Tagesanbruch von t-online

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00:00:02: Wolfgang Thierse: Demokratie ist keine Veranstaltung, die nur Zufriedenheit erzeugt, sondern es gibt Meinungsunterschiede. Demokratie ist Streit nach Regeln der Fairness und der Friedlichkeit. Diese Regeln werden jetzt zerstört.

00:00:15: Lisa Fritsch: Hallo zu "Tagesanbruch – die Diskussion" für das Wochenende vom 11. Mai 2024. Ich bin Lisa Fritsch, moderiere dieses Format und diesmal blicken wir auf die Angriffe auf Politiker, die auch in dieser Woche weitergingen. Am vergangenen Wochenende wurde der sächsische Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl, Matthias Ecke, krankenhausreif geschlagen. Diese Woche griff ein Mann die Wirtschaftssenatorin von Berlin, Franziska Giffey, an. Wir fragen dazu in dieser Folge den Bundestagspräsidenten a.D. Wolfgang Thierse. Was können wir gegen dieses neue Ausmaß an Gewalt tun? Brauchen wir schärfere Gesetze? Und damit begrüße ich für die Diskussion den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse. Vielen Dank, Herr Thierse, dass Sie sich die Zeit nehmen.

00:01:02: Wolfgang Thierse: Gerne.

00:01:04: Lisa Fritsch: Und außerdem die t-online-Chefredakteur Florian Harms.

00:01:07: Florian Harms: Hallo, ich freue mich auf die Diskussion.

00:01:09: Lisa Fritsch: Ja, ich habe es gerade angesprochen. In den vergangenen Tagen haben sich die Angriffe auf Politiker gemehrt, nicht nur von der SPD. Auch Grünenpolitiker wurden in Dresden und Essen bespuckt, bedroht, angegriffen. Die Zahl der Angriffe auf Mandatsträger ist vergangenes Jahr um 53 % gestiegen im Vergleich zu 2022. Herr Thierse, was denken Sie denn? Was ist das Hauptproblem? Wo müssen wir konkret ran, um etwas gegen diese Gewalt und die Hetze zu tun?

00:01:38: Wolfgang Thierse: Zunächst einmal müssen wir begreifen, was da passiert. Wir erleben. Ja, Sie haben die Zahlen genannt, eine sich steigernde, nun auch physische Gewalt gegen Politiker unterschiedlicher Parteien, gegen Menschen, die sich in der Demokratie und für die Demokratie engagieren. Und so entsteht ein Klima der Angst. Vielleicht ist das die eigentliche Absicht, wenn dahinter ein Plan steckt. Hier übersetzt sich Ärger und Wut immer im politischen Zusammenhängen gibt. Demokratie ist keine Veranstaltung, die nur Zufriedenheit erzeugt, sondern es gibt Meinungsunterschiede. Demokratie ist Streit nach Regeln der Fairness und der Friedlichkeit. Diese Regeln werden jetzt zerstört und das ist das Gefährliche. Die Situation, in der wir uns befinden, das müssen wir zunächst begreifen, um dann über die Maßnahmen zu reden, die notwendig sind.

00:02:37: Lisa Fritsch: Und vor allen Dingen kommt ja auch diese Gewalt. Wir sehen sie vermehrt in Ostdeutschland. Um dieses Problem noch ein bisschen mehr zu verstehen Was denken Sie, woher kommt denn diese Hetze und dieser Frust auch? Was wurde vielleicht auch falsch gemacht von der Politik in den letzten Jahren?

00:02:51: Wolfgang Thierse: Also zunächst einmal Es ist kein ostdeutsches Problem, es ist da nur jetzt sichtbarer. Ich erinnere an den Mord an Walter Lübke in Hessen, ein Landrat von der CDU. Es gibt eine ganze Reihe anderer Fälle. Aber ich rede durchaus über Ostdeutschland, weil da manches sichtbarer, auf grellere Weise sichtbar wird als anderswo. Zunächst einmal hat das wohl damit zu tun, die allgemeine Stimmung von Ärger, Wut, Enttäuschung mit der Dramatik der Situation, in der wir uns befinden. Wir erleben doch die Gleichzeitigkeit von Kriegen, von Krisen, von sehr schmerzlichen Veränderungsnotwendigkeiten. Der Ukrainekrieg mit seinen Konsequenzen, die wir spüren, die Migration in einer offenen Welt. Da entsteht keine Idylle in einer diverseren, vielfältigeren Gesellschaft. Die künstliche Intelligenz, die Digitalisierung, die Produktionsweise, die Kommunikation verändert und vor allem die große Herausforderung, die ökologische Katastrophe, die Klimakatastrophe zu verhindern. All das gleichzeitig. Und schon das allein dieser riesige Problemberg und diese Krisen. Vielfalt. Es magister Menschen durchaus ängstigen oder unsicher machen, weil sie nicht wissen, ob sie unter die Räder kommen. Und die Politik ist in einer ganz furchtbar schwierigen Situation. Die Gleichzeitigkeit von Problemen führt ja dazu, dass man nicht ein Problem nach dem anderen lösen kann, sondern es häufig so ist, dass die Lösung eines Problems zur Verschärfung eines anderen führt. Ich nennt ein ganz plastisches Beispiel. Wir wissen, dass wir viel mehr Wohnungen brauchen. Die Mieten explodieren. Also soll vernünftigerweise Bauen vereinfacht werden, Bürokratie abgebaut werden. Aber das führt dazu, dass ökologische Standards gesenkt werden müssen. Das heißt, die Lösung eines Problems führt zur Verschärfung einer anderen Problems.

00:02:51: Dann will ich noch darauf hinweisen, damit auch die Schuldzuweisungen nicht zu billig sind. Wir haben doch dasselbe Problem die Zunahme von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, auch von von politischer Gewalt in fast allen Demokratien in Europa, selbst in den so wunderbar stabil erscheinenden skandinavischen Ländern erleben wir dasselbe. Es kann also nicht nur die Dummheit und der Streit der gegenwärtigen Bundesregierung sein, an der man vieles kritisieren kann, sondern wir sehen, wir haben es mit einer allgemeinen Problematik gemacht, was die Lösung wiederum schwieriger macht. Aber dass die Situation, die ich jetzt etwas grob in groben Skizzen gezeichnet habe, die führt ja dazu, dass wir in einer Situation sind, die man vielleicht nennen kann die Stunde der Populisten, die Sehnsucht angesichts der Verunsicherung, des Ärgers, der Wut, der Enttäuschung, die Sehnsucht nach den einfachen, schnellen Antworten ist dramatisch gewachsen. Die Sehnsucht nach dem starken Mann, der den gordischen Knoten durchschlägt. Und diese Sehnsucht wird von der AfD befriedigt. Die kann das Blaue vom Himmel versprechen. Da kann man seine Wut und seine Sehnsucht adressieren. Das kann. Ernsthafte Demokraten können diese Art von Versprechungen nicht machen. Aber diese Situation führt eben auch dazu, dass Menschen eher bereit sind, sozusagen ihre Wut zu artikulieren. Und zwar eben nicht nur nur rhetorisch, sondern eben auch physisch. Das gehört auch dazu. Die Zuspitzung dieser Situation von von Widersprüchen, von Problemanhäufung und damit von Unsicherheiten und Ängsten und Verärgerung. Das ist die schwierige Gemengelage, mit denen wir es zu tun haben.

00:06:32: Florian Harms: Ja, und zugleich habe ich den Eindruck, dass Ja zu diesen Krisenerlebnissen und zu der gesteigerten Wut, dem Frust, wie Sie ihn gerade beschrieben haben. Thierse schon auch eine Verrohung der öffentlichen Debatte kommt. Und jetzt haben Sie gerade das Beispiel der AfD genannt. Das sind ganz häufig eben jene Politiker, die sich dann auch in einer unflätigsten Art und Weise brachial gegenüber Andersdenkenden oder politischen Gegnern äußern. Gar nicht nur in der Öffentlichkeit, im Parlament, vor allem in den sozialen Medien. Das nehme ich wirklich als verschärfen. Das Problem war, dass dort kein zivilisierter Diskurs mehr möglich ist, sondern dass man da schon regelrecht mit der verbalen Kalaschnikow gegeneinander unterwegs ist. Und da ist bislang einfach das Problem aufgetreten. Das ist nicht wirklich konsequent reguliert worden, das hat man laufen lassen. Das sehe ich schon als ein wesentliches Problem. Und wir sehen ja dann einen Überschwapp-Effekt, dass nämlich diese brachiale Kommunikation aus den sozialen Medien auch in den öffentlichen Raum getragen wird und sich dann wiederfindet auf Wahlkampfveranstaltungen oder eben dann sogar bis hin zum Bundestag, wo wirklich in einer schlimmen Art und Weise gegen Menschen gehetzt wird. Und das verschärft das Problem. Und das trägt sicherlich auch dazu bei. Meine Meinung zumindest, dass Menschen, die zu Gewalt neigen, sich ermutigt fühlen. Na ja, wenn die Politiker da so sagen, sie wollen bis zur letzten Patrone vorgehen oder meint es doch mal!

00:08:00: Wolfgang Thierse: Also ich kann Ihnen da nicht widersprechen. Fangen wir mal mit der AfD an Was wir gegenwärtig erleben, ist die Erfüllung einer Androhung von Herrn Gauland, der damals Ja, wir werden sie jagen. Und damit meinte er damals die Regierung unter Angela Merkel. Also eine demokratisch gewählte Regierung, getragen von zwei Volksparteien. Wir werden sie jagen, wir erleben das jetzt und Sie beschreiben das vollkommen richtig. Die Atmosphäre in den Parlamenten, nicht nur im Bundestag, sondern auch in den Landtagen, auch in den kleineren, auf den unteren demokratischen Ebenen ist gröber, ist hasserfüllter geworden durch die AfD, weil sie als politische Partei dazu beigetragen hatten, dass die Grenzen des Sagbaren erweitert worden sind. Und jetzt kommt das hinzu, was Sie richtig beschreiben Es ist nicht meine Welt, aber was ich davon mitbekomme ist Die asozialen Medien sind eben asoziale Medien. Das Internet ist zu einem zu einem Echoraum der Pflege von Vorurteilen und damit der Steigerung von Hass geworden. Was früher die Kneipe war, der Stammtisch, da konnte man schimpfen, da konnte man auch grobe Worte verwenden. Da ging es sicherlich nicht zimperlich zu. Aber das war erledigt, wenn man wegging.

00:08:00: Jetzt bleibt das und jetzt steigert sich das, weil man immerfort die eigene Meinung reproduziert. Das führt zu Radikalisierung unmittelbar. Und das wird natürlich aus der digitalen Welt dann in die analoge Welt getragen. Gerade wenn jüngere Leute sich da immerfort aufhalten und damit auch Hemmschwellen abgebaut werden. Die Hemmschwellen werden zuerst mal rhetorisch abgebaut und damit werden sie auch moralisch dann als zweiten Schritt abgebaut und dann ist man in der wirklichen Welt. Und dann erleben wir und staunen darüber, dass 16, 17, 18-jährige hinlangen, prügeln, Menschen verletzen, schwer verletzen. Das ist eine beunruhigende Entwicklung. Und diese Frage ist ja Wie kann man dem beikommen? Ich weiß nicht, ob es möglich ist, dass auch fürs Internet gilt, was presserechtlich sonst Regeln sind.

00:10:07: Florian Harms: Das müsste doch eigentlich gelten.

00:10:09: Wolfgang Thierse: Über dieses übertragen müsste. Da müsste man natürlich aber dann den Gewaltigen, den Eigentümern, den den Regeln des Internets beikommen. Das ist dann eine riesige Herausforderung und das ist weit mehr als eine nationale Aufgabe. Da müsste man schon mindestens europäische Regelungen versuchen zu erreichen.

00:10:26: Florian Harms: Ja, und der Schlüssel dabei ist ja, dass die Eigentümer dieser großen digitalen Plattformen, also Facebook, Tik Tok, X, wie sie alle heißen, es bislang immer geschafft haben, dass ihre Plattformen eben als Plattformen bewertet werden, auch juristisch bewertet werden, als Kanäle, als Kommunikationskanäle, auf denen alles stattfinden kann. Das heißt, sie müssen nicht die Verantwortung für die Inhalte übernehmen, wie das beispielsweise Medienhäuser tun müssen, also wie ich als Chefredakteur von t-online bin, verantwortlich für den Inhalt. Wenn einer meiner Redakteure auf die abstruse Idee käme, irgendwelche Hassbotschaften zu verbreiten, wäre ich verantwortlich dafür. Und das ist eben anders auf diesen digitalen Plattformen. Jetzt muss man fairerweise sagen, Da passiert ja schon einiges. Durch die europäische Rechtsprechung sind die Digitalplattformen stärker dazu gedrängt worden, Verantwortung zumindest nachgelagert zu übernehmen. Also wenn da Hass und Hetze unterwegs ist, dass sie das dann monitoren und auch melden. Den Strafverfolgungsbehörden. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, das genügt alles überhaupt nicht, weil das mittlerweile eine Dimension erreicht hat, die unsere Gesellschaft systematisch vergiftet. Und es gibt dort eben nicht wie Herr Thierse, Sie haben den Stammtisch genannt, früher, da gab es ja immer sozusagen das soziale Korrektiv, da hat dann vielleicht irgendjemand mal gesagt So, jetzt Kalle, halt aber mal in. Jetzt geht man nach Hause. In den sozialen Medien wird durch die perfiden Algorithmen negative Emotion immer weiter gesteigert und bestätigt. Und so beginnen eben Menschen, sich in einer Hassspirale zu verfangen. Und dann ist irgendwann der Schritt erreicht, an dem man dann eben doch draußen mal jemanden angreift, wenn man ihn zufällig sieht oder wenn man es sogar ganz bewusst plant.

00:12:06: Wolfgang Thierse: Die Frage ist, wie man das regeln kann. Mir scheint, bevor man über rechtliche Fragen noch mal nachdenkt wie kann man das verschärfen? Wie kann man die Verantwortung der Eigentümer steigern? Noch mal nachdenken über dieses Verhältnis von Freiheit und Verantwortung. Das scheint mir ein Beispiel zu sein. Wir erleben ja etwas, was mich ein bisschen beunruhigt eine allgemeine Entwicklung, wo dieser hohe Wert der Selbstbestimmung, unserer individuellen Freiheit sozusagen zu einer Ideologie verkommt, weil sie dieser Begriff, unser Verständnis von Selbstbestimmung entkoppelt wird von dem, was wir Verantwortung nennen. Verantwortung für die Folgen meines selbstbestimmten Tuns. Und dass Freiheit auch entkoppelt wird von Verantwortung. Ich kann doch meine Freiheit nur leben mit dem Blick auf die anderen. Die Freiheit der anderen ist die Grenze meiner Freiheit. Und das wieder ins Bewusstsein, also die Selbstbestimmung von dieser ideologischen Entfesselung wieder zurückzuholen und in den Zusammenhang von Verantwortung, von sozialer und gesellschaftlicher und politischer Verantwortung zu bringen, das scheint mir wichtig zu sein. Und dann muss man darüber reden. Was heißt das für das Internet? Was heißt das für die Presse, also für die Presse und im weiteren Sinne also für die digitale Welt?

00:12:06: Aber was heißt das auch für den Alltag? Denn sie erleben doch, und das gehört ja mit dazu, das inzwischen. Das klingt jetzt vielleicht etwas allzu konservativ, aber dass Sie dieses Verständnis von Selbstbestimmung inzwischen verkommen, ist zu einem reinen Ausdruck von Egoismus. Was ich will, ist entscheidend. Und der Staat und die Politik haben gefälligst zu leisten, was ich von ihnen erwarte. Also das ist so ein Verhältnis von Ich bin Konsument, die haben das zu lassen und da sie das demokratische Politik nie. Alle Anforderungen, alle Wünsche befriedigen kann, ist die Enttäuschung gerade in den schwierigen Zeiten, die ich geschildert habe, noch größer. Und die Wut dann auch wieder. Aber dieses Selbstverständliche, die haben zu liefern. Die Politik hat gefälligst zu liefern, was ich mir wünsche. Und dieses Missverständnis von Demokratie als ein Wunschkonzert. Auch das gehört ja mit zur politisch kulturellen Atmosphäre, in der wir gegenwärtig leben.

00:14:24: Lisa Fritsch: Aber eben auch diese Abgrenzung, die und ich sehe mich nicht selbst als einen Teil von der Demokratie. Ich meine, wir sind alle wahlberechtig, wir können alle wählen, wir alle entscheiden, wer dort am Ende sitzt. Wir haben alle auch eine Stimme. Und zu dem anderen Punkt, den Sie gesagt haben mit dem Egoismus, fand ich auch spannend, weil eben dieser Individualismus durch die sozialen Medien eben auch noch mehr vorangetrieben wird. Ich habe das auch gelernt, als ich studiert habe, vor zehn Jahren ungefähr. Sei deine eigene Marke, stell dich selber hinaus. Es kommt sozusagen auf deine Stärken an! So was lernen halt junge Leute in unserer Zeit, auf dich selbst zu schauen. Individualistisch zu sein.

00:15:04: Florian Harms: Lisa Vielleicht ist es Zeit, mal an diesen berühmten Satz des amerikanischen Präsidenten Kennedy zu erinnern. Überlege dir nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst. Und das kann man dir übertragen, was du für deine Demokratie tun kannst. Du hast ja vollkommen recht. Demokratie ist ja kein statischer Zustand, sondern sie lebt davon, dass wir uns in ihr engagieren. Und übrigens nicht nur aktiv wählen, sondern auch passiv. Wir können uns ja wählen lassen. In vielen Kommunen fehlen demokratische Amtsträger wie zum Beispiel Bürgermeister, weil einfach niemand mehr da ist, der sich engagieren möchte. Und da braucht es ein größeres Engagement der Bürgergesellschaft, das eine Aufforderung für uns alle.

00:15:41: Lisa Fritsch: Ja, dann sind wir wieder beim Ausgangsproblem der Gewalt und der Gewaltandrohung an Politiker, die ja jetzt immer mehr zunimmt.

00:15:48: Wolfgang Thierse: Na ja, das ist so, also wenn ich mir vorstelle, ich habe doch in meinem politischen Leben das Glück gehabt, dass ich zwar immer wieder mal beschimpft worden bin und heftig kritisiert worden bin. Das gehört dazu, das ist Demokratie, die Grenze nur selten überschritten worden ist, dass man bespuckt worden ist oder auf übelste Weise persönlich angegriffen worden ist. Aber das war alles noch im Rahmen des Erträglichen. Und wenn ich jetzt sehe, in einem Dorf oder in einer Stadt, fühlt sich einer bedroht, der seine Haut zu Markte trägt, indem er Bürgermeister wird und nie alle Wünsche der Bewohner seines Ortes befriedigen kann, also immer in den Entscheidungen Ärger auslösen muss, weil es gar nicht anders geht. Ja, wer soll denn das noch machen?

00:15:48: Und insgesamt ist die Politik doch keine Sphäre der der Selbstbestätigung und der Selbstbefriedigung, sondern Verantwortung übernehmen heißt auch immer, zwischen den eigenen Idealen und Wünschen und der Unzufriedenheit der anderen agieren zu müssen. Und das ist eine ziemlich enttäuschungshafte und schweißtreibende und hässliche Angelegenheit, also hässlich in Anführungsstrichen. Also deswegen sage ich, ich glaube schon, dass wir jetzt in einem Stadium sind, wo der Staat, die Justiz, die Polizei, aber auch die Medien, die traditionellen Medien wie die digitalen Medien wirklich energischer als bisher die Demokratie dadurch verteidigen müssen, dass sie, die Demokraten, das demokratische Personal verteidigen. Denn Demokratie ohne engagiertes Personal geht tot. Und das ist vielleicht der eigentliche Effekt dieser Gewaltwelle, die wir erleben. Angst zu steuern, dass es nicht mehr genügend Demokraten gibt.

00:17:32: Lisa Fritsch: Ja, das ist ein Aspekt. Und das wird ja auch durch die sozialen Medien befeuert, dass es weniger demokratischen Austausch gibt. Jeder haut da sozusagen seine Meinung raus, eben auch, weil es anonymer ist, weil es nicht so ist wie am Stammtisch, dass man sich gegenübersitzt und direkt Resonanz bekommt. Aber das hat eben auch zu mehr Bedrohungen von Politikern geführt. Und dagegen wollen die Innenminister der Länder jetzt vorgehen mit einem neuen Straftatbestand, wie das der Innenminister von Sachsen, Armin Schuster, in den Tagesthemen, sagte:

00:18:02: Armin Schuster (CDU): Wir brauchen einen neuen Straftatbestand im Strafgesetzbuch für die Bedrohung von abends, Mandatsträgern und Ehrenamtlichen. Das ist im Moment noch schwer greifbar. Und da wollen wir den Bundesjustizminister auffordern, unserem Vorschlag zu folgen. Ich gehe stark davon aus, dass die Justiz bei der Aburteilung solcher Täter mit in Betracht zieht, dass es hier nicht um eine nur gefährliche Körperverletzung ging, sondern dass das ein schwerer Angriff ist auf das Thema freie Wahlen.

00:18:33: Lisa Fritsch: Genau. Und unter diesem neuen Straftatbestand soll auch so was wie politisches Stalking wird. Das bezeichnet, also auch Bedrohungen, die über das Internet organisiert werden. Also wenn man jetzt zum Beispiel darauf aufruft Lasst uns vor das Haus des Bürgermeisters ziehen, Krawall machen. Und auf diesen neuen Straftatbestand haben sich die Innenminister jetzt geeinigt. Meinen Sie denn, dass das helfen kann?

00:18:55: Wolfgang Thierse: Also es wird nicht schnell helfen, weil es zunächst mal ein Gesetzgebungsverfahren ist. Und natürlich ist das auch ein bisschen zweischneidig. Es kommt darauf an, wie man ein solches Gesetz als solchen Straftatbestand formuliert. Es soll ja nicht der Eindruck entstehen, dass hier Sonderrechte für Politiker geschaffen werden. Aber wir brauchen ein Instrument, auch ein rechtliches Instrument, um das zu fassen, was doch hier geschehen ist. Also wenn Leute sich vor dem sächsischen, dem privaten Haus, der privaten Wohnung des sächsischen Ministerpräsidenten versammeln und ihn belästigen und behelligen. Oder wenn bei einer sächsischen Ministerin, dann Frau Köpping. Die hat etwas Ähnliches erlebt. Oder wenn die Vizepräsidentin des Bundestages eine halbe Stunde in ihrem Auto sitzt und sich nicht weiterfahren kann, weil da draußen Menschen sind, die sie bedrohen. Bisher ist das nicht fassbar bei physischer Gewalt. Da ist klar Den Straftatbestand gibt es Körperverletzung und dann kann man auch die politische Motivation mitbedenken. Aber etwas Derartiges wie ich gerade geschildert, das fassbar zu machen, das ist vielleicht nicht falsch, aber es kommt genau darauf an wie formulieren wir das? Aber zweitens will ich noch etwas anderes sagen, wenn ich mich richtig erinnere. Jedenfalls war das mein Erleben immer. In den vergangenen Jahrzehnten waren Politiker weniger geschützt als Personen sonst, weil sie sagen, die sind öffentliche Person. Damit müssen sie sich auch der Kritik stellen. Da dürfen sie nicht wehleidig sein. Und Staatsanwälte haben das immer sehr großzügig ausgelegt. Politiker haben sich gefälligst ganz viel gefallen zu lassen, sie gehen ja freiwillig in die Öffentlichkeit. Diese Haltung in der Staatsanwaltschaft, in der Justiz, die würde ich gerne überwunden sehen. Ob dabei ein solcher Straftatbestand hilft, das weiß ich nicht genau. Vielleicht.

00:20:55: Florian Harms: Ja, das zielt darauf ab, dass, wer sich für die Demokratie engagiert, fürs Gemeinwohl engagiert, auch einen besonderen Schutz genießen sollte. Ich stimme Ihnen zu, Herr Thierse. Man muss aufpassen, dass dann nicht Sonderregeln, so ein Sicherheitskordon um die Volksvertreter geschaffen wird. Denn das könnte auch genau das Gegenteil erreichen dass man eben eine größere Spaltung sieht zwischen einer vermeintlichen politischen Elite und dem Rest des Wahlvolks. Vielleicht kann so eine Regelung helfen. Mir geht es aber vor allem auch darum, dass die bestehenden Regeln natürlich konsequent angewendet werden müssen. Ich weiß nicht, wie es euch und wie es ihnen ging, als wir jetzt im Fall dieses Angriffs in Dresden auf den Politiker Ecke erfahren haben, dass einer der mutmaßlichen Täter, möglicherweise sogar der mutmaßliche Haupttäter, schon direkt nachdem er sich gestellt hatte, wieder laufen gelassen wurde, freigelassen wurde. Da habe ich tief geschluckt. Mittlerweile ist er ja wieder festgenommen worden, auch vielleicht aufgrund des öffentlichen Drucks. Aber es gibt auch klare Strafbestand Taten. Es gibt in Paragraf 226 Strafgesetzbuch schwere Körperverletzung, in diesem Fall offenkundig gegeben. Jetzt war der dann noch nicht verurteilt. Aber der Verdacht bestand.

00:22:04: Lisa Fritsch: Ja eben mit der Begründung, weil er wohl nicht jetzt weglaufen würde oder so.

00:22:09: Florian Harms: Ja mei, aber man hat ja auch einen gewissen Gestaltungsspielraum dann als Ermittlungsbehörde. Welches Signal setzt man denn, wenn das ganze Land über diesen Fall redet und sagt, man konnte ja erst mal wieder seiner Wege gehen? Das fand ich wirklich schwierig.

00:22:20: Wolfgang Thierse: Ja, ja, also mich hat das auch wirklich überrascht und ich dachte, ich habe dann gedacht so in meinem naiven Verstand, Na gut, weil er noch so jung ist als 17, Wohl, dass man dann auch pfleglicher und vorsichtiger umgeht, das sehe ich ein. Aber da wir doch insgesamt die Tendenz haben, das Wahlalter herabzusetzen ab 16. Und das heißt ja, wir geben Jüngeren mehr politische Verantwortung, ja dann heißt das auch die Rücksicht, Seite von politischer Verantwortung zu nehmen. Wenn ich etwas tue, was gegen das Gesetz verstößt, was Antidemokratisches, muss ich dafür auch einstehen, auch wenn ich erst 16 oder 17 bin. Das gehört dann auch dazu.

00:23:00: Lisa Fritsch: Ja, ja, genau. Und vor allen Dingen sendet es ja auch ein Signal an die Altersgruppe. Wenn der dann seinen Kumpels erzählt Ach, ich war nicht mal irgendwie in Gewahrsam, ich wurde nicht mal festgehalten. Es ist ja dann auch da sieht man ja auch, wie schwach die Polizei und Justiz in diesem Fall ist. Und genau daran will aber jetzt auch Innenministerin Faeser etwas ändern. Wir hören noch mal kurz rein, was sie ja eben diese Woche nach der Sonderkonferenz gesagt hat.

00:23:22: Nancy Faeser (SPD): Wir müssen jetzt mit mehr Härte gegen Gewalttäter und mehr Schutz für politisch Aktive handeln. Das bedeutet schnelle, konsequente Verfahren und Strafen. Und das ist auch Bestandteil des Beschlusses, den die Innenminister getroffen haben.

00:23:36: Lisa Fritsch: Genau. Also hier sagt sie auch noch mal mehr Schutz für politische Akteure, aber eben auch diese schnellen, konsequenten Verfahren. Und das hat auch der Innenminister in Sachsen noch mal hervorgehoben, wie schnell dann doch die Tatverdächtigen festgenommen wurden. Das ist ja immerhin positiv zu bewerten.

00:23:51: Florian Harms: Aber sie wurden erst mal ermittelt. Schnell. Also das mit der Festnahme hat dann ja gedauert. Also diese Verdächtigen hat man schnell identifiziert, Das war ein Erfolg. Aber sie wurden ja nicht sofort festgenommen. Alle.

00:24:04: Lisa Fritsch: Ja, das stimmt.

00:24:04: Florian Harms: Also da ist ein gewisser Widerspruch. Und deshalb muss man, glaube ich, auch schauen. Ich hoffe nicht, dass das jetzt Lippenbekenntnisse bleiben, nur weil der Fall jetzt so hohe Wellen geschlagen haben. Man muss jetzt schon auch hingucken Was passiert denn jetzt?

00:24:13: Wolfgang Thierse: In vollem Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz, kann man doch sagen Ich bin gespannt darauf, wie schnell die Justiz in diesem Fall handelt, der die ganze, das ganze Land beschäftigt. Ob die Justiz dann sagt, ja, da müssen wir auch Stellen nach den Regeln des Gesetzes doch ein Zeichen setzen, um zu zeigen, dass auch die Justiz sich für die Verteidigung der Demokratie, also der Gesetze, die diese Demokratie tragen, verantwortlich fühlt. Ich bin sehr neugierig, ob aus der jetzigen Aufregung und der Beteuerung von Politikern, die ja nicht in die Justiz durchgreifen können, ob dann die Justiz, das heißt die unabhängigen Staatsanwälte und Richter bemerken, was die Stunde geschlagen hat.

00:24:57: Florian Harms: Ja, denn solche Verfahren können ja durchaus auch Monate oder sogar länger als ein Jahr dauern. Das ist im Rahmen des Möglichen.

00:25:04: Wolfgang Thierse: Ich bin sehr gespannt, wann wir da irgendwie etwas hören. Und ich bin gespannt, ob Journalisten auch nachher nicht nach ein paar Tagen, sondern auch nach ein paar Wochen und Monaten nachfragen.

00:25:15: Florian Harms: Wir werden das tun. Versprochen.

00:25:18: Lisa Fritsch: Ja, aber es geht vor allen Dingen auch eher um die härteren Strafen, denn wir haben eigentlich juristisch gesehen schon ein hohes Strafmaß, also für Körperverletzungen. Beleidigungen gibt es teilweise 2 bis 5 Jahre, für schwere Körperverletzung bis zu zehn Jahren. Es wird halt noch nicht ausgeschöpft. Das ist halt die Sache, ob sich denn da wirklich was verändert. Und Strafrecht-Experten bezweifeln auch, dass sich höhere Strafen darauf auswirken, dass weniger Straftaten begangen werden.

00:25:45: Wolfgang Thierse: Nein, da kann man durchaus Skepsis sein. Es geht da ich also mir geht es sowieso nicht um die Höhe der Strafen, sondern es geht um die Schnelligkeit von Verfahren. Und genau dann, wenn irgendetwas. Von Strafverfahren noch einen erzieherischen Effekt haben sollen, ist ja ein Nebeneffekt. Dann hängt dieser Effekt ganz schnell an der Schnelligkeit der Verfahren ab. Dass gerade bei jungen Leuten das Verfahren noch in einem einseitigen Zusammenhang mit der Tat steht.

00:26:10: Florian Harms: Ja, und es kommt noch hinzu, wenigstens das. Ich denke, es kommt noch hinzu, wie die Zivilgesellschaft dann eben reagiert, mit solchen Fällen umgeht. Wie schnell man als Gesellschaft darüber hinweggeht, über so einen Fall oder wie stark man immer wieder daran erinnert, was eben nicht passieren darf und wo die Grenzen sind. Und da fällt mir schon auch auf, dass natürlich diese Verrohung des öffentlichen Diskurses, über die wir vorhin gesprochen haben, durchaus auch von demokratischen Politikern mit getrieben worden ist. Ich habe selbst im Tagesanbruch darüber geschrieben. Also manche Äußerungen auch von Politikern wie Söder, Kretschmer, Aiwanger und anderen haben, glaube ich, dazu beigetragen, diesen Diskurs zu verrohen.

00:26:50: Lisa Fritsch: Ja, darauf wollte ich gleich auch noch mal zurückkommen. Aber noch mal auf den juristischen Aspekt Es kommt dabei ja auch darauf an, ob wir überhaupt genug Personal haben in der Justiz einerseits für die schnellere Strafverfolgung, aber andererseits auch an der Polizei, also jetzt zum Beispiel bei der Forderung, jede Wahlplakat Führung zu begleiten. Das wäre ja auch personell überhaupt nicht möglich. Wir haben da doch gar nicht genug Polizisten, oder?

00:27:14: Wolfgang Thierse: Nein, die Erwartung würde ich an die Polizei auch nicht richten. Das ist illusionär, sondern da sage ich schon, das ist Sache der Bürgergesellschaft. Die Solidarität mit den demokratischen Akteuren muss sichtbar sein. Das heißt sowieso nie alleine oder nur zu zweit plakatieren, sondern immer als Gruppe, die sich hilft und dann erwartet. Das ist doch vielleicht kein falscher Wunsch, dass Bürger, die vorbeigehen, eher ermuntern, solchen Leuten, die da ihre Haut zu Markte tragen, separate aufkleben oder die an einem Infostand stehen und sich den Bürgern zuwenden und Material verteilen oder zum Gespräch bereitstehen, den einigermaßen Freundlichen ermuntert zu gehen, auch selbst sonst nicht die eigene Partei ist, die da steht. Ich mache das immer. Das ist natürlich der Vorteil, weil die alle mich kennen und ich kennen sie, sage ich immer Gut, dass sie da sind, und unterhalte ich mich mit denen. Das gehört auch dazu. Also diese Art, diese alltägliche Solidarität in dem demokratischen Geschehen ist ganz wichtig.

00:28:13: Lisa Fritsch: Und auch die Wertschätzung von Politikern, die ja auch verloren gegangen ist. Aber wie können wir die denn zum Beispiel steigern? Da müsste man ja eigentlich schon in den Schulen anfangen. Es gibt natürlich Schulklassen, die den Bundestag besuchen, da sehen, wie anstrengend es ist, als Politiker zu arbeiten. Aber ich denke, es ist schwer.

00:28:29: Florian Harms: Es gibt da etwas, was Politiker und Journalisten eint. Sie haben beide ein sehr schlechtes öffentliches Image. Das ist niedergelegt auch in Umfragen. Und wir Journalisten tragen aber glaube ich, auch dazu bei, dass das Image von Politikern jetzt nicht allzu gut ist, weil wir häufig schon sehr harsch mit ihnen umgehen und sehr hart mit ins Gericht gehen. Viel härter als mit uns selbst. Denn wir spielen ja auch eine Rolle im demokratischen Diskurs, das muss ich selbstkritisch sagen. Ich glaube, darüber sollten wir nachdenken, wenn es um Talkshows geht, wenn es um politische Kommentare geht, um die Äußerungen in sozialen Medien, wo Diskussionen zu Hause, am Küchentisch genauso wie in der Öffentlichkeit. Das, was du vorhin beschreibst oder was Sie auch beschrieben, Herr Thierse, die da oben müssen das leisten und die machen das nicht so, wie ich das will. Also sind das alles Versager. Das muss enden. Wir alle gemeinsam bilden die Demokratie.

00:29:18: Wolfgang Thierse: Da werde ich schwerlich widersprechen. Was ich mir wünschen von den Medien, von Journalisten, also von politischen Menschen, ist, dass sie sich immer neu der Anstrengung unterziehen, die schwierigen politischen Entscheidungen in ihrer Schwierigkeit zu erklären. Die Komplexität eines Sachverhalts, einer Entscheidungssituation. Was spricht für diese Lösung? Was spricht gegen diese Lösung? Also gewissermaßen politische Komplexität ins Verständliche übersetzt, was aber häufig passiert, und das hat natürlich auch mit dem Tempo des Journalismus, mit der medialen Kongruenz zu tun, ist, dass genau das reduziert wird auf persönliche Konkurrenz, auf Skandalgeschichten. Der ist der Sieger, der ist der Verlierer. Das erklärt nicht zum Beispiel die Schwierigkeit mit dem Heizungsgesetz. Da kann ich auch sagen, da ist viel kommunikativ falsch gelaufen. Aber zunächst muss man doch erklären können Worum geht es denn der Sache nach da? Was ist die Lösung? A Was ist die Lösung? B Also das verständlich. So ist aber nur im Grunde Angst verbreitet worden und das ist alles saudumm gewesen. Und natürlich bestätigt das das kollektive Vorurteil Die sind dumm, die können es nicht und man hat nicht eine Sekunde sich beschäftigt mit der Schwierigkeit der Materie. Also diesen Wunsch habe ich schon immer gehabt. Politiker sollen verständlich reden, aber da das nicht immer ganz gelingt, haben auch Journalisten die Aufgabe, nicht nur Kritik zu üben. Selbstverständlich, sondern auch ins Verständliche zu übersetzen, worin die Schwierigkeit einer Entscheidung zur.

00:30:54: Florian Harms: An Rettung muss ich jetzt aber schon auch sagen, Herr Thierse, dass natürlich auch Politiker in ihrer Zuspitzung und Angriffen gegenüber politischen Gegnern sehr deutlich werden und natürlich auch genau das auf diese persönliche Ebene ziehen. Und das geben wir dann häufig wieder als Medien. Da schließt sich der Kreis dann wieder. Aber ich stimme Ihnen zu. Mehr Differenzierung, vor allem mehr Hintergründe tut not.

00:31:13: Lisa Fritsch: Und wo es auch so die Grenze der Kritik. Wir als Medien müssen ja eben auch Kritik üben. Das ist ja auch eine unserer gesellschaftlichen Aufgaben. Und es ist halt auch zu viel und zu viel Sensation, was sich natürlich auch wieder in den sozialen Medien niederschlägt, was wir am Anfang angesprochen haben. Ich wollte aber noch mal kurz auf die Ja.

00:31:30: Wolfgang Thierse: Aber, aber Sie sagen den Satz so selbstverständlich Wir müssen Kritik üben, dass es unsere gesellschaftliche Aufgabe, ja ihre gesellschaftliche Aufgabe ist, doch auch gelegentlich zu erzählen, was gelungen ist.

00:31:43: Florian Harms: Völlig richtig. Völlig richtig. Vor allem haben wir die Aufgabe, jetzt erst mal zu berichten, was passiert.

00:31:48: Wolfgang Thierse: So ist das Lob unter Journalisten dermaßen tabuisiert oder nur durch die nüchterne Feststellung Was ist, ist dermaßen tabuisiert? Ist es. Es muss, und ich meine, das findet auch in den seriösesten Medien statt. Es muss Zuspitzung, es muss Verschärfung geben, es muss die Dominanz der Kritik geben. Das gilt für jede Talkshow, weil sie sonst nicht unterhaltend ist. Zuspitzung Das Gegeneinander muss forcieren. Herr Lanz ist ja ein Prototyp dafür. Wehe, wenn ein Politiker mal fünf Zusammenhang Gesetze sagt. Da muss er dazwischenkommen und ihn so lange piesacken, bis er den falschen Halbsatz gesagt hat, den er dann als Mühlstein um den Hals.

00:32:29: Florian Harms: Ich stimme Ihnen zu und sage zugleich es gibt auch andere Ansätze. Also ich will uns jetzt nicht in den Himmel heben, aber wir bei Online haben uns auf die Fahnen geschrieben, eher Hintergründe zu liefern, dialektisch zu argumentieren wurden Einerseits ist es ein andererseits Es gibt ein ganz tolles Medium, was das vielleicht sogar noch viel besser macht. Dass der Deutschlandfunk die wirklich Hintergründe beleuchten, kann ich jeder Bürgerin, jedem Bürger nur empfehlen, das regelmäßig zu hören, weil da wirklich erklärt wird, worum es in der Sache geht. Ich stimme Ihnen zu, davon brauchen wir mehr.

00:32:55: Lisa Fritsch: Aber dann haben wir wieder das Problem der sozialen Medien. Und zwar wie? Worüber konsumieren jüngere Menschen? Medien? Eben über die sozialen Medien. Und wenn da wieder der Algorithmus greift Ich will ja nur gerne aggressive, gegen die Bundesregierung gerichtete Nachrichten empfangen, dann empfange ich auch größtenteils ebensolche Nachrichten. Und ich möchte aber noch auf einmal die Verrohung im Bundestag. Wir hatten jetzt schon öfter die AfD auch angesprochen und sie waren ja auch sieben Jahre Bundestagspräsident, danach sehr lange Vizepräsident. Die AfD ist jetzt seit über zehn Jahren im Bundestag und auch sehr verantwortlich für diese populistische, gewaltbereite Sprache. Sie bekommt die meisten Rügen und Ordnungsrufe. Hätte denn zum Beispiel Ihr Nachfolger Wolfgang Schäuble, der von 2017 bis 2021 Bundestagspräsident war, strenger durchgreifen müssen?

00:33:46: Wolfgang Thierse: Also das ist gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Parlament ist ein Ort des Streites, des rhetorischen Streites. Auch Polemik ist erlaubt, auch Zuspitzung. Es war immer die Grenze. Wenn das dazu führt, zur persönlichen Herabsetzung, persönlichen Angriffen oder wenn es unangemessene Vergleiche etwa mit der oder Gleichsetzung mit der Nazizeit das ist ja ein ein besonders perfide und aber eben sehr beliebte Methode, jemanden fertig zu machen. Dann kann man eingreifen. Man kann Rüge erteilen, man kann auch zu schärfer Mitteln greifen. Aber das hat immer auch seine Grenze, die Freiheit des Abgeordneten als gewählt. Und man kann nicht verhindern Kein amtierender Präsident kann verhindern, dass ein AfD AfD Politiker im Parlament so redet, dass er die Häppchen hat, die er dann fürs Internet braucht. Die aber tickt doch und anderswo abliefert. Das kann man nicht verhindern. Leider ist das so, aber es bleibt eben dann nur der Versuch. Das Politiker selber. Aber deren Möglichkeiten sind schon zeitlich und von den Kompetenzen her begrenzt. Aber vor allem auch Journalisten und andere Leute in den sogenannten sozialen Medien selber präsenter sind, selber gegenhalten, so schnell wie möglich reagieren. Das können Politiker alleine gar nicht machen. Deswegen das Ich ist die Verantwortung der der demokratischen Journalistenschaft sozusagen da zu agieren. Und die Online ist ja durchaus ein Medium dieser Artikel entgegenzuhalten.

00:35:20: Lisa Fritsch: Das war noch mal die Frage mit Herrn Schäuble. Das war ja schon die Zeit, wo die AfD so ihre Hochzeit hatte, wo man sie machen lassen hat. Hätte man nicht zum Beispiel mehr Ordnungsrufe? Also einer der größten Regeln ist ja der Ausschluss der Abgeordneten. Das ist auch möglich gesetzlich.

00:35:38: Wolfgang Thierse: Aber natürlich muss man, ist das immer eine Abwägung wie schnell mache ich jemand zum Opfer? Versuchen wir souverän und heiter ironisch damit umzugehen. Um diese Diktion auch von den Reden anderer Parteien ist ja eine wirklich schwierige Aufgabe, sich nicht immerfort durch die Zwischenrufe der AfD irritieren zu lassen, sondern weiter zur Sache zu reden und im Gespräch mit den anderen Fraktionen zu sein und nicht sozusagen total fokussiert auf die AfD. Das wollen die natürlich haben. Das ist immer eine Gratwanderung gewesen. Und wie gesagt, ich hatte ja das Glück, dass es bei mir die AfD noch nicht gegeben hat, also die Sitten noch ziemlich zivil waren und man mit Großzügigkeit die Parlamentsdebatten leiten konnten.

00:36:25: Lisa Fritsch: Also Sie sagen eher, dass die Politiker selbst in der Verantwortung stehen. Ich meine, wenn man aber seine Rede eröffnet im Bundestag und gar nicht mehr weiterreden kann, weil es einfach so viele Zwischenrufe gibt.

00:36:36: Wolfgang Thierse: Ja klar, da muss man eins, da muss man einschreiten. Die strengste Methode ist, jemand von der Sitzung auszuschließen. Es gibt ja auch sogar Geldstrafen können ausgesprochen werden. Das muss dann immer im Ältestenrat auch verhandelt und bestätigt werden. Das ist alles möglich. Diese Instrumente muss man nutzen, aber man muss sie natürlich auch pfleglich nutzen. Also nicht. Auch da gilt Inflation entwertet.

00:37:01: Lisa Fritsch: Ja, damit kommen wir zum Ende dieser Diskussion. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, Herr Thierse, Bundestagspräsident a.D., für die Zeit, die Sie sich genommen haben und auch die Florian für deine Einordnungen. Wir haben gelernt, dass es auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten gibt, dieser sprachlichen und auch körperlichen Gewalt, die in der Politik zugenommen hat, entgegenzutreten. Einerseits den neuen Straftatbestand, den die Innenminister vorgeschlagen haben für die Bedrohung von Amts, Mandatsträgern und auch Ehrenamtlichen. Aber Herr Thierse, Sie haben schon gesagt, das könnte auf juristischer Ebene sehr lange dauern. Dann meinten Sie, dass die Schnelligkeit der Verfahren essenziell sind, aber eben auch die gesellschaftliche Verantwortung, die jeder von uns trägt, wichtig ist, um das Problem zu lösen. Und wenn Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörern, diese Diskussion gefallen hat, dann abonnieren Sie doch gerne den Tagesanbruch Podcast und verpassen keine Folge unserer Wochenendausgabe. Lassen Sie uns auch gerne eine Bewertung da, Das hilft uns wirklich weiter. Anmerkungen oder Fragen können Sie uns gerne schreiben an Podcast@t-online.de. Und damit bedanke ich mich fürs Zuhören und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Ciao!

00:38:10: Wolfgang Thierse: Alles Gute für Ihre Arbeit und mischen Sie sich demokratisch ein und verteidigen Sie Freiheit und Fairness in unserer politischen Kommunikation. Und danke und Tschüss an alle Zuhörer und auch ich wünsche Ihnen ein gutes Maiwochenende.

00:38:25: Florian Harms: Und Ihren Appell gebe ich gleich hoch in den. Vielen Dank dafür und Tschüss an alle Hörerinnen und Hörer. Bleiben Sie uns gewogen!

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert – am Wochenende in einer tiefgründigeren Diskussion zu einem aktuellen Thema der Woche. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

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von und mit Florian Harms

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