Tagesanbruch von t-online

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00:00:01 LISA FRITSCH

Hallo zu Diskussionsstoff für das Wochenende vom 9. Dezember 2023. Ich bin Lisa Fritsch und führe durch die Diskussion. Die Ergebnisse der PISA-Studie in dieser Woche waren schon wieder erschütternd. Die deutschen Schüler erzielten so schlechte Werte wie noch nie. Sowohl im Lesen als auch in Mathe und den Naturwissenschaften. Schrauben wir die Anforderungen an junge Menschen immer weiter runter, damit alle noch den Abschluss schaffen? Packen sie in Watte ein? Zählt denn Leistung nichts mehr? Sollen wir am besten gleich noch die Schulnoten abschaffen, damit die Motivation, sich anzustrengen, immer weiter sinkt? Der Respekt gegenüber Autoritäten wie Lehrern weiter schwindet?

00:00:42 LISA FRITSCH

Und für die Diskussion begrüße ich zum einen t-online-Chefredakteur Florian Harms.

00:00:46 FLORIAN HARMS

Hallo Lisa und an alle, die uns zuhören.

00:00:49 LISA FRITSCH

Und zum anderen unseren Kolumnisten bei t-online, der gleichzeitig Gymniasallehrer für die Fächer Deutsch, Englisch und Geschichte ist, Bob Blume. Schön, dass du da bist!

00:00:57 BOB BLUME

Hallo, Lisa. Und hallo, Florian. Ich habe es

00:01:00 LISA FRITSCH

Ich habe es gerade schon erwähnt. Die deutschen Schülerinnen und Schüler haben bei der PISA-Studie die schlechtesten Werte aller Zeiten erzielt. Die Japaner und Koreaner sind uns weit voraus. Packen wir die Schüler immer weiter in Watte ein und senken die Anforderungen? Und am Ende können sie alle nicht mehr ordentlich rechnen oder lesen?

00:01:16 BOB BLUME

Aus meiner Sicht ist das überhaupt nicht so. Das ist etwas, was ich tatsächlich immer mal wieder höre, auch gelesen habe auf X. Es geht um Kuschelpädagogik. Es geht darum, dass Lernzentrierung plötzlich bedeuten würde, dass wir keine Leistung mehr haben. Ich erlebe am eigenen Leib im Gymnasium was komplett anderes. Nämlich, dass Schülerinnen und Schüler stark unter Druck sind. Aber auch qualitativ ist das so, dass die Oberstufenschülerinnen und Schüler zum Beispiel im letzten Jahr, als ich noch Abitur gemacht habe, thomas mann und franz kafka verglichen haben insgesamt glaube ich über 600 Seiten also da kann mir keiner erzählen früher war alles schwerer ich glaube wir dürfen einen Fehler nicht machen nämlich Leistung und Leistungsbewertung zu verwechseln die Schülerinnen und Schüler die erbringen schon Leistung aber die erbringen vor allen dingen dann leistung wenn sie die Sinnhaftigkeit in dem sehen was sie machen deshalb heißt für mich Bildungspolitik auch nicht nur zu schauen, inwiefern man die Dreigliedrigkeit jetzt nochmal zementieren kann und nochmal mehr selektieren kann, sondern es ist wirklich Zeit, Leistungen auch mit der Frage zu verknüpfen, wie alle solche Leistungen bringen können, denn die Voraussetzungen sind nun mal sehr unterschiedlich verteilt.

00:02:28 FLORIAN HARMS

Ich glaube aber, dass wir schon grundlegende Probleme haben. Also zum einen zeigt ja auch die PISA-Studie jetzt wieder, dass es strukturelle Probleme gibt in den deutschen Schulen. Also beispielsweise die mangelnden Sprachkenntnisse bei vielen Kindern von Zugewanderten. Oder die mangelnde Ausstattung von Schulen mit digitalen Lerngeräten. Oder eben vor allem auch dieser fürchterliche deutsche Bildungsföderalismus, dass eben jedes Bundesland da vor sich hin hühnert und sich irgendwelche Regeln ausdenkt, die dann einfach nicht zusammenpassen. Das ist einfach schlimm. Das andere ist, was damit zusammenhängt, was mir auffällt, dass es eben auch keine Chancengerechtigkeit gibt. Das ist ja dieses vielbeschworene Wort, dass eigentlich alle jungen Menschen dieselben Startchancen haben sollen. Das ist eben nicht so. Und Bob, wenn du sagst, dass Gymnasiasten zum Teil auf einem sehr hohen Niveau lernen, ist das sicherlich richtig. Aber in vielen anderen Schulen habe ich schon den Eindruck, da werden zu tiefe Standards gesetzt. Da muss man die Kinder eigentlich anders fördern.

00:03:28 BOB BLUME

Ja, aber wir müssen ja überlegen, was genau mit Standards gemeint sind, denn du hast ja recht. Es ist nicht nur so, dass zu wenig Geld in die Bildung auch geflossen ist, wir sprechen von einem Investitionsstau von annähernd 50 Milliarden Euro, sondern es wurde auch ungerecht verteilt. Es wurde so verteilt, dass es zum Beispiel vor allen Dingen die Gymnasiasten bekommen haben, deshalb haben die, wenn wir uns PISA genau angucken, ja auch nicht so ein großes Problem. sondern die Problematik liegt eben bei denjenigen, die eben nicht so gut lesen und rechnen können und die sind in diesem dreigliedrigen Schulsystem nicht dort. Wir müssen nur eine Sache, das finde ich ganz, ganz wichtig, auseinander dividieren. Wir sprechen immer vom sogenannten Migrationshintergrund. Aber wer genau ist denn damit gemeint? Sind das die Menschen aus der ersten Generation, aus der zweiten, aus der dritten Generation? Das ist nämlich deshalb wichtig, weil sonst so eine Art von Populismus verfangen kann, der sagt, Im Grunde genommen müssen wir nur die ganzen Migranten aus dem System rauskriegen und dann wird alles wieder gut. Und das ist eben nicht so. Denn die Voraussetzungen sind deshalb auch unterschiedlich, weil das Ganze ein sozioökonomisches Problem ist. Das heißt mit anderen Worten, wenn deine Eltern, und auch das ist seit langem bekannt, AkademikerInnen sind, dann hast du kein Problem. Wenn sie es nicht sind, dann kannst du dir zum Beispiel Nachhilfe nicht leisten oder du hast niemanden, der bei dir sitzt und die Hausaufgaben mit dir zusammen macht. Also ich glaube, Da muss ein ganz klares Umdenken stattfinden, sonst fährt das deutsche Bildungssystem vor die Wand. Und was du gesagt hast vom Bildungsföderalismus, das sind ja alles Dinge, die sieht man auch. Wir hatten einen sogenannten Bildungsgipfel vor einigen Monaten mit der Bundesministerin Stark-Watzinger und es sind ganze zwei Kultusministerinnen gekommen. Also da habe ich nicht das Gefühl, dass die einzelnen Verantwortlichen tatsächlich das Problem so erkannt haben, dass sie gesagt haben, Wir nehmen unsere Verantwortung und wir lassen mal die Kleinstaaterei beiseite. Das passiert einfach nicht und deshalb macht jeder irgendwas, nur nicht gemeinsam an einem Strang ziehen.

00:05:23 LISA FRITSCH

Ja, ich sehe also auf jeden Fall, das System ist an einigen Stellen auch das Problem. Aber ich finde, wir müssten auch noch mal auf die Generation an sich gucken, auf die Kinder an sich, in was für einer Welt sie leben. Ich habe mich zum Beispiel letztens mit einem Lehrer aus meinem Bekanntenkreis unterhalten und er hat mir ein Beispiel aus der Grundschule erzählt, dass dort keine Diktate mehr geschrieben werden, weil die Kinder nicht mitkommen und sich dann diskriminiert fühlen oder so. Also ich frage mich dann echt, wie konnte es soweit kommen und was sind auch die Ursachen dieser Leistungsabsenkung?

00:05:50 FLORIAN HARMS

Es gibt schon einen gewissen Trend dazu, Kindern nicht zu viel zumuten zu wollen, aus einem diffusen Gerechtigkeitsgedanken heraus. Weil natürlich nicht alle die gleichen Voraussetzungen haben. Bob hat das gerade erklärt. Und dass man dann sagt, naja, weil das so ist, senken wir jetzt die Standards oder wir geben andere Bewertungen, also vielleicht eher eine mündliche Ermunterung statt jetzt einer Schulnote, können wir gleich noch darüber reden, oder auf den Sport übertragen bei den Bundesjugendspielen. werden jetzt eben keine Rankings der Besten mehr angelegt, sondern alle sind irgendwie die Sieger. Und das mag ja schön und gut sein, weil sich dann alle irgendwie wohlfühlen, aber es widerspricht schon auch so einem Leistungsgedanken, dass man sich anstrengen muss und dass man sich auch anstrengen will, um vielleicht ganz oben auf dem Podest zu stehen.

00:06:39 BOB BLUME

Aber ich finde, hier liegt eine ganz klare Unterscheidung. Also erstmal, Ich höre auch Anekdoten davon, dass dann weniger Diktate geschrieben werden. Verifizieren kann ich das nicht. Und ich bin jetzt auf Instagram ja viel unterwegs. Mir schreiben ja viele Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer. Und das habe ich in der Form noch nicht gehört, auch dieses, das wird den Kindern nicht zugemutet. Ich lese das immer mal wieder und mich würde das total interessieren, wer das sagt. Aber sozusagen eine Grundtendenz kann ich da nicht erkennen, ehrlich gesagt. Ich habe ein Problem damit, wenn Leistung geknüpft wird an eine Ziffer, die letzten Endes auch nichts aussagend ist. Denn was Florian gerade gesagt hat, ist ja zentral, Leistung bringen wollen. Warum sollten Schülerinnen und Schüler überhaupt heute noch in die Schule gehen? Sag ich mal ganz provokant. Denn wenn sie irgendwas finden, was sie mitreißt, dann könnten sie das auch schon von zu Hause machen. Also warum sollten sie dort hingehen? Der einzige Grund, in einer Zeit, in der Informationen abgerufen werden können, selber recherchiert werden kann und so weiter, ist doch, dass es jemanden gibt, der diesen Lernprozess nicht nur leiten kann, sondern der motiviert und inspiriert. Ich weiß, ich werde jetzt ein bisschen utopisch, aber jedenfalls der dafür sorgt, dass junge Menschen Leistung bringen wollen. Und da bin ich hundertprozentig bei. Nur erwiesenermaßen ist es eben so, dass durch so einen Notenfetisch, der sozusagen jedes Mal, wenn irgendwas nicht geschafft wird, gleich irgendeine Ziffer hingeklatscht wird, die Leistung eben nicht gesteigert wird. Sondern das Gegenteil ist der Fall. Diejenigen, die dann mitbekommen, okay, anscheinend bin ich nicht ausreichend, anscheinend bin ich irgendwie mangelhaft, dann brauch ich mich gar nicht mehr anstrengen, gehen in so eine Schleife rein, in so einen Teufelskreis und wollen dann weniger leisten. Also, mir geht's nicht darum, weniger Leistung zu fordern, sondern ich würde sagen, wir brauchen ein Schulsystem, das sich zur Aufgabe macht, Leistungsbereitschaft zu fördern. Und ich glaube, das ist was anderes.

00:08:29 FLORIAN HARMS

Was mir dazu einfällt, ist diese große Metastudie zu Bildungserfolg, die vor einigen Jahren von John Hattie, einem Bildungsforscher, unternommen worden ist. Der hat sich die Studien weltweit angesehen, immer unter der Fragestellung, wie kommt Bildungserfolg zustande? Was ist entscheidend dafür? Was ist der entscheidende Faktor? Ist es deine Benotung? Ist es das Bildungsmaterial, also zum Beispiel Schulbücher? Sind es die Schulen? Ist es das Elternhaus? All das spielt bei weitem nicht die Rolle wie etwas anderes. Einziger wirklich entscheidender Faktor laut dieser Meta-Studie ist der Lehrer oder die Lehrerin. Und das passt zu dem, was du gerade sagtest, Bob, dass die Person, also der Pädagoge motivieren muss, die Kinder kennen muss, mitnehmen muss. Und das muss eben viel mehr sein, als einfach nur unter der Arbeit einen Strich zu ziehen und zu sagen, das ist jetzt eine Zwei oder eine Drei. Man muss individuell die Kinder fördern, auf sie eingehen. Und ich kann das ja mal offen sagen, meine Kinder sind auf einer Waldorfschule und da gehört es standardmäßig dazu, dass man zumindest mal in den Grundschul- und Mittelstufenklassen eben nicht benotet wird, sondern dass es eine sprachliche Einordnung gibt und dass vor allem der soziale Erfolg im Mittelpunkt steht. Also die Kinder sollen erzogen werden zu eigenständig denkenden sozialen Menschen. Und ich habe den Eindruck, dass es schon erfolgreich

00:09:52 LISA FRITSCH

Und wie läuft das dann konkret? Also können die sich auch jeden Tag aussuchen, was sie lernen wollen?

00:09:58 FLORIAN HARMS

Nein, natürlich gibt es einen Lehrplan, der ist ja auch staatlich vorgegeben. Aber es steht eben immer im Vordergrund, dass man wirklich versucht herauszufinden, können die Kinder das verinnerlichen? Können sie sich selber Gedanken machen? Können sie also den Lernstoff annehmen und nicht einfach nur repetitiv wiedergeben, also wiederkäuen, sondern selber was daraus machen? Wachsen sie an dem Lernstoff? Fangen sie an, selber zu denken und das in Beziehung zu setzen zu ihrem sozialen Umfeld? Und da ist eben eine Benotung eher kontraproduktiv. Sondern da muss man natürlich eher schauen, wie kann man das Kind weiter fördern, motivieren. Irgendwann in der weiteren Schulkarriere braucht es dann schon Noten. Allein schon, um am Ende eben einen vergleichbaren Schulabschluss machen zu können. Das schreibt der Staat ja auch vor. Aber eben nicht am Anfang, da wo es wirklich erstmal darum geht, Kinder wachsen zu lassen.

00:10:45 BOB BLUME

Ich würde gerne an einer Stelle noch mal ganz kurz einhaken und nur so ein ganz kleines bisschen widersprechen. Diese Metastudie von Hattie, die hat in der Tat ja herausgefunden, dass der Lehrer als sogenannter Change Agent, als jemand, der unglaublich großen Einfluss hat, die höchste Effektstärke hat. Aber es gibt schon auch noch andere Effektstärken. Nur, wenn wir bei dieser sind, und da hast du ja recht, Florian, dann sehen wir mal, wie wichtig es ist, dass wir dieses Riesenloch in der Lehrkräfteausbildung einerseits schließen, weil wir bis 2035, je nachdem wie man glaubt, ja 80.000 fehlende Lehrkräfte haben, dass wir andererseits aber auch dafür sorgen, dass diese Lehrkräfte ganz in diesem Sinne auch ausgebildet werden, denn momentan ist es der Fall, dass einfach viele Lehrkräfte, die in die Schulen kommen und mit der Situation der Heterogenität, der unterschiedlichen Lernleistung, der der unterschiedlichen Voraussetzungen konfrontiert sind, gar nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Und genau hier ist, glaube ich, einer der wichtigsten neuralgischsten Punkte, an die wir dran müssen, damit eben genau das umgesetzt werden kann, dass wir hinterher Lehrkräfte haben, die nicht nur motiviert sind und die Kinder inspirieren können, sondern auch wissen, wie sie mit ihnen umgehen in dieser, ja, man muss es ganz klar sagen, katastrophalen Situation, in der wir uns gerade in Deutschland teilweise bildungspolitisch befinden.

00:12:02 FLORIAN HARMS

Und das heißt doch eigentlich, Lisa, auch, dass wir jetzt bei dieser ganzen Debatte über die PISA-Studie, wo jetzt alle schreiben, Gottes Willen, wir sind so schlecht, eben keine Schnellschüsse machen dürfen. Ich höre das zum Teil auch aus der Leserschaft. Ja, Gottes Willen, es ist alles so schlecht und wir müssen einfach nur hohe Standards setzen und die müssen sich jetzt mal zusammenreißen. Damit ist es nicht getan, sondern Bildungserfolg ist eigentlich ein komplexes Konstrukt und ist etwas, worauf wirklich die Gesellschaft Wert legen muss. Bob, ich finde, du hast das sehr richtig beschrieben in deinem Kommentar auf t-online jetzt vor einigen Tagen, als es um die PISA-Studie ging, dass du eben gesagt hast, das ist eine grundgesellschaftliche Aufgabe. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, dann wird auch Deutschland als Land dauerhaft nicht erfolgreich sein. In ganz ganz vielen Feldern.

00:12:44 BOB BLUME

Und eine Sache möchte ich noch anfügen. die Standards anzuheben, ohne tatsächlich Förderung für diejenigen zu schaffen, die diese Standards erreichen sollen, das bringt ja geradezu null. Denn wir haben ja jetzt schon mit den bestehenden Standards, unabhängig davon, ob man die zu lasch oder für hoch hält, haben wir jetzt schon 50.000 Schülerinnen und Schüler, die die Schulen ohne Schulabschluss verlassen. Und zwar jedes Jahr. Und zwar konstant. 50.000, konstant. Und unsere Frage sollte aus dieser Sicht, aus meiner Sicht sein, wie können wir es schaffen, dass wir möglichst alle Schülerinnen und Schüler mitbekommen? Denn auch das habe ich in diesem t-online-Kommentar ja kurz angeregt. Es geht hier um nicht weniger als um die Zukunft der deutschen Gesellschaft. Und zwar sowohl, was hinterher die Steueranzahlung annimmt. Ganz klar, wenn jemand ohne Schulabschluss sofort in die Sozialsysteme geht, dann ist er niemand, der hinterher die Rente finanzieren kann. Als auch im Bezug darauf, wie unsere Demokratie irgendwann aussehen soll. Denn auch hier in einer Informationsgesellschaft ist die Fähigkeit, lesen zu können, und zwar nicht nur, was den Mindeststandard betrifft, Einfach fundamental wichtig. Genau deshalb müssen wir da ran. Und wenn ich diese Bemerkung noch machen darf, genau deshalb finde ich es auch erstaunlich, dass der PISA-Aufschrei aus meiner Sicht nur einen Tag gedauert hat. Die Ergebnisse kamen raus. Es gab kurz mal ein paar Kommentare. Und am nächsten Tag geht's schon wieder um ganz andere Dinge. Wir müssten wirklich dahin, dass wir sagen, Bildung muss zentrale Aufgabe werden, sowohl politisch als auch medial.

00:14:20 LISA FRITSCH

Ich will noch auf zwei Fragen eingehen, und zwar auch auf die Details und auch, warum es denn immer noch nicht geklappt hat. Aber bevor wir das machen, noch kurz ein Hinweis in eigener Sache. Um keine Folgen unseres Podcasts zu verpassen, abonnieren Sie den Diskussionsstoff auf Spotify, Apple Podcasts oder der App, mit der Sie Podcasts hören. Und über noch mehr Schul- und Bildungsthemen sprichst du, Bob, ja in deinem eigenen Podcast vom SWR namens "Die Schule brennt". Ja, da können Sie auch gern mal reinhören, liebe Hörerinnen und Hörer. Und zurück zu unserer Diskussion. Also wir hatten jetzt schon angesprochen, wir müssen die Schüler mehr motivieren. Wir könnten vielleicht auch auf die Noten vom System her eingehen. Aber wie könnte das konkret aussehen? Vielleicht kannst du auch noch mal, Florian, von der Waldorfschule erzählen. Gibt es da denn trotzdem sowas wie Bewertungen? Also ich habe zum Beispiel einen Clip gesehen von einer freien Schule. Ich glaube, das war in Osnabrück. Und da gibt es dann am Ende Solche Bewertungen jede Woche, glaube ich sogar, oder alle vier Wochen. Ja, ich kann jetzt das und das. Ich kann jetzt lesen und verstehen. Und dann gibt es eine Skala von eins bis vier. Das kann ich sehr gut, gut, noch nicht so gut. Und ich finde, diese Formulierung, ich kann das, das ist doch schon mal auch ein Schritt in die Richtung, ich motiviere diejenigen, ah, guck mal, Mama, ich kann das.

00:15:34 FLORIAN HARMS

Ganz genau, Lisa. Und das ist eben was anderes als eine Motivation, daraus zu schöpfen, eine Zahl zu erreichen. Also dass ich als Schüler möchte, dass da eben keine 3 mehr drunter steht, sondern eine 2. Was habe ich denn dann geschafft? Das ist ja völlig undurchsichtig. Ich muss doch in die Kinder wirklich dieses Verlangen danach pflanzen, etwas zu leisten und etwas beizutragen. und selber voranzukommen. Und das gelingt eben leichter, wenn man nicht nur diesen Gedanken wirklich zentral den Kindern vermittelt, es ist gut, etwas zu leisten und das ganze System zu verstehen, sondern das auch gemeinsam zu schaffen. Und weil du das gerade nochmal ansprachst, das steht eben zum Beispiel bei den Waldorfschulen im Vordergrund, dass die Kinder zu sozialen Menschen erzogen werden, die in einer Gruppe gemeinsam vorankommen. Und in dieser Gruppe sollte eben auch niemand zurückgelassen werden. Und so ein System wie diese starre Notenregel führt halt dazu, dass man dann von oben mit einer Eins dann eher ein bisschen runterguckt auf die, die vielleicht nur eine Fünf haben. Das bringt aber die Gruppe nicht voran und das bringt am Ende eben auch die Einzelnen dann nicht wirklich voran. Ich will jetzt beileibe nicht sagen, dass die Waldorfschulen alles richtig machen. Auch da gibt es Probleme. Aber dass wir neu nachdenken müssen darüber, wie wir unser Bildungssystem so aufstellen, dass es wirklich das tut, was damit bezweckt ist. Nämlich junge Menschen auszubilden, an das Leben ranzuführen und zu selbstbewussten Mitgliedern einer vollwertigen Gesellschaft zu machen. Da müssen wir viel stärker darüber nachdenken. Und das ist eben, deshalb möchte ich das nochmal betonen, in dem gegenwärtigen System in Deutschland kaum machbar, weil dieser Bildungsföderalismus dazu führt, dass eben wirklich jedes Bundesland irgendwelche wilden Experimente veranstaltet, man am Ende aber gar nicht mehr gemeinsam schaut, wie können wir denn als Land das Beste daraus ziehen? Und das hat halt mit den politischen Hintergründen zu tun, dass die Bundesländer gar nicht mehr viele Kompetenzen haben. Und sie klammern sich an dieses Recht. Bildung ist Ländersache, weil es eines der wenigen Dinge ist, die sie noch bestimmen dürfen. Und das geht halt leider nicht.

00:17:38 LISA FRITSCH

Bob, du hast ja auch Erfahrung aus dem Gymnasium. Du kannst es vielleicht noch mal anders auch beurteilen, ab wann man denn Noten doch verteilen sollte. Es geht ja dann auch um den weiteren Bildungsweg, um die Universität. Wie ist da deinekonkrete Meinung?

00:17:51 BOB BLUME

Ich halte Noten für nichtssagend. Sie sollen objektiv, reliabel und valide sein. Und sie sind all das nicht. Das weiß auch jeder. Wenn man mal überlegt, wie das in der eigenen Schulzeit war, war die Note bei Herr Müller dasselbe Wert wie bei Frau Meier? Nein, war sie nie. Was ist denn der Unterschied zwischen einer 2 bis 3 und 3? Das wissen wir doch nicht. Ja, derjenige hat wahrscheinlich den Stoff besser begriffen, der eine 1 hat, als derjenige, der eine 5 hat. Aber wenn es um Leistung und Leistungsbereitschaft geht, dann spielen doch ganz andere Dinge eine Rolle. Ich gebe mal ein Beispiel. Wenn ich sagen würde, ich war dabei, wie 8 bis 12 Klässler zusammen drei Tage lang Shakespeare interpretiert haben. Und zwar, weil sie es wollten. Dann würden die Leute mir den Vogel zeigen und sagen, das stimmt doch niemals. Doch, das stimmt. Wir machen nämlich zusammen eine Theater-AG und die wollen das, die haben das sogar selbst ausgewählt. Wir haben letztes Jahr schon Shakespeare gemacht. Drei Stunden Romeo und Julia in der Originalversion auf Deutsch übersetzt. Und die wollten dieses Jahr nochmal ein Shakespeare-Stück machen. Und die machen das, weil sie das so sehr wollen. Und zwar, weil sie wissen, dass dieses gemeinschaftliche Gefühl am Ende etwas geschafft zu haben, sie komplett zu anderen Menschen macht. Ich muss das jetzt mal so pathetisch sagen. Da kommen Kinder und Jugendliche rein, die sich nicht trauen, vor anderen Leuten zu sprechen, vor zehn Leuten, und die hinter einem Saal von 300 Leuten stehen mit breiten Schultern und sozusagen Lust haben, sich darauf zu präsentieren. Das ist so wichtig für alles andere, was man machen kann. Noten spielen da null eine Rolle, sondern was da eine Rolle spielt, ist, dass man sich selber ausgewählt hat, zusammen mit anderen so etwas zu erreichen. Und genau deshalb, finde ich, müssen wir den Fokus verschieben. Keiner kann mir sagen, dass so eine Rolle zu lernen von dem Puck im Sommernachtstraum keine Leistung ist. Das ist Leistung. Aber oftmals wird Leistung und Leistungsbewertung eben verwechselt. Und wir müssen viel mehr dahin, zu dem, was der Florian auch gerade gesagt hat, das nennt sich in der Fachsprache Formative Assessment. Es geht nicht mehr darum, ein Produkt zu bewerten, von dem ich ja oftmals auch gar nicht weiß, ob das jetzt Chad GPT oder der Papa gemacht hat, sondern es geht darum, immer wieder Rückmeldungen einzuholen und dadurch, durch diese Förderung, gemeinsam mit der Lehrkraft besser zu werden und seine eigene Arbeit zu vertiefen. Und wenn wir das schaffen, dann haben wir nämlich hinterher Jugendliche, die aus der Schule rauskommen, wissen, wie sie lernen sollen, wissen, dass Lernen Spaß macht und die Bock haben auf die Zukunft. Und genau das brauchen wir eben.

00:20:23 LISA FRITSCH

Aber dann ist es dir mit dem Beispiel ja auch schon möglich, in dem aktuellen Schulsystem freier zu unterrichten und dass die Schüler auch das lernen, was sie wollen.

00:20:32 BOB BLUME

Naja, das ist ja eine Theater-AG. Da ist das Hauptproblem, dass es oftmals Schülerinnen und Schüler gibt, die gar nicht wissen, dass das für sie gut wäre. Und das weiß ich deshalb, weil da manchmal Leute rein stolpern. Also ich hatte zum Beispiel mal einen Schüler, der wollte die Technik machen. Der hat gesagt, ich Theater niemals. Und dann ist mal jemand ausgefallen, dann hat er es kurz ausprobiert, der hat Feuer gefangen, der geht immer noch in eine Theatergruppe, obwohl der längst woanders studiert. Warum sage ich das? Das ist in diesem System nicht vorgesehen, sondern du musst sozusagen sowieso schon mal extra motiviert oder extra engagiert sein, um etwas zu machen, was dann dein komplettes Schulleben verändern kann. Ich sag das so, es gibt Leute, die gehen da rein und die sind plötzlich in anderen Fächern auch anders, weil sie sich zum Beispiel mehr trauen zu reden und und und und. Und wir brauchen ein System, dass die Ja, ich sag's jetzt mal so, auch wenn jetzt jemand wieder mit Kuschelpädagogik kommt, die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler insofern ernst nimmt, dass sie eben wählen können, weil ein so ein zentraler Punkt von Selbstwirksamkeit oftmals bedeutet, dass sich das auch auf andere Bereiche ausbreiten kann. Und das ist wichtig, wenn wir Schülerinnen und Schüler haben wollen, die nicht, ja, nur chillen wollen, keinen Bock haben und hinterher ohne Schulzeugnis die Schulen verlassen.

00:21:46 FLORIAN HARMS

Und ich glaube, es kommt eines hinzu, was wir als Gesellschaft einfach völlig unterschätzt haben in den vergangenen Jahren. Das ist nämlich die Frage des Schlüssels. Wie viele Schüler werden von wie vielen Lehrern betreut? Und Bob, da wirst du wahrscheinlich auch aus deinen Erfahrungen sprechen können. Wir wissen ja aus den Zahlen, dass sehr viele Lehrer eigentlich überarbeitet sind. Es gibt viele Burnouts. Es gibt viele, viele Stunden, die ausfallen, die vertreten werden müssen oder gar nicht stattfinden. Und da haben einfach der deutsche Staat und die Behörden nicht gut genug daran gearbeitet, dass Lehrer wirklich ein attraktiver Beruf bleibt. Wenn man das mal vergleicht mit einem sehr hohen Maßstab in England, in Universitäten, dort gibt es das Tutor-System. Und da geht es eben darum, dass die Lehrkraft sich wirklich individuell kümmern kann, um einzelne Studenten in dem Fall ansprechen kann. Guck mal, hier hast du eine Stärke. Das kannst du weiterentwickeln. Hier hast du eine Schwäche. Da können wir überlegen, was wir machen. Willst du das abwählen? Willst du das vielleicht ausbauen? Willst du das nachholen? Das klingt jetzt sehr hochgestochen, aber das brauchen wir eigentlich, wenn wir weiter auch als Land an der Weltspitze mitspielen wollen. Wenn wir Spitzeningenieure haben wollen und Spitzenfachkräfte, dann müssen wir sowas entwickeln.

00:22:59 LISA FRITSCH

Ja, aber wir können einfach nicht das deutsche Bildungssystem, sorry, dass ich da unterbreche, aber mit britischen Universitäten vergleichen, die 20.000 Euro im Jahr kosten. Keiner kann sich das hier auch leisten und keiner will für Schule bezahlen, so wie es ja schon jahrelang so ist.

00:23:13 FLORIAN HARMS

Also dann nochmal, es gibt Schulen in Deutschland, die machen das so. Die haben sich das geleistet und die machen das so. Also dass es eine individuelle Betreuung gibt und ich habe ja gerade von den Waldorfschulen erzählt, nochmal nicht alles ist da perfekt, aber da nehme ich das schon so wahr, dass die Lehrer darauf Wert legen, jeden Schüler individuell zu fördern, so gut das eben geht. Die Klassen sind da sehr groß, 40 Kinder in einer Klasse. Aber trotzdem versucht man genau das, jedes Kind individuell zu entwickeln.

00:23:40 BOB BLUME

Also ich, vielleicht zweieinhalb Kleinigkeiten. Erstens, ich war ja auch Waldorfschüler, stehe dem ganzen theoretischen Framework sehr kritisch gegenüber. Nur, dass ich das mal gesagt habe. Es gibt ja auch andere reformorientierte Schulen und auch Ideen. Ich möchte hier sozusagen niemand vor den Kopf stoßen. Ich will nur sagen, diese Reformbestrebungen, die brauchst eben auch in der staatlichen Schule. Ich kenne unglaublich viele Lehrerinnen und Lehrer innerhalb des staatlichen Systems, die das natürlich auch probieren, Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern, aber genau das ist ja eben die Krux. In den Schulen ist in den letzten Jahren unglaublich viel dazugekommen, nehmen wir mal nur ein einziges Stichwort Digitalisierung. Das ist übrigens auch deshalb ein gutes Stichwort, weil sich hier zeigt, wie systematische politische Probleme den Menschen individuell in die Schuhe geschoben werden. Also Beispiel Digitalpakt, wir haben den ersten Digitalpakt gehabt, das hat wirklich nicht gut funktioniert, auch was die Abrufung der Mittel angeht stichwort verwaltung und jetzt wissen wir noch nicht mal ob wir einen zweiten digital pack kriegen und gleichzeitig wird schon überlegt ob den systemadministratoren an schulen stunden gekürzt werden stunden gekürzt werden in einer situation in der natürlich es auch Lehrermangel gibt, aber wo man sagt, okay, wo sollen wir es denn uns aus den Rippen schneiden? Deshalb finde ich das schon wichtig, darauf hinzuweisen, dass man sich Bildung leisten muss. Und es ist oftmals so, dass jede Form der ... Reformidee, selbst dann, wenn sie sinnvoll erscheint, im Keim erstickt wird durch Ministerpräsidenten, jetzt jüngst in Baden-Württemberg, wenn sie sagen, naja, das würde zu viel kosten, das können wir uns nicht leisten. Letzten Endes ist das eine Frage der Schwerpunktsetzung, auch politisch.

00:25:21 LISA FRITSCH

Ja, aber ich kann mir da vorstellen, jetzt um großen Bilde weiterzudenken, dass es dann am Ende die Schulen gibt, wo die Leute für bezahlen, wo gute Bildung gibt und dann gibt es die andere Hälfte der Schulen, wo halt die im untere Schicht ist, die sich es einfach nicht leisten kann und dann haben wieder eine riesige Spaltung. Und

00:25:36 FLORIAN HARMS

das darf natürlich nicht passieren, dieser. Und deshalb muss das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, weil es kann nicht so sein, dass nur Privatschulen eine gute Ausbildung leisten. Das ist ja auch zum Glück nicht so. Bob hat das ja gerade erklärt. Es gibt viele Schulen, die machen tolle Projekte, staatliche Schulen, selbstverständlich. Aber wir müssen, und da bin ich bei dir Bob, wir müssen das als gesellschaftliche Aufgabe begreifen. Wir müssen wissen, Bildung muss uns etwas wert sein und dann kostet sie eben auch was. Und dann muss man abwägen, wenn man mehr in die Bildung investiert, in die Ausbildung von Kindern, in Lehrkräfte, in digitalisierte Schulen, dann muss man das Geld halt wahrscheinlich an einer anderen Stelle einsparen. Über diese Entscheidung müssen wir als Gesellschaft treffen.

00:26:16 BOB BLUME

Ja, und als kleiner Punkt, Lisa, du hast gerade gesagt, es kann ja nicht sein, dass das dann so ungleich verteilt ist. Das ist ja Status Quo. Also machen wir uns nichts vor. Wir haben dort, wo am meisten Geld benötigt wird, am wenigsten Geld. Wir wissen, dass der Return on Investment, also das Geld, was man investiert zu einem bestimmten Zeitpunkt, Am Ende sich vor allen Dingen dann mehr auszahlt, je früher es eingezahlt wird. Aber wir haben gerade die gegenteilige Entwicklung. Wir haben das Startchancen-Programm nächstes Jahr, aber die meisten Expertinnen und Experten sagen, dass das viel zu wenig Geld ist. Wir sprechen zwar von zwei, drei Milliarden, aber wir bräuchten eigentlich jedes Jahr das Dreifache oder das Vierfache. Und das andere ist, Florian, das, was du gerade gesagt hast, das ist eigentlich der springende Punkt. Die Parteivorsitzende der SPD, Saskia Esken, hat in ihrem Aufschlag, in ihrem Bildungspapier ja schon gesagt, wie sie das Ganze finanzieren will, nämlich mit einer Extra-Besteuerung für die Erbschaften. Und da wird sich dann zeigen, Ob es entweder alternative Vorschläge gibt oder ob diejenigen, die auch sagen, ja, wir brauchen eben gute Bildungspolitik, sich sozusagen dieses Geld, das auch kosten lassen. Denn die Finanzierung, die kann nicht einfach geleistet werden, indem man noch einen Schattenhaushalt aus dem Boden stampft, sondern das muss eigentlich gesellschaftlicher Konsens sein.

00:27:35 LISA FRITSCH

Ja, ich glaube, wir sehen das ja alle ähnlich. Und trotzdem sind die Forderungen, die wir hier stellen, sehr groß im Podcast. Also, wir wollen Noten abschaffen, wir wollen freie Auswahlmöglichkeiten, was wir lernen wollen für die Schüler, wir wollen mehr Motivation. Das ist ein Riesenbatzen. Die Frage an dich, Bob, die letzte Frage, für die wir Zeit haben. Ist das überhaupt realistisch? Und warum hat es immer noch nicht geklappt in den letzten zehn, 15 Jahren? Du setzt dich ja auch schon so lange dafür ein.

00:28:01 BOB BLUME

Ja, es ist unrealistisch auf der einen Seite. Ich glaube aber, dass die Tendenz gerade so ist, dass die Lage so prekär wird, dass es irgendwann alternativlos wird, zu handeln. Und das ist zwar gleichzeitig schlecht. Also, ich sag mal, warum es alternativlos ist. Es ist jetzt schon so, dass Lehrerinnen und Lehrer, das Gefühl haben, ich kann nicht noch mehr machen, zwangsverpflichtet werden, zum Beispiel, mehr zu arbeiten. Nur mal so als ein Beispiel. Es gibt jetzt schon Lehrer, die sagen, wenn ich so weiterarbeite, schaff ich das nicht mehr. Es ist jetzt schon klar, dass in jedem Bundesland, das geantwortet hat auf Armin Himmelrath, den anderen Bildungsjournalisten, eine Abwanderung von Lehrkräften zu sehen ist. Die gehen aus dem Job raus anstatt in den Job rein. Und wenn wir irgendwann in der Situation sind, dass wir nicht mehr anders können, als zu handeln, da wird auch Olaf Scholz einsehen müssen, dass man was tun muss. Und jetzt das Positive der Alternativlosigkeit. Das Positive der Alternativlosigkeit ist, wir können es eigentlich. Denn Corona hat mit all den schlechten Dingen, mit all den Defiziten, die passiert sind, auch gezeigt, dass man plötzlich im Bildungssystem Sachen machen konnte, wo Leute ohne Corona den Vogel gezeigt hätten und gesagt haben, was? Videokonferenzen, digitales Arbeiten, im Leben wird das nicht passieren. Also, das heißt, ich bin gleichzeitig sehr pessimistisch, dass einfach so ... sich die Leute zusammenraufen und sagen, okay, dann machen wir jetzt einen großen Bildungsgipfel, überlegen das mal. Der Deutsche Bildungsrat hat das 1971 gemacht mit einem großen Aufschlag. Das hat auch damals übrigens dazu geführt, dass wir jetzt diese Gemeinschaftsschulen haben. Dass das einfach so passiert, da bin ich pessimistisch. Aber die Lage wird prekär, sodass die Verantwortlichen nicht mehr anders können werden, als etwas zu tun. Davon bin ich überzeugt.

00:29:57 FLORIAN HARMS

Ich möchte dabei doch noch ein bisschen Wasser in den Wein gießen, denn ich stimme dir einerseits zu Bob, dass die Lage prekär ist und der Handlungsdruck ist riesengroß und zwar nicht nur für die Jungen, die heute jung sind, sondern für das ganze Land. Das Problem ist aber, wer hat denn eigentlich eine Lobby im Land? Für wen wird Geld ausgegeben? Und da sehen wir einfach, Deutschland ist vor allem ein Rentnerland. Mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts fließt jetzt schon als Zuschüsse in die Rente. Und das werden bis Mitte des Jahrhunderts mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts sein. Und das ist einfach so, weil Rentner einen großen Anteil der Bevölkerung ausmachen und deshalb eben natürlich auch viele Wählerstimmen haben. Junge Menschen haben einfach nicht die Lobby in der Politik. Da können wir das Blatt wenden, wie wir wollen. Und das ist ein grundsätzliches Problem. Diese Debatte müssen wir schon führen. Das wird immer so zusammengefasst unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit, erschöpft sich aber leider allzu häufig dann in Sonntagsreden. Da müssen wir uns ehrlich machen und müssen sagen, wenn Deutschland dauerhaft erfolgreich bleiben soll und wenn auch die, die irgendwann mal Rentner werden, aber heute noch jung sind, dann noch eine gute Rente haben sollen und in einem erfolgreichen Land leben wollen, dann müssen wir viel mehr in Bildung investieren. Und diese Debatte braucht es jetzt.

00:31:14 LISA FRITSCH

Ja, wir sehen ähnlich auch wieder bei der Klimakrise. Es ist etwas erschütternd, aber ich hoffe irgendwie trotzdem, dass wir nicht so lange warten müssen, wie du, Bob, gerade gesagt hast, bis es eigentlich so prekär ist, dass wir handeln müssen. Also ich kann es auch immer noch nicht 100 Prozent verstehen, warum sich nichts ändert. Ich meine, Bob, du hast es mehrmals gesagt, die Kinder sind unsere Zukunft. Das mit der Lobby ist auf jeden Fall eine gute Erklärung und ich glaube, das stimmt eben auch. Aber es muss sich einfach was ändern und wir haben jetzt einige konstruktive Ideen gegeben. Weiteres können Sie auch gern nochmal in Bob Blumes Podcast die Schule brennt nachhören. Und vergessen Sie auch nicht den Diskussionsstoff-Podcast zu abonnieren, dann verpassen Sie keine Folge. Anmerkungen, Fragen oder Kritik können Sie uns gerne schreiben an podcasts.online.de. Und ja, damit bedanke ich mich ganz herzlich bei euch, Florian und Bob Blume, Bildungsinfluencer, Lehrer und Blogger und auch Kolumnist bei uns. Sie können auch gerne alle Artikel von ihm auf theonline.de nochmal nachlesen. Und vor allen Dingen danke ich auch Ihnen fürs Zuhören. Schönes Wochenende und tschüss.

00:32:18 BOB BLUME

Ja, vielen Dank fürs Zuhören.

00:32:20 FLORIAN HARMS

Ich bedanke mich für die vielen, vielen Zuschriften von Leserinnen und Lesern des Tagesanbruchs, die uns in den vergangenen Tagen erreicht haben. Da war viel darunter, was mir auch zu denken gibt. Sie können sicher sein, wir lesen das alles, auch wenn wir nicht jede E-Mail individuell beantworten können. Nun wünschen wir Ihnen ein schönes zweites Adventswochenende. Tschüss und bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert – am Wochenende in einer tiefgründigeren Diskussion zu einem aktuellen Thema der Woche. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

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von und mit Florian Harms

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