Tagesanbruch von t-online

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FLORIAN HARMS

Also das Ziel, Zerschlagung der Hamas, Befreiung der Geiseln. D'accord. Aber was kommt danach? Wer soll danach aufräumen? Wer soll den Wiederaufbau organisieren? Wer soll sicherstellen, dass dann eben nicht doch wieder die Radikalen erstarken?

LISA FRITSCH

Hallo und herzlich willkommen zu Diskussionsstoff für das Wochenende vom 11. und 12. November 2023. Ich bin Lisa Fritsch und moderiere diesen Podcast. Diesmal wollen wir auf die Zukunft von Gaza schauen. Ist im Gazastreifen eine Demokratie möglich oder ist das nur eine vom Westen übergestülpte Lösung? Wo stehen die Fronten von israelischer und palästinensischer Seite aktuell? Und wie sehr können internationale Bemühungen wie jetzt zum Beispiel durch US-Außenminister Antony Blinken helfen, um eine Lösung des Konflikts zu finden?

LISA FRITSCH

Ja, Sie merken, liebe Hörerinnen und Hörer, die aktuelle Nachrichtenlage ist manchmal ganz schön deprimierend. Deswegen wollen wir ein bisschen Abwechslung hier reinbringen in den Podcast und am Ende immer noch auf ein leichteres Thema schauen. Diesmal zum 100. Geburtstag von Loreo. Und diese Folge gibt es auch als Videopodcast auf T-Online und YouTube zu sehen. Den Link dazu finden Sie in der Folgenbeschreibung. Für die Diskussion begrüße ich jetzt zum einen T-Online-Chefredakteur

FLORIAN HARMS

Florian Harms. Hallo an alle Hörer und Zuschauer.

LISA FRITSCH

Und zum anderen unseren politischen Reporter bei T-Online, Daniel Mützel.

DANIEL MÜTZEL

Hallo, liebe Hörer und liebe Zuschauer.

LISA FRITSCH

Ja, und ich möchte auch ein bisschen positiver einsteigen, wenn das irgendwie möglich ist bei dem Thema. US-Außenminister Antony Blinken hat in den vergangenen Tagen mit verschiedenen arabischen Vertretern gesprochen, mit seinen Amtskollegen aus Katar, Jordanien, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten und dann auch noch mit Palästinenser Präsident Abbas. Außerdem war er in der Türkei und im Irak. Das sind doch schon mal positive Entwicklungen, dass miteinander gesprochen wird, oder?

DANIEL MÜTZEL

Also, die Lage ist natürlich weiterhin sehr kompliziert. Der Krieg ist sehr wahrscheinlich noch lange nicht vorbei. Insofern, ja, unter diesen Umständen kann man das als positive Entwicklung bezeichnen. Aber ich glaube, so richtige Ansätze, die auch realistisch umzusetzen sind, sehen wir noch nicht.

FLORIAN HARMS

Ich finde, es hat fast schon etwas Verzweifeltes. Die USA sind der mächtigste Staat der Welt, aber noch nicht mal ihnen gelingt es, abgesehen von kurzen täglichen Kampfpausen, eine dauerhafte Feuerpause durchzusetzen, die dann den Zivilisten wirklich helfen würde. Ja, wenn

LISA FRITSCH

du jetzt Feuerpausen ansprichst, Florian, die Forderungen nach eben gerade so einer humanitären Waffenruhe werden ja immer größer, um eben humanitäre Hilfsgüter in den Gaza-Streifen zu liefern. Auch in der UN-Resolution vor zwei Wochen stand das drin. Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hat sich jetzt teilweise bereit gezeigt für solche Feuerpausen, sagte aber gleichzeitig, dass die Kämpfe gegen die Hamas weitergehen würden. Ein Argument von seiner Seite sind die Geiseln, die die Hamas immer noch festhält. Außerdem befürchtet man, dass sich die Hamas mit einer Waffenruhe neu formieren könnte. Könnt ihr diese Haltung Israels hier nachvollziehen?

DANIEL MÜTZEL

Also ich glaube, zuallererst muss man über das Recht auf Selbstverteidigung Israels sprechen. Der Krieg ist nicht begonnen worden durch Israel, der ist begonnen worden durch die Hamas. Und dessen muss man sich immer wieder vergewissern. Wenn jetzt der Krieg länger geht, dann mag das dem ein oder anderen vielleicht aus dem Gedächtnis fallen. Am 7. Oktober hat die Hamas ein terroristisches Massaker begangen an israelischen Zivilisten. Über 1400 Menschen sind teils brutal abgeschlachtet und getötet worden. Das war der Beginn des Krieges. Israel wollte diesen Krieg nicht, die Hamas wollte den Krieg. Und wenn wir uns jetzt sozusagen anschauen, was ist notwendig aus israelischer Sicht, damit dieser Krieg sozusagen beendet wird in einer Form, wie es aus israelischer Sicht akzeptabel erscheint, dann ist eben dieses Maximalziel ausgegeben worden, die Terrororganisation Hamas zu zerstören, ihre Anführer zu jagen. und die Organisation so weit es eben möglich ist, zu zerstören. Insofern steht jede Forderung nach einer Feuerpause diesem Ziel entgegen. Israel betont zwar immer wieder, wie auch alle anderen Akteure in dem Konflikt, dass das internationale Recht der Rahmen ist, innerhalb dessen agiert nur agiert werden darf, also auch was die Kriegsführung betrifft. Da kann man jetzt drüber streiten, inwieweit das eingehalten wird oder nicht, aber zumindest Israel bekennt sich dazu. Aber die Frage, wie man eine terroristische Organisation, die in einer unmittelbaren Nachbarschaft lebt und die geschworen hat, einen als Staat zu vernichten und die geschworen hat, die Menschen, die dort leben, physisch zu vernichten, so viele wie möglich, und das hat der 7. Oktober nochmal bewiesen, dass es wirklich auch darum geht, die Menschen zu vernichten, wie man damit umgeht, dass ist eben nicht mit einer Feuerpause zu regeln. Es ist natürlich kompliziert, der Krieg kann lange dauern und die Hamas verschanzt sich hinter Zivilisten, nutzt zivile Infrastruktur und es ist schwer zwischen Kombatanten und Nichtkombatanten, also Kämpfern und Nichtkämpfern zu unterscheiden und deswegen kommt es auch immer wieder zu diesen zivilen Opfern. Aber, und ich war ja jetzt für knapp drei Wochen in Israel, die Überzeugung, die in der israelischen Gesellschaft und in der Politik herrscht, trotz der vielen Widersprüche, die es dort auch gibt, ist, Chalas, es ist genug, wir müssen diese Organisation jetzt zerstören.

FLORIAN HARMS

Ich denke auch, Israel hat das Selbstverteidigungsrecht und dieses Massaker war so fürchterlich, dass man jetzt auch nicht verlangen kann, die Israelis sollten das unterlassen, sich selbst zu verteidigen und auch diesen schlimmen Feind wirklich zu schlagen. Trotzdem ein großes Aber. Denn wir sehen ja jetzt jeden Tag fürchterliche Bilder aus Gaza, dass eben von diesen Militärschlägen, von diesem Einmarsch der Israelis, von dem Bombardement mit nicht nur Hamas-Kämpfer getroffen werden, sondern viele Zivilisten. Es sollen in die Tausende die Zahlen gehen. Viele Kinder auch darunter. Und das ist eben so schwierig, das einfach hinzunehmen. Und dann zu sagen, naja, die haben das Selbstverteidigungsrecht. Und das macht dann auch die diplomatische Initiative so schwierig, wonach du ja gefragt hast, Lisa. Dass eben Antony Blinken natürlich als Abgesandter der Protektormacht USA auf die Israelis einwirken will, ohne zugleich Gefahr zu laufen, dass die Israelis den Eindruck bekommen könnten, die Amerikaner stehen nicht mehr hinter uns. Das ist ungemein schwierig. Und wie es auch immer gelingen kann, da ein bisschen die Lage zu beruhigen, steht im Moment völlig in den Sternen. Das ist im Moment nicht zu sehen, obwohl die alle so viel rumreisen und so viel reden. Und das macht es dann eben so dramatisch.

LISA FRITSCH

Aber die israelische Armee hat ja Gazastadt jetzt nach eigenen Angaben umzingelt und teilt den Gazastreifen damit so in zwei Teile. Die humanitäre Lage ist weiterhin prekär, die medizinische Versorgung sehr, sehr schwierig. Inwieweit sind denn diese massiven Gegenangriffe Israels noch mit diesem Recht auf Selbstverteidigung, was sie anspricht, zu rechtfertigen?

FLORIAN HARMS

Na, die kämpfen da in Nordgaza wirklich gegen Hamaskämpfer. Und Daniel hat es gerade gesagt, die haben sich zum Teil in Krankenhäusern verschanzt. Oder in Schulen haben dort Raketenwerfer aufgebaut, mit denen sie Israel beschießen. Und was soll man dann machen? Das ist wirklich richtig schwierig. Das ist ein Dilemma, das wir auch heute hier an diesem Tisch nicht klären können. Wir können darüber reden und es fällt uns aber sicherlich auch sehr schwer, jetzt zu sagen, es muss so oder so laufen. Das kann man in diesem Konflikt kaum. Aber was man schon sagen kann ist, in der ganzen Debatte darüber, auch worüber jetzt berichtet wird, müssen wir eben auch die palästinensische Seite sehen. Das Leid, dem die Zivilisten in Gaza gegenwärtig ausgeliefert sind.

LISA FRITSCH

Man könnte aber trotzdem argumentieren, dass man sagt, Krankenhäuser und Schulen davor machen wir halt, als israelische Armee. Aber

FLORIAN HARMS

was würde man tun, wenn eine Kommandozentrale der Hamas

LISA FRITSCH

unter einem der größten

FLORIAN HARMS

Krankenhäuser in Gaza stationiert ist?

DANIEL MÜTZEL

Ist das so, oder? Das ist so. Das wären Abschussrampen, die halten Strom von nahegelegenen Moscheen. Es sind Abschussrampen unter Spielplätzen, unter der Erdfläche, wo ein Riesenrad, es gab Bilder, die von der Armee, die jetzt in Nordgaza immer weiter vorrückt, gezeigt wurden, da sind einfach, man sieht ein buntes Riesenrad, man sieht einen Spielplatz und da ist die Abschussrampe da in den Boden reingegraben. So, was willst du machen? Natürlich sollte man niemals dazu kommen, dann zu entscheiden oder zu sagen, wir zerbomben jetzt diesen Spielplatz mit all den Kindern, die sich darauf befinden, um die Abschussrampe aus dem Gefecht zu nehmen. Andererseits kann man die Abschussrampe auch nicht stehen lassen. Also ich glaube, die israelische Armee ist täglich mit ganz schwierigen Entscheidungen und Dilemmata auch konfrontiert. Wann sie in welcher Weise losschlägt, wann sie einen Luftangriff startet, gegen welches Ziel, wie viele Zivilisten sich da möglicherweise auffallen. Das ist ja auch manchmal schwer von der Luft sowieso aus zu beurteilen, aber auch wenn man vor einem Gebäude steht, wenn sich da Hamas-Kämpfer und Terroristen verschanzt haben. Wer ist da noch mit drin? Sind da vielleicht Geiseln mit drin? Sind da andere Zivilisten, die da vorgeschickt werden? Ich habe mit israelischen Soldaten gesprochen, die auch schon vor Jahren Situationen hatten, wo Kinder vorgeschickt wurden an der Grenze zum Gazastreifen, um die israelischen Soldaten in Sicherheit zu wiegen, dass es hier keine querliche Situation entsteht. Und hinterher haben sich dann plötzlich Kämpfer, sagen wir, aus der Deckung getraut und haben die angegriffen. Das ist eine Situation, die ist nicht neu für die israelische Armee, die besteht seit Jahrzehnten, dass man eben sich nie sicher sein kann, wer jetzt hier gerade, auf wen man trifft. Genauso es gab zum Beispiel Demonstrationen im Vorfeld des Massakers am 7. Oktober in der Nähe der Betonmauer, die ja den Gazastreifen und Israel eigentlich trennt. Und normalerweise galt die Devise für die Israels Armee innerhalb der Grenze von 100 Metern oder so, darf sich keiner aufhalten. Das wurde nach und nach aufgeweicht und man hat die zugelassen. Jetzt weiß man, dass diese Demonstrationen dazu genutzt wurden, um Sprengsätze dort zu installieren, die dann am 7. Oktober dann eben ausgelöst wurden, um halt für dieses Massaker, für dieses Blutbad genutzt werden. Insofern ist es unglaublich schwierig, diese Unterscheidung zu treffen. Man darf nie aufhören, in die Kalkulation die Zivilisten und die humanitären Schäden und so weiter mit aufzunehmen. Aber es löst die Frage nicht, wie man sich gegen so einen Feind wirklich effektiv wehren kann.

FLORIAN HARMS

Aber die Diplomatie, die du anfangs ansprachst, Lisa, ist wirklich wichtig, weil natürlich dieser Druck auf die israelische Regierung und auch Ministerpräsident Netanyahu schon Folgen hat. Weil die israelische Armee sich überlegen muss, was sie tun kann, um Zivilisten zu schützen. Ein Beispiel, sie haben ja jetzt aus Nordgaza nach Südgaza diesen Korridor geschaffen. Funktioniert das so, dass da jetzt viele Menschen in den Süden kommen? Nur teils, weil die Hamas offenkundig Zivilisten auch daran hindert, Nordgaza zu verlassen, weil sie die als menschliche Schutzschilde braucht. Es ist wirklich eine fürchterliche Situation. Die Diplomatie gleichwohl ist wichtig, dass wir alle da hingucken und eben wirklich jeden Tag überlegt wird, was kann man tun, um Unschuldige zu schützen.

LISA FRITSCH

Bevor wir gleich nochmal mit einer weiteren Frage zur Waffenruhe weitermachen, noch ein kleiner Hörtipp für Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, und zwar vom Podcast Radio Detektor FM. In Ihrem Podcast zurück zum Thema blicken Sie täglich in zehn Minuten auf ein aktuelles Thema und dabei auch oft über den Tellerrand, also auf Themen, die vielleicht nicht so ganz auf unserem Radar sind. Die Folgen finden Sie auf detektor.fm und überall da, wo es Podcasts gibt. Hören Sie mal rein. Genau, und damit zurück zu unserem Thema und dem Aspekt nochmal zur Waffenruhe. Es gibt eben auch diese Angst, warum keine Waffenruhe ausgerufen wird von der israelischen Seite, weil die Angst besteht, dass die Hamas sich neu formieren könnte. Wie realistisch ist denn das? Haben sie da überhaupt genug Unterstützung gerade und genug Waffen, um sich da neu zu formieren?

FLORIAN HARMS

Die Hamas hat einen riesengroßen Unterstützer, das ist Iran. Und Iran wird alles tun, um zu versuchen, Waffen, Logistik, Material der Hamas zur Verfügung zu stellen. Das macht sie auch nicht nur bei der Hamas, sondern auch bei der zweiten Front im Norden, also der Hezbollah im Südlibanon, die ja jetzt auch Israel beschießt. Und das ist hochgefährlich für Israel. Und insofern ist auch das Argument zu verstehen, wenn man jetzt sagt, man beendet den Militäreinsatz jetzt für eine gewisse Zeit oder man unterbricht ihn, dass dann auf den diversen Schmuggelwegen über Ägypten oder über das Mittelmeer möglicherweise die Hamas wieder aufgerüstet wird und der ganze Konflikt sich noch länger in die Länge zieht. Das kann man schon verstehen, dass die Israelis so argumentieren.

LISA FRITSCH

Und irgendwie stellt sich auch immer die Frage, wie kann es für Gaza weitergehen? Ich meine, immer weiter beschießen, irgendwann ist dann auch nichts mehr übrig. Solche Kommentare haben wir zum Beispiel auch unter eine Frage bei uns auf Instagram gefunden. Da haben wir unseren Nutzern folgende Frage gestellt. Glaubt ihr, dass im Gaza-Streifen Demokratie möglich ist? Und es kamen neben der einen Meinung, die ich gerade schon gesagt habe, auch folgende Antworten von Thomas zum Beispiel. Das hat in Afghanistan und im Irak nicht geklappt. Man kann diesen Leuten keine Demokratie nach europäischem Vorbild aufzwingen. Es gab aber auch positivere Antworten wie Ja, warum nicht? Oder Natürlich würde eine Demokratie dort funktionieren. Nur wegen der jahrelangen Unterdrückung und der Siedlungspolitik Israels werden die Menschen halt wieder eine radikale Regierung wählen. Hamas wurde doch auch demokratisch gewählt, oder? Was sagt ihr dazu?

DANIEL MÜTZEL

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Zunächst erstmal würde ich den Gazastreifen überhaupt nicht mit Afghanistan oder so vergleichen. Die Hamas wurde tatsächlich demokratisch gewählt, aber sie hatte sich bald die Wahlen abgeschafft. Und insofern kann man nur erahnen, ob diese Organisation wirklich noch irgendeine Art von demokratischer Repräsentation hat im Gaza-Streifen. Ich habe auch mit jemandem gesprochen, einem Menschenrechtler aus Gaza, der die Organisation in Vergangenheit auch immer wieder kritisiert hat dafür, dass sie gar nicht mehr auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht in vielerlei Hinsicht, was Nahrung, Lebensmittel betrifft. Wir hören ja auch immer wieder davon, dass die Hamas, Strom und andere Hilfsgüter, die ihnen von außen gegeben werden, in den Raketenbau investieren. Insofern, ob da jetzt wirklich noch ein großer Zuspruch für diese Organisation da ist, das muss man in Frage stellen. Also, das kann man als Gedankenspiel mal so machen, Demokratie im Gazastreifen, aber ich glaube, im Moment stellt sich das nicht. Es geht jetzt im Moment wirklich um Stabilität, um eine Art von Regime-Change. Also, dass eben nicht mehr eine Terrororganisation diesen dünnen Landstreifen regiert und da Terrorschulen und Terror-Trainingslager baut und die Leute mit Antisemitismus die Kinder von früh auf indoktriniert, sondern dass eben eine einigermaßen stabile, gewaltfreie, soweit es geht, Lösung mit der israelischen Regierung und mit dem Westjordanland, also mit der palästinensischen Autonomiebehörde gefunden wird. Um eben die Gewalt erstmal zu reduzieren. Darum geht es. Demokratie, das kann man dann, weiß ich nicht, in 10, 15 Jahren oder so. Ich sehe das

FLORIAN HARMS

wie du, Daniel. Wir müssen mal runter von unseren viel zu hohen Ansprüchen. Also, dass man sagt, naja, die Leute da unten sollen jetzt mal unsere Demokratie nehmen. Oder die Leute da unten können sowas nicht wie Demokratie. Darum geht es hier gar nicht. Also, es wäre wirklich absurd arrogant, so zu argumentieren. Worum geht es? Es geht genau wie du es sagst um Frieden. Es geht darum erstmal dafür zu sorgen, dass aus dem Gazastreifen keine brutale Bedrohung mehr für Israel erwächst. Und zwar nicht nur für Israel, sondern auch für die Palästinenser in Gaza. Und ich stimme dir dazu. Ich würde glaube ich sogar noch weiter gehen. Ich glaube gäbe es Freie Wahlen in Gaza würde die Hamas nicht gewinnen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Nach allem, was ich gelesen habe in letzter Zeit. Die Hamas hat tatsächlich auch mit viel Gegenwind zu kämpfen. Die Leute trauen sich das aber nicht, das so deutlich zu sagen. Und natürlich hat die Hamas auch durch ihren Zugriff auf Hilfsgüter de facto viele Leute einfach bestochen. Wenn sie dann eben das Brot oder das Mehl verteilt, wem glaubt man dann? Natürlich demjenigen, der einem hilft. Ich glaube, ein Teil des Problems, das jetzt zu dieser Eskalation geführt hat, ist, dass die Israelis nach ihrem Abzug aus dem Gazastreifen 2005 sich eigentlich nicht mehr darum gekümmert haben, was da vor Ort los war, abgesehen von Überwachung, und dass man das Feld Radikalen überlassen hat, die dann unterstützt worden sind, eben zum Beispiel durch den Iran. Und dann sind Hilfsorganisationen wie die Vereinten Nationen hingegangen, haben halt versucht, das Nötigste zu organisieren, mussten das aber immer machen unter der Kuratel der dort herrschenden Islamisten, die halt den Ton angegeben haben. Und das wird in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Das haben wir jetzt gesehen, weil dann immer eine brutale Terrorgefahr erwächst. Das heißt, eigentlich muss man schon einen internationalen Konsens herstellen und muss sich eine andere Lösung für eine Übergangsverwaltung überlegen. die eben nicht bei den Islamisten allein liegt und wahrscheinlich auch nicht bei der korrupten palästinensischen Autonomiebehörde allein. Die internationale Gemeinschaft wird sich viel stärker auch in der Verwaltung engagieren müssen. Und das ist eine riesen Herausforderung, vor der wir da alle stehen. Du hast

DANIEL MÜTZEL

gesagt, man kann wohl davon ausgehen, dass viele Pazifizienzer gar nicht hinter der Hamas gestanden haben, vor allem wenn man auch ihre korrupte Praxis in den letzten Jahren und so weiter gesehen hat und weil sie eben viele Hilfsgüter abgezweigt haben, viele Ressourcen die von außen kamen. Und sie in Waffen gesteckt haben. Andererseits glaube ich, oder ich befürchte, dass der Krieg und auch jetzt diese massiven Luftschläge Israels und jetzt der Einsatz von Bodentruppen eben schon dazu führen, dass sich wieder so eine Art Rally around the Flag Effekt ergibt. Wir werden angegriffen als Palästinenser. Viele Palästinenser, die sehen das ja nicht als Angriff nur auf Hamas, die sehen das auch als Angriff auf sich selbst. Ihre Häuser werden zerbombt. Familien werden ausgelöscht. Und dass sich deswegen dieses Band zwischen der Hamas und den Palästinensern im Gazastreifen wieder verdickt. Und das könnte eine künftige Lösung eben erschweren. Und auch so ein internationales, wie soll man es nennen, Besatzungsmanagement. Es soll ja keine Besatzung mehr werden, aber wird es dann auch als Nicht-Besatzung wahrgenommen? Es gibt ja schon den jahrelangen Kampf gegen die israelische Besatzung im Westjordanland. Das Gefühl ist ja sehr verankert, dass man die ganze Zeit eben schon von Israel oder vom Westen dominiert wird, okkupiert wird. Und vielleicht noch ein anderer Hinweis, den ich noch machen wollte. Du sagtest, Israel hat sich zurückgezogen, hat dem Gazastreifen sich selbst überlassen. Naja, das israelische Argument ist, naja gut, wir haben uns doch zurückgezogen. Wir haben euch doch das Land gegeben. Wir haben euch die Macht gegeben, über euch selbst zu regieren und guckt an, was habt ihr daraus gemacht.

FLORIAN HARMS

Aber unter welchen Bedingungen? Also Gaza ist ein Armenhaus und die Israelis konnten einfach Strom an- und ausknipsen, konnten auch Lieferungen reinlassen oder nicht reinlassen. Und so hat man eben wirklich auch die Radikalen gestärkt. Also wenn die Leute nicht das Zutrauen hatten, dass die lokale Verwaltung wirklich was erreichen kann im Sinne von allen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, sondern dass man immer abhängig ist von noch einem Staat dahinter, dann fällt es natürlich sehr leicht, diesen Staat zu verteufeln und zu sagen, ja guck mal, die sind in

DANIEL MÜTZEL

Wahrheit schuld an unserem Elend. Aber Israel hat ja die Gaza-Blockade nicht gemacht, weil sie nicht möchte, dass das palästinensische Volk sich im Gazastreifen nicht entwickelt und dass sie den funktionsfähigen Staat aufbauen, sondern weil es eben immer wieder Selbstmordattentate, terroristische Anschläge gegeben hat und deswegen die Notwendigkeit eben bestand, diese Grenze wirklich absolut zu sichern und auch Also das ist das Dilemma. Quid pro quo.

FLORIAN HARMS

Wer hat angefangen? Und so wird man das Problem aber glaube ich nicht lösen, sondern es wird doch eigentlich nur gelingen, wenn alle die irgendwie ein Interesse an einer Befriedung haben, das müssen mal alle in der Region sein und wir haben auch ein Interesse daran. dazu beitragen, dass es in Gaza ein einigermaßen anständiges, geregeltes Leben ermöglicht wird. Und das schafft man halt nicht, wenn man das sozusagen absperrt und sagt, hier habt ihr euer Land und es ist sogar egal, wer da regiert, ob das jetzt die Hamas ist oder die Autonomiebehörde oder jemand, der sich halbwegs demokratisch legitimiert. Da muss man weitergehen. Das ist eine Riesenaufgabe. Das sind wir völlig bewusst. Aber das werden wir jetzt vergegenwärtigen

DANIEL MÜTZEL

müssen. Das werden wir tun müssen. Ich glaube aus israelischer Sicht wird die Voraussetzung dafür auf jeden Fall sein, dass man sich eben auf so eine Lösung einigt, dass die Terrorgefahr signifikant reduziert wird. Sonst werden die sich auf gar nichts einlassen. Auf kein Aufgeben der Blockade nichts. Ich glaube

FLORIAN HARMS

das auch Daniel, aber was mir gegenwärtig fehlt und ich glaube es wäre gut, wenn es das gäbe, ist eine Perspektive über diesen Militäreinsatz hinaus. Also das Ziel, Zerschlagung der Hamas, Befreiung der Geiseln. D'accord. Aber was kommt danach? Wer soll danach aufräumen? Wer soll den Wiederaufbau organisieren? Wer soll sicherstellen, dass dann eben nicht doch wieder die Radikalen erstarken, so wie du es gerade beschrieben hast, weil die Leute sich dann hinter die stellen, weil sie sagen, die Israelis haben uns bombardiert. Dafür sehe ich im Moment noch keinen Plan. Und deshalb ist eben die von dir angesprochene diplomatische Initiative so wichtig, Lisa, dass wirklich die Außenminister der einflussreichen auch demokratischen Staaten sich engagieren, um zu überlegen, was kommt danach? US-Außenminister

LISA FRITSCH

Antony Blinken hat ja auch die Forderung ins Spiel gebracht, dass die palästinensische Autonomiebehörde, die du gerade auch schon angesprochen hast, Daniel, und auch teilweise als korrupt bezeichnet hast, und die ja aktuell im Westjordanland regiert, die Kontrolle im Gazastreifen übernehmen soll. In einem Pressestatement sagte Blinken dazu außerdem,

FLORIAN HARMS

If you project forward to the future. What we all agree is that in defining that future and shaping that future for Gaza, for the West Bank, and ultimately for a Palestinian state. Palestinian voices have to be at the center of that. The Palestinian Authority is the representative of those voices. So it's important that it play a leading role

LISA FRITSCH

Ja, er spricht hier von der Zukunft im Gazastreifen im Westjordanland, aber auch letztlich von einem palästinensischen Staat. Ist ja auch gut, dass er das nochmal sozusagen in Worte fasst. Und er sagt, dass eben dort palästinensische Stimmen im Mittelpunkt stehen müssen und die palästinensische Autonomiebehörde als Vertreter dieser Stimmen eine führende Rolle spielen soll. Wie ist das denn möglich mit euren Aussagen, dass sie korrupt sei und wie ist diese Forderung realistisch umzusetzen?

FLORIAN HARMS

Die ist ja nicht nur korrupt, sie ist auch antidemokratisch. Abbas verweigert Wahlen. Der sitzt da einfach in seinem Sessel und lässt nicht mehr wählen. Und sie ist auch brutal. Also auch in palästinensischen Gefängnissen werden Palästinenser schlimmstens misshandelt. Und wenn jetzt der amerikanische Außenminister sagt, das ist die Repräsentanz Palästinas, dann fängt das Problem ja schon an. Also ich glaube nicht, dass es gelingen wird, mit dieser korrupten, brutalen Autonomiebehörde ein dauerhaft stabiles System aufzubauen. Da müssen wir anders denken. Ich

DANIEL MÜTZEL

glaube auch, diese Idee ist aus der totalen Verzweiflung geboren, weil man eben nicht weiß, was danach kommen soll. Es gab ja mal schon die verrücktesten Ideen, die in den Raum gestellt wurden, dass Ägypten das vielleicht managen könnte. Die Ägypter werden einen Teufel tun, eine Verantwortung in Gaza zu übernehmen. Und jetzt die aus dem Hut gezauberte Lösung, die palästinensische Autonomiebehörde, könnte das irgendwie regeln. Die hat ja noch nicht mal die Macht wirklich im Westjordanland. Hat sie nur, indem sie Wahlen verbietet, indem sie eben nicht wirklich ihre Macht testet in Wahlen. Ich habe, als ich in Israel war, wirklich eindringlich versucht, ein Interview zu bekommen mit einem Vertreter. Mit einer Vertreterin der Autonomiebehörde dort. Hat nicht geklappt. Ich habe dann irgendwann durch eine Quelle erfahren, dass Abbas allen seinen Offiziellen einen Maulkorb verpasst hat, weil er eben fürchtet, dass sie Sympathie für die Hamas ausdrücken. Also es gibt eben auch steigende Sympathie im Westjordanland für die Hamas. Abbas hat seinen Laden nicht im Griff. Insofern ist es wirklich jenseits von ihm zu verlangen oder zu erwarten, dass er das im Gazastreifen übernehmen könnte.

FLORIAN HARMS

Es klingt alles ziemlich düster, was wir hier erzählen. Soll ich mal einen kleinen Hoffnungsschimmer versuchen, Lisa? Gerne. Einen kleinen wenigstens. Ich glaube, wenn es eine Chance gibt, zu einer Befriedung beizutragen, dann kann das nicht nur direkt vor Ort liegen, also bei den Israelis und Palästinensern, sondern man braucht die regionalen Mächte, die alle in der einen oder anderen Art und Weise beteiligt sind an diesem Konflikt und Druck machen können auf die eine oder die andere Seite. Und das sind aber leider ziemlich viele. Also das ist nicht nur Iran. Und da gibt es eben bislang einfach eine Feindschaft zu Amerika. Die würden sich jetzt nicht einfach an einen Tisch setzen. Schwierig. Es ist auch Saudi-Arabien. Es sind die Golfstaaten. Es ist die Türkei. Und so kannst du weiter rumgehen. Den Kreis immer größer machen. Am Ende ist es auch die Europäische Union, die ein Interesse daran hat, dass der Nahe Osten befriedet ist und dann nicht die Konflikte von dort importiert werden. Hierher in die Europäische Union. Deshalb braucht es eigentlich eine Struktur, wie man über einen Zeitraum von Monaten, wenn nicht gar Jahren, einen Prozess zur Befriedung organisieren kann mit all diesen Akteuren. Und so war das eben auch damals bei den Oslo-Friedensgesprächen, als das schon mal gelungen ist, zumindest mal zwischen Israel und Jordanien einen Frieden zu vermitteln und zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde zumindest mal ein Auskommen. Darüber haben wir in einem der letzten Podcasts gesprochen. Unfassbar aufwendig. Das ist nicht damit gemacht, dass halt einfach ein Außenminister mal vor Ort ein bisschen rumchattet, ein paar Tage Hände schüttelt und dann sagt, ja, wir müssen auf die Autonomiebehörde setzen.

LISA FRITSCH

Das wird nicht reichen. Ja, also regionale Kräfte, auch arabische Länder. Und

FLORIAN HARMS

da braucht es Vertrauen und daran muss man monatelang arbeiten, sich dieses Vertrauen zu gewinnen. Und das ist eben richtig ein sehr, sehr anstrengender großer Prozess. Vielleicht sogar die komplexeste Aufgabe, die es gegenwärtig in der internationalen Politik gibt. Also

LISA FRITSCH

es gab auch Kommentare zu dieser Frage auf Instagram, sowas wie, ich finde, wir sollten uns da komplett raushalten, aber mit euren Statements... Aber dann

FLORIAN HARMS

kommen die Probleme zu uns. Also dann kommt sozusagen der Terror vielleicht wieder in Form von Anschlägen zu uns. Dann haben wir auf den Straßen pro-palästinensische Demonstrationen mit verfassungsfeindlichen Slogans und vieles mehr. Also wir können uns nicht raushalten. Wir haben als stabiles Europa ein Interesse daran, dass dieser Konflikt eingedämmt wird.

DANIEL MÜTZEL

Ich glaube aber, obwohl jetzt durch diese extreme Verschärfung dieses Konflikts, der Krieg, das Massaker und so weiter, der Bedarf nach so einer Lösung umso größer ist, glaube ich, man ist einer Lösung so weit entfernt wie schon lange nicht mehr. Die 90er Jahre, wo es diese Annäherung gegeben hat. Das sind die 90er Jahre. Das ist lange Zeit her. Ja, aber das ist gar nicht

FLORIAN HARMS

so lange her, Daniel. Guck mal, wenn wir uns mal erinnern. Was war vor dem Anschlag vom 7. Oktober? Und warum hat die Hamas genau jetzt zugeschlagen? Weil es vorher eine Annäherung gab. Zum Beispiel zwischen Saudi-Arabien und Israel. Das lief richtig gut. Die Golfstaaten haben sich Israel angenähert, haben angefangen Israel auch als Staat anzuerkennen und umgekehrt haben die Israelis dann Botschafter entsandt, man hat angefangen Handel aufzubauen. Das lief nicht so schlecht. Man hat leider völlig übersehen, dass es radikale Kräfte gab, die damit überhaupt nicht einverstanden waren und es konterkariert haben. Ich will nur sagen, da gab es Pflänzchen, die kann man wässern, daran kann man anknüpfen. Selbst wenn nicht jetzt sofort, vielleicht dann im nächsten Jahr.

LISA FRITSCH

Um damit den Druck auf die Hamas zu erhöhen.

DANIEL MÜTZEL

Das ist richtig. Ich möchte nur nochmal, also was ich auch damit meinte ist, das Gefühl, was ich hatte in Israel, ich habe mit Leuten über alle Parteien und Lagergrenzen gesprochen und ein Satz ist mir hängen geblieben. Einer hatte gesagt, Hamas killed the Israeli left. Also, dass die Teile in der israelischen Gesellschaft, die eigentlich traditionell für eine friedliche Lösung eingetreten sind und auch ihre Regierung, die Netanyahu-Regierung, immer wieder versucht haben daran zu erinnern, die ist in den letzten Jahren, Jahrzehnten immer weiter geschrumpft. Die war sehr stark in den 90er Jahren und die ist sukzessive geschrumpft und heute ist sie eigentlich fast tot. Und deswegen habe ich auch, wenn ich mit israelischen Linken über diese Frage von Krieg und Frieden, Hamas, Zukunft, eine Einigung gesprochen habe, fast ähnliche Töne gehört, wie wenn ich mit israelischen Rechten gesprochen habe. Und Netanyahu und seine Regierung, wo auch Rechtsextremisten sitzen, ist ja das weitere Problem. Also es gibt einen Politiker da, der die Regierung führt, den die meisten Israelis für korrupt halten, der mit Leuten in der Regierung ist, die auch kein Interesse haben, überhaupt so eine Lösung zu finden, die im Westjordanland jahrelang so eine Lösung torpediert haben, indem sie die palästinensische Autonomiebehörde geschwächt haben. Das war ja das Hauptziel eigentlich dieser Extremist in der Regierung. ein palästinensisches Staat zu verhindern.

FLORIAN HARMS

Wobei, wenn jetzt gewählt würde, würde doch Netanjahu abgewählt, oder? Gibt so eine große Unzufriedenheit, weil er eben Israel nicht geschützt hat.

DANIEL MÜTZEL

Das ist richtig. Sogar pro-Netanjahu-Zeitungen rufen jetzt dazu auf. Bibi, it's time. Aber erst nach dem Krieg. Und das sagen alle. Erst nach dem Krieg, nicht jetzt. Diese Instabilität können wir uns nicht leisten und wir hätten auch keinen Kandidaten, auf den sie alle einigen könnten. So, dann ist die Frage, wie lange geht dieser Krieg? Wie lange wird die Netanjahu vielleicht in die Länge ziehen, dieses politische Überlebenstier, um dann am Ende doch zu sagen, war doch ganz erfolgreich meine Operation, jetzt könnt ihr mich wieder wählen.

LISA FRITSCH

Ja, also ich glaube, man muss trotzdem die Hoffnung, man darf die Hoffnung nicht verlieren, dass die beiden Seiten doch irgendwie einsehen, dass sie Kompromisse machen müssen und aufeinander sich zubewegen müssen und auch die internationalen Kräfte mit einbeziehen in diese Lösungsfindung. Und wie versprochen, liebe Hören und Hörer, gibt es jetzt noch ein kleines leichtes Thema zum Ende. Am 12. November, also jetzt diesen Sonntag vor 100 Jahren, wurde in Brandenburg an der Havel Vico von Bülow geboren. Besser bekannt als Loriot. Er galt als Deutschlands erfolgreichster und nobelster Humorist und erreichte mit Sketchen wie die Nudel im Gesicht oder Cartoons wie das Frühstücksei ein Millionenpublikum. Hier ein kleiner Ausschnitt aus seinem Cartoon Herren im Bad aus der ARD-Mediathek, wo jetzt auch viele seiner Filme noch mal verfügbar sind.

ARD MEDIATHEK

Die Ente bleibt draußen. Herr Müller-Lüdenscheid. Die Ente bleibt draußen. Herr Müller-Lüdenscheid, ich bade immer mit dieser Ente. Nicht mit mir.

LISA FRITSCH

Erstmal eine lockere Frage zum Einstieg. Was ist euer Lieblingswitz von Loriot?

FLORIAN HARMS

Meiner ist das schiefhängende Bild. Das ist einer seiner frühen Sketche, wo er dann hingeht und versucht, das Bild gerade zu hängen und dann beginnt ein totales Desaster, weil nämlich dann der Rahmen runterkommt und dann fällt irgendwann alles im Zimmer um und am Ende sieht es aus wie auf dem Schlachtfeld. Das ist so toll gespielt, das ist Slapstick pur und das ist für mich ein Stück weit die Inkarnation von Loriot.

LISA FRITSCH

Ja, ich finde auch die Nudel im Gesicht immer wieder sehr amüsant.

FLORIAN HARMS

Weißt du, warum Loriot so besonders ist, glaube ich? Warum der bis heute Menschen begeistert, alt, jung, Männer, Frauen, überall, weil er so menschlich ist. Er hat das selber mal erklärt in einem Interview. Ihm geht es nicht um die maximale Übertreibung oder darum, andere bloßzustellen, sondern er versucht immer, einen kleinen Tick neben der Normalität und neben dem Alltag zu sein. Und das sieht man dann auch in seinen Filmen. Der verhält sich und bewegt sich ja immer so ein kleines bisschen übertrieben und affektiert. Also wenn der was den Kopf hebt, macht der nicht so, sondern ein kleines bisschen zu viel. Aber nicht total übertrieben. Und das macht es so komisch, weil wir uns in ihm wiedererkennen. Oder weil wir unseren Onkel in ihm wiedererkennen. Oder unseren Vater oder sonst jemanden. Und deshalb funktioniert der bis heute.

LISA FRITSCH

Aber er hat ja auch gesellschaftlich auch Dinge angesprochen und hält sozusagen der Gesellschaft auch mit seinem Humor immer wieder den Spiegel vor. Warum funktionieren seine Witze also heute auch immer noch so gut?

FLORIAN HARMS

Ja, eben weil sie so aus dem Leben gegriffen sind. Also das Frühstücksei oder die Ente, das könnte ja genauso vielleicht nicht mit zwei älteren Herren stattfinden, aber vielleicht mit zwei Kindern. Und der Streit am Frühstückstisch, der findet jeden Morgen irgendwo in Deutschland statt.

LISA FRITSCH

Helga, warum ist das Ei hart? Oder eine Birne

FLORIAN HARMS

ist eine Birne und ein Apfel ist ein Apfel. Sei doch mal ein bisschen kreativer. Und das ist so schön, weil es unseren Alltag spiegelt und weil wir uns darin wieder erkennen. Und das wird auch in 20 Jahren noch so sein.

LISA FRITSCH

Auch wie wenn man einfach nichts macht und rumsitzt auf dem Stuhl.

FLORIAN HARMS

Ich will einfach nur hier sitzen.

LISA FRITSCH

Genau. Und das hoffen wir für Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, dass Sie auch einfach mal nichts machen müssen an diesem Wochenende und sich mit nicht zu vielen schlechten Nachrichten umgeben, sondern auf jeden Fall das Positive sehen. Und damit verabschieden wir uns hier. Um keine Folgen des Diskussionsstoff-Podcasts zu verpassen, abonnieren Sie diesen gerne auf Spotify, Apple Podcasts oder mit der App, mit der Sie Podcasts hören und lassen uns doch auch gerne eine Bewertung da, bis zu fünf Sterne sind möglich. Fragen, Anmerkungen und Kritik wie immer gerne an folgende E-Mail-Adresse podcasts at t-online.de und damit bedanke ich mich ganz herzlich fürs Zuhören und auch dafür, dass ihr euch heute die Zeit genommen habt, lieber Daniel, lieber Florian und sage Tschüss.

DANIEL MÜTZEL

Danke und schönes Wochenende. Tschüss

FLORIAN HARMS

und bleiben Sie uns gewogen.

Über diesen Podcast

Der Nachrichtenpodcast von t-online zum Start in den Tag.

Im „Tagesanbruch“ ordnet t-online-Chefredakteur Florian Harms im Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen die wichtigsten Themen des Tages ein, analysiert und kommentiert – am Wochenende in einer tiefgründigeren Diskussion zu einem aktuellen Thema der Woche. Neue Folgen gibt es montags bis samstags ab 6 Uhr morgens.

Fragen, Anregungen und Kritik gerne an: podcasts@t-online.de

Den Tagesanbruch gibt es auch zum Nachlesen unter https://www.t-online.de/tagesanbruch

Wenn Ihnen der Podcast gefällt, lassen Sie gern eine Bewertung da.

von und mit Florian Harms

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