Tagesanbruch von t-online

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Der Putin im Kreml, der riecht ja unseren Schweiß.

Ich glaube, dass die Welt von uns schon erwarten darf, dass wir uns verdammt noch mal anstrengen.

Das Wichtigste scheint mir zu sein zu klären: Wollen wir noch regieren in dieser Koalition?

[MUSIK]

00:00:01: Lisa Fritsch: Hallo und herzlich willkommen zu Tagesanbruch die Diskussion für das Wochenende vom 15. Juni 2024. Ich bin Lisa Fritsche und moderiere diesen Podcast, bei dem wir am Wochenende immer tiefgründiger auf ein Thema schauen. Diese Woche stand nach den Ergebnissen der Europawahl im Zeichen der Ukraine. Präsident Selenskyj hielt zum Ersten Mal eine Rede im Deutschen Bundestag, war in Berlin zur Wiederaufbaukonferenz für sein Land und jetzt am Wochenende in der Schweiz zur Friedenskonferenz. Doch kann man in Zeiten der fortlaufenden Zerstörung der Ukraine denn schon über Wiederaufbau und Frieden reden? Und vor allem, wenn Russland und China gar nicht erst eingeladen sind.

00:00:01: Und weil ich die Europawahl gerade angesprochen habe. Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, unsere Analyse zu den Ergebnissen noch nicht gehört haben, empfehle ich Ihnen die Diskussion zwischen t-online-Chefredakteur Florian Harms und unserem Politikchef Christoph Schwennicke an dieser Stelle. Sie erfahren da, warum die Ampel sprichwörtlich jetzt auf der Intensivstation liegt. Ich verlinke die Folge auch noch mal in den Shownotes, damit Sie keine unserer Sonderfolgen zu den anstehenden Wahlen wie auch diese in den USA verpassen. Abonnieren Sie den Podcast am besten auf Spotify, Apple Podcast oder der App, mit der Sie am liebsten Podcasts hören. Dann werden Sie nämlich auch immer benachrichtigt, wenn es eine neue Folge gibt. Und jetzt kommen wir aber endlich zu unseren hochkarätigen Gästen für die heutige Diskussion und dafür erst mal herzlich willkommen bei uns im Podcast Studio Michael Roth. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Hallo Michael, und danke, dass du dir die Zeit heute nimmst.

00:01:32: Michael Roth: Hallo Lisa, vielen Dank für die Einladung.

00:01:35: Lisa Fritsch: Und außerdem begrüße ich den Ukraine-Experten und politischen Reporter bei uns im Hauptstadtbüro von t-online Daniel Mützel.

00:01:41: Daniel Mützel: Hi Lisa, hi Michael, schön, dass du da bist.

00:01:44: Lisa Fritsch: Und wir haben uns vorher auf das Du geeinigt. Nicht, dass Sie sich wundern und vielen Dank auch noch mal Michael fürs Anbieten. Ich würde sagen, wir fangen erst mal mit der Rede von Wolodymyr Selenskyj im Bundestag an und sprechen später über die Konferenzen, was diese denn wirklich bringen. Und ganz zum Schluss hätte ich noch eine persönliche Frage an dich, Michael. Ja, neben viel Dank und Beifall gab es auch ernste Worte vom ukrainischen Präsidenten am Dienstag im Bundestag. Er hat sich in seiner Rede auch auf das Ende des Krieges bezogen und machte dort klare Aussagen.

00:02:11: Ton Wolodymyr Selenskyj (Bundestag Rede): Wir werden diesen Krieg beenden im Interesse der Ukraine und im Interesse von ganz Europa. Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden, dass die Bedingungen, die jedem Menschen verständlich sind. Sie können verstehen, warum wir so kämpfen gegen Versuche Russlands, uns zu teilen, warum wir alles tun, alles, absolut alles, damit wir nicht zulassen einer Entstehung, einer Mauer.

00:02:38: Lisa Fritsch: Ja, das mit der Mauer dabei erinnerte auch noch mal an die Mauer in Deutschland und dass wir da ja hier auch durch unsere Erfahrung noch mal das ganz anders verstehen. Aber er sagt eben auch wir werden den Krieg zu unseren Bedingungen beenden. Jetzt sieht es aktuell aber ja so aus, dass Russland immer stärker wird. Die Offensive bei Charkiw schreitet voran, 80 % der Energieinfrastruktur sind schon zerstört. Es ist denn weiter richtig für die Ukraine, auf diesem Kurs zu beharren. Sollten Sie nicht langsam etwas auf Russland zugehen, damit endlich Friedensverhandlungen beginnen können?

00:03:07: Michael Roth: Das wäre ja absurd. Tagtäglich macht Putin deutlich, worum es ihm geht Er will die Ukraine vernichten. Er will den Ukrainern und Ukrainern ihre Identität rauben. Er will, dass dieses Land von der Bildfläche verschwindet. Dieser Präsident ist ein großartiger Kommunikator im Guten. Er muss seine eigene Bevölkerung ermutigen und er muss Hoffnung aufzeigen. Und da kann er sich nicht in Deutschland vor den Bundestag stellen und sagen Ja, also wir sind jetzt so müde, so erschöpft, ihr habt keinen Bock mehr, uns militärisch zu unterstützen, Ihr jammert auch nur noch darum, Ihr seid zu langsam, zu zögerlich. Ja, dann mache ich halt mal irgendwas, was sich die Wagenknechts dieser Welt und leider auch andere wünschen, nämlich einen Diktatfrieden. Den will er nicht, den kann er auch nicht wollen. Was uns in Deutschland ja immer schwergefallen ist auch ein Ziel zu benennen. Und manche tun sich schwer zu sagen, die Ukraine muss gewinnen. Aber was heißt denn das? Für mich heißt das ja nicht, dass die Ukraine in Russland einfällt, sondern für mich heißt es Die Ukraine bleibt ein demokratisches, freies, souveränes Land. Und darauf zielt natürlich auch dieser Präsident. Und er kann sich nicht irgendwo in ein Parlament stellen und sagen Na ja, im Zweifelsfalle verzichte ich halt auf einen Großteil meines Territoriums, Wir schaffen das nicht mehr. Nein, dieser Anspruch, den darf er nicht aufgeben, nämlich für die gesamte Ukraine, auch für den besetzten Teil der Ukraine sprechen und kämpfen zu wollen.

00:04:42: Daniel Mützel: Er hat noch was anderes gesagt in der Rede, Michael. Die Zeit für Kompromisse ist vorbei. Würdest du sagen, das war klug, dass er das so gesagt hat? Vor allem vor dem Hintergrund, dass er sich ja an ein deutsches, an ein westliches Publikum gerichtet hat. Und wir verspüren ja in den europäischen Gesellschaften, auch in Amerika, ein wachsendes Bedürfnis nach Frieden. Auch immer stärker werdende Rufe nach Verhandlungen, die mögen unrealistisch sein, das mag man bewerten, wie man möchte. Aber war das eine kluge Formulierung, sich im Grunde wenig kompromissbereit zu zeigen? Hätte er nicht besser sagen sollen Wir sind natürlich auch bereit zu verhandeln. Wie das dann aussieht in der Verhandlung, ist eine ganz andere Frage. Einfach von der symbolischen Message an dieser Stelle. War das richtig?

00:05:27: Michael Roth: Ich vermute, dass es ihm darum ging, auch noch mal ein klares Signal zu setzen Es liegt nicht an uns, sondern Putin sagt euch doch jeden Tag Ich will nicht verhandeln, ich will dieses Land erobern, ich will diese Bevölkerung. Vernichten. Und man muss den Tag im Bundestag, seine Rede im Bundestag ja auch einbetten in diese Woche. Wir haben jetzt diese sogenannte Friedenskonferenz. Die findet ja auf Initiative von Selenskyj der Ukraine selber statt. Dazu soll ja nun wirklich die ganze Welt eingeladen werden. Und sie ist eingeladen worden. Aber nicht alle kommen wohl Vertreterinnen und Vertreter von 80 Staaten. Und da geht es ja gerade darum, dass man darüber spricht, Wie kann denn ein Frieden aussehen? Und das setzt natürlich Verhandlungen voraus. Aber eines ist für Selenskyj ziemlich deutlich geworden Dieser Krieg wird, so hart das auch für manche in Deutschland klingen mag, auf dem Schlachtfeld entschieden, aber am Verhandlungstisch beendet. Und man muss viele Landsleute immer wieder auch daran erinnern. Und wenn man jetzt diese Rede. Da bin ich dann bei dir, Daniel. Losgelöst seht von dieser Woche, losgelöst sieht von dem anderen Engagement, dann kann man sich natürlich daran aufhängen.

00:05:27: Aber noch einmal ich finde, wir sollten Opfer und Täter nicht verwechseln. Und wir sollten immer wieder auch deutlich machen, warum ein Präsident so agieren muss und so auftreten muss. Er macht das ja nicht, um uns zu gefallen. Ich glaube, er ist uns in dieser Rede Daniel sehr weit entgegengekommen. Ich erinnere mal an seine erste Rede, die er vor dem Bundestag gehalten hat. Das war ja eine Aufzeichnung. Es war ja eine Videoübertragung, wo er auch sehr scharf war, sehr viele Vorwürfe gemacht hat. Jetzt war das eine sehr wertschätzende Rede. Er hat sehr oft Dankbarkeit zum Ausdruck gebracht. Das war, glaube ich, auch gut für diejenigen, die das ukrainische Auftreten nicht immer nur gut finden. Also er hat da wirklich eine Brücke zu bauen versucht und deswegen würde ich mich jetzt schwertun, ihn als jemanden darzustellen, der sehr scharf, sehr kompromisslos agiert hat. Na ja, ich glaube, er ist uns sehr weit entgegengekommen, vor allem auch denjenigen entgegengekommen, die über Frieden gerne über Frieden reden. Aber er hat ihnen auch gesagt Dann muss es um einen gerechten Frieden geht, einen Frieden, der uns die Würde nicht nimmt. Ein Frieden, der uns nicht die Selbstbestimmung raubt. Ein Frieden, der uns nicht ein Großteil unseres Landes zerstört.

00:08:09: Lisa Fritsch: Aber Daniel, du hattest zum Beispiel auch deine Analyse auf t-online über die Rede geschrieben, dass er auch ein Wort nicht gesagt hat. Die Taurus Diskussion hattest du gesagt. Was sagt denn das über die Beziehung auch aus zwischen Kiew und Berlin? Auch das, was Michael gerade angesprochen hat.

00:08:25: Daniel Mützel: Ja, das ist genau die Frage. Also das, was du jetzt auch gesagt, das der Vergleich zu der Rede als er zugeschaltet war damals er zeigt sich dankbarer, aber es ist nicht vielleicht auch ein Symptom für ich bin jetzt mal hart eine wachsende Verzweiflung, weil er eben sieht, dass die westliche Hilfe vielleicht nicht wegbricht, aber zumindest wegzubrechen drohte in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir erinnern uns an die hitzige Diskussion um das Waffenpaket, die mögliche neue Amtszeit von Donald Trump, also dass er eben auch in einer Lage ist, wo er sich gezwungen fühlt, mehr Dankbarkeit auszustrahlen, weniger zu fordern, weniger auch Vorwürfe zu machen und auch bestimmte Waffensysteme, die er weiterhin haben möchte. Und wo auch eigentlich alle Militärexperten sagen würden, dass das militärisch zumindest sinnvoll wäre. Die politische Bewertung ist eine andere. Dass er das dann eben, ich sage mal unterschlägt, nicht erwähnt, weil ihm eben Deutschland auch deswegen immer wichtiger wird, weil dann die Front der Unterstützer ein Stück weit zu bröckeln beginnt.

00:09:32: Michael Roth: Ja, so ist es ja auch. Selenskyj steht das Wasser bis zum Hals. Er weiß inzwischen, dass er sich bei aller Zögerlichkeit und bei aller Zurückhaltung und bei allen komplizierten streitigen Debatten auf Deutschland verlassen kann. Also wenn wir etwas ankündigen, dann kommt das auch. Andere Länder kündigen viel an, aber es kommt wenig. Das weiß Selenskyj inzwischen. Und natürlich nimmt er Rücksicht. Er nimmt Rücksicht auf Scholz, von dem man weiß, wenn er das Wort Taurus hört, dann kriegt er Pickel. Und er kommt ihm da auch entgegen. Und es ist auch eine Frage des Respekts. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er hinter verschlossenen Türen auch mit ihm noch mal darüber gesprochen hat, was denn ansonsten noch leistbar wäre. Aber er anerkennt natürlich auch Deutschland macht sehr viel. Wir können und müssen sicherlich auch in unserem eigenen Interesse noch mehr machen. Aber die anderen europäischen Länder leisten beschämend wenig.

00:09:32: Es hat sich in den vergangenen Jahren immer sehr stark auf Deutschland konzentriert. Was tut Deutschland? Von den Amerikanern ist man immer ausgegangen, die liefern sowieso. Jetzt sehen wir Die Amerikaner liefern auch sehr zögerlich, sehr zurückhaltend. Biden hat da seine Politik im Wesentlichen kaum verändert. Und Deutschland liefert, aber liefert eben auch nicht genug, weil Deutschland alleine die Ukraine nicht wird befreien können vom russischen Imperialismus. Da brauchen wir auch die anderen. Das hat er mit dieser Rede zum Ausdruck zu bringen versucht und es hat ja auch noch andere Runden gegeben. Also wir hatten eine Reihe von Gesprächen mit den Abgeordneten und die haben sehr freundlich, sehr anerkennend, aber auch sehr deutlich gesagt, was sie wollen. Und dazu gehörte eben das Patriotsystem, also eine bessere Luftverteidigung, mehr Drohnen, aber eben auch der Taurus als eine Langstreckenwaffe, die man braucht, um vor allem dafür zu sorgen, dass die russische Armee geschwächt wird und nicht weiter das Land in Schutt und Asche legt. Vor allem jetzt derzeit in Charkiw.

00:11:32: Lisa Fritsch: Aber die USA zum Beispiel diese Woche auch noch. Vor allen Dingen die Munitionslieferung hoch stockt. Die nächsten Monate soll das irgendwie auf 100, auf 100 von 14 erhöht werden. Also da geht es schon. Vor allen Dingen die Munition ist ja das was, woran es fehlt. Was meinst du denn damit, welche europäischen Partner da ja so erschreckend wenig tun?

00:11:54: Michael Roth: Also unser Vorbild sind ja die baltischen Staaten. Das ist ein Land wie Dänemark. Wir reden über die Kleinen. Wenn wir uns mal die Großen anschauen, dann sieht es eher duster aus. Ja, alle haben irgendwie etwas geleistet, aber Spanien beschämend wenig. Italien beschämend wenig. Polen hat sehr viel geliefert, könnte aber auch noch ein bisschen mehr machen. Frankreich, da hat man immer den Eindruck, das sind die Besten. Aber am Ende passen Ankündigungen und Taten nicht immer so zusammen. Deswegen ist ja Olaf Scholz auch mal die Hutschnur geplatzt. Und er hat etwas getan, was man eigentlich so nicht tut Zwischen Deutschland und Frankreich. Öffentlich noch mal klare Ansagen gemacht an den Elysee und an Präsident Macron. Jetzt müsst ihr aber auch mal was tun. Also auch wenn alle kleineren Staaten in Europa, die ja deutlich mehr auch für Verteidigung ausgeben, für ihre eigene Sicherheit ausgeben, die sich in der NATO noch stärker engagieren, wenn die alle noch deutlich mehr täten. Am Ende geht es nicht ohne die Großen. Und du hast völlig recht, Lisa. Ohne die USA wären wir aufgeschmissen. Es geht da um also Quantitäten. Die können wir einfach derzeit noch nicht liefern, weil es uns ja auch nicht gelungen ist, unsere eigenen Zusagen einzuhalten. Die EU hatte eine Million Schuss Artillerie Munition bis Ende März diesen Jahres angekündigt. Wir haben gerade mal die Hälfte erreicht. Wir haben immer noch nicht die europäische Verteidigungsindustrie so hochgefahren, dass wir aus eigenen Kapazitäten liefern können. Wir haben uns monatelang mit den Franzosen gestritten, ob man auch auf dem Weltmarkt das kaufen kann, was die Ukraine dringend braucht. Ja, natürlich, wenn wir es selber nicht haben. Also diese Zögerlichkeit, die hat der Ukraine einen hohen Preis abverlangt. Das ist leider so.

00:13:51: Daniel Mützel: Und könnte ihr noch einen höheren Preis abverlangt werden, wenn, wie du sagst, wir können die USA nicht kompensieren, wir müssen damit rechnen, dass Trump ins Weiße Haus einzieht und dass sich bewahrheitet, was er androht, nämlich, dass er die Ukraine fallen lässt.

00:14:06: Michael Roth: Viel zu viele in Europa ducken sich nach wie vor weg. Die hoffen offenkundig, dass nach der Wahl in den USA alles wieder besser wird, also die USA für uns die Arbeit erledigen, unsere Sicherheit garantieren.

00:14:20: Daniel Mützel: Auch in der Bundesregierung ist es auch eine Hoffnung dort, weil irgendwie, wie du sagst, ich finde, man merkt nicht so eine Art ja, von mir aus auch Alarmismus, der finde ich in dieser Situation auch durchaus angemessen wäre. Wir müssen damit rechnen, dass Trump ins Weiße Haus einzieht. Wir müssen damit rechnen, dass er die Hilfen komplett sperrt und eindampft. Was kommt dann?

00:14:41: Michael Roth: Aber das hat ja nicht nur was mit Trump zu tun. Wir wissen spätestens seit Obama, dass die USA von der EU, von den europäischen Staaten mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit erwarten. Wir haben noch nicht geliefert und jetzt sollten wir das tun. Ja, ich warne auch vor Alarmismus. Das hilft uns nicht. Aber wir müssen jetzt diese Chance nutzen. Europa, die EU ist eigentlich immer in Krisen stärker geworden. Aber momentan wurschteln wir uns weiter durch. Wir drohen, das Momentum zu verlieren, und die letzten zwei Jahre hätten wir dazu nutzen müssen, uns selber sicherheitspolitisch besser aufzustellen. Aber wir erleben ja auch diese quälende Diskussion in Deutschland. Die Finanzlage bei uns ist deutlich schlechter als noch vor drei oder vier Jahren. Auch in Frankreich ist die Lage die Finanzlage desaströs, also die Möglichkeiten für Macron, sind sehr beschränkt. Andere tun wiederum eine ganze Menge. Aber an denen orientieren wir uns nicht. Ja, ich habe den Eindruck, dass wir momentan eine Chance vertun. Ich dachte eigentlich immer, dass die vielen Antiamerikaner, die es ja auch in Deutschland und in Europa gibt, also die sagen wir müssen. Wir müssen uns aus dieser US amerikanischen Umklammerung befreien, dass auch diejenigen jetzt nicht diese Chance genutzt haben. Also man kann ja auch sagen, okay, ihr habt viel für uns getan. Thank you so march, but now we have to take more responsibility. Wir müssen jetzt die Führung übernehmen. Und dieses Momentum ist bislang ausgeblieben. Und das ist nicht nur schlecht für uns. Ich meine der. Der Putin im Kreml, der, der spürt, ja, der riecht ja unseren Schweiß. Und das ist eben nicht Schweiß der Tüchtigen, das ist nicht der Schweiß derjenigen, die sich richtig anstrengen, sondern es ist der Schweiß der Angst, der stinkt.

00:16:30: Daniel Mützel: Würdest du sagen, dass deine Partei da ein Stück weit auch dazu beigetragen hat, dass sich solche Stimmungen in Deutschland verstärken, verbreiten? Ich meine damit vor allem den Friedenswahlkampf. Frieden sichern, stand auf den Plakaten der SPD, nur mit Olaf Scholz und mit Katharina Barley. Es ist ein bisschen die Frage nach der Henne und nach dem Ei. Was war zuerst? Da war zuerst die ich nenne es jetzt mal blöde Kriegsmüdigkeit in Deutschland. Oder waren zuerst politische Akteure da, die dieses Thema gepusht haben? Ich finde aber dennoch, man kann sagen natürlich von der Kanzlerpartei in einem Wahlkampf dieses Thema bespielt und systematisch bespielt auf ihr. Wahlplakaten zeigt das noch mal weiter dazu bei, dass die Menschen sich verständlicherweise Frieden wünschen, aber dass automatisch dadurch auch die Rufe nach Frieden stärker werden und auch die Illusion dann wächst, wir könnten einen Frieden haben, würden wir einfach nur mehr diplomatische Initiativen machen.

00:17:29: Michael Roth: Wir dürfen jetzt aber auch nicht in die Falle der AfD und der Wagenknechts tappen. Ich bin für Frieden. Aber, und das ist die Zumutung, die ich meinen eigenen Leuten auch nicht ersparen kann: Ich will Frieden schaffen mit Waffen. Damit der Imperialismus Russlands gestoppt wird und damit die wieder in Frieden und in Freiheit leben können. Punkt. Frieden schaffen ohne Waffen. Das geht halt nur, wenn du nicht Diktatoren hast, die zum Krieg greifen und die andere einfach umbringen, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Das muss einfach erklärt werden. Und deswegen habe ich überhaupt nichts gegen Frieden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir nicht nur einfach Frieden sagen, sondern vielleicht auch mal erklären, um welchen Frieden geht es denn? Also für mich geht es um einen gerechten Frieden, nicht um einen Diktat-Frieden. Ein Frieden, der den Ukrainern nicht ihre Würde, nicht ihre Selbstbestimmung, nicht ihre Demokratie und nicht ihre Freiheit raubt. Darum geht es. Das ist sicherlich im Wahlkampf zu kurz gekommen. Ich finde, wir müssen ganz selbstbewusst und das sage ich auch als jemand, der ja als Kriegstreiber gilt und der jeden Tag wüsteste Beschimpfungen über sich ergehen lassen muss. Ich bin für den Frieden, aber ich bin eben für einen Frieden. Und das sage ich jetzt mal als Protestant, der dem Angegriffenen nicht die Würde nimmt. Und warum, verdammt noch mal, können wir darüber nicht reden? Das ist, wir haben uns da auf eine ganz merkwürdige Diskussion eingelassen. Ich meine dieses Plakat, darüber hat sich ja der Münte schon aufgeregt. Also wollt ihr nun Krieg oder wollt ihr nun Frieden? Ich sehe in Deutschland niemanden, der Krieg will.

00:17:29: Und was ich Scholz sicherlich in den ersten Monaten des Krieges sehr zugute halte, ist, dass aus ihm nie der Panzerkanzler geworden ist. Er hat, glaube ich, auch die besonnenen, so heißt es ja jetzt neudeutsch, also die etwas kritischeren und zurückhaltenderen Deutschen, denen auch diese Zeitenwende sehr schwerfällt, mitzunehmen versucht. Aber angesichts dieser unverminderten Brutalität auf der russischen Seite müssen wir erklären, worum es uns geht. Welchen Frieden wollen wir? Was könnte das sein? Und am Ende kann es für uns keinen Frieden geben, wenn der Putin einfach so weitermachen kann. Vielleicht. Ich weiß, ich bin so lang. Noch eine kleine Story. Als ich kürzlich in Moldau war. So ein klitzekleines Land. Die haben nicht einen einzigen Panzer. In Chişinău. In der Hauptstadt habe ich gefragt Was wollt ihr, wo können wir euch helfen? Da hätten die ja sagen können gebt uns mal einen Panzer oder ein bisschen Munition. Oder vielleicht irgendwie zumindest so eine kleinkalibrige. Nix. Das Einzige, was die gesagt haben, unterstützt die Ukraine weiter. Helft ihr, dass die überleben kann? Wenn die Ukraine verliert, dann sind wir die Nächsten. Und so viele Panzer habt ihr gar nicht mehr, um uns retten zu können. Dann sind wir verloren. Das hat mir noch mal gezeigt, dass wir lernen müssen, in Zusammenhängen zu denken und dass wir auch den Menschen die Szenarien, die es gibt, erklären müssen.

00:20:29: Lisa Fritsch: Ja, dann lass uns doch jetzt noch mal auf die Friedenskonferenz an diesem Wochenende blicken. Du hast es ja schon erwähnt, Michael, da sind sehr viele Vertreter aus über 80 Ländern, unter anderem Kamilla Harris dabei, unser Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und vielleicht mal an dich Daniel, um deine Expertise auch hier hervorzuheben, was kann denn dort erreicht werden bei dieser Friedenskonferenz?

00:20:53: Daniel Mützel: Das ist eine verdammt gute Frage. Ich glaube, wir sollten uns auch in Erinnerung rufen oder uns klarmachen, dass der Zweck zumindest so wie ich ihn verstanden habe, diese Konferenz eben nicht ist. Jetzt wirklich auf konkrete Verhandlungen zuzuarbeiten. Ich glaube, dazu fehlen die relevanten Akteure. Das mag eine gute Vision sein, auf die man irgendwie zuarbeitet, aber im Grunde ist, glaube ich, der symbolische Charakter dieser Konferenz im Zentrum zugleich natürlich auch die Du hast angesprochen die Vertreterinnen und Vertreter von 80 Staaten, dass die sich treffen, Dinge besprechen, sie auf einem gemeinsamen Weg verständigen.

00:21:35: Lisa Fritsch: Aber können die irgendwie auf Selenskyj einwirken mit der Frage, die ich am Anfang schon gestellt habe oder das weiß, in welche Richtung geht?

00:21:44: Daniel Mützel: Das kann ich nicht beurteilen. Es gibt natürlich auch den Druck von westlichen Staaten auf die ukrainische Regierung, sozusagen von dem zehn Punkte Plan, auf denen die Selenskyj-Regierung ja weiterhin beharrt, da Abstriche zu machen. Und so weit man sagen kann, sind die ja bereit, jetzt für die Konferenz auch auf ein paar der strittigen Punkte zu verzichten. Da hat man das so ein bisschen unter verhandelt auf, ich glaube vier, vier Punkte. Das sind so Sachen wie nukleare Sicherheit und andere Dinge, auf die sich die meisten Staaten einigen können. Aber ob das jetzt wirklich konkret dazu führt, dass die ukrainische Regierung ihre zentralen Punkte, die bestehen ja weiterhin in Truppenabzug, Befreiung der Gebiete usw. davon ablässt, das wage ich zu bezweifeln. Und da glaube ich auch nicht, dass die Konferenz da in dieser Hinsicht etwas erreichen wird. Und ich weiß auch gar nicht, ob sie es erreichen will. Weil der Punkt ist ja der, Michael, du hast schon angesprochen, das Kriegsziel ist ja aus deutscher Sicht nicht klar. Wir wissen nicht, was unsere Strategie ist. Das heißt, wir wissen nicht, ob unsere Strategie ist, dass wir der Ukraine helfen wollen, ihre Gebiete zu befreien, oder ob es eben darum geht, am Ende dann doch zu so einer Art Einfrieren zu kommen, wo man einfach an einer heißen Frontlinie die irgendwie abkühlen lässt, trotz aller Gefahren, die damit verbunden sind. Aber ob man irgendwann dann nicht doch zu dieser Erkenntnis kommt? Es läuft auf eine Teilung heraus, weil wir einfach keine Möglichkeiten haben mehr hier Offensiven der Ukrainer zu unterstützen und die die auch nicht mehr durchführen können. Also das ist alles unklar. Kanzler Schulz sagt ja auch immer, er besteht auf einen Truppenabzug, auf einen Abzug russischer Truppen, aber nicht auf einem Abzug der russischen Truppen. Damit ist ja eigentlich schon auch die Möglichkeit mit drinne, dass eben ein Teilabzug Teil eines politischen Kompromisses in der Zukunft sein könnte.

00:23:34: Lisa Fritsch: Und in Bezug auf ein Signal Richtung Russland kann man da irgendwie sagen, dass diese Friedenskonferenz vielleicht Putin einschüchtern könnte oder so?

00:23:43: Michael Roth: Putin schüchtern nur mehr Waffen ein. Putin wird nur eingeschüchtert, wenn die Ukraine wieder stärker wird. Das ist ja, ich weiß, das hört sich alles nicht gut an und ich weiß, dass ich jetzt wieder ein paar eurer Podcast Freundinnen und Freunde empören werden. Aber nur wenn die Ukraine stark ist. Und wenn der Typ im Kreml spürt, ich krieg das einfach nicht hin. Also ich kann noch so lange auf die ein ich kann noch so viele eigene junge Männer als Kanonenfutter missbrauchen, aber die werden sich weder ergeben noch wird der Westen werden die Freundin und Freunde der Ukraine aufgeben. Die werden weiterhin mit Volldampf whatever it takes die Ukraine unterstützen. Erst wenn er dies spürt, dann kommt dann die nächste Phase. Dennoch ist die Konferenz wichtig. Ich weiß, dass der Selenskyj die Schweizer wahnsinnig genervt hat. Er wollte die. Er wollte die Konferenz so schnell wie irgend möglich durchführen, um ein klares Zeichen zu setzen Ja, wir wollen reden.

00:23:43: Und wir dürfen nicht vergessen. Das will ich noch ergänzen zu dem, was Daniel sagte. In Teilen der Welt schaut man ja ganz anders auf diesen Krieg. Für die ist es ein territorialer Konflikt. Um den sollen sich mal die Europäer kümmern. Dann kommt ja dann immer, dass wir mit zweierlei Maßstäben messen. Wenn andernorts das Menschenrecht gebrochen wird, müssen wir uns ja auch nicht ein. Und jetzt erwarten wir, dass sich alle an die Seite der Ukraine stellen. Sehen wir gar nicht ein. Die Russen brauchen wir ja irgendwie auch noch. Was sicherlich die diese Konferenz sehr schwächt, ist, dass China auch noch mal die Hosen runtergelassen hat. Ich finde überhaupt, dass wir in China, in Deutschland und in der Europäischen Union zu nachsichtig mit China umgehen. China ist der größte und wichtigste Unterstützer Russlands. Die liefern die Komponenten, die Russland braucht, um Waffen herzustellen. China umgeht ganz bewusst die Sanktionen, die von ganz vielen Staaten in der Welt unterstützt werden. China steht an der Seite Russlands, ist kein neutraler Akteur. Und China sagt Da nehmen wir nicht dran teil, aber immerhin 80. Und ich glaube, es geht auch so ein bisschen um ein gemeinsames Verständnis. Es geht so etwas. Wie nennt man das? Commitment. Es geht darum, dass man sagt, okay, auch lateinamerikanische Staaten, auch afrikanische Staaten, die in etwas anderen Blick drauf haben, verstehen aber die Ukraine. Und das ist ja die große Hoffnung, die ich auch mit Zielinski verbinde, bei all den Schwächen, die der hat. Aber der schafft es ja immer wieder, auch in einfachen Sätzen, Menschen, die diesen Konflikt nicht verstehen, davon zu überzeugen, dass das eine notwendige Verteidigung ist, nicht nur im Interesse der Ukrainer und Ukrainer selbst, sondern auch im Interesse der freien, demokratischen Welt.

00:26:41: Lisa Fritsch: Und jetzt zum Beispiel diese Diskussion deutsche Waffen auf russischem Gebiet, also dass jetzt auch die Ukrainer zur Verteidigung Waffen auf russisches Gebiet abfeuern können. Ist das denn so ein Schritt, wo Russland schon eingeschüchtert werden könnte? Das hat ja schon auch ein Signal gewirkt. Also Putin hat danach ja direkt auch wieder gedroht.

00:26:58: Daniel Mützel: Und seitdem sind die Raketenangriffe von genau diesen Gefechtsstellungen auch zurückgegangen. Also insofern hat es militärisch schon mal etwas bewirkt, was die allgemeine Kriegszunahme betrifft. Das kann man nicht sagen, aber zumindest lokal immer noch aktiv hat es durchaus diese Effekte gehabt. Putin droht, wenn er droht und er weiß, dass es wirkt im Westen. Das ist ein strategisches Ziel die westlichen Waffenlieferungen zu verringern, die Unterstützung für die Ukraine im Westen zu unterminieren. Ich hatte ja neulich mein Gespräch mit dem Chef des estnischen Geheimdienstes, die genau das auch gesagt haben, dass Putin eben das ist einer seiner wichtigsten außenpolitischen Waffen ist es eben, solche Drohungen auch ganz gezielt und systematisch auch ganz gezielt an die deutsche Bevölkerung zu richten, um eben die Unterstützung zu unterhöhlen. Was haben wir jetzt gesehen, was daraus gefolgt ist aus seiner ganz konkreten Drohung? Jetzt nicht. Insofern sollte man das immer kontextualisieren. Ich sage nicht, dass Putins Drohung in keinster Weise, dass wir die nicht ernst nehmen sollten per se. Das sage ich ausdrücklich nicht, aber man muss sie immer einordnen.

00:28:13: Lisa Fritsch: Jetzt zum Ende. Wir haben nicht mehr ganz so viel Zeit. Aber noch zwei Fragen, die vielleicht nicht ganz so viel mit der Ukraine zu tun haben. Aber Michael, weil du jetzt auch bei uns hier im Podcast bist, wollte ich noch mal ein bisschen auf die SPD schauen. Wir hatten es vorhin schon angesprochen. Daniel, du hast es ein bisschen mit dem Wahlkampf eingeordnet. Aber genau nach der Europawahl hat Bundeskanzler Schulz ja auch ganz klar zugegeben, dass das Ergebnis der SPD auch schlecht war. Wir hören kurz noch mal in einen ganz kurzen Ton rein.

00:28:38: Ton Olaf Scholz (Quelle: reuters): Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht. Keiner ist gut beraten, jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will. Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass wir unsere Arbeit machen, dafür zu sorgen, dass unser Land modern wird, dass es vorankommt.

00:28:53: Lisa Fritsch: Genau. Also nicht zur Tagesordnung übergehen. Michael Was muss denn in der Partei passieren? Ein Weiter so kann es ja jetzt eigentlich nicht geben, oder?

00:29:01: Michael Roth: Das Wichtigste scheint mir zu sein zu klären Wollen wir noch regieren in dieser Koalition?

00:29:09: Lisa Fritsch: Gute Frage.

00:29:10: Michael Roth: Wollen wir das noch? Und wollen wir wirklich, dass einer der wesentlichen Gründe, warum die Leute einfach keinen Bock mehr auf Ampelhaben? Sich verändert, nämlich dass wir zu einer anderen Streitkultur kommen. Dass wir einfach auch an Lösungen arbeiten und nicht die Leute ständig einschüchtern und nerven mit unserem Rumgeoogle. Das ist die große Frage, die ich mir stelle.

00:29:34: Daniel Mützel: Wenn ich hier gleich schon dazwischenfunken darf. Kevin Kühnert hat darauf schon eine Antwort gegeben und hat gesagt Wir brauchen uns jetzt eigentlich gar nichts mehr vormachen. Diese neue Streitkultur, die wird nicht mehr kommen. Das haben wir jetzt so oft vorgenommen, und das haben wir so oft nicht geschafft. Die müssen wir jetzt akzeptieren.

00:29:52: Michael Roth: Ja.

00:29:53: Daniel Mützel: Dann frage ich mich was, was folgt daraus? Dann ist es doch eigentlich ein stilles Zuhören auf den Ampelbruch.

00:30:03: Michael Roth: Was mich so fassungslos macht ist ich habe ja nun eine lange Erfahrung, bin seit 26 Jahren im Bundestag. Ich habe alles mitgemacht Rot-Grün, Opposition und vor allem diese furchtbare große Koalition. Furchtbar deshalb, weil das Klima immer ganz schlecht war, vor allem auf der Arbeitsebene zwischen CDU, CSU und SPD. Mein Problem mit der ganzen kritischen Betrachtung der Ampel ist, dass wir eigentlich auf der Arbeitsebene ein gutes Miteinander fahren. Also ich habe selten gehört, dass man sich so zwischen FDP, SPD und Grünen so gar nicht mehr grün ist. Das habe ich ganz selten gehört. Natürlich gibt es immer auch schwierige Kolleginnen und Kollegen, und das ist aber keine Frage der Parteizugehörigkeit. Aber die Stimmung auf der Arbeit war immer besser als in der GroKo. Das spiegelt sich aber so gar nicht wieder. Und noch einmal: Die Leute werden uns ja nicht abnehmen, wenn wir noch mal anderthalb Jahre durchwurschteln. Und wir sollen jetzt in drei Wochen nicht wir, sondern die Bundesregierung muss, das hat sie zumindest bekräftigt, muss in drei Wochen einen Haushaltsentwurf vorlegen. Und da muss man jetzt über die Fragen reden, wo wir zusammenkommen können. Es hilft jetzt nicht, wenn jeder noch mal erklärt also, das geht mit uns gar nicht. Wir brauchen Gemeinsamkeiten.

00:31:22: Daniel Mützel: Das passiert ja gerade schon wieder.

00:31:23: Michael Roth: Ja, ich frage mich. Ich habe ja gesagt, wir müssen jetzt entscheiden. Ganz nüchtern. Mit einem Plan wollen wir weiterregieren. Und wenn wir nicht weiterregieren wollen, dann müssen wir uns fragen Was heißt das für das Land? Was heißt das für die Stabilität? Was heißt das für die Unterstützung der Ukraine? Was heißt das für Europa? Was heißt das? So egoistisch sollten wir dann schon sein? Was heißt das für die SPD? Was heißt das für das Ansehen von Politik? Die Fragen müssen wir uns alle stellen.

00:31:51: Lisa Fritsch: Aber ich hör bei Ihnen raus, eher Stabilität anstatt jetzt Neuwahlen und neuer Kanzler oder so was. So was Radikales.

00:31:58: Michael Roth: Also, die Zeiten sind ziemlich aufgeregt. Und da bin ich auch beim Kanzler. Ich glaube, dass die Welt von uns schon erwarten darf und auch die Ukraine von uns erwarten darf, dass wir uns verdammt noch mal anstrengen. Wir haben eine Welt voller Krisen, Kriege und Konflikte. Die Erwartungshaltung an Deutschland sind wahnsinnig hoch und dafür brauchen wir eine stabile Regierung und eine handlungsfähige Mehrheit im Deutschen Bundestag. Und sie alle wissen, auch wenn sie keine Verfassungsrechtler sind, dass die Hürden für Neuwahlen ziemlich hoch sind, aber auch eine Vertrauensfrage. Dann muss der Bundespräsident seinen Senf zu abgeben. Er hat dann gewissen Entscheidungsspielraum. Dann werden wir auch nicht in zwei Wochen Neuwahlen haben, sondern dann wird das ja noch weitergehen. Und ich, wir müssen es einfach klären. Ich finde, wir müssen es. Denn das haben auch die Bürgerinnen und Bürger von uns zu erwarten.

00:32:53: Lisa Fritsch: Also erst mal die Arbeit machen. Jetzt klingt doch wieder nach Tagesordnung.

00:32:56: Michael Roth: Nein, überhaupt nicht. Wenn wir uns. Wenn wir die Arbeit machen wollen, müssen wir uns ja auch fragen: Was erwarten Bürgerinnen und Bürger von uns? Also wo müssen wir einfach auch besser werden, auch inhaltlich besser werden? Also jetzt einfach zu sagen, die Karawane zieht weiter, irgendwie wurschteln wir uns durch bis zum Sommer Herbst nächsten Jahres. Das nimmt uns keiner mehr ab. Und wir haben ja auch noch ein paar Landtagswahlen.

00:33:20: Lisa Fritsch: Eben.

00:33:20: Michael Roth: Und es geht immer weiter nach unten. Ich glaube es. Das ist das historisch schlechteste Ergebnis der SPD in der Geschichte. Na ja, es kann aber noch weiter nach unten gehen. Und was mir natürlich auch Sorge bereitet Wollen wir jetzt wirklich Neuwahlen? Und dann Ziegeln die AfDler, dann Ziegeln die Wagenknecht dieser Welt durch? Was heißt das dann? Was heißt das für Schulz hinauslaufen? Was heißt das? Was heißt das für die Ukraine? Ich will ja was besser machen. Und dieser Egotrip, dieses Deutschland first ist halt für einen international aufgestellt. Das Land im Herzen Europas mit einer stark von internationalen Fragen abhängigen Wirtschaft. Die Arbeitsplätze sind bei uns vor allem auch exportorientiert. Das muss man den Leuten ja mal erklären.

00:34:07: Lisa Fritsch: Ja, und eine Frage noch zum Ende, wir müssen echt zum Ende kommen. Es tut mir leid.

00:34:11: Daniel Mützel: Ich wollte noch mal kurz ein Blick auf die SPD wagen. Und wie würdest du das denn beurteilen? Wir haben jetzt. Eigentlich sollte man die Lehre daraus ziehen, dass eine SPD, die einen Kanzler Scholz hat, als prominentesten Sozialdemokraten größte Schwierigkeiten hat, Wahlen zu gewinnen. Das war jetzt die Europawahl. Historisch schlechtes Ergebnis. Es waren Landtagswahlen im Jahr davor, da waren sechs Landtagswahlen eigentlich, die verloren wurden. Nur zwei in kleinen Bundesländern, Saarland und Bremen wurden gewonnen, also sieben Landtagswahlen mit Kanzler Scholz wurden für die SPD verloren und drei weitere kommen jetzt auch noch. Dann noch die Bundestagswahl. Die Frage drängt sich natürlich auf Kann man mit dem Kanzler, so wie er sich jetzt verhält, wer jetzt auftritt, wie er jetzt kommuniziert? Überhaupt kann man die Wahl eigentlich nicht im Grunde schon vergessen. Das ist jetzt mal zugespitzt ausgedrückt. Und Fußnote noch dazu. Ich höre von Sozialdemokraten, dass das im Grunde eine Erkenntnis ist, die sich jetzt so durchsetzt. Aber manche sagen Ja gut, wir haben einfach keine Alternative. Das muss man jetzt so akzeptieren.

00:35:16: Michael Roth: Der Kanzler hat mich dreimal positiv überrascht, seitdem ich ihn kenne. Und vielleicht überrascht er uns alle ja zum vierten Mal positiv. Aber ich möchte auch ein bisschen fair bleiben. Ich finde es nicht okay, dass das alles ausschließlich beim Kanzler abgeladen wird. Da müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen, vom dem Parteivorsitzenden, Fraktionsvorsitzenden bis zu Michael Roth und vielen, vielen anderen. Wir alle müssen uns fragen Wie können wir das besser hinkriegen? Und dass es nicht einfach wird, das wissen wir jetzt seit vielen, vielen Monaten. Aber ich möchte das Land nicht irgendwelchen Nationalisten und Populisten überlassen. Da kriege ich, da rasste ich aus.

00:35:53: Daniel Mützel: Glauben Sie, die SPD wechselt noch mal in einen Kanzlerkandidaten?

00:35:57: Michael Roth: Nein.

00:36:00: Lisa Fritsch: Dann jetzt meine persönliche Frage zum Ende. Dann kommen wir wirklich zum Schluss. Denn deine Entscheidung, aus der Politik auszutreten, Michael kam ja für viele wie ein Schock. In den vergangenen Wochen hat sich die Lage ja aber noch weiter verschärft. Nicht nur verbale, sondern auch körperliche Angriffe gegen Politiker haben zugenommen. Dann die tödliche Messerattacke in Mannheim. Beunruhigt dich denn diese Stimmung Und hat es deine Entscheidung, aus der Politik auszusteigen, noch mal bestärkt?

00:36:24: Michael Roth: Ich bin eher traurig. Ich bin ja jemand, der an das Gute glaubt. Und ich erlebe einfach zu viele Erschütterungen, die so mein eigenes kleines Weltbild ins Wanken bringen. Ich hätte vieles einfach nicht für möglich gehalten den Antisemitismus in Deutschland, den grassierenden Nationalismus und Populismus. Diesen Hass, diese Wut, auch die tätliche Gewalt. Ich erkenne mich manchmal in meinem eigenen Land nicht wieder. Und das sage ich, weil ich mal als sehr deutschlandkritischer Linker gestartet bin und ich irgendwie auch gelernt habe, mein eigenes Land lieb zu gewinnen, mit all den Schwierigkeiten. Und jetzt erlebe ich wieder so eine Distanz und denk mir Meine Güte, wo bist du gelandet? Und deswegen bin ich ja auch traurig, weil ich möchte natürlich nicht den Eindruck erwecken, ich gehe jetzt von Bord, weil ich es einfacher haben möchte oder weil ich resigniere. Ich resigniere ja nicht. Ich möchte ja meine Arbeit für die Demokratie und für eine bessere, für ein besseres Deutschland, für bessere aber fortsetzen. Aber eben nicht mehr als Politiker. Das müssen dann andere machen, das werden die auch machen.

00:37:31: Lisa Fritsch: Und damit müssen wir jetzt endgültig zum Ende dieser Diskussion komme. Ich hoffe, Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, verzeihen uns das Überziehen. Aber es war doch ein sehr spannendes Gespräch. Und wenn Sie das genauso empfanden, empfehlen Sie es gern Ihren Freunden und Bekannten oder leiten Sie auch gerne den Link weiter. Und vergessen Sie auch nicht, den Tagesanbruch Podcast zu abonnieren, um keine neuen Folgen zu verpassen. Damit für danke ich mich ganz herzlich bei Dir, Michael. Michael Roth, SPD-Außenpolitiker und wünsche Dir auch schon mal alles Gute für die Zukunft Und auch bei Dir, Daniel. Unser politischer Reporter Daniel Mütze bei uns im Hauptstadtbüro von t-online. Vielen Dank für Deine Einordnungen und auch für Deine Fragen. Wenn Sie da draußen noch eine Anmerkung oder Frage haben, schreiben Sie uns doch gerne an podcasts@t-online.de. Podcast hier mit Mehrzahl-S. Nächste Woche geht es bei uns um die EM in Deutschland. Und Sie können uns gern eine Sprachnachricht schreiben. Freuen Sie sich denn schon auf die EM? Denken Sie, dass dadurch ein größeres Gemeinschaftsgefühl in Deutschland entstehen kann? Ja, Erzählen Sie uns das gerne in einer kurzen Sprachnachricht oder in einer E-Mail. Wir freuen uns darauf und bedanken uns jetzt auch noch mal ganz herzlich bei Ihnen fürs Zuhören und Wünschen. Ein schönes Wochenende! Ciao!

00:38:40: Michael Roth: Ja, vielen Dank für die Einladung und ein zauberhaftes Wochenende. Der Optimismus gewinnt.

00:38:48: Daniel Mützel: Danke fürs Hier sein.

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Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert – am Wochenende in einer tiefgründigeren Diskussion zu einem aktuellen Thema der Woche. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

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von und mit Florian Harms

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