Tagesanbruch von t-online

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00:00:01 LISA FRITSCH

die Diskussion für das Wochenende vom 27. Januar 2024. Ich bin Lisa Fritsch, moderiere dieses Format, in dem wir tiefgründiger auf ein wichtiges Thema der Woche blicken. Die Republik ist weiterhin aufgewühlt. Neben den Protesten von Bauern, Handwerkern und Spediteuren stecken wir gerade im längsten Bahnstreik der Geschichte fest. wir gerade im längsten Bahnstreik der Geschichte fest. Gleichzeitig sind die Menschen so unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung wie noch nie seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2021. Woher kommt das? Was können sie noch besser machen? Oder ist die Ampel schon am Ende?

00:00:42 LISA FRITSCH

die Diskussion begrüße ich zum einen T-Online-Chefredakteur Florian Harms.

00:00:46 FLORIAN HARMS

Hallo, ich freue mich auf die Diskussion.

00:00:48 LISA FRITSCH

zum anderen unseren Politikchef bei T-Online Christoph Schwennicke.

00:00:52 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ja, hallo, schönen guten Tag.

00:00:54 LISA FRITSCH

Ich würde vorschlagen, ihr beiden mit dem Bahnstreik anzufangen, denn wir stecken jetzt mittendrin im längsten Streik der Geschichte der Deutschen Bahn. Sechs Tage, 144 Stunden, das haben die Lokführer angekündigt. Viele Menschen mussten ihre Pläne fürs Wochenende absagen, kommen nur schwer zu Terminen oder erst gar nicht los. Wie verhältnismäßig ist dieser Streik?

00:01:15 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ich habe sowas persönlich in dieser Dimension noch nicht erlebt. Herr Weselsky ist offensichtlich ein ganz spezieller Charakter. Es gibt jetzt auch Unterstützung für ihn von vielen Leuten, die sagen, es ist angemessen, weil die Bahn wiederum in Wahrheit nicht gesprächsbereit wäre. Ich kann das ehrlich gesagt von unserem wunderbaren Podcast hier nicht endgültig klären. So hart allerdings, wie er auftritt und die Forderungen, die da erhoben werden, scheint mir das tatsächlich unverhältnismäßig zu sein. Denn in einer Zeit, in der wir uns, wir werden darauf zu sprechen kommen, eher auf weniger einstellen müssen, als auch auf den Gürtel länger schnallen, hat man früher mal gesagt, da plötzlich zu sagen, voller Lohnausgleich bei 35 Stunden Woche, einfach mal so, ich weiß schon ein bisschen gestaffelt, aber das scheint mir etwas aus der Zeit gefallen zu sein.

00:02:04 FLORIAN HARMS

Ja, ich habe sowas schon mal erlebt, allerdings in Frankreich. Und ich dachte immer, sowas gäbe es nur in Frankreich, so richtig lange Streiks, nicht hierzulande. Und bin auch erstaunt darüber. Und Christoph, weil du den Kompromiss ansprichst, den es eigentlich bräuchte. Ich habe den Eindruck, mittlerweile ist das Land so polarisiert, dass eigentlich kaum noch jemand sich auf Kompromisse einlassen möchte und dass die Bereitschaft sinkt, aufeinander zuzugehen. Genau das bräuchte man jetzt aber eigentlich. Das stimmt.

00:02:29 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ich will mal das Gute im Schlechten auch benennen. Also mein subjektiver Eindruck ist, dass man sich am Ende an sehr viel, vielleicht sogar an alles gewöhnt, sogar an Herrn Weselsky und damit auch seinen Umgang irgendwie hinbekommt. Damit meine ich nicht, dass möglicherweise Lieferketten unterbrochen sind und Produktionen unterbrochen oder erschwert nur weiterlaufen können. Aber also unser eins hat sich so seine Wege gebahnt, auch trotz dieses massiven Streiks, der ja hier in Berlin auch die S-Bahn betrifft, ins Büro zu kommen und dann hier bei dir, Lisa, am Podcast-Tisch zu sitzen.

00:03:06 LISA FRITSCH

Ja, Verkehrsminister Wissing hat sich auch die Woche eingeschaltet und pochte auf ein Schlichtungsverfahren. Meint ihr denn, dass das die festgefahrene Situation irgendwie lösen kann?

00:03:15 FLORIAN HARMS

Naja, für ein Schlichtungsverfahren bräuchte es ja erstmal die Bereitschaft, wirklich einen Kompromiss zu schmieden. Und der ist bislang nicht wirklich erkennbar, zumindest bei Herrn Weselsky nicht. Nämlich wie Christoph war, der tritt ja auf wie ein Rambo, zumindest redet er so. Eigentlich müsste hinter den Kulissen was stattfinden, dass man sich langsam annähert, aber noch nicht mal darauf gibt es Hinweise. Und unsere Reporter und Rechercheure sind ja wirklich gut. Ich glaube schon, wir würden das rauskriegen. Und bislang ist da wenig zu sehen.

00:03:40 LISA FRITSCH

Ja, 2015 war es ja auch so. Ich glaube, fünf Tage waren angesagt und nach drei Tagen, dank Schlichtungsverfahren, wurde es gelöst. Vielleicht ist das, wenn Sie den Podcast hören, liebe Hörer, schon der Fall. Wir wissen es nicht. Wir hoffen es auf jeden Fall. Ja, und ihr habt es schon angesprochen. Die Fronten geraten immer mehr aneinander. Keine Kompromissbereitschaft mehr. Nicht nur bei der Bahn, sondern auch generell wächst die Unzufriedenheit bei den Menschen. Wir hatten auch die ganzen Proteste von Bauern und Spediteuren. Und bezogen auf die Politik der Ampelregierung ist diese Unzufriedenheit derzeit auf einen Höchststand seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2021 gestiegen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA für die Bilder am Sonntag sind 76 Prozent und ja damit rund drei Viertel der Bürger mit der Arbeit der Ampel unzufrieden. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte bei NTV Frühstart auf die Frage, wie die Regierung eigentlich handeln sollte, Folgendes.

 CARSTEN LINNEMANN, CDU-GENERALSEKRETÄR (QUELLE: N-TV)

Tja, indem sie nicht wie die Ampel über die Köpfe der Menschen hinweg entscheidet. Sie müssen sich mal ansehen, die AfD ist mit 10% 2021 in den Bundestag gekommen, heute mehr als verdoppelt. Sie sehen mit dem Heizungsgesetz die Verunsicherung und parallel ist es gestiegen. Die Ampel ist in der Verantwortung, Politik für die Menschen zu machen. Mittlerweile macht die Ampel Politik in fast allen Bereichen gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Da gegen die Mehrheit der Bevölkerung. braucht man sich nicht wundern, Und da braucht man sich nicht wundern, wenn man solche Umfragewerte der AfD sieht.

00:05:05 LISA FRITSCH

eine Politik gegen Ja, die Mehrheit der Bevölkerung. Geht ihr da mit?

00:05:13 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Also zur Gerechtigkeit gehört, finde ich, der Hinweis, dass so viel an Unmut, an Unzufriedenheit, an schlechter Laune, an Frust, an Wut nicht in zwei Jahren alleine anwachsen kann. Deswegen würde ich sagen, dass ein Teil der Verantwortung vielleicht sogar den größeren, die Vorgängerregierung Merkel trägt, wo einfach Dinge teilweise verschlafen wurden, was die Modernisierung des Landes anlangt und teilweise falsch gemacht wurden im Blick zum Beispiel auf die Migration, was einfach viele Leute wahnsinnig aufregt. So, das hilft aber der amtierenden Regierung jetzt nichts, dass jemand hier für Gerechtigkeit eintritt, ihr gegenüber, denn sie hat damit zu tun und 20 Prozent mindestens trifft auch sie. Dazu gehört erstens ein wirklich sehr, sehr unterentwickeltes Kommunikationsverhalten des Bundeskanzlers. Wir kommen vielleicht noch zu sprechen darauf, dass er jetzt gerade da etwas umsteuert, sehr ungelenk noch umsteuert, aber er versucht es immerhin. Und zum Zweiten kommt einfach dazu, dass diese drei Partner in Wahrheit nie zueinander gefunden haben und es auch kein Indiz dafür gibt, dass sie es im Moment tun. Vielleicht sind es sogar vier, die da zusammenkommen, denn auch die SPD ist jenseits des Kanzleramtes auch schon eine eigene Kraft geworden, weil natürlich der Druck, der durch die schlechten das ist die Gemengelage, in der wir uns befinden. Und ja, also ehrlich gesagt, unser neuer Kolumnist Uwe Vorkötter hat in seiner jetzt zweiten Kolumne geschrieben, dass er sich bei Olaf Scholz an den Bundeskanzler Kiesinger erinnert, fühlt, der nur eine Legislaturperiode Kanzler sein durfte in der Geschichte der deutschen Bundeskanzler. Aber immerhin, er hat eine ganze geschafft. Und ich bin mir gar nicht mehr so sicher, wenn wir das Wahljahr jetzt in den Blick nehmen, ob ich das für diese Bundesregierung und diesen Bundeskanzler so noch prognostizieren würde.

00:07:16 FLORIAN HARMS

Christoph, wie du, dass diese Ampelkoalition ein sehr schweres Erbe angetreten ist, weil die Regierungen von Frau Merkel eigentlich Deutschland mehr oder weniger nur so schön verwaltet haben, statt die Probleme zu lösen. Hinzu, wir müssen es immer wieder sagen, kam der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der alles verändert hat. Und ja, die Ampel hat auch wirklich viele Fehler gemacht. Das kann man schon gar nicht mehr an zwei Händen abzählen. So viele sind das. Und ja, sicherlich passen vielleicht diese beiden Parteien, FDP und Grüne, nicht wirklich zusammen. Jetzt kommt mein Aber. Ich habe schon in den vergangenen Monaten den Eindruck, dass es da gerade so ein selbstbestätigendes Ritual in der Gesellschaft gibt, einfach alles schlecht zu finden, was von oben kommt. Egal, was die Ampel sagt, egal, was der Bundeskanzler, der Habeck, der Lindner tun, alles ist immer schlecht. Und das merkte man sehr stark bei diesen Bauernprotesten, wo die Bundesregierung ja wirklich den Bauern entgegengekommen ist, indem sie den einen Teil der Einschnitte zurückgenommen hat. Und das wäre eigentlich zu früheren Zeiten ein gangbarer Kompromiss gewesen. Aber die Bauern mit ihrem Chef Rukwied stellen sich auf den Standpunkt, nein, ihr müsst alles genau so machen, wie wir das wollen. Sonst machen wir weiter Proteste. Und das stimmt mich schon nachdenklich, dass es eben so eine aufgeheizte Atmosphäre gibt, eine aufgeheizte Stimmung, dass es eigentlich gar nicht mehr darum geht, wirklich genau hinzuschauen, was denn wirklich gemacht wird. Und Christoph, weil du die Migration angesprochen hast, ich empfinde das auch so, seit vielen Jahren ist das ein wesentliches Problem in unserem Land, was viele Menschen umtreibt, dass wir das nicht gut organisiert haben und auch insbesondere die illegale Migration nicht in den Griff bekommen. Die Ampelkoalition hat jetzt einiges gemacht. Ich gebe nur mal als Beispiel dieses, die Gesetze heißen in Deutschland ja immer so fürchterlich, Rückführungsförderungsgesetz, also Abschiebungen werden ab April deutlich erleichtert. Und wenn man mal alleine sich eine Zahl für das vergangene Jahr anschaut, da gab es 16.000 Abschiebungen in Deutschland. Das waren schon 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Und mit diesem neuen Gesetz werden sicherlich noch viel mehr sein. Also es ist nicht so, dass gar nichts passiert.

00:09:21 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Das stimmt, aber es dauert natürlich lange, bis sich so eine Stimmung aufbaut. Und es dauert noch viel länger, bis sich so eine Stimmung wieder abbaut. Und der Beweis, der Beleg, dass das eintreten wird, was du gerade vorhersagst, aufgrund des neuen Gesetzes, muss erst noch erbracht werden. Bislang ist der Eindruck der Vorherrschende, es kommen immer noch viel, viel mehr rein, als dann tatsächlich leider wieder gehen müssen, leider aus deren Sicht. Also da glaube ich, wird es noch geraume Zeit dauern, selbst wenn es so greifen würde, wie du sagst. Ich habe meine Zweifel, aber das wird eine geraume Zeit brauchen, um da wirklich dann auch bei der Bevölkerung dafür Erfolg ernten zu können oder dafür davon Volk ernten profitieren zu können oder davon profitieren zu können. zu können. Ich wollte noch mal auf diese Kommunikation gerne, wenn ihr erlaubt, von Olaf Scholz zu sprechen kommen. Ich würde gerne

00:10:10 LISA FRITSCH

kommen. Ich würde gerne noch kurz unterbrechen, weil ich finde diesen Aspekt sehr interessant, den du angesprochen hast, Florian, und wir hatten ihn auch schon bei der ersten Frage beim Bahnstreik angesprochen. Ja, diese Nichtbereitschaft von Kompromissen, diese Polarisierung, woher kommt das? Das kann man ja nicht nur auf die Migration und die Vorgängerregierung schieben.

00:10:28 FLORIAN HARMS

Gute Frage. Ja, lass mal zusammentragen, uns fallen bestimmt ein paar Gründe ein. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass das ganze Land geschockt worden ist. Wir haben die Gründe gerade benannt. Es ging uns eigentlich in den Merkel-Jahren blendend, so gut wie nie zuvor in diesem Land. Dann kam die Pandemie, dann kam der Angriffskrieg, dann kamen die ganzen Probleme, auch handwerklicher Art durch die Ampelkoalition und da sind viele Leute wirklich geschockt worden. Zweiter Grund, die sozialen Medien. Immer mehr Menschen werden vergiftet durch diesen ganzen Hass und dieses ganze ausgekübelte Polarisieren, was da bei TikTok, Facebook, X und wie sie alle heißen, jeden Tag stattfindet. Das sind wirklich ganz wesentliche Probleme. Was fällt dir noch ein?

00:11:07 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ja, deswegen haben wir uns ja auch bereit erklärt oder uns zusammengetan mit der Bertelsmann Stiftung eine Kampagne gegen Fake News zu unterstützen, beziehungsweise für die Bertelsmann Stiftung sie zu unterstützen, indem wir Umfragen auf unserer Seite da in unseren Artikeln transportieren, weil wir beide und nicht nur wir, sondern die gesamte ausschließlich endemische, also hierzulande heimische Gründe gibt, auch falsch. Es muss darüber hinausgehende geben und ich glaube schon, dass die Vergiftung des Dialogs durch diese Kommunikationskloaken, die sie sind, eine ganz, ganz wesentliche Rolle dabei spielen. Und eben auch die Selbstbestätigung, selbst für abstruseste Positionen, weil du ja im Netz dann den Eindruck hast, naja, da sind ja noch tausende, die auch diese berechtigte Ansicht haben und sei sie noch so verschroben, verstiegen, rassistisch oder sonst wie toxisch. Und mir fällt noch ein, dass

00:12:23 FLORIAN HARMS

natürlich auch hinzukommt, dass viele Menschen und sicherlich nicht nur hierzulande wahrnehmen, dass es riesengroße Probleme gibt, die so groß sind, dass man sie schon kaum mehr in den Griff bekommt. Und dann den Eindruck haben, es passiert viel zu wenig. Ob das jetzt das Artensterben ist oder die Klimakrise oder die Verschuldung von Staaten und Privatunternehmen oder die zunehmenden Unterschiede zwischen vielen Armen und wenigen Superreichen, was durch die Pandemie verschärft worden ist. Das lastet einfach sehr vielen Menschen auf der Seele.

00:12:56 LISA FRITSCH

Ja, um jetzt auf deinen Punkt, Christoph, zu sprechen zu kommen, die Kommunikation des Kanzlers. Ich finde, man kann das vielleicht auch ein bisschen verbinden. Man muss ja auch sagen, Merkel war jetzt auch nicht so die Kommunikationsheldin, vor allem in den letzten Jahren, immer weiter abgebaut. Wir hatten am Mittwoch die Diskussion hier über die US-Wahl und Trump. Ich fand das sehr interessant, was unser Korrespondent und der andere Experte von WeltTV dort gesagt haben. Trump ist halt so jemand, der wirklich zu den Menschen spricht, der einer von ihnen ist. Dieses Gefühl hat man ja wirklich bei Scholz nicht. Was fehlt ihm?

00:13:29 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ja, also unsere Reporterin, Chefreporterin Sarah Sievert war diese Woche mit ihm auch auf der Grünen Woche, also hier dieser großen Lebensmittelmesse in Berlin. Und sie hat auch gesagt, es sei bestürzend zu beobachten, wie er Chancen auch mit Menschen in Kontakt zu kommen liegen lässt, nicht aufnimmt. Ich hatte zufällig zu tun auch mit einem Geschäftsführer des Lebensmittelverbandes, der da auch mit durch die Gänge mit ihm ging und er hat gesagt, allein der Versuch ein bisschen ein Smalltalk oder mit ihm ins Gespräch zu kommen, war zum Scheitern verurteilt. Ein Wort antworten, also wirklich sozusagen locked in kommunikativ, in sich selbst gefangen. Ja, und das ist eben wirklich ein großer Teil dieses Problems. Er hat jetzt, glaube ich, ob er es verstanden hat, weiß ich nicht, aber es wurde ihm wahrscheinlich beigebogen, dass er an dieser Kommunikation was ändern muss und hat jetzt ein Interview gegeben, der Wochenzeitung Die Zeit, in der er versucht, so ein bisschen was von Schuldbewusstsein zu erkennen. Ich finde diesen Versuch geradezu rührend. Also er sagt dann, ja, auf die Frage, ob das vielleicht auch was mit ihm zu tun haben könnte. also Ja, es liegt die ja, Verantwortung liegt ja beim Bundeskanzler. Also hat es irgendwie auch was mit ihm zu tun haben könnte. also Ja, es liegt die ja, Verantwortung liegt ja beim Bundeskanzler. Also hat es irgendwie auch was mit mir zu tun. Hannah Arendt hat mal den Begriff die Banalität des Bösen begründet. Hier kann man eigentlich sagen, das ist die Banalität des Banalen. Denn natürlich ist der Kanzler verantwortlich. Aber bei Olaf Scholz wird jetzt schon so getan, als sei dieser Satz quasi ein Kniefall, ein Kotau. Das ist nicht der Fall. Also er tut sich immer noch unheimlich schwer, eine eigene Verantwortung da anzunehmen und zuzugeben. Und Gerhard Schröder hat es seinerzeit, man darf den Namen ja noch in den Mund nehmen, auch wenn er viel dafür getan hat, dass es einem nicht mehr so leicht fällt. Aber Gerhard Schröder hatte es vielleicht irgendwann übertrieben mit diesem Satz, wir haben verstanden, um dann umzusteuern zu zeigen und all das kann Olaf Scholz erkennbar nicht.

00:15:29 FLORIAN HARMS

Das Paradoxe ist, wenn man sich direkt mit ihm unterhält, auch ohne Mikrofone, dann überzeugt der. Dann merkt man, der ist sehr clever, der hat unheimlich viel gelesen, der durchdringt die Probleme, der zeigt auch durchaus Ansätze von Selbstkritik, auch deutlicher noch als in der Vergangenheit, habe ich das jetzt wahrgenommen in den vergangenen

00:16:20 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Tagen. Aber wenn er dann eben wieder auf die Bühne tritt, ins Scheinwerferlicht oder direkt in den Kontakt mit Bürgern, dann scheint das wie weggeflogen Sarah hat die schöne Angewohnheit, jedes dieser Interviews mit den Spitzenpolitikern, gerade der Opposition Da hat Herr Söder, glaube ich, in aller Kürze viel Wahres über Olaf Scholz gesagt. sprich der Schröder-Regierung beim Abendessen. Die hatten mich noch auf einen interessanten Gedanken gebracht, auf den ich selber gar nicht gekommen wäre. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Ampelregierung wirklich ein politisches Einhorn in Deutschland ist. Du hast in keinem Bundesland irgendwo die Entsprechung davon. Und das hat Auswirkungen auch in diesem föderalen System auf den Bundesrat. Es hat auch Auswirkungen auf den gesamten politischen Gemütszustand, wenn du mit so einem Solitär in Berlin regierst, den es ansonsten im ganzen Land nicht gibt. Fand ich einen klugen Gedanken von einem, der mal für Gerhard Schröder Regierungssprecher war.

00:17:37 LISA FRITSCH

Ja, also zu viel Fortschrittskoalition in einem Sinne. Vielleicht, ja.

00:17:40 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Vielleicht, ja. Das ist so viel Avantgarde, dass sie dann sehr, sehr weit vorne sind, aber auch sehr allein.

00:17:47 LISA FRITSCH

Ich habe auch die Selbstkritik in Anführungsstrichen von Olaf Scholz gelesen in der Zeit. Ich fand aber auch, er hat das wieder so kryptisch formuliert. Also man hat es einfach auch gar nicht richtig verstanden und die Journalistin musste auch nochmal nachfragen. Ist das jetzt Selbstkritik? Ja. Also das ist natürlich schwierig. Aber wir hatten jetzt auch noch den Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der sich in einem Interview im Deutschlandfunk auch selbstkritisch äußerte. Also es gibt auf jeden Fall auch andere Ampelpolitiker, die Fehler einräumen. Hier der Ton, was ihn am meisten ärgere, Cem Özdemir von den Grünen.

Cem Özdemir, Landwirtschaftsminister, Bündnis90/Die Grünen (Quelle: Deutschlandfunk)

Das Streiten, mit sich weil das natürlich selber, das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Regierung untergräbt. Wir müssen jetzt mal anfangen endlich daraus zu lernen und unseren Beitrag zu leisten, dass Deutschland in der Mitte stabil zusammengehalten wird.

00:18:38 LISA FRITSCH

Ja, jetzt nicht nur auf Scholz geblickt, sondern auch die komplette Bundesregierung. Meint ihr denn, es gibt da noch eine Chance der Besserung oder reitet sich die Ampel irgendwie immer mehr da rein? Ist die Ampel am Ende?

00:18:49 FLORIAN HARMS

es ist schon sehr schwierig, Lisa. Und ich sehe das Problem auch darin, dass sich die drei Chefs dieser Regierung nicht wirklich gut abzustimmen scheinen. Man hat das jetzt gesehen nach diesem ganzen Streit um den Haushalt, als man sich dann schwor, so jetzt haben wir uns geeinigt, jetzt machen wir es besser und als wir dann auch in Hintergrundgesprächen von den Protagonisten gehört haben, dass sie sich einen Neustart wünschen, also dass sie neu gemeinsam anfangen wollen, um es jetzt besser zu machen. Und prompt kam wenige Tage später gleich die nächste Nummer, nämlich der Streit um das Kindergeld und die Kindergrundsicherung. Und der nächste wird auch wiederum folgen. Und daran sieht man einfach, denen scheint das nicht zu gelingen, weil sie auch keinen guten Draht zueinander haben. Und das ist abseits aller politischer Diskussionen und inhaltlicher Fragen ein Führungsproblem. Denn das müsste eigentlich der Bundeskanzler organisieren, dass er sich mit Robert Habeck und Christian Lindner permanent abstimmt, auf dem SMS-Weg, WhatsApp, was auch immer, Telefonat, dass man sowas antizipiert, was kommen kann und dann sofort da reingeht und sagt, wir räumen das ab. Und das passiert nicht.

00:19:52 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ein bisschen anders nochmal formuliert. Sowohl Angela Merkel als auch Gerhard Schröder hätten sich niemals nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dritt mit den Koalitionspartnern hingesetzt. Oder zu zweit, je nachdem, wie die Koalition zusammengesetzt war. Sondern ein Schröder oder eine Merkel hätte zum Kanzleramtsminister gesagt, pass mal auf, du erarbeitest jetzt mit denen was, das möchte ich morgen früh sehen und dann beuge ich mich da drüber und dann wird entschieden. Ich glaube, dass sich Olaf Scholz viel zu sehr einreiht auch, wenn er zum Beispiel in dieser Nacht, in der dann das herauskam, was Cem Özdemir als Landwirtschaftsminister das Leben sehr schwer gemacht hat, da zu dritt sofort mit denen zusammensetzt. Da muss mehr sondiert werden und da muss mehr vorbereitet sein. Und dann muss er am Ende entscheiden, dann können die gerne dabei sein. Aber er kann nicht als Gleicher unter Gleichen eine ganze Nacht mit den beiden da wie auf dem Bazar verhandeln.

00:20:49 FLORIAN HARMS

das, glaube ich, hat etwas damit zu tun, dass er sich für den Schlauesten hält. Derjenige, der es am besten kann, der auch mal Finanzminister war und am besten auch den Haushalt bis heute noch aufstellen kann. Und Lisa, weil du gefragt hast, ob das nach vorne raus jetzt noch funktionieren kann. Ich glaube, am Ende kommt es auf die Rolle des Chefs an, des Bundeskanzlers. Der muss nicht nur verstehen, dass er was anders machen muss, sondern der muss es auch tun und der muss es zeigen. Und das ist zum einen die interne Kommunikation, das ist zum anderen die externe Kommunikation den Bürgern gegenüber. Aber es hat eben auch viel mit den Prozessen der Abstimmung zu tun. Aber es hat eben auch viel mit den Prozessen der Abstimmung zu Das wenn man einen Hoffnungsschimmer aufzeigen dass vieles von den großen von den großen Themen jetzt eigentlich schon hinter der Ampel Also die Energiekrise ist jetzt mal eingedämmt Bei der Ukraine ist wie es mit der Bewaffnung mit den Aber da gibt es zumindest Ansätze für eine Und so könnte man jetzt tun. Und Positive, die Themen, mag, ist, Streitigkeiten, liegt. worden. fraglich, weitergeht, Waffenlieferungen. Lösung. durchgehen. die jetzt noch kommen, mögen vielleicht leichter sein. Die sind nicht trivial, wie zum Beispiel, dass ganz viel Wohnraum in Deutschland fehlt, aber da gibt es zumindest mal Ansätze, wie man sich gemeinsam darauf verständigen kann. Ob das am Ende aber reicht, steht in den Sternen. Nur kurze Verständnisfrage

00:21:59 LISA FRITSCH

Nur kurze Verständnisfrage zwischendurch. Ihr meintet jetzt, Scholz reiht sich ein, aber andererseits meint ihr auch, er weiß alles besser. Das mit dem Einreihen war jetzt bezogen auf die drei Ampelspitzen, also mit Lindner und Habeck.

00:22:12 CHRISTOPH SCHWENNICKE

nach dem Fehler zu dass er sich leisten kann einzureihen, glauben, weil er dann unter den dreien ohnehin der Schlauste ist. Du musst aber, glaube ich, tatsächlich auch mehr delegieren und dann sagen, okay, die letzten Meter gehen wir dann zusammen, aber nicht 20 Stunden oder wie lange die da beieinander saßen, wie die anderen da dabei zu sitzen. Ich wollte euch noch einen anderen Hinweis geben oder erinnern an die Situation bei Corona. Das war ungewöhnlich, aber es war sehr erfolgreich, dass Angela Merkel ihren Kanzleramtsminister, Helge Braun damals, sehr, sehr viel auch in die Talkshows, in die öffentliche Kommunikation gebracht hat, gelassen hat letzten Endes. Eine untypische Vorgehensweise von Steinmeier bei Schröder ist da wenig bekannt. Aber es war in dem Moment genau das Richtige, weil er konnte das auch gut. Er konnte, er war eben auch Arzt, Mediziner, konnte also in der Sache auch noch glaubwürdig sprechen, aber das mal in Klammern gesprochen. Entscheidend war, dass sie nicht alles auch da alleine machen musste, denn du kannst als Kanzler oder Kanzlerin auch nicht dauernd auf der Mattscheibe sein. Du musst dich ein Stück weit rar machen. Aber dein Kanzleramtsminister, der kann rausgehen und erklären. Und vielleicht wäre das mal eine Überlegung, ohne dass wir jetzt hier die Politikberatung des Bundeskanzlers ersetzen wollen. Aber darüber nachzudenken, ob Wolfgang Schmidt, also der amtierende Kanzleramtsminister, der gut kommunizieren kann, nach meinem Eindruck, vielleicht auch mal mehr von der Leine gelassen werden könnte und auch mal mehr anstelle des Kanzlers an seiner Stadt für ihn öffentlich kommunizieren würde.

00:23:55 LISA FRITSCH

das in den letzten Jahren bei Merkel nicht vielleicht auch, weil sie generell ein bisschen zurücktreten wollte?

00:24:07 LISA FRITSCH

Naja, am Ende hat es funktioniert. Also es war nicht alles perfekt während Corona, aber angesichts der Größe dieser Krise ist diese Regierung doch einigermaßen da durchgekommen. Und das hatte auch was mit der Rolle von Helge Braun zu tun. Wir haben ihn auch zum Interview damals getroffen, zu Hintergrundgesprächen und ich bestätige gerne, Christoph, was du sagst, der hatte das erstmal im Griff, der hat dann sich immer abgestimmt mit den Ministerpräsidenten und dann hat er daraus die Schlüsse gezogen, hat das dann in den Talkshows vertreten.

00:24:27 LISA FRITSCH

Ja noch ein anderer Punkt zum Ende, aber der auch damit zusammenhängt. An diesem Wochenende wollen wieder hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um gegen Rechtsextremismus und die AfD zu protestieren. Unter anderem in Weimar, Bielefeld, Wittenberg sind Demonstrationen geplant. Am vergangenen Wochenende waren diese Menschenmassen schon beeindruckend, fand ich von den Bildern her. Jetzt auf die ganze Situation mit der Ampel bezogen. Gibt es denn da eine Hoffnung, dass sich da etwas draus entwickelt, dass die Ampel auch gestärkt wird in ihrem demokratischen Wesen? Also wie nachhaltig sind diese Proteste auch?

00:24:59 FLORIAN HARMS

Lisa, vielleicht wird nicht unbedingt die Ampel gestärkt, aber das Politische an sich wird gestärkt. Denn viele Menschen haben jetzt offenkundig verstanden, dass es nicht reicht, auf der Couch zu sitzen und zu schimpfen, wenn man da die Politiker im Fernsehen sieht und dann zu merken, dass Rechtsextremisten immer mehr Einfluss bekommen, sondern dass man etwas tun muss. Man muss seine Stimme erheben. Demokratie ist ja nicht einfach fertig. Demokratie ist ein permanenter täglicher Prozess, für den man sich einsetzen muss. Und das tun jetzt diese vielen Menschen und das finde ich ausgesprochen erfreulich. Noch erfreulicher fände ich es, da stimme ich dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu, wie er es kürzlich bei Karin Miosga gesagt hat, wenn ein paar von diesen Menschen dann auch mal in eine Partei eintreten würden und sich in den Parteien engagieren würden, egal jetzt in welcher Partei, ausgenommen die Rechtsextremisten von der AfD.

00:25:44 LISA FRITSCH

Obwohl ich gerade diese Woche ein Interview mit Omid Nouripour von den Grünen gehört habe. Und der meinte was von einem vierstelligen Mitgliederzuwachs in den letzten zwei Wochen.

00:25:55 FLORIAN HARMS

Ja, das ist doch schon mal positiv. Jetzt wünscht man sich das für die anderen Parteien auch.

00:25:57 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Also das ist nur zu begrüßen. Und da ist wirklich endlich etwas aufgebrochen. Da gab es wirklich einen Schubs bei vielen, der durch dieses Potsdamer Geheimtreffen mit diesen grotesken und fürchterlichen Deportationsfantasien von sich reden machte. Ich will nur auf eines hinweisen. Ja, es ist gut, dass diese Hunderttausende jetzt auf die Straße gehen, aber es ist natürlich ein Gegenschwappen. Also erst schwappte alles zur AfD und jetzt schwappt es in die andere Richtung oder die andere Seite schwappt auch. Erstmal heißt es nur, dass dieses Land nach wie vor hin und her schwappt. Die Hoffnung, die ich aber tatsächlich damit verbinde, ist, ihr kennt das aus der Badewanne, wenn dann das Wasser darin so hin und her schwappt und man steigt aus und irgendwann wird es dann auch wieder ruhiger. Und das wäre die Hoffnung, dass wir da auch wieder zu etwas mehr Ruhe kommen. Und es gibt ja sogar Indizien, die sind jetzt noch nicht so richtig belastbar, dass, ehrlich gesagt, entgegen meiner Erwartung, ein bisschen Schwund bei der AfD schon zu beobachten ist. Das würde bedeuten, sie bringen nicht nur in der Hinsicht, was das die Leute sagen, wir sind die Mehreren, sondern sie bringen sogar vielleicht manche, die erreichbar sind, ans Nachdenken. In der

00:27:06 FLORIAN HARMS

AfD-Badewanne wird ein bisschen Wasser abgelassen.

00:27:10 LISA FRITSCH

1,5 bis 2 Prozent sagen die Umfragen. Manche sprechen von einem größten Minus von fast zwei Jahren. Andere sagen, ach, was sind schon 1,5 Prozent? Da muss man eben auch die Menschen sich ihre eigene Meinung bilden lassen. Damit danke ich euch ganz herzlich für eure Einordnungen und Ihnen da draußen fürs Zuhören. Wenn Sie noch nicht genug vom Tagesabruf-Podcast haben, hören Sie gerne in unsere Sonderausgabe zur US-Wahl vom Mittwochabend rein, die ich schon angesprochen habe. Alle Folgen finden Sie auf t-online.de schrägstrich Podcasts oder auf Spotify und anderen Podcast- Plattformen. Anmerkungen oder Fragen können Sie uns wie immer gerne schreiben an podcasts.t-online.de, Podcast hier mit Mehrzahl S. Und ja, damit wünschen wir Ihnen ein schönes Wochenende. Tschüss.

00:27:54 CHRISTOPH SCHWENNICKE

Ja, tschüss und bis zum nächsten Mal. War wieder schön gewesen, wie der Berliner sagt. Das fand ich auch.

00:28:00 FLORIAN HARMS

Das sagen Schwaben auch ein bisschen anders. Wie sagen Sie es? Tschüssle. Gerade schön war es. Tschüssle. Wie sagen Sie es? Tschüssle. Schee war's.

00:28:05 LISA FRITSCH

Das können wir auch immer einführen. Tschüssle.

00:28:08 FLORIAN HARMS

Jetzt noch für alle anderen. Bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert – am Wochenende in einer tiefgründigeren Diskussion zu einem aktuellen Thema der Woche. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

Den Tagesanbruch gibt es auch zum Nachlesen unter https://www.t-online.de/tagesanbruch

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von und mit Florian Harms

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