten Jahre gesehen beispiellos von einer beispiellosen Brutalität. Von einer umfassenden Eskalation, die auch wirklich immer mehr Staaten im Umfeld und dann eben auch uns in Europa betrifft. Ich sage nur mal das Stichwort der palästinensischen Demonstrationen hier zum Beispiel auf deutschen. Die Art und Weise, wie dieser Konflikt mittlerweile auch die internationale Diplomatie bindet. Das ist wirklich gravierend. Das hat ein Niveau erreicht wie ähnliche Beschäftigung, vielleicht nur mit dem Ukrainekrieg. Und all das trägt natürlich dazu bei, dass in der internationalen Politik weniger Stabilität herrscht. Und das in einer Zeit, in der eigentlich ganz viele Krisen uns herausfordern. Wir haben vor anderthalb Jahren noch ganz viel gesprochen, auch in diesem Podcast über China, über die Klimakrise, über das, was an Populismus in Amerika los ist. Und all das wird jetzt eben zunehmend überlagert von dieser Eskalation im Nahen Osten.

Lisa Raphael: Herr Schneider, Sie haben gerade den Bezug der Hisbollah zum Iran hergestellt, auch in Bezug auf die Atombombe. Wie können wir denn uns diese Terrororganisation Hisbollah vorstellen? Wer steckt dahinter? Wie gut sind die ausgestattet, So wie Sie es gerade gesagt haben? Klingt es nicht so, als wäre es möglich, dass Israel die Organisation komplett ausschalten könnte, so wie ich es eingangs gefragt habe.

Richard Schneider: Die Frage, ob man eine Terrororganisation, die prinzipiell aus zivilem Gebiet agiert bzw. nicht immer als Kämpfer zu erkennen ist, weil sie eben keine Armee sind. Ob man eine solche Organisation gänzlich vernichten kann, ist die große Frage. Aber man kann sie. Das ist durchaus möglich so weit schwächen, dass sie zumindest auf viele, viele Jahre keine Rolle mehr spielt. Genau das ist zu mindestens jetzt das erklärte Ziel. Begriffe wie völlig vernichten ist zwar etwas, was Premierminister Benjamin Netanjahu auch gegenüber der Hamas geäußert hat und jetzt redet er wieder von Total Victory, also den totalen Sieg. Aber das sind natürlich Propagandafloskeln, die uns als Journalisten erst mal nicht weiter interessieren muss, sondern einfach nur wenn, dann ideologisch einordnen, was damit gemeint ist. Aber was Israel möglicherweise ich sage das hier vorsichtig möglicherweise kann, ist tatsächlich in einem richtig großen Krieg die Hisbollah dezimieren, das heißt vor allem ihre gesamten Waffensysteme. Man darf auch nicht vergessen, dass die Hisbollah viele, viele Jahre im syrischen Bürgerkrieg mit aktiv war und gekämpft hat. Das heißt, dass ihre Bodentruppen sehr viel Kampferfahrung haben, ganz anders ausgerüstet sind als beispielsweise die Hamas. Auch sie verfügen über Tunnel. Das ist etwas, wovor Israel natürlich große Angst hat, dass da plötzlich noch Überraschungen kommen. Und nicht zuletzt hat die Hisbollah Langstreckenraketen, mit denen sie tatsächlich Tel Aviv und andere Städte bedrohen und vielleicht sogar treffen kann. Ich kann mich erinnern, ich habe vor vielen Jahren ein Hintergrund Treffen mit israelischen Generälen gehabt. Da war die Hisbollah noch nicht so gut ausgerüstet wie heute, und da ging man davon aus, trotz des hervorragenden Raketenabwehrsystems, das Israel hat, das damals. Also das ist jetzt fast zehn Jahre her, etwa 400 bis 8 100 Raketen täglich in Israel einschlagen könnten. Mittlerweile geht man von noch höheren Zahlen aus bis zu 1200. Und ich muss Sie nicht sagen, was das bedeutet, wenn Raketen in der Lage wären, Infrastruktur in Israel zu zerstören, Flughäfen anzugreifen, in Tel Aviv selber massive Zerstörungen herbeizuführen, das wäre erst mal für das Land selber eine Katastrophe. Aber das würde natürlich auch bedeuten, dass die israelische Luftwaffe dann mit einer solchen unglaublichen Gewalt im Libanon vorgehen würde, um das so schnell wie möglich zu stoppen. Das wahrscheinlich, wie es ja auch einmal ein General gesagt hat, der Libanon in die Steinzeit zurückgebombt wird.

Florian Harms: Vielleicht ergänzend noch, weil das ja auch häufig jetzt in der Presse wiedergegeben wird. Die Hisbollah, Hisbollah, also die Partei Gottes, wie sie sich nennt, sei ein Staat im Staate. Das ist im Libanon so, sie ist mit Abstand die stärkste Organisation, die längst staatsähnliche Strukturen angenommen hat. Ich habe das selber erlebt. Ich war vor einigen Jahren im Süden Libanons unterwegs, und dort ist es so, dass sämtliche Strukturen, also beispielsweise das, was die Polizei macht oder was Behörden machen, alles von der Hisbollah organisiert wird. Das heißt, die Straßen Polizisten sind Hisbollah Mitglieder. Wenn man an den Flughafen kommt und man hat ein paar Verbindungen, dann reicht es durch die Hisbollah Sperre durchzugehen und durch den Security Check der Hisbollah. Also man braucht keine staatlichen Strukturen, sie haben mehr Macht. Und der sogenannte Regierungschef, der Ministerpräsident im Libanon, ist jemand ohne Macht. Der hat überhaupt gar keine Möglichkeiten, dieses Land zu organisieren, sondern es ist ganz klar die Hisbollah, die eben, Herr Schneider hat es gesagt, aus Teheran ferngesteuert wird. Und das geht so weit, dass wirklich die Kommandos in Teheran erteilt werden. Ob man jetzt beispielsweise auch die Eskalation mit Israel verschärfen soll oder.

Lisa Raphael: Also könnte man auch sagen, dass die Hisbollah militärisch besser ausgestattet sind?

Florian Harms: Ja, natürlich. Die libanesische Armee ist machtlos gegen diese Hisbollah-Kämpfer, wenn es jetzt immer heißt, sie sollten sie entwaffnen. Das ist nicht möglich in der Form, weil die Hisbollah da viel zu stark ist, mittlerweile. Wenn das der Fall sein sollte, dann müsste die internationale Gemeinschaft sich viel stärker engagieren. Da gab es auch schon mal Impulse in der Vergangenheit. Frankreich hat mal versucht, sich stärker zu engagieren im Libanon. Aber das ist alles nicht wirklich konsequent gewesen.

Richard Schneider: Da würde ich gerne noch etwas ergänzen, weil Florian Harms da was ganz, ganz Wichtiges gesagt hat. Die Situation, in der wir heute im Norden Israels und im Süden Libanons sind, ist mitverschuldet. Das muss man wirklich ganz deutlich sagen von der internationalen Staatengemeinschaft nach dem Libanonkrieg 2006, bei dem ich ja als Korrespondent der ARD direkt an der Front war, das habe ich ja alles hautnah mitverfolgt, gab es die UNO-Resolution 1701. In der stand, dass sich die Hisbollah aus Südlibanon zurückzuziehen hat, keine Waffen dort mehr hat und sich hinter den Litani-Fluss zurückzieht. Das war dann unterstützt von den sogenannten UNIFIL Truppen, die aber überhaupt nichts ausrichten konnten. Und dann kam noch etwas und da konnte man die ganze Verlogenheit der internationalen Staatengemeinschaft und der UNO sehen, dass man nämlich dann eine internationale Flotte zusammengestellt hat, die dafür sorgen sollte, dass über das Meer keine Waffen an die Hisbollah geliefert werden. Aber jeder, absolut jeder wusste, dass die Waffen über Syrien kommen und nicht übers Meer. Und ich bin damals nach Zypern geflogen, als diese Flottille da kam. Und ganz am Anfang wurde diese internationale Flotte von der deutschen Marine befehligt und ich habe dann den Kommandanten getroffen in Limassol, die waren da dort stationiert und er sagte mir Ja, was wir hier machen, ist reine Augenwischerei. Alle wissen das, das ist völlig klar. So, das ist so viel zum Thema internationale Politik und wie seriös man sie nehmen kann. Und wäre diese Situation nicht sofort, quasi am Tag eins nach Ende des Libanonkriegs 2006 von der Hisbollah umgedreht worden? Ich kann mich erinnern, ich habe mit meinem Kollegen Jörg Armbruster, der damals Studioleiter in Ägypten in Kairo war. Wir haben eine Reportage dann entlang der Grenze gemacht, und überall war nicht nur war nicht nur die Fahnen der Hisbollah zu sehen, sondern man sah Hisbollah-Kämpfer herumlaufen, direkt neben UNO und UNIFIL Stationen. Also das ist schon sehr lange so gewesen, sehr lange vorbereitet worden. Man weiß auch, man sieht es jetzt auch, wie viele Waffen in Privatwohnungen da untergebracht wurden, und zwar mit Waffen, Heißt es nicht nur irgendwie Maschinengewehre, sondern tatsächlich auch wirklich Raketen und jetzt angeblich auch Cruise Missiles russischer Bauart. Also diese Katastrophe, die wir jetzt möglicherweise noch viel exzessiver bekommen, als es jetzt schon ist, das hat auch sehr viel mit dem völligen Versagen der internationalen Politik zu tun, wie wir das ja auch im syrischen Bürgerkrieg gesehen haben. Als 2013 der US-Präsident Barack Obama sich lange geziert hat einzugreifen er sagte ja mal, wenn es Massenvernichtungswaffen gäbe, die angewendet werden im syrischen Bürgerkrieg, das wäre für uns eine rote Linie. Dann hat man sehr bald gewusst, dass Assad sie einsetzt. Man hat so getan, als ob es nicht wäre. Irgendwann waren alle Geheimdienste an dem Punkt, wo man gesagt hat, so kann es nicht weitergehen. Dann hat Barack Obama gesagt okay, ich schicke jetzt Kriegsschiffe runter und werde angreifen in ein paar Tagen. Das wären natürlich nur symbolische Angriffe gewesen. Und unmittelbar davor sagte er Na ja, ich mache das jetzt auch nicht. Ich will erst noch die Genehmigung des Kongresses einholen. Das hätte er ja als Oberbefehlshaber in diesem Moment nicht gebraucht. Und b war der Kongress im Urlaub und jeder wusste, dieser Angriff wird nicht kommen. Und in dem Sinne war das der Moment, wo man in Jerusalem, in Riad, in Ägypten die Hände über den Kopf zusammengeschlagen hat, über die Amerikaner, aber quasi jetzt eher symbolisch. Natürlich knallten in Teheran die Champagnerkorken.

Florian Harms: Darf ich ganz kurz Barack Obama in Schutz nehmen an dem Punkt? Ich teile Ihre Kritik, Herr Schneider, an der Art und Weise, wie Barack Obama Außenpolitik betrieben hat. Viele schöne Worte, aber oft nicht konsequent genug. In dem Punkt war, das wissen wir auch aus seiner Autobiografie seine Motivation, dass er eben auf gar keinen Fall ähnlich unbedacht und auch aggressiv kriegerische Außenpolitik betreiben wollte wie sein Vorgänger George W. Bush, der ja mit dem Einmarsch im Irak wirklich Schiffbruch erlitten hat. Und deshalb hatte sich Obama und hatten sich seine Leute in der Administration geschworen, wann immer sie kriegerisch tätig werden. Im Ausland, versuchen sie möglichst einen Konsens herzustellen im politischen Apparat in Washington. Das kann natürlich gehörig schief gehen, wie wir es hier in diesem Fall gesehen haben. Ich stimme der Kritik grundsätzlich zu. Aber wir müssen stärker wird über den Libanon reden oder nicht über Amerika.

Lisa Raphael: Die ja gerne generell dieses hochschaukeln. Immer mehr Eskalation, das sehen wir ja gerade im Libanon, was dort passiert, das ist auch nicht immer die richtige Lösung. Und Außenministerin Annalena Baerbock hat jetzt bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York zu Deeskalation aufgerufen. Wir hören mal kurz in Ihr Statement rein.

Ton Annalena Baerbock (Quelle WELT): „Die eskalierende Gewalt zwischen Israel und Libanon. Sie erschüttert gerade die Berichte über getötete Zivilisten, darunter Kinder. Sie machen deutlich Es braucht gerade jetzt Deeskalation von allen Seiten. Dazu rufe ich eindringlich auf. Wir dürfen nicht in einen weiteren Krieg hineinrutschen, sondern wir müssen alles tun, dass es zu einer Deeskalation jetzt.“

Lisa Raphael: Ja, Herr Schneider, ist denn Deeskalation zum aktuellen Zeitpunkt überhaupt realistisch oder wo würden Sie einschätzen, wo geht dieser Konflikt noch hin?

Richard Schneider: Man muss sich im Klaren sein, dass solche Worte einer deutschen Außenministerin, die obendrein auch in dem Sinne auch noch ein Auslaufmodell ist, als dass man ja jetzt schon innerhalb der Grünen weiß, dass sie nicht mehr sozusagen als Kanzlerkandidatin antreten wird, wenn es überhaupt noch einen grünen Kanzlerkandidat gibt. Dass diese Worte erstens mal null und nichtig sind und zweitens innenpolitisch zu werten sind und nicht außenpolitisch. Was eine deutsche Außenministerin zur aktuellen Situation im Augenblick sagt, interessiert weder die Hisbollah noch Israel. Es ist völlig irrelevant und das ist auch so ein Problem, das wir natürlich jetzt schon seit vielen, vielen, vielen Jahren und Jahrzehnten sehen. Dass Europa letztendlich, weil es sich auch so uneinig ist in der Frage einer gemeinsamen, wirklich auch auch potenten Außenpolitik, weil Europa sich auch untereinander nie einig ist, dass es letztendlich gerade im Nahen Osten immer und allein auf die USA ankommt. Und auch da sehen wir gerade auch durch den Wahlkampf noch verstärkt in den USA, dass selbst die Amerikaner nicht viel Einfluss haben und relativ schwach oder und und unfähig sind, wirklich da etwas zu bewegen. Und vor allem haben auch beide Seiten, Hisbollah und Israel gerade wirklich bestimmte Interessen, die sie verfolgen bzw sind auch selber gefangen in einer Mausefalle, die sie sich selber jeweils gestellt haben. Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, hat diese Kämpfe, die er ja seit dem 8. August führt, gekoppelt an den Krieg in Gaza. Das heißt, er hat gesagt, in dem Augenblick, wo in Gaza aufgehört mir zu kämpfen, höre ich auch auf. Es wird aber in Gaza nicht aufgehört zu kämpfen, und ich glaube, er hat auch völlig falsch eingeschätzt, wie die Israelis da vorgehen und wie lange sie so einen Krieg durchführen können. Das heißt, wenn er jetzt unmittelbar die Kämpfe einstellen würde, könnte das von vielen gesehen werden. Er lässt die Hamas im Stich. Das heißt, in dem Fall kommt es jetzt darauf an, was will der Iran? Und wir haben aus dem Iran über den Außenminister ganz interessante Worte gehört, von dem man noch nicht genau weiß, in welche Richtung es geht. Aber wo man schon merkt, dass auch da so Sätze fallen wie man darf das jetzt nicht übertreiben und man soll es nicht völlig aus dem Ruder laufen lassen. Das heißt, der Iran denkt jetzt im Moment zweierlei Er hat wirklich Angst, dass die Hisbollah diesen Krieg gegen Israel verlieren könnte. Dass damit die Hisbollah als Rückversicherung nicht nur für einen möglichen Angriff der Israelis auf Nuklearanlagen verloren geht, sondern dann würde noch was ganz anderes passieren, nämlich diese ganzen Proxys, die der Iran aufgebaut hat von Jemen, Gaza, Westjordanland, Irak, Syrien und Libanon. Diese ganze Achse würde dann, wenn der Stärkste fällt, auch fallen. Und das würde den Anspruch des Iran, die Hegemonialmacht in dieser Region zu werden, komplett aushebeln. Der Iran würde ganz schnell bedeutungslos werden, da er ja sowieso massive finanzielle und wirtschaftliche Probleme hat. Die Israelis auf der anderen Seite. Tschuldigung nur an den einen Satz Die Israelis auf der einen Seite haben und tatsächlich rein sicherheits- und militärpolitisch gedacht ein echtes Interesse, dort eine völlig andere Situation herzustellen. Und dann haben wir auch noch die Situation innerhalb der israelischen Koalition. Es gibt ja, das wird seit Anfang des Krieges, seit dem siebten 8. Oktober gesagt, dass Netanjahu diesen Krieg verlängert, weil solange er diesen Krieg führt, bleibt er an der Macht. Ansonsten wird er die Macht verlieren. Und wir haben jetzt auch erlebt, zum Beispiel am Donnerstag, als die ersten Gerüchte aufkamen, dass es möglicherweise jetzt doch einen Waffenstillstand gibt, zu mindestens von 21 Tagen. So haben es die Amerikaner und die Franzosen vorgeschlagen. Da hat der rechtsextreme nationale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir gesagt, wenn das käme, so ein Waffenstillstand, bin ich raus aus der Regierung. Und das heißt im Klartext Netanjahu verliert seine Macht.

Lisa Raphael: Also es geht sehr viel um Macht.

Florian Harms: Es gibt viel um Macht. Und wir haben ja vorhin über diese Eskalation gesprochen. Ich glaube, dass Israel ein gutes Recht hat, sich zu verteidigen dort oben im Norden. Und Herr Schneider hat ja vorhin geschildert, was das bedeutet, wenn über 60.000 Menschen seit bald einem Jahr nicht zurückkönnen in ihre Wohnungen, in ihre Städte. Die Israelis haben die Hisbollah in den vergangenen Wochen so hart getroffen wie sicherlich seit vielen, vielen Jahren nicht. Vielleicht überhaupt noch nie. Diese Angriffe. Auf kleine technische Geräte, die Peter und die Wolke Talk hieß, haben ja nicht nur den Effekt gehabt, dass da viele Kämpfer der Hisbollah getroffen worden sind, sondern sie hatten auch eine psychologische Komponente, denn das war ein Angriff nicht herkömmlicher Art, der kam überraschend wie aus dem blauen Himmel und hat sicherlich diese Terrororganisation auch ein Stück überrumpelt. Gleich gefolgt jetzt von weiteren gezielten Angriffen auf einzelne Hisbollah-Kommandanten, beispielsweise den Kommandanten im Süden. Und wenn man dann bedenkt, was wir gerade gehört haben, dass das auch den Iran erschüttert, dann kann man sich eigentlich noch die Frage stellen Was ist denn mit dem anderen großen Mächtigen im Hintergrund? Weil du gerade nach der Macht gefragt hast? Lisa Eine weitere Macht, die vielleicht sogar helfen könnte, zu einer Entschärfung beizutragen. Das sind nämlich die arabischen Staaten am Golf und die Golfstaaten, also beispielsweise auch das mächtige Saudi-Arabien. Das aufstrebende Saudi-Arabien hat vor dem 7. Oktober sehr stark sich auf Israel zubewegt. Da war eigentlich eine Art Ausgleich zum Greifen nahe. Und es ist immer wieder gesagt worden, dass die Hamas auch deshalb dann ihren Angriff so hart geführt hat, um diese Koalition, die sich dort abzeichnete, oder zumindest diesen sich anbahnenden Ausgleich zu sprengen. Das könnte eine Motivation gewesen sein. In den vergangenen Monaten hört man von den arabischen Golfstaaten recht wenig. Ich stimme Richard Schneider zu. Die entscheidende internationale Kraft im Nahen Osten sind die Vereinigten Staaten. Aber die Golfstaaten sind immer wichtiger geworden als Mittler, als Verhandler und auch als Gegengewicht zum Iran. Denn das wissen wir ja, diese große Konfrontation im Nahen Osten hat ganz viel mit Teheran auf der einen Seite und den Saudis auf der anderen Seite zu tun. Also würden die Iraner in die Lage versetzt, eine Atombombe zu bauen. Dann wären die Saudis die ersten, die sagen Wir wollen auch eine Atombombe.

Lisa Raphael: Wenn wir jetzt noch mal auf den Jahrestag am 7. Oktober schauen es geht ja vor allen Dingen auch bei der Hamas und dem Angriff auf Israel auch um territoriale Interessen. Man will ja auch so ein bisschen palästinensischen Staat aufbauen. Gerät das jetzt so ein bisschen in den Hintergrund durch die Angriffe auf den Libanon oder was wäre so ein bisschen der Auslöser auch um diesen Konflikt zu lösen?

Richard Schneider: Also zunächst mal würde ich auch Ihnen da gerne ein bisschen widersprechen dürfen. Der Hamas geht es ja natürlich darum, einen palästinensischen Staat aufzubauen. Aber es geht ja nicht um eine Zweistaatenlösung. Das muss man auch sehr, sehr klar unterscheiden von der Palästinensischen Autonomiebehörde, die ja quasi auch noch unter Yassir Arafat mit den Israelis mal dieses Osloer Abkommen geschlossen hat, wo im Prinzip die Idee angedacht war, eine Zweistaatenlösung. Wie ernst es von beiden Seiten wirklich war, werden wir nie mehr wissen, weil der israelische Premier, der das gemacht hat und der das durchgesetzt hat, ermordet wurde. Im Klartext heißt das, dass die Hamas als islamistische Organisation, als palästinensischer Ableger der Muslimbruderschaft im Prinzip einen Staat zwischen Mittelmeer und Jordan vorsieht, der nach der Scharia geführt wird. Das heißt, dann würden auch sehr viele sehr säkulare Palästinenser beispielsweise in Ramallah oder in Tel Karim oder in Jemen nicht sehr erfreut sein, wenn die an die Macht kämen. Ähm, wie man das lösen kann? Ich glaube, man kann es im Moment nur so lösen, dass man tatsächlich versuchen muss, die Hamas als Player auszuschalten. Damit wird die Ideologie des Islamismus nicht verschwinden. Das wäre naiv zu glauben, Dann würde ich meinen, Al-Qaida gibt es eigentlich fast nicht mehr. Dann kam der Islamische Staat. Es ist völlig egal, wie diese organisierten Organisationen sich nennen. Aber wenn die Hamas wirklich ausgeschaltet wäre, dann könnte könnten sich andere Kräfte in der palästinensischen Gesellschaft und der palästinensischen Politik wieder breiter machen unter der Voraussetzung. Und da haben wir natürlich eine Catch Transition Situation, dass Premier Benjamin Netanjahu dem zustimmen würde. Aber das ist genau das, was er eben nicht tut. Und er hat auch sehr klar jetzt in diesen letzten Tagen, bevor das losging, im Norden immer wieder geäußert, dass Israel auf alle Fälle erstens diese sogenannte Philadelphia Road, also diese Strecke entlang der Grenze zwischen Gaza und Ägypten, kontrollieren will, damit keine Waffen reinkommen und eine Straße, die man gebaut hat oder bzw reingehen, reingehen, sich sagen rein gehämmert hat in Gaza jetzt während des Krieges, dass Nord Gaza von Süd Gaza abtrennt. Und mittlerweile gibt es sogar schon innerhalb der Armee und unter den Generälen die Überlegung, dass man Nord Gaza weiter kontrolliert und sozusagen da auch die ganze zivile Organisation erst mal übernimmt, um die Hamas im Süden noch kleiner zu machen. Das ist alles extrem gefährlich, weil es läuft darauf hinaus, dass es zu einer Wiederbesetzung von Gaza käme. Das ist aber genau das, was die Rechtsextremen in dieser Regierungskoalition in Israel unbedingt wollen. Und sie wollen natürlich noch mehr. Sie wollen, nachdem Israel 2005 unter Premier Ariel Scharon alle Siedlungen aufgegeben hat, in Gaza und abgezogen ist, komplett abgezogen ist. Sie wollen Gaza wieder besiedeln. Und wenn das geschehen würde? Netanjahu sagt zwar Das wird nicht geschehen, aber das heißt gar nichts. Wenn das geschehen würde, dann haben wir natürlich eine Situation, wo Israel auch international in allergrößte politische Bedrängnis käme.

Florian Harms: Ich sehe offen gestanden jetzt schon, dass Israel in starke Bedrängnis gerät. Die internationale Reputation dieses Staates hat deutlich gelitten und ist regelrecht verfallen. Wir haben gesehen, dass nach dem 7. Oktober erst mal das eine sehr große Anteilnahme und Solidarität gab nach dem Massaker der Hamas und dann mit der israelischen Reaktion, mit dem Kriegszug im Gazastreifen und jetzt auch der Eskalation im Libanon hat das massiv abgenommen. Und es wird eben auch täglich in den Medien berichtet über die Situation, wie gerade von Ihnen geschildert. Also dass Premier Netanjahu auch aus innenpolitischen Gründen, aus persönlichen Gründen kein Interesse daran hat, einen Waffenstillstand herbeizuführen. Also das muss man noch mal so deutlich sagen in dem Moment, wo er nicht mehr an der Regierung wäre, beispielsweise, verlöre er seine Immunität und müsste dann eben Korruptionsermittlungen gewahr werden. Und das könnte er ausgesetzt sein. Also er hat ein Interesse daran, weiter diesen Krieg auszufechten und das macht es alles noch so schwieriger und auch so unwahrscheinlicher, dass wir jetzt eine baldige Lösung sehen. Dieser Weil du danach gefragt hast. Ich denke mal, vor der Entscheidung in Amerika, also vor dem 5. November, wer neuer US-Präsident oder Präsidentin wird, wird es sowieso keine grundlegende Richtungsweisung im Nahen Osten geben.

Richard Schneider: Ja, nicht nur das, sondern im Gegenteil. Sie haben völlig recht damit, dass natürlich will Netanjahu Donald Trump als Präsidenten haben. Und wenn er jetzt irgendeinen Waffenstillstand will, einem seriösen Waffenstillstand zustimmen würde, dann wäre das ja ein Sieg für die Biden-Harris-Seite, also für die Demokraten. Und das wird er sicher nicht wollen. Insofern glaube ich auch, dass bis zum 5. November sich gar nichts ändern wird, vielleicht nur minimal. Und dann muss man sehen, wie die Karten möglicherweise neu gemischt werden, je nachdem, wer dann Präsident wird. Aber auch das darf man nicht vergessen. Der neue Präsident oder die neue Präsidentin beginnt erst im Januar 25. Das ist noch immer für einen Krieg eine verdammt lange Zeit.

Lisa Raphael: Und steht vor großen Herausforderungen, wie wir jetzt hier analysiert haben. Die Fronten sind verhärtet. Es geht sehr viel um Macht. Ich hoffe, Ihnen, liebe hörenden Hörer, konnten wir mit unserer Analyse ein paar Informationen, ein bisschen Einblicke geben in diese komplexe Lage. Und damit bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Schneider, für Ihre Zeit.

Richard Schneider: Sehr gerne.

Lisa Raphael: Und auch bei Dir, Florian, für deine Beiträge. Und wenn Ihnen da draußen die Folge gefallen hat, dann lassen Sie uns doch gern ein Abo da über Spotify oder Apple Podcast oder empfehlen Sie den Podcast auch gerne Bekannten und Freunden weiter. Wenn Sie noch eine Anmerkung, Frage oder Kritik haben, schreiben Sie uns gerne oder senden Sie uns eine Sprachnachricht an podcasts@t-online.de. Und damit bedanke ich mich fürs Zuhören und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Ciao!

Richard Schneider: Vielen Dank und Tschüss.

Florian Harms: Auch von mir. Vielen Dank! Tschüss Und bleiben Sie trotz allem zuversichtlich und uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert – am Wochenende in einer tiefgründigeren Diskussion zu einem aktuellen Thema der Woche. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

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von und mit Florian Harms

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